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Weniger invasive Biopsien für den Krebspatienten?
Jatros
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04.04.2019
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<p class="article-intro">Das kürzlich in Wien eröffnete „Christian Doppler (CD) Labor for Applied Metabolomics“ setzt sich die Entwicklung einer nicht invasiven diagnostischen Methode zum Ziel, welche eine umfassende Charakterisierung des Tumors auf molekularer Ebene erlaubt. Mithilfe der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) soll es künftig möglich sein, das metabolische Profil genetischer Veränderungen innerhalb des Tumors zu erkennen und daraus Rückschlüsse auf dessen Therapieansprechen zu ziehen. Wir besprachen mit den beiden Leitern des Labors, Assoc. Prof. Univ.-Doz. Dr. Alexander Haug und Univ.-Prof. Dr. Lukas Kenner, welche Auswirkungen dies auf die konventionelle Pathologie haben wird.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Was war die ursprüngliche Intention der Gründung eines CD-Labors für „applied metabolomics“?</strong></p> <p><strong><em>A. Haug:</em></strong> Ausschlaggebend für die Gründung waren eigentlich zwei Entwicklungen: erstens das Aufkommen künstlicher Intelligenz bei der Analyse von Bilddaten und zweitens die Weiterentwicklung der molekularen Pathologie und der Genetik. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, beides miteinander zu verbinden: Durch die Analyse von Bilddaten mithilfe künstlicher Intelligenz wollen wir in Zukunft Rückschlüsse auf die Biologie des Tumors und seine genetischen Mutationen ziehen und dadurch über prognostische Parameter wie Therapieansprechen oder das Überleben des Patienten Auskunft geben. Um diesen Zugang auch wirklich fundiert und mechanistisch zu begründen, werden wir zwei separate Ansätze verfolgen: Zum einen verwenden wir präklinische Tiermodelle, wo unsere Theorien mechanistisch validiert werden, zum anderen kommt die Methode direkt in der Klinik zum Einsatz, wo wir zum Zeitpunkt der PET-Untersuchung Blutproben nehmen werden, um mit einer solchen „liquid biopsy“ das genetische Material des Tumors zu untersuchen. Das Ergebnis dieser Untersuchungen wollen wir dann zusammen mit sogenannten Tumorlandkarten, also den metabolischen Fingerprints eines Tumors, die mittels PETComputertomografie (CT) erstellt werden, prospektiv analysieren <em>(schematisch dargestellt in Abb. 1, Anmerkung der Redaktion)</em>.</p> <p><strong>Welche Synergien gibt es zwischen PETCT- basierter Diagnostik und herkömmlichen pathologischen Methoden?</strong></p> <p><strong><em>A. Haug:</em></strong> Eine große Problematik in der herkömmlichen Pathologie ist die Tumorheterogenität, also eine unterschiedliche genetische Ausstattung des Primärtumors und seiner Metastasen, die zu unterschiedlichen Manifestationen des Tumors führt. Momentan kann dem nur ganz schwer Rechnung getragen werden, weil eine klassische Biopsie ja mehr oder weniger zufällig an einer Stelle des Tumors entnommen wird, u.a. je nach Erreichbarkeit der Läsion. Eine Biopsie wird oft als repräsentativ für den ganzen Tumor betrachtet, was in Wahrheit aber nicht immer der Fall ist. Wenn man jetzt aber beginnen würde, mithilfe der PETCT- Bildgebung gewisse genetische Signaturen der Bildgebung zu detektieren, dann könnten wir vor der Biopsie beurteilen, ob diese genetischen Merkmale in allen Manifestationen des Tumors vorhanden sind oder ob es z.B. einige Metastasen gibt, die sich anders verhalten.</p> <p><strong><em>L. Kenner:</em></strong> Der Vorteil der klassischen Pathologie gegenüber der Technologie der In-vivo-Bildgebung aber ist die zelluläre Auflösung, die nur mit der Bildgebung allein wahrscheinlich nie erreicht werden wird. Im Labor können wir einzelne Zellkompartimente von Tumoren analysieren und verschiedene Expressionsmuster von Proteinen und Genen feststellen. In beiden Fällen müssen zuerst aus der Gewebeprobe unter einem Lasermikroskop die erwünschten Tumorzellen aus dem Gewebeverband mit dem Laser herausgeschossen werden, damit schlussendlich möglichst reine Tumor-DNA bzw. Tumorproteine isoliert werden können. Die Gen- bzw. Proteinexpressionen werden dann mit den Ergebnissen einer PET-Untersuchung korreliert. Mit den „liquid biopsies“ wäre es nun auch schon möglich, Tumor-DNA bzw. auch Proteine direkt aus dem Blut des Patienten zu isolieren, was weit weniger invasiv als eine herkömmliche Nadelbiopsie ist.</p> <p><strong>Welchen Vorteil sehen Sie nun in einer In-vivo-Pathologie, die durch das Zusammenspiel von PET-CT und pathologischem Befund ermöglicht wird?</strong></p> <p><strong><em>L. Kenner:</em></strong> Der größte Vorteil wäre, die Anzahl der invasiven Biopsien zu reduzieren. Um es anhand der Prostatabiopsien zu verdeutlichen: Die Prostata ist beim Mann ein etwa walnussgroßes Organ. Wenn eine Fächerbiopsie mit einer größeren Anzahl von Nadeln durchgeführt wird, um ein möglichst repräsentatives Bild zu bekommen – was immerhin schon ein Fortschritt gegenüber früher ist, wo noch zwei einzelne Biopsien gemacht wurden –, kann dies sehr unangenehm für die Patienten sein. Es kommt immer wieder zum Eindringen von Bakterien in die Blutbahn, weil durch das Rektum durchgestochen werden muss, und daher ist eine antibiotische Abdeckung notwendig. Es wäre folglich schon deswegen eine große Erleichterung für den Patienten, wenn die Zahl der Biopsien verringert werden könnte. Zusätzlich muss man bedenken, dass das durch die Biopsie erhaltene Bild den sehr heterogenen Tumoren in der Prostata oftmals nicht gerecht wird, da ja nur ca. 0,6mm dicke Stanznadeln verwendet werden und dies nur vergleichsweise wenig repräsentative Aussagen erlaubt. Es geht uns jetzt vor allem darum, die Vorteile der PET-CT-Untersuchung mit denen der klassischen Pathologie zu kombinieren. Dies wird mithilfe von selbstlernenden Algorithmen, die als „machine learning“ bezeichnet werden, ermöglicht. Der Vorteil der Nutzung dieser „künstlichen Intelligenz“ liegt darin, dass eine für Menschen nicht bewältigbare Anzahl von Daten in sehr kurzer Zeit analysiert und miteinander verknüpft werden kann.</p> <p><strong><em>A. Haug:</em></strong> Ein anderer Aspekt, der über die bisher genannten Anwendungen noch hinausgeht, ist, dass man, unter Verwendung entsprechend großer Patientenkollektive, mit der Kombination aus Analytik der Bilddaten und der „liquid biopsy“ beispielsweise Patientenkollektive identifizieren könnte, die eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, auf eine spezifische Therapie anzusprechen oder eben nicht anzusprechen. Ziel ist, eine wichtige Entscheidungshilfe für die Wahl der richtigen Therapie zu implementieren.</p> <p><strong>Bei welchen Tumorentitäten glauben Sie, dass die Individualisierung des Therapiealgorithmus am ehesten gelingen wird?</strong></p> <p><strong><em>A. Haug:</em></strong> Es gibt sicherlich Tumorarten, die eher infrage kommen als andere. Ganz besonders geeignet wird vermutlich das Prostatakarzinom sein, das ja Ärzte und Patienten vor große diagnostische Herausforderungen stellt, insbesondere bei der Diagnostik von klinisch relevanten Tumoren, die einer Therapie bedürfen, im Gegensatz zu klinisch nicht relevanten Tumoren. Wir haben die große Hoffnung, dass wir dann mithilfe der Bildgebung, mit oder ohne Kombination mit der „liquid biopsy“, in der Lage sein werden, klinisch relevante Karzinome mit einer hohen Sicherheit zu identifizieren und somit nur die Patienten, die wirklich eine Therapie benötigen, einer solchen zuzuführen.</p> <p><strong>Für welche klinischen Fragestellungen wird sich diese neue Methode am ehesten eignen? Ist sie eher bei der Erstdiagnose oder in der Verlaufskontrolle relevant?</strong></p> <p><strong><em>A. Haug:</em></strong> Die Möglichkeiten ziehen sich durch die gesamte Behandlungsgeschichte eines Patienten hindurch. Zum einen bei der Erstdiagnose, wo es mithilfe des Algorithmus gelingen könnte, die Biopsiefrequenz zu verringern wie auch den Tumor besser zu charakterisieren, was die Auswahl einer optimalen First-Line-Therapie ermöglicht. Zum anderen könnten wir besser auf durch Therapiedruck verursachte Mutationen reagieren: Wenn einige Metastasen also nicht mehr auf die Therapie ansprechen, würden sie auch im PET-CT eine andere Signatur aufweisen. Dann könnte man gezielt biopsieren und eine genauere genetische Untersuchung veranlassen.</p> <p><strong>Wie lange wird es Ihrer Ansicht nach dauern, bis der Onkologe bei einer Untersuchung im Zuge der Erstdiagnose einfach eine Tumorsignatur anfordern kann?</strong></p> <p><strong><em>A. Haug:</em></strong> Da werden mehrere Zwischenschritte notwendig sein. Der erste Schritt in der Entwicklung dieses Algorithmus ist die Identifizierung der Bildsignaturen in den retrospektiven Daten. Diese müssen dann multizentrisch evaluiert werden, und wir werden sehen, ob sie auch mit externen Daten eine ausreichende Korrelation zeigen. Wir sind schon erste Schritte in die richtige Richtung gegangen. Der finale Schritt wird dann natürlich eine kommerzialisierbare Softwarelösung sein. Die Verfügbarkeit auf dem Markt erlaubt dann die Anwendung an zahlreichen Kliniken.</p> <p><strong><em>L. Kenner:</em></strong> Im Zuge des CD-Labors wenden wir diese Methode de facto aber jetzt schon an. Wir geben jederzeit gerne Auskunft über den aktuellen Stand der Entwicklungen und darüber, ob wir eventuell schon etwas anbieten können, was eine Erleichterung für den Patienten bietet.</p> <p><strong><em>Vielen Dank für das Gespräch!</em></strong></p> <p> </p> <p><strong><em><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1902_Weblinks_jatros_onko_1902_s24_abb1_haug.jpg" alt="" width="500" height="513" /></em></strong></p></p>
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