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Von der therapeutischen Revolution zur Evolution
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08.09.2016
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<p class="article-intro">Bei kaum einem Tumor gab es in den letzten Jahren so viele neue, gezielt wirkende Medikamente wie beim malignen Melanom – als «therapeutische Revolution» bezeichnet das PD Dr. med. Roger von Moos, Onkologe am Kantonsspital Graubünden und am Universitätsspital Zürich. Auf dem ASCO Annual Meeting 2016 in Chicago wurden die Ergebnisse mehrerer Studien zu Kombinationen der neuen Medikamente vorgestellt. Der Experte erläutert im folgenden Interview, wann die neuen Antikörper einzusetzen sind, warum Apps bei der Forschung helfen können und dass wir uns der Kostenfrage stellen müssen.</p>
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<p class="article-content"><p><strong>Beim malignen Melanom gibt es inzwischen diverse Antikörper, <em>BRAF</em>-Inhibitoren, <em>MEK</em>-Inhibitoren, Immuntherapien. Selbst Experten verlieren da den Überblick. Wann setzen Sie welche Präparate ein?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> Nachdem wir in den letzten Jahren am ASCO in kurzen Abständen revolutionäre Daten zu völlig neuen Wirksubstanzen hörten, wurden dieses Jahr aktuelle Daten bereits vorgestellter Studien präsentiert und Ergebnisse zu Kombinationen bekannter Substanzen – von der Revolution zur Evolution sozusagen. Bei den Melanomen müssen wir heute zwei Gruppen unterscheiden: Melanome mit<em> BRAF</em>-Mutation und diejenigen ohne. Bei Patienten ohne <em>BRAF</em>-Mutation kommt nur die Immuntherapie als Standardtherapie zum Einsatz, da das Ziel der <em>BRAF</em>- oder <em>MEK</em>-Inhibitoren – nämlich die durch die Mutation gestörten Signalwege – nicht vorhanden ist. Auch ältere Chemotherapien werden durchaus noch in zweiter Linie eingesetzt. Bei <em>BRAF</em>-mutierten Patienten zeigt die Kombinationstherapie von <em>BRAF</em>- und <em>MEK</em>-Inhibition eine stärkere Verbesserung der Ansprechrate, des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens als <em>BRAF</em>-Hemmer alleine – somit gilt die Kombinationstherapie als Standard.<br /> <br /><strong> Gibt man zuerst den <em>BRAF/MEK</em>-Hemmer oder ein Immuntherapeutikum, also einen Checkpoint-Inhibitor?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> Die Reihenfolge ist noch unklar und wird gerade in einer klinischen Studie untersucht.<sup>1</sup> Bei Patienten mit rascher Tumorprogression tendiere ich dazu, zuerst die <em>BRAF/MEK</em>-Inhibition einzusetzen, gefolgt von einer Immuntherapie. Die Immuntherapie braucht nämlich etwas länger, bis sie wirkt. Auf die Monotherapie sprechen in der Regel nicht ganz so viele Patienten an wie mit der <em>BRAF/MEK</em>-Kombination. Bei wenig Tumorlast und langsamer Dynamik kann auch zuerst mit der Immuntherapie begonnen werden. <br /> <br /><strong> Welches Immuntherapeutikum setzen Sie ein?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> In der Regel ist dies heutzutage ein PD-1-Antikörper, also Nivolumab oder Pembrolizumab. Ob Patienten mit der Immun-Kombinationstherapie aus PD-1-Inhibitor und Anti-CTLA-4-Blocker (Ipilimumab) länger leben, ist noch nicht geklärt. Die Kombination geht aber mit erheblichen Nebenwirkungen einher, etwa Autoimmun-Dermatitis, Autoimmun-Kolitis mit der Gefahr einer Perforation, Hepatitis und Endokrinopathien. Ich überlege daher sorgfältig, welchen Patienten ich die Kombination verabreiche. Infrage käme das zum Beispiel bei fitten Patienten ohne Autoimmunkrankheiten in der Vorgeschichte, mit <em>BRAF</em>-Wildtyp, rascher Tumordynamik und erhöhter LDH. Bei der Indikation für eine Immuntherapie muss man die Komorbiditäten sorgfältig beachten, vor allem ob der Patient unter einer Autoimmunkrankheit leidet, denn unter der Therapie können sich diese Krankheiten verschlechtern. Solche Vorerkrankungen stellen allerdings auch keine absolute Kontraindikation für eine Behandlung mit Checkpoint-Inhibitoren dar. Man muss Nutzen und Risiko individuell sorgfältig abwägen und mit dem Patienten besprechen.<br /> Eine weitere Gruppe stellen die Patienten mit deutlich erhöhter LDH dar. Unabhängig vom <em>BRAF</em>-Status scheinen diese Patienten von den neuen Therapien weniger zu profitieren als Patienten mit normaler LDH. Wir müssen das dringend in weiteren Studien untersuchen.<br /> <br /> <strong>Sie sagen, der Vorteil einer Kombinationstherapie aus CTLA-4-Antikörper und PD-1-Antikörper sei noch nicht abschliessend geklärt. Aber am ASCO hat doch das Forscherteam um Georgina Long gezeigt, dass die Kombinationstherapie aus Ipilimumab und Pembrolizumab sehr gut wirkt, bei akzeptablen Nebenwirkungen.<sup>2</sup></strong> <br /> <br /><strong> R. von Moos:</strong> Ja, es sprachen sehr viele Patienten auf die Kombinationstherapie an, und das progressionsfreie Überleben war im indirekten Vergleich mit Studien zur Monotherapie länger. Schwere Nebenwirkungen vom Grad 3 oder 4 treten bei Ipilimumab in Kombination mit Pembrolizumab deutlich seltener auf als bei Ipilimumab in Kombination mit Nivolumab, nämlich 25 vs. 56 % . Dies lag daran, dass im Kombinationsarm mit Pembrolizumab Ipilimumab mit 1mg/kg anstatt 3mg/kg dosiert wurde. Es gibt aber noch keine Daten zum Gesamtüberleben.<br /> In einer randomisierten dreiarmigen Studie wurde Nivolumab vs. Ipilimumab vs. Ipilimumab plus Nivolumab getestet.<sup>3</sup> Es zeigte sich, dass die Kombination bezüglich Ansprechrate und progressionsfreien Überlebens besser ist als Ipilimumab alleine. Wir wissen aber nicht, ob die Kombination diesbezüglich auch besser ist als Nivolumab – für diese Frage war die Studie nicht genügend gepowert.<br /> <br /><strong> Jacob Schachter und sein Team zeigten am ASCO ein verbessertes Gesamtüberleben von Pembrolizumab im Vergleich zu Ipilimumab.<sup>4</sup> Wie bewerten Sie diese Daten?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> Es konnte gezeigt werden, dass Pembrolizumab – allerdings in einer heute nicht zugelassenen hohen Dosis von 10mg/kg – deutlich besser abschneidet als Ipilimumab alleine in Bezug auf Ansprechrate, progressionsfreies und Gesamtüberleben. Insofern müssen wir uns fragen, ob und in welcher Sequenz Ipilimumab überhaupt noch Platz hat in der Monotherapie.<br /> <br /><strong> In der KEYNOTE-006-Studie hatten Patienten mit PD-L1-Positivität einen besseren Verlauf als Patienten mit negativem PD-L1-Status.<sup>5</sup> Kann uns der Test sagen, welcher Patient einen PD-L1-Antikörper bekommen sollte und welcher nicht?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> Es überlebten mehr PD-L1-positive Patienten, aber dieser Unterschied war nicht relevant für mich. Dies dürfte vor allem mit der kleinen Patientenzahl zusammenhängen. Ich würde auch Patienten mit PD-L1-negativen Tumoren mit Pembrolizumab behandeln, weil auch sie klar profitieren. <br /> <br /><strong> In der KEYNOTE-001-Studie<sup>6</sup> hatten 97 % der Patienten mit einer kompletten Remission auch keinen Rückfall, wenn die Therapie mit Pembrolizumab abgesetzt wurde. Könnte man das Medikament irgendwann stoppen?</strong><br /> <br /><strong> R. von Moos:</strong> Jetzt haben wir zum ersten Mal einen Hinweis bekommen, dass die Therapie mit PD-L1-Antikörpern möglicherweise im Verlauf abgesetzt werden kann. Der zweite interessante Punkt war, dass der Zeitpunkt, wann die Patienten auf das Medikament ansprechen, kaum voraussagbar ist. Die meisten Patienten wohl nach drei Monaten, andere aber deutlich später.<br /> <br /><strong> Das Universitätsspital Zürich war auch an der NEMO-Studie<sup>7</sup> beteiligt. Wird das die Therapie verändern?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> In der Studie wurde der <em>MEK</em>-Hemmer Binimetinib gegen das Chemotherapeutikum Dacarbazin bei Patienten mit <em>NRAS</em>-mutiertem Melanom getestet. Auch wir haben Binimetinib bereits in klinischen Studien verwendet. Doch auch wenn der <em>MEK</em>-Inhibitor eine etwas höhere Ansprechrate und eine bessere Krankheitskontrolle gegenüber Dacarbazin in diesem molekularen Subtyp gezeigt hat, waren insgesamt die Daten eher enttäuschend. Sie zeigen uns einmal mehr, dass die molekularen Mechanismen nicht so einfach sind, wie wir es uns vorstellen. Ich gehe nicht davon aus, dass die NEMO-Studie zur Zulassung von Binimetinib führen wird. Aber für die Forschung war die Studie wichtig.<br /> <br /> <strong>Manchmal ist es schwierig, genügend Studienteilnehmer zu finden. Was halten Sie von den Apps zur Erhöhung der Rekrutierung für Studien,<sup>8</sup> die in Chicago vorgestellt wurden?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> Das finde ich super! Es ist gut, dass wir dazu nun auch Daten haben. Unsere Art der Kommunikation hat sich geändert – mittlerweile ist sogar der Mail-Austausch zu langsam. Da wir immer mehr unterwegs sind, ist so eine App genau das Richtige. In der SAKK sind wir ebenfalls dabei, eine solche App einzuführen. Damit können Onkologen rasch nachschauen, was für laufende Studien es gibt, sie können schnell die Ein- und Ausschlusskriterien anschauen und sehen sofort eine Kontaktadresse. In einem nächsten Schritt könnte man überlegen, die App so zu programmieren, dass sich Patienten auch ohne ihren Arzt jederzeit über Studien informieren können.<br /> <br /><strong> Jennifer Leigh McQuade berichtete von einem besseren Verlauf bei übergewichtigen Melanompatienten.<sup>9</sup> Ist es nicht so schlimm, mit einem Melanom adipös zu sein?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> Ich fand das eine interessante Beobachtung. Warum das so ist, kann ich nicht erklären. Ich rate Patienten generell davon ab, während einer Tumortherapie abzunehmen. Der Tumor selber sorgt ohnehin für einen katabolen Stoffwechsel. Im Umkehrschluss würde ich aber wegen dieser Daten auch nicht zur Gewichtszunahme raten. Das Gewicht sollte möglichst stabil gehalten werden, dazu sollte sich der Patient viel bewegen. Wir haben Daten vom Kolon- und Mammakarzinom, dass Patienten mit vermehrter sportlicher Aktivität einen günstigeren Verlauf haben. Warum das so ist, untersucht zurzeit Prof. Viviane Hess von der Uni Basel.<sup>10</sup><br /><br /> <strong>Nebenwirkungen von zielgerichteten Therapien verursachen Kosten von Tausenden Dollars während 30 Tagen, wie in einer weiteren Studie am ASCO gezeigt werden konnte.<sup>11</sup> Das stellt ja die ohnehin schon hohen Therapiekosten noch mehr infrage, oder?</strong><br /> <br /> <strong>R. von Moos:</strong> Ja, eine sehr interessante Studie. Nebst den sehr hohen Preisen für die Medikamente wird hier gezeigt, dass eben auch die teils neuartigen Nebenwirkungen der Autoimmunreaktionen in der Behandlung sehr kostenintensiv sein können. Geht es somit um die Therapiekosten, müssen nicht nur die Medikamentenpreise addiert werden, sondern auch weitere Kostenfaktoren wie Konsultationen, Hospitalisationen und die Schwere der Komplikationen mit berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite steht der höhere Gewinn für den Patienten mit möglicherweise längerer Arbeitsfähigkeit, abgewendeter Pflegebedürftigkeit und verhinderter Berentung. Hier müssen wir in Zukunft viel bessere Studien machen, damit wir konkrete Zahlen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis haben. Gerade in einem Umfeld, in dem die Preise aktuell explodieren wie in der Onkologie muss diese Diskussion dringend stattfinden. Ansonsten werden wir in wenigen Jahren in einer Situation sein, in der neue innovative Medikamente nur noch der wohlhabenden Bevölkerung zur Verfügung stehen. Das müssen wir unbedingt vermeiden!<br /> <br /><strong> Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
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<p><strong>1</strong> <a href="https://clinicaltrials.gov/ct2/results?term=NCT02224781&Search=Search" target="_blank">https://clinicaltrials.gov/ct2/results?term=NCT02224781&Search=Search</a><br /><strong>2</strong> Long GV et al: Pembrolizumab (pembro) plus ipilimumab (ipi) for advanced melanoma: results of the KEYNOTE-029 expansion cohort. ASCO 2016, Oral Abstract Session, Abstr. #9506<br /><strong>3</strong> Wolchok JD et al: Updated results from a phase III trial of nivolumab (NIVO) combined with ipilimumab (IPI) in treatment-naive patients (pts) with advanced melanoma (MEL) (CheckMate 067). ASCO 2016, Oral Abstract Session, Abstr. #9505<br /><strong>4</strong> Schachter J et al: Pembrolizumab versus ipilimumab for advanced melanoma: final overall survival analysis of KEYNOTE-006. ASCO 2016, Oral Abstract Session, Abstr. #9504<br /><strong>5</strong> Daud A et al: KEYNOTE-006 study of pembrolizumab (pembro) versus ipilimumab (ipi) for advanced melanoma: efficacy by PD-L1 expression and line of ther­apy. ASCO 2016, Poster Discussion Session, Abstr. #9513<br /><strong>6</strong> Robert C et al: Three-year overall survival for patients with advanced melanoma treated with pembrolizumab in KEYNOTE-001. ASCO 2016, Oral Abstract Session, Abstr. #9503<br /><strong>7</strong> Dummer R et al: Results of NEMO: a phase III trial of binimetinib (BINI) vs dacarbazine (DTIC) in NRAS-mutant cutaneous melanoma. ASCO 2016, Oral Abstract Session, Abstr. #9500<br /><strong>8</strong> Gonzalez M et al: An app to increase cross-referral and recruitment to melanoma clinical trials. ASCO 2016, Poster Session, Abstr. #9590<br /><strong>9</strong> McQuade JL et al: The impact of obesity on outcomes in metastatic melanoma (MM) patients (pts) treated with dabrafenib and trametinib. ASCO 2016, Poster Session, Abstr. #9566<br /><strong>10</strong> SAKK 41/14 ACTIVE-2; http://sakk.ch/en/sakk-provides/our-trials/gastrointestinal-cancer/sakk-4114/<br /><strong>11</strong> Qiu Y et al: Costs associated with adverse events for systemic therapies in metastatic melanoma. ASCO 2016, Poster Session, Abstr. #9560<br /><br /></p>
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