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Von der Hämophilie zur Thromboembolie
Jatros
30
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13.09.2018
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<p class="article-intro">Die International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) lud zum 64. Mal zum wissenschaftlichen Austausch, in diesem Jahr nach Dublin, ein. Beim ISTH-Kongress 2018 wurden wichtige Forschungen zu diagnostischen und therapeutischen Herausforderungen präsentiert sowie neue Zugänge und etablierte Standards diskutiert. Im Folgenden interessante Studien, die in den Postersitzungen präsentiert wurden.</p>
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<p class="article-content"><h2>FVIII/FIX-Spiegel und Schwere der Blutung korrelieren nur schwach</h2> <p>Die Hämophilie wird in Schweregruppen kategorisiert, die auf den basalen Aktivitätsspiegeln von Faktor VIII (FVIII) und Faktor IX (FIX) basieren. Die Kategorisierung in schwere, moderate und milde Hämophilie sollte in Übereinstimmung mit der Schwere der Blutungsphänotypen stehen. Um diesen Zusammenhang zu prüfen wurde in einer österreichischen Studie eine Quantifizierung von Blutungsphänotyp und FVIII/FIX-Aktivitätsspiegeln bei Patienten mit nicht schwerer Hämophilie A und B vorgenommen.<sup>1</sup> Es wurden 77 Patienten im medianen Alter von 52 Jahren mit Hämophilie A (HA) und 21 Patienten im medianen Alter von 31 Jahren mit Hämophilie B (HB) in die Studie eingeschlossen. Im Median betrug der FVIIISpiegel 0,13 IE/ml (13 % ) und der FIXSpiegel 0,12 IE/ml (12 % ). Der ISTHBAT( Bleeding Assessment Tool)-Score betrug 10 Punkte und differierte nicht zwischen HA und HB.<br /> Geringere basale Faktorspiegel korrelierten mit einem höheren ISTH-BATScore (p=0,004). In einer linearen Regression war das Ansteigen des basalen Faktorspiegels um 1 % mit 0,2 Punkten Verringerung im ISTH-BAT-Score assoziiert (p=0,003). Diese Assoziation war für Patienten mit HA und HB ähnlich. Die basalen Faktorspiegel konnten nur zur Erklärung von 10 % der Variationen im ISTH-BAT-Score herangezogen werden. Somit konnte auch nur eine schwache, wenn auch statistisch signifikante Korrelation zwischen basalen FVIII/FIX-Spiegeln und der Blutungsschwere, definiert durch den ISTH-BAT-Score, gezeigt werden. Die Daten sind konsistent mit der Auffassung, dass noch unbekannte bestimmende Parameter für den Blutungsphänotyp außer den basalen Faktorspiegeln für HA- und HB-Patienten vorhanden sind.</p> <h2>Moderate jährliche Blutungszahl unter APCC-Prophylaxe</h2> <p>Das aktivierte Prothrombin-Komplex- Konzentrat (APCC) ist seit vier Dekaden eine therapeutische Option für die Prävention und das Blutungsmanagement bei Patienten mit Hämophilie A oder B und Inhibitoren. In der FEIBA-GO-Studie wurde der Fokus auf die alltägliche Routine für Patienten unter APCC-Therapie gelegt.<sup>2</sup> Studienziel war, die Wirksamkeit von APCC in verschiedenen Situationen (Prophylaxe, bei Notwendigkeit oder als Immuntoleranzinduktion) bei Patienten mit Hämophilie A oder B und hohen Inhibitor- Titern zu beschreiben. Die prospektive, beobachtende Studie plante den Einschluss von 55 Patienten für eine Beobachtungsdauer von 4 Jahren.<br /> Zur Zeit der Auswertung waren 49 Patienten, davon 48 mit Hämophilie A und 1 mit Hämophilie B, für die Studie rekrutiert worden. 49 % der Studienteilnehmer waren kürzer als ein Jahr und 51 % länger als ein Jahr in der Studie. Für die 32 Patienten unter Prophylaxe wurde bei Studieneintritt eine durchschnittliche Anzahl an einblutenden Gelenken von 1,2 ± 2,3 angegeben. Zur Zeit der präsentierten Auswertung betrug die mediane jährliche Blutungsrate (ABR) 3,6 (Spanne 0–50), die mediane jährliche Gelenkblutungsrate (AJBR) 1,2 (Spanne 0–17). 44 % der Patienten hatten weniger als 3 Blutungen pro Jahr und 72 % weniger als 3 Gelenkeinblutungen pro Jahr.<br /> Mit längerer Nachbeobachtungszeit wird erwartet, dass weitere Erkenntnisse zur Effektivität, zum Einfluss auf die Lebensqualität und zur Sicherheit der langfristigen Prophylaxe in der alltäglichen Praxis gewonnen werden können.</p> <h2>rpFVIII-Gebrauch bei AHA-Patienten</h2> <p>Susoctocog alfa ist ein rekombinantes Derivat des Faktor VIII vom Schwein ohne B-Domäne (rpFVIII), welches eine geringe Kreuzreaktivität mit antihumanen FVIIIAntikörpern zeigt. Um die Sicherheit und die Wirksamkeit von rpFVIII in der alltäglichen Praxis zu untersuchen wurden zwei prospektive, offene, nicht interventionelle Studien in der EU und in den USA durchgeführt. Ausgewertet wurden nun die Daten von 20 erwachsenen Patienten aus den USA mit erworbener Hämophilie A (AHA).<sup>3</sup><br /> Die durchschnittliche Zeit vom frühesten Einsetzen einer Blutung bis zur AHADiagnose betrug 14,1 Tage, die durchschnittliche Zeit von der AHA-Diagnose bis zur ersten rpFVIII-Infusion 85,8 Tage. Die meisten Patienten erhielten zunächst immunsuppressive und/oder blutstillende Medikamente, bevor sie in die Studie aufgenommen wurden. Bezüglich der Sicherheit wurde 1 schweres unerwünschtes Ereignis von moderater Schwere (Hämorrhagie) berichtet, welches möglicherweise mit der rpFVIII-Therapie assoziiert war. Es wurden keine thromboembolischen Ereignisse beobachtet.<br /> Von 18 Patienten mit auswertbaren Daten wurden 24 Blutungsepisoden berichtet. 13 Episoden bei 11 Patienten konnten beendet werden, wogegen 8 Episoden bei 7 Patienten nicht beendet wurden. Insgesamt 15 Blutungsepisoden wurden mit rpFVIII als Erstlinientherapie behandelt. Etwa die Hälfte der Episoden konnte mit der Erstlinien-rpFVIII-Therapie beendet werden (Abb. 1). Bei 9 Patienten wurden 9 Blutungsepisoden mit rpFVIII als Zweitlinientherapie oder in einer späteren Therapielinie eingesetzt. Von diesen Episoden wurden 6 beendet und 2 nicht beendet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1805_Weblinks_jatros_onko_1805_s38_abb1.jpg" alt="" width="1465" height="1054" /></p> <h2>Chemo- und Strahlentherapie erhöhen VTE-Risiko</h2> <p>Venöse Thromboembolien (VTE), Lungenembolien (PE) und tiefe Beinvenenthrombosen (DVT) sind häufige Verursacher für die Morbidität und Mortalität von Patienten mit Malignomen, insbesondere in der medikamentösen oder chirurgischen Behandlung von Tumorerkrankungen. Der Zusammenhang zwischen verschiedenen Tumortherapien und dem Risiko einer VTE ist bisher nicht gut verstanden. Daher wurde in einer retrospektiven Studie auf diese Assoziation fokussiert.<sup>4</sup><br /> Insgesamt wurden in einem englischen Register 75 913 Patienten identifiziert, die eine erste Krebsdiagnose erhielten. Eine akute, Krebs-assoziierte VTE trat bei 2897 Patienten (3,8 % ) auf, eine DVT bei 1038 Patienten (1,4 % ) und eine PE mit/ohne DVT bei 1859 Patienten (2,4 % ). Während der durchschnittlichen Beobachtungszeit von 2 Jahren erhielten 14 189 der Patienten (18,7 % ) eine Chemotherapie, 6992 Patienten (9,2 % ) eine Hormontherapie, 4158 Patienten (5,5 % ) eine Radiotherapie und 193 Patienten (0,3 % ) eine Immuntherapie. 12 269 Patienten (16,2 % ) wurden mit kombinierten Therapien behandelt. Das Risiko für das Auftreten einer VTE war unterschiedlich für die verschiedenen Therapietypen (Tab. 1). Insgesamt wurde bei Chemo- und Radiotherapien, ob alleine oder in Kombination mit anderen Antitumortherapien, ein erhöhtes Risiko für eine VTE gesehen. Bei Immun- und Hormontherapien konnte dieser Zusammenhang nicht beobachtet werden. Diese Information sollte für die Identifizierung von Patienten unter Krebstherapie hilfreich sein, die möglicherweise von einer primären Prophylaxe profitieren.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1805_Weblinks_jatros_onko_1805_s40_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="781" /></p> <h2>VTE-Risiko-Scores im Vergleich</h2> <p>In einer polnischen Studie wurde die prognostische Signifikanz ausgewählter Risiko-Assessment-Modelle zur Vorhersage von venösen Thromboembolien bei Patienten, die sich einer Chemotherapie aufgrund von Lungenkrebs unterzogen, analysiert.<sup>5</sup> Dazu wurden in einer retrospektiven Analyse die Daten von 118 Lungenkrebspatienten ausgewertet. Bei 20 der Patienten war, median 2,5 Monate nach Diagnose, eine VTE festgestellt worden.<br /> Im Ergebnis wurde bei Patienten unter Gemcitabin-basiertem Regime eine höhere VTE-Inzidenz verglichen mit anderen Regimen beobachtet (45 % vs. 16 % ; p=0,0042). Auch Patienten mit vorangegangenem Vorhofflimmern entwickelten häufiger eine VTE als die anderen Patienten (35 % vs. 6 % ; p=0,0002). Zudem wurden häufiger VTE-Ereignisse bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz beobachtet (30 % vs. 9 % ; p=0,0109). In einer multivariaten Analyse zeigten ein hoher COMPASS-CAT Score (OR 8,73), die Gemcitabin-haltige Chemotherapie (OR 3,37) und Vorhofflimmern (OR 7,19) eine signifikante Assoziation mit der Entwicklung einer VTE.<br /> An Risikoscores wurden der KRS (Khorana Risk Scale), der PROTECHT-Score (PROphylaxis of ThromboEmbolism during CHemo Therapy), der CONKO-Score der Charité Onkologie und der COMPASSCAT- Score (COMPASS-Cancer-Associated Thrombosis) eingesetzt. Laut den diversen Risikoscores trat eine VTE bei 13 % der Patienten der KRS-Hochrisikogruppe, bei 17,7 % der PROTECHT-Hochrisikogruppe, bei 15 % der CONKO-Hochrisikogruppe sowie bei 23,8 % der COMPASS-CATHochrisikogruppe auf. Nur der COMPASSCAT- Score identifizierte alle Patienten, die eine VTE entwickelten, und diskriminierte am besten zwischen Patienten mit einem hohen und einem niedrigen Risiko (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1805_Weblinks_jatros_onko_1805_s40_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="984" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 64<sup>th</sup> Annual Scientific and Standardization Committee
(SCC) Meeting der International Society on Thrombosis
and Haemostasis (ISTH), 18.–21. Juli 2018, Dublin
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Rejto J et al.: Correlation of factor levels with bleeding phenotype in non-severe hemophilia. ISTH 2018; Abstr. #PB161 <strong>2</strong> Escuriola-Ettingshausen C et al.: Real-world bleeding frequency in patients with hemophilia and inhibitors on prophylaxis with APCC: data read-out of the FEIBA Global Outcomes Study (FEIBA GO). ISTH 2018; Abstr. #PB201 <strong>3</strong> Mauric O et al.: Recombinant porcine factor VIII postmarketing safety studies in the European Union (EU) and United States (US). ISTH 2018; Abstr. #PB194 <strong>4</strong> Curcio A et al.: Association between antineoplastic therapies and venous thromboembolism in patients with active cancer. ISTH 2018; Abstr. #PB659 <strong>5</strong> Rupa-Matysek J et al.: Evaluation of risk factors and assessment models for predicting venous thromboembolism in lung cancer patients. ISTH 2018; Abstr. #PB519</p>
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