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Tagung der International Society on Thrombosis and Haemostasis

Von Covid-19 bis Hämophilie

Beim diesjährigen, virtuellen Jahreskongress der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH) war Covid-19 ein beherrschendes Thema, das es mit drei Vorträgen in die Hauptsitzung geschafft hat. Natürlich wurden auch viele Erkenntnisse zu weiteren wichtigen Entitäten der alltäglichen Routine, wie Atherosklerose, thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura und Hämophilie, geteilt.

Die Hyperkoagulabilität ist möglicherweise ein Schlüsselmechanismus für das Versterben von Patienten mit Covid-19. Bezüglich des Zusammenhangs von Covid-19 mit thromboembolischen Ereignissen wurden diverse Erkenntnisse präsentiert. Eine US-amerikanische sowie eine belgische Untersuchung kommen zu dem Schluss, dass eine prophylaktische Antikoagulation bei Covid-19-Patienten (nach stationärem Aufenthalt) keinen Vorteil bringt.

Um die Häufigkeit von radiologisch bestätigten Thromboembolien (VTE) und schweren Blutungen in einer repräsentativen Kohorte zu untersuchen, wurden die Daten von 3239 auf der Intensivstation in 67 US-amerikanischen Zentren aufgenommenen Covid-19-Patienten untersucht.1 Geprüft wurde auch, ob eine therapeutische Antikoagulation das Überleben beeinflussen kann. Das mediane Alter der Patienten betrug 61 Jahre mit einer Spanne von 53 bis 71 Jahren. 64,5% der intensiv behandelten Patienten waren männlich. Insgesamt entwickelten 6,3% der Patienten eine VTE und 2,8% hatten ein klinisch relevantes Blutungsereignis. Unabhängige Prädiktoren für die Entwicklung einer VTE waren das männliche Geschlecht («OddsRatio» [OR]=1,70; 95% CI: 1,05–2,77), Adipositas (OR=2,08; 95% CI: 1,17–3,70 für einen BMI von ≥40 vs. 30 kg/m2) und ein höherer D-Dimer-Wert an Tag 1 auf der Intensivstation (OR=4,20; 95% CI: 2,17–8,14 für >10000 vs. ≤1000ng/ml). Mit einer medianen Nachbeobachtungszeit von 27 Tagen wurde kein signifikanter Unterschied des Sterberisikos für Patienten mit oder ohne Antikoagulation identifiziert (HR=1,12; 95% CI: 0,92–1,35) (Abb. 1).

Abb. 1: Überleben von Covid-19-Patienten mit versus ohne therapeutische Antikoagulation. Modifiziert nach Al-Samkari H et al.1

Die Häufigkeit von VTE bei Covid-19-Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wurde auch in einer belgischen Studie durch Messung der D-Dimere und einen Venenultraschall untersucht.2 Insgesamt wurden 102 Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 57 Jahren (±12,4 Jahre) analysiert. 26 Patienten verbrachten durchschnittlich 10 Tage auf der Intensivstation, von denen wiederum 44% künstlich beatmet wurden. Die D-Dimer-Spiegel waren 44 Tage nach der Entlassung aus dem Krankenhaus signifikant niedriger (Durchschnitt 593ng/ml) im Vergleich mit dem Tag der Entlassung (1101ng/ml) und dem höchsten Wert während des Krankenhausaufenthalts (2618ng/ml). Nur 8% der Patienten erhielten bei der Entlassung eine LMWH(niedermolekulares Heparin)-Prophylaxe. Es traten keine symptomatischen VTE-Fälle auf. Mit dem systematischen Screening per Venenultraschall konnte bei einem Patienten eine asymptomatische VTE identifiziert werden. Laut dieser Untersuchung treten VTE also bei weniger als 1% der Covid-19-Patienten nach Hospitalisierung auf. Eine ausgeweitete Thromboseprophylaxe nach der Entlassung wird demnach nicht routinemässig benötigt.

Eine holländische Studie zur gleichen Thematik kam zu dem Ergebnis, dass thrombotische Komplikationen bei hospitalisierten Covid-19-Patienten deutlich häufiger sind als bei Grippepatienten.3 Die Wissenschaftler analysierten die kumulative Inzidenz von venösen und arteriellen thrombotischen Komplikationen bei 579 hospitalisierten Covid-19-Patienten und verglichen die Daten mit Grippepatienten, die zwischen 2013 und 2018 in drei holländischen Krankenhäusern stationär aufgenommen worden waren. 16,2% der Covid-19-Patienten mussten auf der Intensivstation behandelt werden. 17 der Patienten auf der Normalstation und 50 auf der Intensivstation zeigten thrombotische Komplikationen, hauptsächlich Lungenembolien (76,1%). Die kumulative 30-Tage-Häufigkeit von VTE während des Aufenthalts auf der Normalstation betrug 3,8%, von VTE auf der Normal- und der Intensivstation zusammen 18,7% (Tab. 1). Grippepatienten zeigten hingegen nur in 1,04% der stationär aufgenommenen Fälle eine thrombotische Komplikation. Die Wissenschaftler sehen in ihren Ergebnissen die Bestätigung eines SARS-CoV-1-spezifischen Effektes, der weiter untersucht werden sollte.

Antientzündliche Effekte von Ranolazin bei Atherosklerose

Der aktive Transport von Ca2+ wird für die inflammatorische Signalweitergabe benötigt und während der Muskelzellaktivierung durch den Efflux von Na+ unterstützt. Eine österreichische Studie untersuchte, ob der Efflux von Na+ auch während der Entzündungsphase bei Atherosklerose eine Rolle spielt.4 Dazu wurden die antientzündlichen Eigenschaften von Ranolazin in einem LDL-R–/– («low density lipoprotein receptor») atherosklerotischen Mausmodell und bei einer Patientenkohorte bestehend aus 47 Patienten, die entweder Ranolazin oder eine Kontrolltherapie über die Dauer von 3 Monaten erhielten, evaluiert. Der Wirkmechanismus von Ranolazin wurde zudem in einem Endothelzellkulturmodell mit humanen Nabelschnur-Endothelzellen untersucht.

Im Ergebnis zeigte die Analyse der atherosklerotischen Plaque in dem atherosklerotischen Mausmodell mit einer hoch fetthaltigen Diät eine reduzierte Plaque-Last, eine erhöhte Plaque-Stabilität und eine reduzierte Makrophagen-Infiltration bei Mäusen, die mit Ranolazin behandelt wurden. Die Daten von humanen Patienten unterstützten diese Erkenntnis, da Plasmaspiegel von Interleukin 6 (IL-6) und hochsensitives C-reaktives Protein (hs-CRP) nach Ranolazin-Therapie signifikant reduziert waren, wohingegen die Patienten unter Kontrolltherapie keine Änderung der Entzündungsmarker aufwiesen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Ranolazin die Na+-Konzentration in den Zellen reduziert, wodurch es zur Aufhebung von einem entzündungsinduzierten Ca2+-Transport in die Zelle kommt, was wiederum zu einem massiven Rückgang von entzündungsbedingten Adhäsionsmolekülen («intercellular adhesion molecule 1» [ICAM], «vascular cell adhesion protein 1» [VCAM] und E-Selectin) und löslichen Zytokinen (IL-6 und IL-8) in den Endothelzellen führt. Die Reduktion der Entzündung ist verbunden mit einer reduzierten Aktivierung des NF-κB-Signalwegs.

Tab. 1: Kumulative Häufigkeit thrombotischer Komplikationen bei hospitalisierten Covid-19- und Grippepatienten. Modifiziert nach Stals MAM et al.3

Schwere der akuten Ereignisse bei hTTP wird durch Prophylaxe nicht verringert

Trotz Plasmaprophylaxe zeigen Patienten mit hereditärer thrombotisch-thrombozytopenischer Purpura (hTTP) eine hohe Inzidenz von akuten Ereignissen. Im hTTP-Register wurde daher untersucht, ob Ereignisse unter regelmässiger Prophylaxe weniger schwer sind als bei Patienten ohne prophylaktische Behandlung.5 Dazu wurde die Schwere von 109 akuten überlebten Ereignissen sowie 4 akuten letalen Ereignissen bei 87 hTTP-Patienten evaluiert und die Schwere des Ereignisses mit oder ohne prophylaktische Behandlung verglichen. Von 87 Patienten mit bestätigter hTTP und prospektiver Nachbeobachtung überlebten 41 Patienten 109 akute Ereignisse, mit einer medianen Zeit zwischen Start der Symptome bis zur Behandlung von 0 Tagen (Spanne: 0–4 Tage) und einer medianen Dauer bis zur Gesundung von 4 Tagen (Spanne: 0–43 Tage). 87 der 109 Ereignisse (80%) wurden sofort erkannt. 74 der 109 Ereignisse traten bei Patienten unter Prophylaxe und 35 bei 16 Patienten ohne Prophylaxe auf. Die Schwere der akuten Ereignisse unter Prophylaxe unddie Schwere derjenigen, die sich in Abwesenheit einer Prophylaxe ereigneten, waren nicht verschieden.

Die Daten zeigen allerdings auch, dass die Einführung der Prophylaxe nach Auftreten eines schweren akuten Ereignisses bei einigen Patienten von Nutzen war. Tatsächlich zeigten drei dieser Patienten keine weiteren schweren Ereignisse. Zudem wurde bei zwei Patienten, bei denen die regelmässige Prophylaxe abgebrochen wurde, ein schweres akutes Ereignis berichtet. Die derzeit verwendete Plasmaprophylaxe könne nützlich sein, sei aber nicht ausreichend, um das Auftreten von akuten Ereignissen bei hTTP-Patienten zu verhindern, schlussfolgerten die Wissenschaftler.

Gentherapie erreicht klinisch bedeutsame Aktivitätsspiegel bei Hämophilie B

FLT180a ist eine Gentherapie für die Behandlung von Hämophilie-B-Patienten. Die Besonderheiten von FLT180a sind eine neuartige synthetische Proteinhülle (AAVS3) mit einer höheren Leberwirksamkeit und ein Codon-optimiertes F9-Gen. In einer multizentrischen, offenen, laufenden Phase-I/II-Studie wurde eine einzelne Gabe FLT180a bei erwachsenen Patienten mit Hämophilie B untersucht.6 Die Studienteilnehmer hatten eine schwere oder moderat-schwere Hämophilie B und wiesen keine neutralisierenden AAVS3-Antikörper auf. Eine präventive Immunsuppression wurde gegeben, um einen Vektor-vermittelten Transaminasenanstieg und eine assoziierte Reduktion der Faktor-IX(FIX)-Expression abzumildern.Bislang wurden 10 Patienten mit schwerer Hämophilie B mit 4 verschiedenen Dosierungen von FLT180a behandelt.

Die FIX-Aktivität in Woche 3 variierte zwischen 24 und 168%. Die ersten zwei Patienten zeigten stabile therapeutische FIX-Aktivitätsspiegel bis Woche 104. Keiner der Patienten benötigte aufgrund einer Blutungsepisode FIX-Konzentrate. Die häufigsten schweren Nebenwirkungen waren transiente Transaminasenanstiege bei 4 Patienten. Es konnten FIX-Aktivitätsspiegel von mehr als 150% beobachtet werden, die individuell bezüglich des Thromboserisikos untersucht wurden. Ein Patient benötigte eine Behandlung mit direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK). Eine Dosisanpassung des immunsuppressiven Regimes für die letzten drei Patienten verhinderte Transaminasenanstiege während der kritischen Phase zwischen Woche 4 und 16. FLT180a erreiche klinisch bedeutsame, anhaltende FIX-Aktivitätsspiegel bei Patienten mit Hämophilie B, die mit der Unabhängigkeit von einer FIX-Ersatztherapie und null zu behandelnden Blutungen einherging, resümierten die Autoren. Transiente Transaminasenanstiege konnten im Wesentlichen durch prophylaktische Immunsuppression verhindert werden.

Bericht: Dr. Ine Schmale

Quelle:
ISTH 2020 Virtual Congress, 12.–14. Juli 2020

1 Al-Samkari H et al.: Thrombosis, bleeding and the effect of anticoagulation on survival in critically ill patients with COVID-19 in the United States. ISTH Virtual 2020; Abstr. #LB/CO01.2 2 Engelen MM et al.: Incidence of venous thromboembolism in patients discharged after COVID-19 hospitalisation. ISTH Virtual 2020; Abstr. #LB/CO01.3 3Stals MAM et al.: Higher incidence of thrombotic complications in hospitalized patients with SARS-COV-2 virus versus influenza virus infections. ISTH Virtual 2020; Abstr. #LB/CO01.4 4 Lenz M et al.: Reduction of intracellular sodium protects from inflammation and atherosclerotic plaque progression. ISTH Virtual 2020; Abstr. #OC 01.4 5Tarasco E et al.: Severity of acute events in patients with hereditary thrombotic thrombocytopenic purpura (hTTP) with or without regular plasma prophylaxis: results from the International Hereditary TTP Registry. ISTH Virtual 2020; #OC 07.3 6 Chowdary P et al.: A novel adeno associated virus (AAV) gene therapy (FLT180a) achieves normal FIX activity levels in severe hemophilia B (HB) patients (B-AMAZE study). ISTH Virtual 2020; Abstr. #LB/CO01.1

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