
©
Getty Images
Verlängerte Überlebenszeiten durch Therapieintensivierung
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Patrick Roth
Klinik für Neurologie, Universitätsspital Zürich
Autor:
PD Dr. med. Thomas Hundsberger
Korrespondierender Autor<br> Klinik für Neurologie und Klinik für Hämatologie/Onkologie<br> Kantonsspital<br> Rorschacher Strasse 95<br> 9007 St. Gallen<br> E-Mail: thomas.hundsberger@kssg.ch
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Im folgenden Beitrag werden die Ergebnisse zweier Phase-III-Studien zu Glioblastomen (EORTC 26101, EORTC 26062-22061) und eine Phase-III-Studie zu anaplastischen Gliomen (CATNON) vorgestellt, die am diesjährigen ASCO Annual Meeting präsentiert und am Post-ASCO Neuroonkologie in Zürich diskutiert wurden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1604_Weblinks_Seite43.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p>Die Behandlung hirneigener Tumore hat aufgrund unbefriedigender therapeutischer Effizienz nach wie vor erheblichen Optimierungsbedarf. Patienten mit Gliomen leiden an einer hohen Morbidität und einer frühen Mortalität. Epileptische Anfälle, neurologische Ausfälle, die Beeinträchtigung der Selbstständigkeit und Persönlichkeitsveränderungen führen zum Verlust der Lebensqualität bei den betroffenen Patienten und den versorgenden Angehörigen. Seit Einführung der multimodalen Therapie zur Behandlung des Glioblastoms mit moderater Verbesserung des medianen Gesamtüberlebens<sup>1</sup> und der kontrovers diskutierten Ergebnisse zur Primärbehandlung des Glioblastoms mit alternierenden elektrischen Feldern<sup>2, 3</sup> konnten nur wenige therapeutische Fortschritte erzielt werden. Allerdings erhält die Neuroonkologie durch ermutigende Langzeitergebnisse, die durch eine Intensivierung der Therapie bei niedergradigen (RTOG 9802) und anaplastischen Gliomen (RTOG 9402, EORTC 26951) erreicht wurden, neue Schubkraft. Unterstützt wird dieser Effekt durch die Einführung der neuen WHO-Klassifikation der Hirntumoren.<sup>4</sup> Durch die Berücksichtigung molekularer Veränderungen ist nun eine integrierte histologisch-molekulare Diagnostik möglich. Die neue Kategorisierung der Gliome erlaubt deren Einteilung in prognostische Gruppen und führt zu einer zunehmenden Diversifizierung der therapeutischen Strategien.</p> <h2>Kombinierte und additive Radiochemotherapie mit Temozolomid – auch bei älteren Glioblastompatienten wirksam (EORTC 26062-22061, CCTG CE.6, RTOG08.02)</h2> <p>Seit 2005 ist die postoperative kombinierte und additive Radiochemotherapie mit Temozolomid die Standardbehandlung des Glioblastoms bei Patienten bis zum 70. Lebensjahr. Allerdings nimmt der Therapieeffekt in der Gruppe der 65–70-jährigen Patienten kontinuierlich ab. Ferner gibt es Hinweise, dass Glioblastome bei älteren Patienten eine andere Tumorbiologie haben<sup>5,  6</sup> und mit anderen Strategien behandelt werden sollten. Letzteres wird im Rahmen der in der Schweiz initiierten ARTE-Studie (Avastin plus RadioTherapy in Elderly patients with glioblastoma) durch die Hinzugabe von Bevacizumab zu einer alleinigen, verkürzten Radiotherapie (40Gy/15 Fraktionen) untersucht, die bis jetzt bei älteren Glioblastompatienten als Standardbehandlung angesehen wurde.<sup>7,  8</sup> Einerseits werden ältere Glioblastompatienten weniger aggressiv operiert, erhalten seltener additive Therapien und leiden häufiger an Begleiterkrankungen, andererseits stellt diese Gruppe bei einem medianen Erkrankungsalter von 64 Jahren die grösste Gruppe von Glioblastompatienten dar.<br /> In der vorliegenden Studie wurde eine alleinige postoperative Radiotherapie (RT; 40Gy/15 Fraktionen) mit der konkomitanten und additiven Radiochemotherapie mit Temozolomid (TMZ, d1–5 q28, 12 Zyklen) verglichen. 562 Patienten (281 pro Therapiearm) mit einem medianen Erkrankungsalter von 73 Jahren wurden in die Studie eingeschlossen. Das mediane Gesamtüberleben (mOS) war in der RT+TMZ-Gruppe mit 9,3 Monaten gegenüber 7,6 Monaten signifikant besser (HR: 0,67; 95 % CI: 0,56–0,80; p<0,0001). Gleiches gilt für das mediane progressionsfreie Überleben (mPFS; 5,3 versus 3,9 Monate). Wie erwartet, war die multimodale Therapie der alleinigen Strahlentherapie insbesondere bei Tumoren mit einem methylierten MGMT-Promotor (n=165) überlegen.</p> <p>In dieser prognostisch günstigen Subgruppe konnte das mOS fast verdoppelt werden (13,5 versus 7,7 Monate). Bei Patienten, deren Tumor einen unmethylierten MGMT-Promotor aufwies, war der Effekt der kombinierten Radiochemotherapie nicht signifikant besser. Auf dem Boden dieser Daten sollte die multimodale Behandlung von Glioblastompatienten, die über 65 Jahre alt und in gutem Allgemeinzustand (ECOG 0–2) sind, insbesondere bei Vorliegen eines methylierten MGMT-Promotors als Standardtherapie angeboten werden. Im Alltag wird allerdings nur eine Subgruppe der Patienten ein ausreichend langes Intervall bis zur Progression erleben, um 12 additive TMZ-Zyklen zu erhalten. Dies ist ein wichtiger Aspekt in der Beratung der Patienten über die Dauer der Therapie bzw. der therapiefreien Zeit (TWIST, «time without symptoms and toxicity»).</p> <h2>Verlängerung des PFS, aber nicht des OS durch Zugabe von Bevacizumab zu Lomustin in der Glioblastomrezidiv­behandlung (EORTC 26101)</h2> <p>Nach wie vor existiert keine etablierte Therapie zur Behandlung von Patienten mit einem Glioblastomrezidiv nach Versagen der Standardtherapie.<sup>9</sup> Nitrosoharnstoffe wie Lomustin werden in dieser Situation häufig verwendet. Aufgrund der einfachen Handhabung und des moderaten Nutzens wurde Lomustin auch in Studien als Monotherapie und Kombinationspartner eingesetzt.<sup>10–12</sup></p> <p>Die EORTC-26101-Studie, deren vorläufige Ergebnisse bereits am amerikanischen Neuroonkologie-Kongress 2015 präsentiert wurden, verglich die Monotherapie mit Lomustin mit der Kombination Lomustin/Bevacizumab, einem monoklonalen Antikörper gegen den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF). Phase-II-Daten aus der BELOB-Studie<sup>11</sup> legten einen Überlebenseffekt der Kombinationsbehandlung nahe. Leider konnten diese vielversprechenden Daten in der EORTC-26101-Studie nicht reproduziert werden. Bei einer 2:1-Randomisierung erhielten 288 Patienten die Kombinationstherapie und 149 Patienten die Monotherapie mit Lomustin. Das mOS als primärer Endpunkt unterschied sich in beiden Behandlungsarmen nicht (9,1 versus 8,6 Monate; HR: 0,95; 95 % CI: 0,74–1,21; p=0,65). Allerdings verlängerte sich wie in der Primärbehandlung des Glioblastoms das mPFS durch die Zugabe von Bevacizumab (4,2 versus 1,5 Monate).<sup>13, 14</sup> 35 % der Patienten in der Monotherapiegruppe erhielten Bevacizumab zum Zeitpunkt der weiteren Krankheitsprogression («Cross-over»). Im Kombinationsarm wurde bei 19 % der Patienten Bevacizumab trotz Progression weitergeführt. Obwohl dies eine weitere negative Studie zum Einsatz von Bevacizumab in der Behandlung des Glioblastoms hinsichtlich des Gesamtüberlebens ist, stellt dieses Medikament bei dem sehr begrenzten neuroonkologischen Therapiearsenal im klinischen Alltag weiterhin einen wichtigen Baustein in der palliativen Therapie dar. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1604_Weblinks_Seite44.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Additive Temozolomid-Gabe verlängert das Gesamtüberleben bei anaplastischen Gliomen ohne 1p/19q- Kodeletion (CATNON-Studie)</h2> <p>Seit Einführung der Temozolomid-basierten Radiotherapie beim Glioblastom wurde darüber diskutiert, ob die kombinierte oder die additive Temozolomid-Gabe der entscheidende Faktor in der Behandlung ist. Diese Frage wurde in der CATNON-Studie (Concomitant and Adjuvant Temozolomide in NON-codeleted anaplastic glioma) bei WHO-Grad-III-Gliomen adressiert. Anaplastische Gliome ohne Kodeletion der Chromosomen 1p/19q gelten als weniger empfindlich gegenüber einer alkylierenden Chemotherapie. Beide Fragen wurden mithilfe eines vierarmigen Studiendesigns (2x2-Design) untersucht (Abb. 1). Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung bedurfte es eines internationalen Zusammenschlusses von mehreren neuroonkologischen Gruppen, um eine ausreichende Patientenzahl in angemessener Zeit zu rekrutieren. Zwei Fragen sollen beantwortet werden:</p> <ol> <li>Was ist der Nutzen einer kombinierten Radiochemotherapie (59,4 Gy/33 Fraktionen) mit Temozolomid (75mg/m<sup>2</sup> täglich) im Vergleich zur alleinigen Radiotherapie?</li> <li>Besteht ein Vorteil einer additiven Temozolomid-Therapie (12 Zyklen; d1–5 q28) im Vergleich zu keiner Systemtherapie nach Radiotherapie?</li> </ol> <p>Am ASCO-Kongress wurden die Daten nach einer geplanten Interimsanalyse (41 % der Ereignisse, mediane Beobachtungszeit 27 Monate) nur zur zweiten Frage präsentiert. Die Studie hatte zum Zeitpunkt der Zwischenanalyse bereits alle Patienten (n=748) rekrutiert. Beim primären Endpunkt mOS war die additive Temozolomid-Gabe versus keiner zusätzlichen Therapie statistisch signifikant überlegen (41,1 Monate versus «nicht erreicht»; HR: 0,645; 99 % CI: 0,45–0,926; p=0,0014). Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug ohne additive Therapie 44,1 % und mit einer ergänzenden Temozolomid-Therapie 55,9 % .</p> <p>Somit konnte für die nicht 1p/19q-kodeletierten Gliome der Nutzen einer additiven Temozolomid-Gabe nach einer Strahlentherapie belegt werden und sollte in die Primärbehandlung als neuer Therapiestandard Einzug halten. Es bleibt abzuwarten, ob bei diesen Tumoren auch die bereits an manchen Zentren praktizierte konkomitante Temozolomid-Gabe während der Bestrahlung ebenfalls von Nutzen ist.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Stupp R et al: Radiotherapy plus concomitant and adjuvant temozolomide for glioblastoma. N Engl J Med 2005; 352: 987-96<br /><strong>2</strong> Stupp R et al: Maintenance therapy with tumor-treating fields plus temozolomide vs temozolomide alone for glioblastoma: a randomized clinical trial. JAMA 2015; 314: 2535-43<br /><strong>3</strong> Wick W: TTFields: where does all the skepticism come from? Neuro Oncol 2016; 18: 303-5<br /><strong>4</strong> Louis DN et al: The 2016 World Health Organization Classification of Tumors of the Central Nervous System: a summary. Acta Neuropathol 2016; 131: 803-20<br /><strong>5</strong> Kreisl TN et al: Phase II trial of single-agent bevacizumab followed by bevacizumab plus irinotecan at tumor progression in recurrent glioblastoma. J Clin Oncol 2009; 27: 740-5<br /><strong>6</strong> Nghiemphu PL et al: Bevacizumab and chemotherapy for recurrent glioblastoma: a single-institution experience. Neurology 2009; 72: 1217-22<br /><strong>7</strong> Keime-Guibert F et al: Radiotherapy for glioblastoma in the elderly. N Engl J Med 2007; 356: 1527-35<br /><strong>8</strong> Roa W et al: Abbreviated course of radiation therapy in older patients with glioblastoma multiforme: a prospective randomized clinical trial. J Clin Oncol 2004; 22: 1583-88<br /><strong>9</strong> Weller M et al: EANO guideline for the diagnosis and treatment of anaplastic gliomas and glioblastoma. Lancet Oncol 2014; 15: 395-403<br /><strong>10</strong> Batchelor TT et al: Phase III randomized trial comparing the efficacy of cediranib as monotherapy, and in combination with lomustine, versus lomustine alone in patients with recurrent glioblastoma. J Clin Oncol 2013; 31: 3212-18<br /><strong>11</strong> Taal W et al: Single-agent bevacizumab or lomustine versus a combination of bevacizumab plus lomustine in patients with recurrent glioblastoma (BELOB trial): a randomised controlled phase 2 trial. Lancet Oncol 2014; 15: 943-53<br /><strong>12</strong> Wick W et al: Phase III study of enzastaurin compared with lomustine in the treatment of recurrent intra­cranial glioblastoma. J Clin Oncol 2010; 28: 1168-74<br /><strong>13</strong> Gilbert MR et al: A randomized trial of bevacizumab for newly diagnosed glioblastoma. N Engl J Med 2014; 370: 699-708<br /><strong>14</strong> Chinot OL et al: Bevacizumab plus radiotherapy-temozolomide for newly diagnosed glioblastoma. N Engl J Med 2014; 370: 709-22<br /><br /></p>
</div>
</p>