
„Überleben“ bei Heranwachsenden mit Li-Fraumeni-Syndrom
Bericht:
Ingeborg Morawetz, MA
Das Li-Fraumeni-Syndrom ist ein seltenes genetisches Krebsprädispositionssyndrom, das auch schon Kinder betrifft. Das Syndrom kann zwar durch pränatale und präimplantatorische genetische Diagnostik erkannt, aber nicht therapiert werden. Betroffene Heranwachsende müssen sich auf ein Leben mit Krebsdiagnosen einstellen – und das verändert auch ihre Sichtweise auf den Begriff „Überleben“.
Das Li-Fraumeni-Syndrom ist ein seltenes Krebsprädispositionssyndrom, das durch das frühe Auftreten mehrerer primärer Krebsarten wie Brustkrebs, Weichteil- und Knochensarkome, Hirntumoren und Nebennierenrindenkarzinome, Leukämien und anderer Krebsarten gekennzeichnet ist.
Weltweit sind mehr als 400 Familien mit Li-Fraumeni-Syndrom in der Literatur beschrieben worden. Die Prävalenz kausaler krankheitsverursachender TP53-Mutationen ist nicht genau definiert, wurde jedoch auf einen Bereich zwischen 1/3555 und 5476 geschätzt. Das Vererbungsmuster des Syndroms ist autosomal-dominant; das Risiko, die Mutation von Träger*innen zu erben, liegt bei 50%.
Das Lebenszeitrisiko für Krebs bei LFS wird für Männer auf etwa 70% und für Frauen auf über 90% geschätzt. Die altersbedingten Krebsrisiken werden auf 22% zwischen 0 und 15 Jahren, auf 51% zwischen 16 und 50 Jahren und auf 27% zwischen 51 und 80 Jahren geschätzt.
Junge „cancer survivors“ mit Li-Fraumeni-Syndrom
Kinder und junge Erwachsene (AYA), die von einer Krebserkrankung geheilt wurden, leiden oft an psychosozialen Folgebeschwerden, chronischen Erkrankungen, Spätfolgen der Krebstherapie und der Angst vor einem Rezidiv. Auf Basis der Annahme, dass diese Schwierigkeiten bei Vorliegen eines hereditären Krebsprädispositionssyndroms noch verstärkt werden können, untersuchten Werner-Lin A et al. die Bedeutung von „Überleben“ („survivorship“) bei AYA mit Li-Fraumeni-Syndrom.
Ein interprofessionelles Team führte zu diesem Zweck semistrukturierte Interviews mit 30 AYA zwischen 14 und 41 Jahren durch. 20 hatten zu diesem Zeitpunkt mindestens eine Krebsdiagnose erfahren. Die interviewten Betroffenen sahen „Überleben“ als einen Zeitraum an, in dem es keine Hinweise mehr auf zuvor diagnostizierte Krebserkrankungen gibt.
Der Begriff wurde als dürftig und unzureichend wahrgenommen, da die Diagnose des Li-Fraumeni-Syndroms von vornherein mit dem Vorkommen primärer maligner Krebserkrankungen und der Unsicherheit über die Dauer der krankheitsfreien Intervalle verknüpft ist. „Überleben“ erfordert somit für Betroffene mit Li-Fraumeni-Syndrom einen hohen Grad an Leiden.
Obwohl einige der Befragten den Begriff „Überleben“ und damit verknüpfte Identitäten ablehnten, konnten die meisten AYA dennoch verschiedene Funktionen des Begriffs aufzeigen, seien es positive, negative oder solche im Rahmen komplexerer Konnotationen. Vor allem die Krebsleiden nahestehender Menschen und nicht die eigenen formten für die interviewten AYA ihre Vorstellungen von „Überleben“. Bevorzugt wurden jedoch Formulierungen, die Ansichten zu Überleben, Dauerhaftigkeit, Prognose und Aktivismus inkludieren.
Überleben? Nur ein Zwischenspiel
Die Autor*innen der Studie kommen zu der Schlussfolgerung, dass „Überleben“ für Patient*innen mit Li-Fraumeni-Syndrom nur ein Zwischenspiel darstellt: „With Li-Fraumeni syndrome, it’s just an intermission.“
Die Pflege und Betreuung junger Krebsüberlebender mit Prädispositionssyndromen erfordere daher interprofessionelle Interventionen, die die einzigartigen biomedizinischen und psychosozialen Bedürfnisse addressieren.
Quellen:
● Werner-Lin A et al.: How do young people with a hereditary cancer predisposition syndrome understand and experience cancer survivorship? “With Li-Fraumeni syndrome, it’s just an intermission” Psychooncology 2023; 32(3): 375-82 ● orpha.net: Das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs: Li-Fraumeni-Syndrom
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