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Tumorheterogenität, was ist das wirklich?
Jatros
Autor:
Ao. Univ.-Prof. Dr. Leonhard Müllauer
Institut für Pathologie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: leonhard.muellauer@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Maligne Tumoren einer Entität weisen bei verschiedenen Patientinnen und Patienten unterschiedliche Mutationen auf. Innerhalb eines malignen Tumors bestehen Subklone mit im Vergleich zum dominanten Tumorzellklon zusätzlichen Mutationen. Diese genetische Heterogenität von Tumoren ist ein Grund für die Entwicklung von Therapieresistenz.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Maligne Tumoren sind genetisch heterogen. Treibermutationen entstehen allerdings früh in der Evolution eines Tumors und sind daher meist in allen Abschnitten eines Primärtumors und den Metastasen vorhanden.</li> <li>Die genetische Heterogenität von Tumoren ist eine Ursache für Therapieresistenz. Resistenzmutationen sind häufig schon vor Therapie in kleinen Subklonen vorhanden und werden unter Therapie selektioniert.</li> <li>Die Selektion von resistenten Subklonen unter Therapie erfordert für die molekularpathologische Diagnostik im Krankeitsverlauf Rebiopsien und die Analyse zirkulierender Tumor-DNA.</li> </ul> </div> <p>Die Zellen eines malignen Tumors sind unterschiedlich in Gestalt, Kerngröße und Kernform. Ferner sind in einem malignen Tumor häufig Areale mit unterschiedlicher Histomorphologie vorhanden, z.B. Areale mit einer drüsigen Differenzierung und Bezirke mit einer soliden Wachstumsform (Abb. 1).<br /> In malignen Tumoren besteht auch eine Heterogenität in der Expression von Genen, welche örtlich zwischen den verschiedenen Zellen und Arealen in einem Tumor variieren und zeitlich schwanken kann. Ein Beispiel für eine intra- und intertumoral heterogene Genexpression ist der „programmed cell death ligand 1“ (PD-L1) (Abb. 2). Als Folge der heterogenen PD-L1-Expression kann in Abhängigkeit von der untersuchten Tumorregion eine unterschiedliche Quantifizierung der PD-L1-Expression erfolgen.<sup>1–5</sup> Dies kann zu verschiedenen Therapieentscheidungen führen, welche von einer Quantifizierung der PD-L1-Expression abhängen.<sup>6, 7</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s54_abb1.jpg" alt="" width="1418" height="1058" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s54_abb2.jpg" alt="" width="1418" height="1058" /></p> <h2>Zellheterogenität in Tumoren</h2> <p>Die Zellen eines malignen Tumors sind genetisch heterogen. Diese Heterogenität drückt sich auf verschiedenen Ebenen des Genoms aus. Es können Unterschiede in Chromosomenaberrationen, Genamplifikationen und -deletionen, DNA-Mutationen und epigenetischen Veränderungen zwischen den Zellen eines Tumors und zwischen verschiedenen Tumorarealen vorliegen. Ferner sind Tumoren der gleichen Entität bei verschiedenen Patienten genetisch unterschiedlich.<sup>8</sup> Maligne Tumoren weisen meist zwischen 50 und 150 Mutationen auf, welche die Aminosäuresequenz von Proteinen ändern. Allerdings sind nur wenige für den malignen Phänotyp wichtige Gene (sogenannte „Treibergene“) häufig (>20 % ) in Tumoren einer Entität mutiert.<sup>8–10</sup> Die meisten der derzeit ca. 140 bekannten Treibergene sind selten mutiert. Die vielen verschiedenen Mutationen betreffen nur eine kleine Zahl an Signalwegen.8 Daraus eröffnet sich die Möglichkeit, durch die Entwicklung von Modulatoren von Signalwegen Therapieerfolge zu erzielen.</p> <h2>Untersuchung der Heterogenität von Tumorzellen und Metastasen</h2> <p>Die Technologien des „next generation sequencing“ (NGS) ermöglichten nicht nur eine umfassende genetische Charakterisierung von Tausenden von Tumoren verschiedener Entitäten, sondern erlaubten auch, die Frage nach der genetischen Heterogenität in einem Tumor und zwischen Primärtumor und Metastasen zu erforschen. Gerlinger et al verglichen mittels Exomsequenzierung das Spektrum von DNA-Mutationen in verschiedenen Arealen von klarzelligen Nierenzellkarzinomen.<sup>11, 12</sup> Es waren 63–69 % aller Mutationen nicht in allen Regionen eines Tumors vorhanden. Die Studienautoren entwickelten basierend auf den Ergebnissen der Sequenzierungen das Modell eines Evolutionsbaumes der Genmutationen. Danach liegt in einem Tumor ein dominanter Zellklon mit einem Stamm an Mutationen, welche in allen Regionen des Tumors vorhanden sind, vor. Davon leiten sich Äste und Zweige von Subklonen ab, welche zusätzliche Mutationen aufweisen.<sup>11, 12</sup><br /> Wang et al<sup>13</sup> analysierten das Gesamtgenom einzelner Zellen von einem Luminal- A- und einem tripelnegativen Mammakarzinom. Die Ergebnisse zeigten, dass keine zwei Karzinomzellen genetisch ident sind. In beiden Tumoren lag eine hohe Zahl an subklonalen und De-novo-Mutationen vor, welche jeweils nur in einer Zelle bestanden. Die Autoren schlossen daraus, dass Punktmutationen in den Tumoren kontinuierlich über einen langen Zeitraum hinweg entstehen, während große chromosomale Rearrangements früh in der Tumorevolution auftreten.<sup>13</sup></p> <h2>Bronchuskarzinom: typische Treibermutationen in allen Tumorarealen</h2> <p>Bei Adenokarzinomen der Lunge wurde mittels Exomsequenzierung verschiedener Tumorareale eine große genetische Heterogenität festgestellt.<sup>14, 15</sup> Allerdings kamen die Arbeiten zu dem Schluss, dass Mutationen in für Lungenkarzinome typischen Treibermutationen in allen Tumorarealen vorliegen.<sup>14, 15</sup> 76 % der Mutationen in 11 analysierten Lungenkarzinomen und 20 von 21 bekannten Treibergenmutationen wurden in allen Regionen eines individuellen Tumors nachgewiesen.<sup>15</sup> Die meisten für das Adenokarzinom der Lunge bekannten Treibermutationen treten ferner früh in der Tumorevolution auf.<sup>16</sup> Die Sequenzierung einer einzelnen Tumorregion könnte daher adäquat für die Identifizierung der Mehrzahl bekannter Treibergenmutationen in der Primärdiagnostik des Adenokarzinoms der Lunge sein.<sup>15</sup><br /> Das Ausmaß der genetischen intratumoralen Heterogenität variiert zwischen Tumoren. Während z.B. Adenokarzinome der Lunge und maligne Melanome eine hohe Mutationslast aufweisen, zeigen sie eine relativ geringe intratumorale Heterogenität. Im Unterschied dazu weisen klarzellige Nierenzellkarzinome und insbesondere Gliome und Neuroblastome eine sehr hohe intratumorale Heterogenität auf.<sup>17</sup><br /> Makohon-Moore et al<sup>18</sup> analysierten die genetische Heterogenität zwischen Primärtumor und Metastasen bei duktalen Adenokarzinomen des Pankreas. Es wurde eine Gesamtgenomsequenzierung verschiedener Areale von 4 Primärtumoren und 26 Metastasen von unbehandelten Patientinnen und Patienten durchgeführt. Das Ergebnis der Studie war erstaunlich, insbesondere weil eine überraschend geringe intra- und intertumorale Heterogenität vorlag.<sup>18</sup> Es wurden insgesamt 3811 Mutationen detektiert, wobei die meisten Mutationen sowohl in allen Regionen des Primärtumors als auch in allen Arealen der Metastasen vorhanden waren. Insbesondere waren die Treibermutationen in den Primärtumoren und jeweiligen Metastasen gleich, wobei verschiedene Subklone des Primärtumors genetisch sehr ähnliche Metastasen ausbildeten.<br /> Zu völlig anderen Ergebnissen in Bezug auf genetische Heterogenität zwischen Primärtumor und Metastasen kam eine Studie mit einem allerdings anderen Patientenkollektiv. Insbesondere wurden in dieser Studie mit Chemotherapie vorbehandelte Patientinnen und Patienten untersucht.<sup>19</sup> Es wurde das Exom von Primärtumoren verschiedener Entitäten und von deren Hirnmetastasen sequenziert. Dabei zeigten sich große Unterschiede in DNA-Mutationen zwischen den Primärtumoren und extrakraniellen Metastasen einerseits und den Hirnmetastasen andererseits. Bei Patientinnen und Patienten mit multiplen Hirnmetastasen waren die Metastasen allerdings genetisch homogen. In 53 % der Hirnmetastasen lagen therapeutisch „actionable“ Mutationen vor, welche in den Primärtumoren fehlten.<sup>19</sup> Therapieresistenz Die genetische intratumorale Heterogenität trägt zur Entwicklung von Therapieresistenzen bei. Resistenzmutationen sind wahrscheinlich häufig schon vor Therapie in kleinen Subklonen vorhanden und werden unter Therapie selektioniert. EGFRmutierte Adenokarzinome der Lunge werden resistent auf Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI). In ca. 50 % der Fälle ist die Ursache eine T790M-Zweitmutation im EGFRGen.<sup>20</sup> Die T790M-Mutation ist mit hochsensitiven Techniken in manchen Lungenkarzinomen bereits vor einer Therapie mit TKI nachweisbar.<sup>20–22</sup> Das metastasierte Kolonkarzinom kann bei Fehlen einer KRAS- oder NRAS-Mutation mit Anti- EGFR-Antikörpern behandelt werden. Unter Therapie kommt es allerdings zur Entwicklung von Resistenz, welche in einem Teil der Fälle durch eine neu auftretende RAS-Mutation verursacht ist. Allerdings sind auch diese RAS-Mutationen wahrscheinlich schon vor Therapie in Subklonen vorhanden und werden unter Anti- EGFR-Therapie selektioniert.<sup>23, 24</sup></p> <h2>Tumorheterogenität – Strategien in der molekularen Diagnostik</h2> <p>Bisherige Arbeiten zeigen, dass die meisten Treibermutationen in allen Arealen eines unbehandelten Primärtumors vorhanden sind. Für die initiale molekularpathologische Diagnostik ist daher die Analyse eines Tumoranteils aussagekräftig. Bei Entwicklung einer Therapieresistenz sollte für molekularpathologische Untersuchungen eine Rebiopsie erfolgen. Eine Alternative zur Rebiopsie ist die Analyse zirkulierender Tumor-DNA.<sup>25</sup> Damit kann im Vergleich zur Biopsie von nur einer Läsion bei Vorliegen multipler Metastasen das Spektrum an vorherrschenden Mutationen möglicherweise besser erfasst werden. Ferner erleichtert die einfachere Durchführbarkeit der Analyse zirkulierender Tumor-DNA eine wiederholte genetische Tumorcharakterisierung im Krankheitsverlauf.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Uruga H et al: Programmed cell death ligand (PD-L1) expression in stage II and III lung adenocarcinomas and nodal metastases. J Thorac Oncol 2017; 12(3): 458-466 <strong>2</strong> Pinato DJ et al: Intra-tumoral heterogeneity in the expression of programmed-death (PD) ligands in isogeneic primary and metastatic lung cancer: implications for immunotherapy. Oncoimmunology 2016; 5(9): e1213934 <strong>3</strong> Mansfield AS et al: Heterogeneity of programmed cell death ligand 1 expression in multifocal lung cancer. Clin Cancer Res 2016; 22(9): 2177-82 <strong>4</strong> Straub M et al: CD274/PD-L1 gene amplification and PD-L1 protein expression are common events in squamous cell carcinoma of the oral cavity. Oncotarget 2016; 7(11): 12024-34 <strong>5</strong> Dill EA et al: PD-L1 expression and intratumoral heterogeneity across breast cancer subtypes and stages: an assessment of 245 primary and 40 metastatic tumors. Am J Surg Pathol 2017; 41(3): 334-42 <strong>6</strong> Zou T, Awad MM: More valuable than platinum: first-line pembrolizumab in advanced stage non-small cell lung cancer. Ann Oncol 2017 Feb 27. doi: 10.1093/annonc/mdx083. [Epub ahead of print] <strong>7</strong> Reck M et al: Pembrolizumab versus chemotherapy for PD-L1-positive non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2016; 375(19): 1823-33 <strong>8</strong> Vogelstein B et al: Cancer genome landscapes. Science 2013; 339(6127): 1546-58 <strong>9</strong> Vogelstein B, Kinzler KW: The path to cancer - three strikes and you’re out. N Engl J Med 2015; 373(20): 1895-8 <strong>10</strong> Wood LD et al: The genomic landscapes of human breast and colorectal cancers. Science 2007; 318(5853): 1108-13 <strong>11</strong> Gerlinger M et al: Intratumor heterogeneity and branched evolution revealed by multiregion sequencing. N Engl J Med 2012; 366(10): 883-92 <strong>12</strong> Gerlinger M et al: Genomic architecture and evolution of clear cell renal cell carcinomas defined by multiregion sequencing. Nat Genet 2014; 46: 225-33 <strong>13</strong> Wang Y et al: Clonal evolution in breast cancer revealed by single nucleus genome sequencing. Nature 2014; 512(7513): 155-60 <strong>14</strong> de Bruin EC et al: Spatial and temporal diversity in genomic instability processes defines lung cancer evolution. Science 2014; 346(6206): 251-6 <strong>15</strong> Zhang J et al: Intratumor heterogeneity in localized lung adenocarcinomas delineated by multiregion sequencing. Science 2014; 346(6206): 256-9 <strong>16</strong> Izumchenko E et al: Targeted sequencing reveals clonal genetic changes in the progression of early lung neoplasms and paired circulating DNA. Nat Commun 2015; 6: 8258 <strong>17</strong> McGranahan N, Swanton C: Clonal heterogeneity and tumor evolution: past, present, and the future. Cell 2017; 168(4): 613-28 <strong>18</strong> Makohon-Moore AP et al: Limited heterogeneity of known driver gene mutations among the metastases of individual patients with pancreatic cancer. Nat Genet 2017; 49(3): 358-66 <strong>19</strong> Brastianos PK et al: Genomic characterization of brain metastases reveals branched evolution and potential therapeutic targets. Cancer Discov 2015; 5(11): 1164-77 <strong>20</strong> Denis MG et al: EGFR T790M resistance mutation in non small-cell lung carcinoma. Clin Chim Acta 2015; 444: 81-5 <strong>21</strong> Su KY et al: Pretreatment epidermal growth factor receptor (EGFR) T790M mutation predicts shorter EGFR tyrosine kinase inhibitor response duration in patients with non-small-cell lung cancer. J Clin Oncol 2012; 30(4): 433-40 <strong>22</strong> Rosell R et al: Pretreatment EGFR T790M mutation and BRCA1 mRNA expression in erlotinib-treated advanced non-small-cell lung cancer patients with EGFR mutations. Clin Cancer Res 2011; 17(5): 1160-8 <strong>23</strong> Tougeron D et al: Effect of low-frequency KRAS mutations on the response to anti-EGFR therapy in metastatic colorectal cancer. Ann Oncol 2013; 24(5): 1267-73 <strong>24</strong> Leary RJ et al: Detection of chromosomal alterations in the circulation of cancer patients with whole-genome sequencing. Sci Transl Med 2012; 4(162): 162ra54 <strong>25</strong> Crowley E et al: Liquid biopsy: monitoring cancer-genetics in the blood. Nat Rev Clin Oncol 2013; 10(8): 472-84</p>
</div>
</p>
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