Tumor-assoziierte Fatigue: Inzidenz, prädiktive Faktoren und Therapieeffekte
Autor:
PD Dr. med. Holger G. Hass
Leitender Arzt
Facharzt FMH für allgemeine Medizin, Hämatologie, Gastroenterologie, Internistische Onkologie
Klinik Schloss Mammern
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Bei der Tumor-assoziierten Fatigue («Cancer-related Fatigue», CrF) handelt es sich um die häufigste somatische Folgestörung bei bzw. nach Krebserkrankung. Trotz unterschiedlicher Erklärungsmodelle ist die der CrF zugrunde liegende Pathophysiologie nicht geklärt. Wegen des häufig chronischen Verlaufs und nachgewiesener negativer Effekte auf Lebensqualität und berufliche Teilhabe hat sie nicht nur für die Betroffenen, sondern auch gesellschaftlich eine große Bedeutung.
Potenzielle Pathomechanismen
Laut Definition handelt es sich bei der CrF um einen chronischen Erschöpfungszustand «trotz ausreichender Schlafdauer». Dabei kann die Fatigue sowohl durch die Krebszellen selbst («paraneoplastisch») als auch durch die durchgeführte Behandlung (Chemotherapie, Radiatio) verursacht werden.1 Generell geht man von einem diffusen Entzündungsprozess mit einer erhöhten Produktion von proinflammatorischen Zytokinen (Interleukin-6, TNFα) aus,2 auch wenn die genauen Pathomechanismen nach wie vor nicht geklärt sind. Zusätzlich gibt es viele Begleiterkrankungen und -faktoren, die ein Fatigue-Syndrom begünstigen, so z.B. Schlaf- und endokrinologische Störungen oder eine Anämie (Abb. 1). Daher ist die Diagnose «Tumor-assoziierte Fatigue» immer eine Ausschlussdiagnose. Die Fatigue kann sich auf verschiedene Bereiche auswirken, einschließlich der emotionalen, kognitiven und körperlichen Funktionen, und hat daher vielfältige negative Einflüsse auf das Leben und die Lebensqualität der Betroffenen. Zudem belegen neuere Forschungsergebisse eine Korrelation zwischen Fatigue und kürzerem Langzeitüberleben nach Krebserkrankung.3
Mögliche Therapieoptionen
Nach wie vor gibt es keine medikamentösen Therapieansätze. Daher sollte die Therapie der CrF in einem multimodalen, klassischen Rehabilitations-Setting erfolgen.4 Dieses beinhaltet neben einer individuell adaptierten Sporttherapie, um Überlastungen zu vermeiden, die konsequente Behandlung von Schlafstörungen und Begleitfaktoren (z.B. Anämie) sowie eine eiweissreiche Ernährung zum Muskel-/ Kraftaufbau und auch edukative bzw. verhaltenstherapeutische Ansätze (Energiemanagement, Entspannungstherapien).
Wegen der hohen Inzidenz, des sehr häufig chronischen Verlaufs und der Tatsache, dass die CrF ein Hauptrisikofaktor, dafür ist, dass die Rückkehr in den Beruf erschwert ist, hat sie eine große sozialmedizinische Bedeutung.5
Zu bedenken ist zudem, dass viele der aktuell zugelassenen Medikamente in der Onkologie, wie Tyrosinkinase-/PARP-Inhibitoren oder PD-1- bzw. PD-1L-Antikörper, Fatigue-artige Beschwerden verursachen können. Da diese Substanzen zudem eine Anämie induzieren und als Langzeit- oder – im chronischen Krankheitsstadium – Dauertherapie eingesetzt werden, ist zukünftig mit einer weiteren Zunahme der Fatigue in der onkologischen Akutmedizin und Rehabilitation zu rechnen.6,7
Prospektive Studie zur Fatigue während der multimodalen onkologischen Rehabilitation
Auch wenn es zur Inzidenz der Fatigue bei onkologischen Patient:innen eine grosse publizierte Evidenz gibt, ist ihr Vorkommen während der onkologischen Rehabilitation in der Schweiz bisher kaum evaluiert. Daher wurde eine prospektive Datenerhebung zur Evaluation der Fatigue-Inzidenz in der onkologischen Rehabilitation, der möglichen prädiktiven Faktoren sowie der therapeutischen Effekte einer multimodalen Fatiguetherapie auf den CrF-Verlauf durchgeführt. Das Ergebnis dieser Studie konnte nun aktuell bei der diesjährigen Jahrestagung der DGHO am 26. Oktober 2025 in Köln präsentiert werden.8
Im Rahmen der Studie konnten Daten von insgesamt 1220 Patient:innen, die von Januar 2020 bis Dezember 2023 zur stationären onkologischen Rehabilitation in den Kliniken Valens aufgenommen wurden, evaluiert werden. Mittels standardisierter Screening-Bögen (Single-item Fatigue [SIF], Edmonton Symptom Assessment System [ESAS]) wurde zu Beginn und am Ende der Rehabilitation die Inzidenz der CrF systematisch erhoben.
Zusätzlich wurden die Leistungsfähigkeit und Muskelkraft mittels 6-Minuten-Gehtest, «Timed Up-and-Go»(TUG)- Test und Handkraftmessung (nach Jamar) untersucht. Zur Erfassung der subjektiven Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität («quality of life», QoL) der Betroffenen wurden «Patient-reported outcome»-Fragebögen (PROMIS-10; EQ-5D) eingesetzt. Anschliessend wurden klinische (z.B. Tumorentenität) sowie soziodemografische Daten (Alter, Geschlecht) in Bezug auf prädiktive Faktoren für eine CrF evaluiert.
Insgesamt konnten nach Abschluss der 23 (±2,2) Tage dauernden Rehabilitation von 837 Patient:innen (72,3%; davon 52,8% weiblich, Durchschnittsalter 64,5 Jahre) alle Daten zur Fatigue sowie zu prädiktiven Faktoren und den therapeutischen Effekten ausgewertet werden.
Bei n=363 (43,4%) wurde mittels SIF (≥4) eine CrF zu Beginn der Reha nachgewiesen. In der Datenauswertung korrelierten erhöhte SIF-Werte signifikant in bis zu 94,8% mit erhöhten Werten im ESAS und bestätigten so den Nutzen des SIF als einfaches Screening-Tool im Rehabilitationsalltag. Des Weiteren korrelierten die erhöhten SIF-Werte mit dem Geschlecht (51,0% weiblich vs. 37,8% männlich; p<0,001) und dem Alter (51,7% (<60 J.) vs. 38% (≥60 J.). Dazu passend zeigten sich in der Gruppe von Patient:innen mit Mammakarzinom die höchste CrF-Inzidenz (60,2%) und hohe SIF-Werte (4,58±2,0). Ausserdem korrelierten erhöhte SIF-Werte signifikant mit mentalen und physischen Beeinträchtigungen (p<0,01) sowie mit einer subjektiv deutlich schlechteren Lebensqualität (43,1±19,1 vs. 54,4±20,1; p<0,001).
Gegen Ende der Rehabilitation zeigten sich die Inzidenz der CrF sowie deren Ausprägung in den Analysen signifikant rückläufig (15,7% vs. 43,4%). Zusätzlich kam es zu einer signifikanten Verbesserung der im PROMIS-10 erfassten Beeinträchtigungen (p<0,01) sowie der Lebensqualität (43,1±19,1 vs. 58,5±19,7; p<0,001, Abb.2). Die Verbesserungen in Bezug auf die Fatigue-Symptomatik und die Lebensqualität liessen sich auch durch die objektiven Messungen der körperlichen Leistungsfähigkeit verifizieren. So zeigte sich eine deutliche Verbesserung der Mobilität und der Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest sowie im TUG-Test. Zusätzlich konnte eine deutliche Zunahme der anfangs reduzierten muskulären Handkraft festgestellt werden.
Zusammenfassung
Die aktuellen Daten bestätigen die hohe Inzidenz der CrF und unterstreichen deren grosse Bedeutung für die Lebensqualität der betroffenen Patient:innen. Zusätzlich konnten in Übereinstimmung mit der Literatur9 prädiktive Faktoren bestimmt werden, die vor allem die hohe Inzidenz der Fatigue bei Patient:innen mit Mammakarzinom erklären. Zeitgleich bestätigen die Daten die hohe Wirksamkeit der modernen multimodalen Rehabilitation in der Onkologie. Daher sollte die onkologische Rehabilitation mit einem multimodalen Therapie-Setting besonders Patient:innen mit CrF-Symptomatik als sinnvolle Therapieoption angeboten werden.
Literatur:
1 Kang YE et al.: Prevalence of cancer-related fatigue based on severity: a systematic review and meta-analysis. Sci Rep 2023;13(1): 12815 2 Kim S et al.: Inflammation-induced activation of the indoleamine 2,3-dioxygenase pathway: relevance to cancer-related fatigue. Cancer 2015; 121(13): 2129-36 3 Adam S et al.: The association of cancer-related fatigue with all-cause mortality of colorectal and endometrial cancer survivors: results from the population-based PROFILES registry. Cancer Med 2019; 8(6): 3227-36 4 Voorn MJJ et al.: Effects of exercise prehabilitation and/or rehabilitation on health-related quality of life and fatigue in patients with non-small cell lung cancer undergoing surgery: a systematic review. Eur J Surg Oncol 2023; 49(10): 106909 5 Duijts SF et al.: Physical and psychosocial problems in cancer survivors beyond return to work: a systematic review. Psychooncology 2014; 23(5): 481-92 6 Kiss I et al.: Incidence of fatigue associated with immune checkpoint inhibitors in patients with cancer: a meta-analysis. ESMO Open 2022; 7(3): 100474 7 Tzang CC et al.: Efficacy and safety of PARP inhibitors in prostate cancer: an umbrella review of systematic reviews and meta-analyses. Crit Rev Oncol Hematol 2025; 207: 104609 8 Hass HG et al.: Cancer-related fatigue (CrF) – incidence, predictive factors and treatment effects during oncological indoor rehabilitation. DGHO 2025, Poster #852 9 Ruiz-Casado A et al.: Cancer-related fatigue in breast cancer survivors: a review. Clin Breast Cancer 2021; 21(1): 10-25
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