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Therapie des muskelinvasiven Blasenkarzinoms
Leading Opinions
Autor:
PD Dr. med. Roland Seiler
Departement für Urologie<br> Inselspital Bern<br> E-Mail: r_seiler@gmx.ch
Autor:
Dr. med. Kevin Johner
Departement für Urologie<br> Inselspital Bern
Autor:
med. pract. Friedemann Krentel
Departement für Urologie<br> Inselspital Bern
30
Min. Lesezeit
15.11.2018
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<p class="article-intro">Das Blasenkarzinom ist zwar nur die fünfthäufigste maligne Erkrankung des Menschen, jedoch in Bezug auf die Behandlung und Nachsorge die teuerste pro Patient. Das muskelinvasive Blasenkarzinom ist eine aggressive Variante, bei welcher die 5-Jahres- Mortalitätsrate von 50 % bedauerlicherweise seit Beginn des Einsatzes der Cisplatin-haltigen Chemotherapie vor vier Dekaden konstant blieb. In diesem Artikel besprechen wir aktuelle Behandlungsstandards, laufende Studien und potenzielle Diagnostik- und Therapiestrategien der Zukunft.</p>
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<p class="article-content"><h2>Radikale Zystektomie</h2> <p>Die radikale Zystektomie mit pelviner Lymphadenektomie innert drei Monaten ab Diagnosestellung ist weiterhin Goldstandard im Stadium eines lokalisierten, muskelinvasiven Urothelkarzinoms. Die Wahl der konsekutiv notwendigen Harnableitung (z.B. Ureterokutaneostomie, Ileum-Conduit, katheterisierbarer Pouch, orthotope ileale Ersatzblase) orientiert sich an Komorbiditäten, Compliance sowie Fähigkeiten der Patienten. Trotz erheblicher Unterschiede der Harnableitung scheinen diese das onkologische Outcome nicht zu beeinflussen. Gemäss neuesten Erkenntnissen kann das laparoskopische Vorgehen an spezialisierten Zentren onkologisch vergleichbare Ergebnisse gewährleisten (RAZOR-Studie), jedoch ist die offene Operation weiter Standard.</p> <h2>Neoadjuvante Chemotherapie (NAC)</h2> <p>Eine Verbesserung der Rate des Gesamtüberlebens (OS) von 5–8 % nach fünf Jahren scheint sich durch den Einsatz einer Cisplatin-basierten NAC im Falle eines lokalisierten Karzinoms (cT2–cT4a cN0 cM0) zu ergeben. Doch obwohl ein unterschiedliches Ansprechverhalten bei verschiedener histologischer Differenzierung sowie unterschiedlichen molekularen Subtypen des Urothelkarzinoms bekannt ist, reicht die Datengrundlage dieser Erkenntnisse nicht für eine systematische klinische Anwendung. Wir gehen allerdings davon aus, dass nur 40 % der mit NAC behandelten Patienten davon profitieren – andere durch eine verzögerte operative Therapie hingegen sogar eine Prognoseverschlechterung erleiden könnten. Eine zuverlässige und valide Patientenselektion ist aktuell ein wichtiges Forschungsziel.</p> <h2>Adjuvante Chemotherapie</h2> <p>Im Falle nachgewiesener lymphogener Metastasierung (pN+) sowie extravesikaler Ausbreitung des Primarius (pT3/4) empfehlen diverse Guidelines eine adjuvante Cisplatin- haltige Chemotherapie. Trotz teilweise mangelhafter Datengrundlage wird von einem Benefit für die 5-Jahres-Mortalitätsrate von 5–8 % ausgegangen.</p> <h2>Lokal fortgeschrittenes und metastasiertes Stadium</h2> <p><strong>«Standard of care»</strong><br /> Im Falle eines lokal fortgeschrittenen Tumors mit Infiltration der Beckenwand (T4b) oder einer hämatogenen Metastasierung geht man von einer palliativen Situation aus, in der eine Cisplatin-haltige Chemotherapie die erste Wahl ist. Trotz initialer Ansprechraten von 40–50 % besteht eine 5-Jahres-Überlebensrate von nur ca. 15 % . Zudem sind bei der Diagnosestellung bereits ca. 50 % der Patienten aufgrund von Komorbiditäten «unfit for cisplatin», was bisher einer infausten Prognose gleichkam.</p> <p><strong>Rolle der Chirurgie und lokale Symptomkontrolle</strong><br />Die Zystektomie oder eine alleinige Harnableitung haben, wie auch die Radiatio oder Instillationen in die Harnblase, in diesem Stadium nur einen palliativen Nutzen, zum Beispiel bei lokaler Schmerzoder Blutungsproblematik. Die allerdings potenziell erhebliche Morbidität einer palliativen Chirurgie darf in der Indikationsstellung nicht unterschätzt werden.</p> <p><strong>Immuntherapie</strong><br /> Das bessere tumorbiologische und -immunologische Verständnis des Urothelkarzinoms hat bei diesem die Erprobung von Immuncheckpoint-Inhibitoren nahegelegt. So lässt die bekannt hohe Mutationslast eine erhebliche Neoantigenpräsentation erwarten, welche eine vermehrte antitumorale Immunreaktion auslösen sollte, zum Beispiel unter Blockade des inhibierenden «sideway programmed cell death protein» 1 (PD-1) mit «programmed cell death 1 ligand» 1 (PD-L1).</p> <p><em>Immuntherapie als Erstlinientherapie</em><br />Im praktischen Einsatz erzielten daraufhin verschiedene Immuntherapeutika interessante Ergebnisse. Der PD-1-Inhibitor Pembrolizumab und der PD-L1-Inhibitor Atezolizumab zeigten als Erstlinientherapeutika in Phase-II-Studien (KEYNOTE- 052: Pembrolizumab; IMvigor210: Atezolizumab) bei «Cisplatin-unfitten» Patienten eine gute Verträglichkeit und teilweise lang anhaltende Remissionen bei ähnlichem medianem Gesamtüberleben. Diese Ergebnisse führten 2017 zur Zulassung beider Medikamente in der Erstlinientherapie in dieser Indikation.</p> <p><em>Immuntherapie als Zweitlinientherapie nach Cisplatin</em><br /> In der Zweitlinientherapie etablieren sich die Checkpoint-Inhibitoren als Therapie der Wahl. So zeigte in der KEYNOTE- 045-Studie Pembrolizumab gegen diverse Chemotherapeutika einen Vorteil des medianen OS (10,3 vs. 7,4 Monate; p=0,002), bei besserem Nebenwirkungsprofil; es wird allerdings ein Präselektionsbias durch unausgewogene Studienarme diskutiert.<br /> Atezolizumab konnte in seiner Zulassungsstudie IMvigor211 zwar den primären Endpunkt einer Verlängerung des OS nicht erreichen, die bessere Verträglichkeit in Bezug auf Grad-3-Nebenwirkungen rechtfertigt dennoch seinen Einsatz.<br /> Zudem ist in gleicher Indikation der PD-1-Inhibitor Nivolumab zugelassen, aufgrund hoher Ansprechraten besonders bei Tumoren mit hoher PD-L1-Expression.</p> <p><strong>Konventionelle Chemotherapie als Zweitlinientherapie</strong><br />Die Zulassung der Checkpoint-Inhibitoren in der Zweitlinientherapie verdrängt weiter die insuffizient wirksamen Chemotherapien in dieser Indikation. Vinflunin, als einziges hier zugelassenes Chemotherapeutikum, wird nur noch bei Kontraindikationen für eine Immuntherapie empfohlen.</p> <p><strong>Kombinationstherapien</strong><br /> Die syn- oder metachrone Kombination aus Immun- und Chemotherapie wird aktuell in neoadjuvanter sowie palliativer Erst- und Zweitlinienindikation erprobt, zum Beispiel in den Phase-III-Studien Keynote- 361 (Pembrolizumab ± Chemotherapie vs. Monochemotherapie) und IMvigor130 (Atezolizumab-Monotherapie vs. Atezolizumab kombiniert mit platinhaltiger Chemotherapie).<br /> Im neoadjuvanten Setting wird derzeit in der Schweiz der klinische Benefit von Durvalumab (PD-L1-Inhibitor) zusätzlich zur Cisplatin-basierten NAC (SAKK-06/17) wie auch durch die kombinierte Gabe der Checkpoint-Inhibitoren Durvalumab und Tremelimumab (CTLA-4-Inhibitor) bei Cisplatin-unfitten Patienten (NITIMIBTrial), untersucht. Während die SAKK-06/17 eine multizentrische schweizweite Studie ist, wird der NITIMIB-Trial nur im Inselspital Bern durchgeführt.</p> <p><strong>Prädiktive Biomarker der Immuntherapie</strong><br />Trotz FDA-Zulassung mehrerer kommerzieller Assays zur Bestimmung der Häufigkeit der Expression von PD-L1 auf Tumor- und tumorinfiltrierenden Zellen wird heftig über deren Einsatz und Nutzen diskutiert. Gilt die PD-L1-Expressionshäufigkeit neben Mutationslast, genetischem Subtyp, Anwesenheit von tumorinfiltrierenden T-Zellen und deren Differenzierung als prädiktiver Faktor für das Ansprechen der ca. 25–30 % Responder einer Immuntherapie, so gibt es auch Remissionen bei PD-L1-negativen Patienten – was dessen Verwendung als therapieentscheidendes Kriterium, trotz prognostischen Wertes, grundsätzlich infrage stellt. Das Wissen um Einflüsse auf die Wirksamkeit der Immuntherapie durch peritherapeutische antibiotische Therapien sowie das Mikrobiom des Darmtraktes der Patienten verdeutlicht, welch grosser Forschungsbedarf diesbezüglich weiterhin besteht.</p> <h2>Ausblick auf neue Targets</h2> <p>Eine personalisierte Medizin ist das Ziel einer «targeted therapy» des Blasenkarzinoms. Bisherige Studien konzentrierten sich in den vergangenen 20 Jahren auf Auswirkungen von FGF- und VEGF-Rezeptoren auf die Karzinogenese des Urothelkarzinoms. Die Wirksamkeit mehrerer Pathway-Inhibitoren (Tyrosinkinase-Inhibitoren, monoklonale Antikörper und Antikörper-Wirkstoff-Konjugate) sowie ihrer Kombination mit etablierten Chemotherapien wird zurzeit untersucht. Bislang haben die gewonnenen Ergebnisse deren regulären klinischen Einsatz allerdings noch nicht gerechtfertigt.<br /> Nectin-4, ein besonders im Urothelkarzinom überexprimiertes Zell-Zell-Adhäsionsmolekül, scheint als neu entdecktes Target vielversprechend zu sein. Das Antikörper- Wirkstoff-Konjugat Enfortumab Vedotin transportiert das Zytostatikum MMAE zielgerichtet in die Nectin-4-exprimierende Zelle und scheint dosisabhängig eine signifikante Hemmung des Tumorwachstums zu bewirken, bei einer Gesamtansprechrate von gut 40 % . Eine Phase-III-Studie zum Nutzen von Enfortumab Vedotin öffnet nach Anerkennung als Durchbruchtherapie durch die FDA nun auch in der Schweiz.</p></p>
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