
„So hohe Ansprechraten sind überaus beeindruckend“
Unsere Gesprächspartnerin:
A.o. Univ.-Prof. Dr. Manuela Schmidinger
Fachärztin für Innere Medizin, Onkologie und Intensivmedizin
Universitätsklinik für Urologie
Medizinische Universität Wien
E-Mail: manuela.schmidinger@meduniwien.ac.at
Das Interview führte
Dr. Kassandra Settele
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Das diesjährige Genitourinary Cancers Symposium der American Society of Clinical Oncology (ASCO GU) hielt wieder hochinteressante Vorträge bereit. Wir sprachen mit Dr. Manuela Schmidinger, Universitätsprofessorin an der Medizinischen Universität Wien und führende Expertin auf dem Gebiet des Nierenzellkarzinoms (RCC), über die wichtigsten Ergebnisse zu dieser Tumorart.
Was waren Ihre persönlichen Highlights beim diesjährigen ASCO-GU-Symposium?
M. Schmidinger: Zweifelsohne die Daten zur CLEAR-Studie, aber auch die SWOG1500-Studie zu Cabozantinib beim papillären Nierenzellkarzinom sind spannend und könnten einen Paradigmenwechsel herbeiführen.
Zunächst zur CLEAR-Studie: Das war eine randomisierte Phase-III-Studie bei Therapie-naiven Patienten mit metastasiertem klarzelligem RCC. Es gab drei Studienarme: der FGF(Fibroblast Growth Factor)-VEGF(Vascular Endothelial Growth Factor)-Inhibitor Lenvatinib kombiniert mit Pembrolizumab (LenPem), Lenvatinib kombiniert mit Everolimus (LenEve) oder Sunitinib. Die Anprechraten waren für LenPem 71%, das ist die höchste jemals berichtete Ansprechrate! Die Komplettremissionsrate ist mit 16,1% bislang auch unerreicht. Das mediane PFS (progressionsfreie Überleben) lag bei 25,8 Monaten, auch dies wurde zuvor von einer First-Line-Therapie noch nicht berichtet. Und das Gesamtüberleben (OS) der LenPem-Patienten war ebenfalls statistisch signifikant verlängert – der Median war noch nicht erreicht. Das PFS von LenEve war ebenfalls signifikant besser als jenes mit Sunitinib, jedoch ohne statistisch signifikanten OS-Benefit. LenPem wird somit als neue Standard-First-Line-Therapie neben Nivolumab-Ipilimumab, Cabozantinib-Nivolumab und Pembrolizumab-Axitinib in die Therapieempfehlungen eingehen.
Wird sich die Kombination Lenvatinib plus Pembrolizumab Ihrer Meinung nach in der Praxis durchsetzen?
M. Schmidinger: Definitiv. So hohe Ansprechraten und Komplettremissionsraten sind überaus beeindruckend. Die Dosis von Lenvatinib ist sicher eine gewisse Herausforderung, ich denke aber nicht, dass das die behandelnden Ärzte davon abhalten wird, eine so hochwirksame Kombination auszulassen.
Sie haben bereits die SWOG1500-Studie erwähnt.
M. Schmidinger: Die Daten zur SWOG1500-Studie waren ebenfalls hochinteressant. Hier handelt es sich um eine randomisierte Phase-II-Studie zum Einsatz von Sunitinib oder Cabozantinib oder Crizotinib oder Savolitinib beim metastasierten, papillären RCC. Die Crizotinib- und Savolitinib-Arme wurden frühzeitg wegen unzureichender Wirksamkeit geschlossen und die Patienten dann nur mehr in den Cabozantinib- und Sunitinib-Arm randomisiert. Das mediane PFS lag mit Cabozantinib bei 9 Monaten und mit Sunitinib bei 5,6 Monaten, dieser Unterschied war statistisch signifikant mit einer HR von 0,60 (p=0,019). Auch die ORR (allgemeine Ansprechrate) war im Cabozantinib-Arm besser (18% vs. 4%). Das OS war numerisch mit Cabozantinib länger (20 vs. 16,5 Monate).
Es wurden mehrere Studien zum HIF2-Inhibitor MK-6482 präsentiert. Was waren die wichtigsten Ergebnisse?
M. Schmidinger: Der orale HIF-2α-Inhibitor Belzutifan wurde sowohl in der Monotherapie als auch in Kombination mit Cabozantinib getestet. Bei beiden Studien handelt es sich um kleine Phase-I/II- bzw. Phase-II-Studien. In der Monotherapie-Studie wurden 55 stark vorbehandelte Patienten eingeschlossen, die ORR lag bei 25% und das mediane PFS bei 14,5 Monaten. In der Kombinationsstudie wurde Cabozantinib mit 40mg oder 60mg dazugegeben. Auch diese Patienten waren stark vorbehandelt. Die ORR lag bei 22%, wobei 88% der Patienten eine Reduktion der Target-Läsion hatten; das mediane PFS lag bei 16,8 Monaten. In Anbetracht der Patientenpopulation erscheint die Wirksamkeit sehr hoch. Typische Belzutifan-assoziierte Nebenwirkungen umfassen Anämie und Hypoxie, Grad-3-Nebenwirkungen kommen selten vor.
Verlassen wir die Erstlinie und gehen wir zur Zweitlinie über. Welche Therapiestrategien werden derzeit diskutiert?
M. Schmidinger: Es gibt keine sehr guten Empfehlungen hier und die meisten Behandler wählen eine TKI(Tyrosinkinase-Inhibitor)-Therapie nach einer IO-IO- (zweifachen immunonkologischen) oder einer IO-TKI-Therapie. Persönlich finde ich die Phase-II-Daten von Lenvatinib plus Pembrolizumab nach einer PD-1-PD-L1-basierten Therapie spannend, die auf dem virtuellen Jahreskongress der European Society for Medical Oncology vorgestellt wurden. Vortherapien in dieser Studie waren entweder IO-IO (37/104), PD-1 + TKI (65/104) oder nur PD-1-basiert. Die ORR lag bei 52,9% und das mediane PFS bei 11,8 Monaten. Persönlich habe ich auch gute Erfahrungen mit Immuncheckpoint-Inhibitor-Rechallenge in jeder Variante gemacht und auch ein Boost mit Ipilimumab funktioniert oftmals sehr gut bei einem Progress unter laufender IO-Monotherapie. Eine randomisierte Phase-II-Studie (CONTACT-03) untersucht derzeit ein ähnliches Konzept. Hier werden Patienten nach Progression auf ein bis zwei vorangehende Therapien (wovon jedenfalls zumindest eine IO-basiert war) in einen Cabozantinib-+-Atezolizumab-Arm oder einen Cabozantinib-Arm randomisiert.
Welche Strategien können eingesetzt werden, um die Toxizität von Immuntherapien zu reduzieren?
M. Schmidinger: Eine immunassoziierte Toxizität kann nicht durch prophylaktische Maßnahmen verhindert werden; zudem hat sich gezeigt, dass das Auftreten der immunassoziierten Toxizität auch prädiktiv für das Ansprechen ist. Dennoch ist Patientenselektion wichtig: So wird wahrscheinlich niemand auf die Idee kommen, eine IO-basierte Therapie bei einer konkomitanten, schwerwiegenden Autoimmunerkrankung auszuwählen. Von einer italienischen Studie wurde am ASCO GU berichtet, dass immunassoziierte Nebenwirkungen oftmals bei Patienten mit einem höheren Basiswert an Eosinophilen assoziiert sind. Gleiches wurde aber auch zur Wirksamkeit der Therapie berichtet, das bedeutet, ein höherer Wert wird die Behandler nicht davon abhalten, die Immuntherapie einzusetzen.
Wie sieht es mit der operativen Behandlung aus? Welche Faktoren müssen bei der Entscheidung für einen chirurgischen Eingriff bedacht werden?
M. Schmidinger: Seit der CARMENA-Studie ist die zytoreduktive Nephrektomie nicht mehr das Standardvorgehen bei Patienten mit mittlerem oder ungünstigem IMDC(International Metastatic RCC Database Consortium)-Risiko. Das wird vielerorts befolgt, und in gleichem Ausmaß vielerorts angezweifelt. Auch am ASCO GU gab es hierzu wieder Daten. In einer retrospektiven Analyse von Hatakeyama und Kollegen wurden 278 Patienten dahingehend evaluiert. Das Gesamtüberleben war in der Gruppe von Patienten mit Nephrektomie signifikant länger als bei jenen mit alleiniger systemischer Therapie.
11–32% der Patienten mit Nierentumoren entwickeln eine chronische Niereninsuffizienz. Welche Strategien könnten helfen, die Nierenfunktion möglichst aufrechtzuerhalten?
M. Schmidinger: Das liegt teilweise auch am deutlich längeren Überleben der Patienten; heute „erleben“ viel mehr Patienten ihre chronische Niereninsuffizienz. Jahrelange TKI-Therapie sowie damit assoziierte Hypertonie tragen dazu bei. Nur Dosisreduktion und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Nephrologen können hier helfen.
Die Prognose des RCC hängt stark vom Tumorstadium ab. Was sind vielversprechende künftige Strategien für die Früherkennung?
M. Schmidinger: Eine Ultraschalluntersuchung ist nicht belastend und hilft oft, asymptomatische und kleine Tumoren in noch sehr frühen Stadien zu erkennen. Ob Analysen bei bereits operiertem Tumor klinisch sinnvoll sind, um etwaige Risikopatienten frühzeitig zu erfassen, ist insofern unklar, als es keinen Beweis gibt, dass ein früherer Therapiebeginn (bei Metastasierung) auch mit einem besseren Überleben assoziiert ist. Genexpressionsanalysen werden und wurden immer wieder untersucht und man kann schon gewisse Signaturen mit einem Risiko assoziieren, aber wie gesagt, der klinische Nutzen ist fraglich.
Gibt es neue Daten zum Einfluss des Darmmikrobioms auf das Therapieansprechen beim RCC?
M. Schmidinger: Beim ASCO GU gab es wieder Daten zu diesem Thema. Bei der Analyse von insgesamt 50 Stuhlproben von 24 Patienten konnte festgestellt werden, dass Malassezia spp. mit einem fehlenden Benefit einer zielgerichteten Therapie assoziiert ist. In diesem Bereich wird sehr viel geforscht und die Auseinandersetzung mit dem Mikrobiom ist aus dem klinischen Alltag kaum mehr wegzudenken.
Vielen Dank für das Gespräch!
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