
Schwerpunkte „early integration“ und Cannabis am ASCO-Meeting 2020
Autor:
Prof. Dr. Jens Papke 1,2
1 Praxis und Tagesklinik für Innere Medizin und Onkologie
Neustadt in Sachsen
2 Westsächsische Hochschule Zwickau Fakultät Gesundheits- und Pflegewissenschaften
Zwickau
E-Mail: mail@drpapke.de
Auch in diesem Jahr waren palliative Aspekte nicht der Schwerpunkt des Jahreskongresses der American Society of Clinical Oncology – aber ganz ohne ging es dennoch nicht: Finden Sie in diesem Bericht eine Zusammenfassung von Präsentationen der klinisch relevantesten Daten!
Der traditionsreiche Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) fokussiert sich inhaltlich für gewöhnlich auf tumorbezogene Themen. Essenziell mit der tumorspezifischen Therapie verknüpfte Fragen wie die der supportiven und palliativen Betreuung werden erst seit 2014 im Rahmen des Supportive and Palliative Care Symposium der ASCO separat erörtert.
Umso schwieriger ist es für den Rezensenten, in der gewohnten Vielzahl der publizierten Abstracts relevante Themen zu finden, bei denen sich unsere Kollegen jenseits des Atlantiks mit Fragen der Palliative Care beschäftigen. Erschwerend kommt außerdem hinzu, dass durch das virtuelle Setting des Kongresses in diesem Jahr der interkollegiale Gedankenaustausch am Poster oder nach der Präsentation nicht möglich war.
Dennoch sollen im Folgenden einige klinisch relevante Themen des diesjährigen ASCO aus dem Bereich Palliative Care besprochen werden.
„Early integration“ und „embedded“ Palliative Care
Die 2010 durch Prof. Dr. Jennifer Temel1 angestoßene Problematik der „early integration of palliativ care“ wurde von P.Singhai et al.2, Indien, an Patienten mit fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren untersucht. In zwei randomisierten Gruppen von jeweils 90 Patienten wurde weder bei der Lebensqualität noch bei der Symptomlast und dem Gesamtüberleben alle 4 Wochen über insgesamt 12 Wochen ein signifikanter Unterschied festgestellt.
G. Young et al.3, USA, berichteten in diesem Zusammenhang über ihre Erfahrungen mit der palliativen Versorgung durch ein zum onkologischen Behandler gehörendes bzw. durch ein externes Palliativteam, und dies bei 8636 Patienten mit soliden Tumoren in 5 onkologischen Praxen über 3 Jahre. Auch wenn externe Palliativteams verfügbar sind, wird das in die bisherige Behandlung („early integration“!) eingebettete Team von den Patienten wesentlich häufiger angenommen.
Das gleiche Phänomen beschrieben auch A. Pelcovits et al.4, USA, die an Patienten mit hämatologischen Malignomen zeigen konnten, dass durch die Einbettung eines Palliativmediziners ins Behandlungsteam die Inanspruchnahme von Palliative Care (75 vs. 43%) sowie auch die „early integration“ mit 51 vs. 11% jeweils signifikant höher waren. Die Inanspruchnahme von Palliative Care führte zu einer stärkeren Nutzung der Hospizversorgung und weniger Notaufnahmen; dennoch konnten keine signifikanten Verbesserungen der Lebensqualität gezeigt werden. Möglicherweise, so folgern die Autoren, beeinflusst das Angebot von Palliative Care auch Patienten, die diese nicht direkt erhalten.
A. J. Akhtar et al.5, USA, konnten im Rahmen eines ambulanten onkologischen Versorgungsprojekts (OCM) in Michigan zeigen, dass durch kontinuierliche Weiterbildung der betreuenden Ärzte und Kommunikation mit Palliativmedizinern die Häufigkeit von Klinikaufnahmen zur Schmerzkontrolle signifikant gesenkt werden konnte, was angesichts einer finanziellen Belastung des Systems durch eineKlinikaufnahme in Höhe von 12.473$ zu einer Gesamtersparnis von 498.920$ führte.
Neue Daten zu Cannabis
S. J. Clarke et al.6, Australien, berichteten über ein wasserlösliches, orobukkal applizierbares Nanopartikelspray einer Mixtur aus d9-Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol, das den Gastrointestinaltrakt umgeht und einem „Firstpass“-Metabolismus im fazialen Lymphsystem unterliegt. Dieses wurde an 25 Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung und unkontrollierbaren Schmerzenuntersucht. Alle Patienten profitierten hinsichtlich ihrer Schmerzen, insbesondere Patienten mit Knochenmetastasen, mit über 30% Schmerzrückgang. Ähnlich wie das als Aerosol applizierbare Fentanyl dürfte sich das Präparat bei Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren oder Tumoren des oberen Gastrointestinaltraktes als günstig erweisen.
M. C. Weiss et al.7, USA, berichteten über die Ergebnisse einer Umfrage zur Nutzung von Cannabis bei Brustkrebspatientinnen. In den meisten US-Bundesstaaten ist Cannabis legalisiert für die Behandlung von Krebserkrankungen – welche Symptome jedoch damit kontrolliert werden, ist überwiegend unbekannt. Die Autoren identifizierten 832 Patientinnen, von denen 84% an der Umfrage teilnahmen. 85% waren nicht metastasiert und 42% hatten bereits Cannabis genutzt, um Symptome oder Therapienebenwirkungen zu behandeln, vor allem Schlafstörungen (70%), Gelenk- und Muskelschmerzen, Unwohlsein und Schmerzen (59%), Angst (57%) und Stress (51%) (Abb. 1). Jüngere Patientinnen (unter 50) konsumierten Cannabis häufiger, dies jedoch nicht signifikant. Patientinnen mit Metastasen nutzten Cannabis häufiger (60 vs. 41%) zur Behandlung von Schmerzen.
Abb. 1: Symptome oder Therapienebenwirkungen, zu deren Behandlung Cannabis von den befragten Brustkrebspatientinnen benutzt worden ist. Modifiziert nach Weiss MC et al.7
Literatur:
1 Temel J et al.: N Engl J Med 2010; 363: 733-42 2 Singhai P et al.: ASCO 2020, Abstr. #12013 3Young G et al.:ASCO 2020, Abstr. #12103 4 Pelcovits A et al.: ASCO 2020, Abstr. #12026 5 Akhtar AJ et al.: ASCO 2020, Abstr. #12094 6 Clarke SJ et al.: ASCO 2020, Abstr. #TPS12127 7 Weiss MC et al.: ASCO 2020, Abstr. #12108
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