<p class="article-intro">Ich bin seit 30 Jahren als Allgemeinmediziner tätig und habe vor ca. 15 Jahren begonnen, mich im Bereich der Palliativmedizin und Schmerzversorgung zu spezialisieren. Mit den folgenden Patientenfällen aus dem Bereich der extramuralen Versorgung wurde ich auf Bitte der betreuenden niedergelassenen Kollegen konfrontiert, da sich bei diesen schwer erkrankten Patienten die Schmerzmittelversorgung als unzureichend herausgestellt hatte. Bei jedem Patienten konnte nach Evaluierung der Ursache für die insuffiziente Schmerzlinderung und Problemlösung eine Dosisreduktion vorgenommen werden.</p>
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<p class="article-content"><h2>Frau G. H., 35 Jahre: hormonrezeptorpositives Mammakarzinom</h2> <p>Operation im Jahr 2009; 2012 Rezidiv mit zerebralen und pulmonalen Filiae sowie Einbruch eines Brustwirbelkörpers (BWK). <br /> 2 Töchter im Alter von 3 und 5 Jahren, Trennung vom Partner vor 2 Jahren.<br /> Laufende Therapie: transdermales Fentanyl 75mg pro Stunde, Metamizol-Tropfen 3x 15/Tag, Diclofenac 2x 75mg/Tag, Citalopram 10mg/Tag, Vendal-Saft 3ml bei Bedarf. <br /> Die Frage „Was schmerzt am meisten?“ beantwortete die Patientin damit, dass die Situation ihrer unversorgten, minderjährigen Kinder sie am stärksten belastete. Zusammen mit dem multiprofessionellen Palliativteam gelang es, Frau H. innerhalb von 10 Tagen mögliche Adoptiveltern für ihre Kinder vorzustellen, mit denen sie sehr einverstanden war. Im Anschluss konnte die Schmerztherapie rasch reduziert werden. Frau H. verstarb 2 Wochen später unter sehr reduzierter Schmerztherapie.</p> <h2>Frau G. C., 79 Jahre, multipel metastasiertes Mammakarzinom rechts</h2> <p>Rezidiv 4 Jahre nach Mastektomie, 4 osteoklastische BWK-Einbrüche, zusätzlich 2 osteoklastische Einbrüche der Lendenwirbelkörper. Sie war seit 3 Jahren verwitwet, hatte eine Tochter im Alter von 52 Jahren und lebte im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Schwägerin. Ihre Schmerztherapie bestand aus Hydromorphon retard 2x 6mg, zusätzlich bei Bedarf Hydromorphon 2,6mg bis zu 6x am Tag, Ibuprofen 3x 600mg, Pantoprazol 40mg, Metamizol-Tropfen 3x 20/Tag, Sertralin 50mg morgens und Prothipendyl 80mg abends. Die ausführliche Exploration ihrer Schmerzzustände ergab, dass es sie am meisten schmerzte, ihre Tochter nicht mehr sehen zu können. Der Grund für die Unmöglichkeit des Besuchs lag darin, dass die Tochter in Übersee 3 Wochen zuvor eine leitende Position angetreten hatte und es dort üblich ist, im ersten Jahr keinen Urlaub zu konsumieren. Ich kontaktierte die Firmenzentrale des Konzerns in den Vereinigten Staaten und nach einem Telefonat mit dem Vizepräsidenten des Konzerns erhielt die Tochter sofort ein Ticket für den Heimflug. Ab der Ankunft der Tochter konnten die Schmerzmittel drastisch reduziert werden. Frau C. verstarb 3 Tage später zu Hause.</p> <h2>Herr O. A., 41 Jahre, Progression eines 6 Monate zuvor diagnostizierten Glioblastoms</h2> <p>Der Patient litt unter Kopfschmerzen, Schwindel, therapierefraktärem Erbrechen und wies eine komplexe Schlafstörung auf. Er war Asylwerber; seine Frau und 4 Kinder im Alter von 16, 14, 13 und 5 waren in seiner zentralafrikanischen Heimat zurückgeblieben. Seine laufende Schmerztherapie bestand in einer PCA(patientengesteuerte Analgesie)-Pumpe via Port. Diese förderte Morphin, 12mg pro Stunde, mit einem Bolus von 6mg bei einer Sperrzeit von 30 Minuten. Er erhielt 1x morgens 16mg Dexamethason mit Pantoprazol 40mg/Tag, zusätzlich Metamizol-Tropfen 5x 30/Tag, Flunitrazepam 4mg abends, und Opipramol, 3x 1 Tablette/Tag. Trotz eingeschränkter Kommunikationsbedingungen stellte sich bald heraus, dass er unter der Gewissheit litt, seine Familie nicht wiedersehen zu können. In diesem Fall gestaltete sich die soziale Intervention etwas komplexer: Sowohl Behörden als auch die Fluglinie mussten überzeugt werden, dass die Begleitung einer medizinischen Fachperson unter Mitnahme von injizierbaren Alkaloiden erforderlich war. Weiters mussten aus dem Spendenbudget des mobilen Hospizteams Tickets für Herrn A. sowie für ein Mitglied des Palliativteams gekauft werden. Auch bei Herrn A. konnte die Schmerzmitteldosis nach Ankunft bei seiner Familie deutlich reduziert werden. Er verstarb einige Wochen später im Kreis seiner Familie.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Wenn durch soziale Interventionen eine Verbesserung der Situation erzielbar ist, erfahren wir von den Angehörigen und oft auch noch von den Patienten enorm viel Dankbarkeit. Ein häufig vielstündiges Engagement in diesem Bereich gibt viel Kraft und stellt gewissermaßen eine Burnout-Prophylaxe dar. So gesehen freue ich mich auf die nächsten Jahre in der Praxis.</p> </div></p>
<p class="article-quelle">Quelle: E-Mail: dr.wiesmayr@asak.at<br/>
Quelle: OGP-Kongress 2015,<br/>
Vortrag „Schmerzmittel helfen nicht, weil …“<br/>
am 11. April im Rahmen der Session<br/>
“Schmerz in Palliative Care:
Lösen Schmerzmittel alle Probleme?“,<br/>
9.–11. April 2015, Wien
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