© Saiful52 - stock.adobe.com

Urothelkarzinom

Rückschau: Antikörper-Wirkstoff-Konjugate

„Ante esmum“ und „post esmum“ sollte die neue Zeitrechnung für den Einsatz von Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (ADC) beim Urothelkarzinom sein: Denn auf dem ESMO-Kongress 2023 kam es zu einem Paradigmenwechsel. Nachfolgend gibt es einen Rückblick auf den Einsatz von ADC in der Therapie des Urothelkarzinoms vor der Präsentation der durchschlagenden Ergebnisse der EV-302-Studie.

Zahlreiche Antikörper-Wirkstoff-Konjugate („antibody-drug conjugates“, ADC) sind seit geraumer Zeit in der Onkologie auf dem Vormarsch. Zweitgenerations-ADC sind durch verbesserte Linker-Technologien, potente Payloads (zytotoxische Substanz) und den „bystander killing effect“ zu einer hochwirksamen zielgerichteten Therapie geworden (Abb. 1). Das fortgeschrittene bzw. metastasierte Urothelkarzinom ist ein aggressiver Tumor, der bis vor eineinhalb Jahren nach Therapieversagen bei einem platinhaltigen Schema (Cisplatin oder Carboplatin) und einem Checkpoint-Inhibitor nur mit geringem Erfolg therapiert werden konnte. Mehrere ADC – Enfortumab Vedotin (EV, seit 2022 zugelassen), Sacituzumab Govitecan (SG) und Disitamab Vedotin (DV) – zeigten jedoch bereits Anfang 2023 eine höhere Effektivität als die bisher zugelassenen Substanzen in höheren Therapielinien.

Abb. 1: Wirkweise der Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC)

Enfortumab Vedotin ist ein ADC, das durch das tumorassoziierte Antigen Nectin-4 in die Urothelkarzinomzelle eingeschleust wird. In der Zelle wird das Payload MMAE (Monomethyl-Auristatin E) freigesetzt und damit die Apoptose induziert. In der Zulassungsstudie EV-301 wurde eine hohe Ansprechrate mit 40,6% erreicht und das Gesamtüberleben (OS) im Vergleich zu konventioneller Chemotherapie mit Vinflunin oder einem Taxan auf 12,88 vs. 8,97 (HR: 0,70) Monate verlängert.1 Damit wurde schon zu Jahresbeginn in vorerst höheren Therapielinien ein neuer Standard gesetzt. Der limitierende Faktor dieser hochpotenten Therapie ist jedoch ihre Toxizität. Das Target, Nectin-4, wird auch auf anderen Zelloberflächen, z.B. in der Haut, exprimiert und kann dadurch zum Teil schwerwiegende Toxizitäten (15% Grad ≥3) hervorrufen. Eine weitere Toxizität ist die periphere Neuropathie, die v.a. dosislimitierend wirkt. Sie kommt bei circa der Hälfte aller behandelten Patient:innen vor.

Die auf EV-301 folgende Phase-III-Studie EV-302, die Enfortumab Vedotin in Kombination mit Pembrolizumab beim unbehandelten fortgeschrittenen Blasenkarzinom im Vergleich zu Chemotherapie untersuchte, brachte schließlich den Durchbruch für den Einsatz in der Erstlinie.2 Mit den auf dem ESMO-Kongress präsentierten Daten kann die Therapie als neuer Erstlinienstandard gesehen werden:

  • PFS: 12,5 vs. 6,3 Monate; HR: 0,45; 95% CI: 0,38–0,54; p<0,00001

  • OS: 31,5 vs. 16,1 Monate; HR: 0,47; 95% CI: 0,38–0,58; p<0,00001

  • ORR: 67,7% vs. 44,4%; p<0,00001

Aber auch weitere ADC-Produkte werden mit Spannung erwartet, zum Beispiel Sacituzumab Govitecan mit der Zielstruktur Trop-2 und Disitamab Vedotin mit der Zielstruktur HER2.

Mit SG, im Therapiealgorithmus der EAU Guidelines bereits verankert, hatte zum Beispiel die Kohorte 1 der Phase-II-Studie TROPHY-U-01 eine Ansprechrate von 27% mit einer Verlängerung des medianen Überlebens auf 10,9 Monate gezeigt.3 Auch diese Substanz wird bei platinunfitten Patient:innen in früheren Linien nach CPI-Versagen untersucht.

Vielversprechende Ergebnisse mit RC-48 (Disitamab Vedotin, ein ADC, das über HER2 in die Karzinomzelle geschleust wird) wurden präsentiert. Sowohl als Monotherapie als auch in Kombination mit einem PD-1-Inhibitor, Toripalimab, zeigte sich bei Patient:innen mit ICH3+ und ICH2+ eine Wirksamkeit. Doch auch hier müssen noch größere Studien abgewartet werden, bevor auch diese Substanz routinemäßig eingesetzt werden kann – oder vielleicht gar ebenfalls zum neuen Standard wird.

1 Powles T et al.: Enfortumab vedotin in previously treated advanced urothelial carcinoma. N Engl J Med 2021; 384: 1125-35 2 Powles TB et al.: EV-302/KEYNOTE-A39: open-label, randomized phase 3 study of enfortumab vedotin in combination with pembrolizumab (EV+P) vs chemotherapy (chemo) in previously untreated locally advanced metastatic urothelial carcinoma (la/mUC). ESMO 2023; Abstr. #LBA6 3 Tagawa ST et al.: TROPHY-U-01: a phase II open-label study of sacituzumab govitecan in patients with metastatic urothelial carcinoma progressing after platinum-based chemotherapy and checkpoint inhibitors. J Clin Oncol 2021; 22: 2474-85

Back to top