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Rolle der Radiotherapie beim endometroiden Adenokarzinom des Corpus uteri
Leading Opinions
Autor:
Dr. med. Kristina Lössl
Universitätsklinik für Radio-Onkologie<br> Inselspital Bern<br> Brust- und Gynäkologisches Krebszentrum<br> E-Mail: kristina.loessl@insel.ch
30
Min. Lesezeit
12.04.2018
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<p class="article-intro">Obwohl das Korpuskarzinom der häufigste gynäkologische Tumor von Menschen in industrialisierten Ländern ist und die Prävalenz weiterhin eher steigt, scheint das wissenschaftliche Interesse an dieser Erkrankung bei Strahlentherapeuten relativ gering zu sein. An internationalen radioonkologischen Kongressen sind dem Korpuskarzinom gewidmete Sessions eine Seltenheit. Phase-III-Studien mit Hauptfokus auf Radiotherapie (RT) hat es in den letzten zehn Jahren kaum gegeben. Und selbst die grossen Multicenterstudien in den USA (GOG- und ASTEC-Studien) und in Europa (PORTECStudien) konnten keine wesentlichen Veränderungen herbeiführen.<sup>1</sup></p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Vielleicht lässt sich die fehlende wissenschaftliche Aktivität hinsichtlich des Korpuskarzinoms dadurch erklären, dass ein Grossteil der Patientinnen dank der frühen Symptome dieser Tumorerkrankung im Stadium I diagnostiziert wird und dass im FIGO-Stadium IA auch ohne adjuvante Therapien zu >90 % alleine durch Operation eine Heilung erzielt werden kann. Oder ist es, weil man der Meinung war, alle Risikofaktoren (Tab. 1) im Zusammenhang mit dieser Erkrankung zu kennen und damit genügend Informationen zur Therapieentscheidung an der Hand zu haben?<br /> Fakt ist, dass wir Radioonkologen einen Platz im Behandlungskonzept des Korpuskarzinoms zu haben wünschen und diesen auch haben, wir uns aber den allgemeinen Veränderungen im Bereich der Chirurgie und der Systemtherapie anpassen müssen. Darüber hinaus sollten wir unsere eigenen Fortschritte in der Therapie nutzen, diese bestmöglich durch Daten belegen, um selbst zu Veränderungen in der adjuvanten Therapie beizutragen. Im Folgenden sollen diese Veränderungen kurz geschildert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Onko_1802_Weblinks_s24_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="864" /></p> <h2>Background: Standardbehandlung im vergangenen Jahrhundert</h2> <p>Bereits in den 80er-Jahren bestand die primäre Standardbehandlung des Korpuskarzinoms nach histologischer Sicherung aus einer TAH-BSO («total abdominal hysterectomy with bilateral salpingo oophorectomy»), sowohl zu diagnostischen wie auch zu therapeutischen Zwecken. Anschliessend wurde anhand des pathologischen Befundes bei Risikofaktoren die Indikation zur postoperativen pelvinen RT (gegebenenfalls in Kombination mit einer endovaginalen Brachytherapie [BT]) oder nur zur alleinigen BT des Vaginalstumpfes gestellt. Ein Lymphknotenstaging in Form einer Bildgebung oder einer Operation war nicht vorgesehen, womit die Entdeckung eines FIGOStadiums IIIC (Tab. 2) nur selten erfolgen konnte.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Onko_1802_Weblinks_s24_tab2.jpg" alt="" width="1419" height="1160" /></p> <h2>Phase-III-Studien mit Fokus auf Radiotherapie</h2> <p>Die älteste erwähnenswerte Studie – es ist die von Aalders at al.<sup>2</sup> – randomisierte 540 Patientinnen nach o.g. Operation im FIGO-Stadium I in alleinige endovaginale BT vs. pelvine RT plus BT. Während der Arm mit alleiniger BT signifikant mehr lokoregionäre Rezidive zeigte, war das Gesamtüberleben in beiden Armen gleich.<br /> Im neuen Jahrhundert wurde zunächst die europäische PORTEC-1-Studie publiziert.<sup>3</sup> 714 Patientinnen (FIGO-Stadium IB, G2–3 und IC, G1–2) erhielten nach der Chirurgie entweder eine pelvine RT oder keine adjuvante Behandlung. Auch hier zeigte sich die lokoregionäre Kontrolle signifikant besser mit der adjuvanten Therapie als ohne diese. Aber das Gesamtüberleben (OS) war in beiden Armen nahezu gleich.<br /> Wenige Jahre später erschienen die Daten der amerikanischen GOG-99-Studie<sup>4</sup> mit 392 eingeschlossenen Patientinnen (FIGO-Stadium IB, IC, II [«occult»]), bei denen zur TAH-BSO eine (nicht systematische) Lymphadenektomie erfolgte. Randomisiert wurden die Patientinnen in die gleichen Therapiearme wie bei der PORTEC- Studie. Und auch das Ergebnis der Studie war das gleiche.</p> <h2>Modifikationen?</h2> <p>Wie haben die oben erwähnten Ergebnisse nun die weiteren Studien bzw. das klinische Verhalten der Radiotherapeuten weltweit beeinflusst? Auch wenn das Gesamtüberleben nicht verändert wurde, so konnte durch die externe, pelvine RT die lokoregionäre Kontrolle in allen drei Studien verbessert werden. Nach weiteren Analysen dieser Ergebnisse fand man in den unterschiedlichen Risikogruppen («intermediate risk», «high-intermediate risk», «high risk»), wie zu erwarten, auch einen unterschiedlichen Benefit der adjuvanten pelvinen RT.<sup>5, 6</sup> Aufgrund der in beiden Studien (PORTEC-1, GOG-99) deutlichen gastrointestinalen Toxizitäten reduzierte sich der Einsatz der perkutanen RT weltweit, auch im Bereich der «High-intermediate »- und der High-Risk-Gruppe.<sup>1</sup> Stattdessen erhöhte sich der Anteil an alleinigen endovaginalen BT schon zu einem Zeitpunkt, zu dem die Ergebnisse der PORTEC-2-Studie noch nicht veröffentlicht waren.<br /> In der PORTEC-2-Studie<sup>7</sup> wurde zwischen pelviner RT und endovaginaler BT unterschieden. Eingeschlossen waren Patientinnen über 60 Jahre mit einem FIGOStadium IB, G3 oder IC, G1+2 oder IIA. Der primäre Endpunkt war das vaginale Rezidiv, welches in beiden Armen gleich selten auftrat. Ein signifikanter Unterschied zeigte sich im Auftreten der pelvinen Rezidive, die erwartungsgemäss im Arm mit alleiniger BT häufiger waren. Aber auch diese Resultate liessen die Akzeptanz für die pelvine Bestrahlung der «High-intermediate»- und der High-Risk- Patienten aufgrund der gastrointestinalen Nebenwirkungen nicht ansteigen.<br /> Vermehrte systemische Metastasen wurden vor allem in der G-3-Situation sowie bei den fortgeschrittenen Karzinomen FIGO III und IV beobachtet. Dies hatte den Einsatz der Chemotherapie zur Folge (PORTEC-3: High-Risk-Endometriumkarzinom, pelvine RT versus kombinierte Chemotherapie und RT). Am Kongress der ASCO 2017 wurden die Ergebnisse von PORTEC-3 vorgestellt, die keinen OS-Benefit durch zusätzlichen Einsatz der Chemotherapie gezeigt hatte.<sup>8</sup> Aber auch in anderen weltweiten Studien wurde in den höheren Stadien zwischen Chemotherapie mit/ohne RT randomisiert. Da diese FIGOIII/ IV-Patientinnen an sich schon eine heterogene Gruppe darstellen – was noch komplexer wird, wenn die Therapien unterschiedlich sind (Lymphadenektomie ja/ nein; z.B. Ganzabdomenbestrahlung statt pelviner RT) –, waren keine einheitlichen Ergebnisse zu erwarten. Insgesamt geht man von einem lokoregionären Benefit durch die pelvine RT bei der lymphatisch metastasierten Situation aus.</p> <h2>Veränderungen bei den Techniken</h2> <p>Modifikationen hat es in den letzten 15 Jahren vor allem bei den Techniken der einzelnen Disziplinen gegeben. Ohne auf die unterschiedlichen Studien zur pelvinen und/oder paraaortalen Lymphadenektomie einzugehen, lässt sich sagen, dass deren Durchführung mit nunmehr laparoskopischen Operationstechniken deutlich erleichtert und damit verbessert worden ist. Insbesondere in den USA hat sich der Einsatz der pelvinen RT zugunsten der Anzahl der pelvinen Lymphadenektomien verschoben.<br /> Durch den vermehrten Einsatz der Bildgebung und die besser dokumentierten Follow-ups zeigten sich häufiger systemische Metastasen, was den Einsatz der Chemotherapeutika bei dieser Tumorentität auch in der adjuvanten Therapie steigerte.<br /> Die vielleicht bedeutendsten Fortschritte gab es in den letzten 20 Jahren aber im Bereich der technischen Entwicklungen der Radiotherapie. Während die Ergebnisse der GOG-99-Studie auf einer 2–4 Felder zweidimensionalen Bestrahlung beruhen, wurden in einigen Zentren zu diesem Zeitpunkt bereits die ersten Erfahrungen mit dem Einsatz der bildgestützten dreidimensionalen intensitätsmodulierten Bestrahlungsplanung zur Schonung der Risikoorgane gesammelt (Abb. 1).<br /> Nur am Rande erwähnt seien – wenn sie auch ebenso wichtig sind – die Veränderungen der FIGO-Klassifikation von 2009 (Tab. 2), bei welcher vor allem die Stadien IA und IB zu einem Stadium (IA: Befall der inneren Myometriumhälfte) zusammengefasst wurden und welche die Aufteilung des Stadiums IIIC1 (pelvine Lymphknotenmetastasen) und IIIC2 (paraaortale Lymphknotenmetastasen) vorsieht, was sowohl eine pelvine als auch eine paraaortale Lymphadenektomie voraussetzt.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Leading Opinions_Onko_1802_Weblinks_s24_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="786" /></p> <h2>Wiederentdecktes Interesse: neue Guidelines</h2> <p>Aufgrund des unverhältnismässigen Ansteigens der Häufigkeit des Einsatzes der vaginalen BT führte die amerikanische BT-Gesellschaft (ABS) eine Umfrage bezüglich des Durchführungsschemas der einzelnen Abteilungen durch.9 Es zeigten sich sehr viele unterschiedliche Konzepte, sodass 2012 Konsensusempfehlungen zur endovaginalen BT herausgegeben wurden.<sup>10</sup><br /> Alle diese Veränderungen veranlassten die amerikanische Gesellschaft für Strahlentherapie (ASTRO) 2014, neue Guidelines im Umgang mit dem Korpuskarzinom zu erstellen.<sup>11</sup> Ebenfalls Ende 2014 setzten sich dann Vertreter der ESMO, ESGO und ESTRO zusammen, um eigene europäische Leitlinien zu verfassen.<sup>12</sup> Während die Amerikaner nur auf strahlentherapeutische Fragestellungen eingehen, erhält die europäische Abhandlung Antworten auf Fragen aller mit der Erkrankung beschäftigten Disziplinen, was sich in insgesamt 25 Seiten widerspiegelt.</p> <h2>Bedeutung für die Radiotherapie?</h2> <ul> <li>Infolge der Zusammenlegung der ehemaligen Stadien IA und IB aufgrund der relativ gleichen Verlaufsaussichten auch ohne adjuvante Therapie, sollte hier auch die vielerorts breit eingesetzte endovaginale BT nicht mehr erfolgen.</li> <li>Die perkutane pelvine RT erfolgt nur bei Vorliegen von (teils neu) definierten Risikofaktoren bei nicht durchgeführter Lymphadenektomie und bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen.</li> <li>Hierbei jedoch auch, wenn paraaortale Lymphknotenmetastasen detektiert werden.</li> </ul> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die durchgeführten Phase-III-Studien konnten mit ihren Ergebnissen vor allem wegen der Nebenwirkungen der pelvinen RT keine wesentlichen Veränderungen herbeirufen. Wichtig ist, dass die perkutane RT sowie die BT in Anlehnung an die (neuen) Guidelines erfolgen – oder noch besser: dass diese in Studien gut dokumentiert und mit optimalen Möglichkeiten (intensitätsmodulierte RT zur Schonung der Risiskoorgane) durchgeführt werden.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Ko EM et al.: Did GOG99 and PORTEC1 change clinical practice in the United States? Gynecol Oncol 2013; 129: 12-7 <strong>2</strong> Aalders J et al.: Postoperative external irradiation and prognostic parameters in stage I endometrial carcinoma: Clinical and histopathologic study of 540 patients. Obstet Gynecol 1980; 56: 419-27 <strong>3</strong> Creutzberg CL et al.: Surgery and postoperative radiotherapy versus surgery alone for patients with stage-1 endometrial carcinoma: multicentre randomised trial. PORTEC Study Group. Post Operative Radiation Therapy in Endometrial Carcinoma. Lancet 2000; 355: 1404-11 <strong>4</strong> Keys HM et al.: A phase III trial of surgery with or without adjunctive external pelvic radiation therapy in intermediate risk endometrial adenocarcinoma: a Gynecologic Oncology Group study. Gynecol Oncol 2004; 92: 744-51 <strong>5</strong> Creutzberg CL et al.: Outcome of high-risk stage IC, grade 3, compared with stage I endometrial carcinoma patients: the Postoperative Radiation Therapy in Endometrial Carcinoma Trial. JCO 2004; 22(7): 1234-41 <strong>6</strong> Scholten AN et al.: Postoperative radiotherapy for stage I endometrial carcinoma: long-term outcome of the randomised PORTEC trial with central pathology review. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2005; 63(3): 834-8 <strong>7</strong> Nout RA et al.: Vaginal brachytherapy versus pelvic external beam radiotherapy for patients with endometrial cancer of high-intermediate risk (PORTEC-2): an open-label, non-inferiority, randomised trial. Lancet 2010; 375: 816-23 <strong>8</strong> De Boer SM et al.: Final results of the international randomized PORTEC-3 trial of adjuvant chemotherapy and radiation therapy (RT) versus RT alone for women with high-risk endometrial cancer. J Clin Oncol 2017; 35: Abstr. 5502 <strong>9</strong> Small W et al.: American Brachytherapy Society survey regarding practice patterns of postoperative irradiation for endometrial cancer: current status of vaginal brachytherapy. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2005; 63(5): 1502-7 <strong>10</strong> Small W et al.: American Brachytherapy Society consensus guidelines for adjuvant vaginal cuff brachytherapy after hysterectomy. Brachytherapy 2012; 11: 58-67 <strong>11</strong> Klopp A et al.: The role of postoperative radiation therapy for endometrial cancer: executive summary of an American Society for Radiation Oncology evidencebased guideline. Pract Radiat Oncol 2014; 4: 137-44 <strong>12</strong> Colombo N et al.: ESMO-ESGO-ESTRO Consensus Conference on Endometrial Cancer: diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2016; 27: 16-41</p>
</div>
</p>