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Risikofaktoren in der Pankreaschirurgie
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Martin Schindl
Koordinator der Pancreatic Cancer Unit (PCU)<br> des Comprehensive Cancer Centers (CCC)<br> Universitätsklinik für Chirurgie<br> Medizinische Universität Wien – AKH<br> E-Mail: martin.schindl@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
02.04.2020
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<p class="article-intro">Operationen an der Bauchspeicheldrüse stellen hohe Anforderungen an die betroffenen Patienten und behandelnden Ärzte gleichermaßen, denn diese Eingriffe sind nach wie vor mit einem nennenswerten Risiko für Komplikationen behaftet. Dieses ergibt sich u. a. aus der individuellen Kondition des Patienten, der Erfahrung des chirurgischen Teams sowie krankenhausspezifischen Faktoren.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Zu den Komplikationen bei Operationen an der Bauchspeicheldrüse zählen Chirurgie-bedingte Komplikationen, insbesondere Pankreasfisteln, Blutungen, Anastomoseninsuffizienz am Pankreas, am Gallengang oder an der Magenanastomose, Infektionen, Magenentleerungsstörung und Infektionen, weiters allgemeine medizinische Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems (Myokardinfarkt, Herzrhythmusstörung etc.), thromboembolische Ereignisse, allen voran die Pulmonalembolie, und metabolische Entgleisungen, wie etwa Hyperglykämie. All diese Komplikationen bestimmen die perioperative Morbidität und Sterblichkeit nach einer Operation. Nicht zuletzt sind auch eine nichtradikale Resektion und ein frühes Rezidiv bzw. Fortschreiten der Erkrankung in den ersten Monaten nach der Operation ein unerwünschtes Ergebnis der chirurgischen Behandlung, dessen Risiko gemessen und wenn möglich reduziert werden sollte.</p> <h2>Patientenspezifische Risikofaktoren</h2> <p>Was sind nun die Faktoren, die das Eintreten von Komplikationen bzw. unerwünschten Ergebnissen bestimmen? Risikofaktoren in der Pankreaschirurgie können von dem Patienten, dem Eingriff bzw. dem chirurgischen Team sowie vom Krankenhaus bzw. dem multiprofessionellen, interdisziplinären Team ausgehen. Risikofaktoren für Komplikationen seitens des Patienten sind Alter, zusätzliche Erkrankungen (Herz, Kreislauf, Nieren), allgemeine Schwäche bzw. Gebrechlichkeit, Mangelernährung, Fettsucht (insbesondere Fettsucht bei gleichzeitigem Muskelschwund) und bestimmte Diagnosen der Bauchspeicheldrüsenerkrankung, die mit einem weichen Gewebe und zartem Gang einhergehen (Tab. 1).<br /> Obwohl das hohe Lebensalter (über 80 Jahre) an sich nicht als Kontraindikation für eine Pankreasoperation angesehen wird, stellt es insgesamt einen Risikofaktor dar. Das ist insofern erklärbar, als mit fortgeschrittenem Alter auch die Häufigkeit zusätzlicher Erkrankungen sowie von allgemeiner Gebrechlichkeit und Mangelernährung zunimmt und dies insgesamt eine ungünstige Ausgangssituation für eine große Operation und multimodale Behandlung beim Pankreaskarzinom ergibt. Andererseits gibt es zahlreiche Erfahrungen in Bezug auf fitte Patienten über 80, die ohne jegliches Problem den Eingriff und die nachfolgende Behandlung gemeistert haben. Eine individuelle und realistische Einschätzung ist im Einzelfall wesentlich zur Beurteilung des Risikos.<br /> Mangelernährung und eine ungünstige Körperzusammensetzung, d. h. Fettsucht (Adipositas) zusammen mit einem Verlust an Muskelmasse (Sarkopenie), haben einen wesentlichen Einfluss auf das Auftreten von Komplikationen im perioperativen Verlauf und auch auf die Prognose bei Karzinompatienten. Deshalb gibt es aktuell verschiedenste Bestrebungen, sowohl die Mangelernährung im Verlauf der Behandlung und Vorbereitung auf die Operation zu behandeln als auch ungünstiger Körperzusammensetzung durch gezieltes Training entgegenzuwirken (Prähabilitation).<br /> Folgende Diagnosen sind mit einem erhöhten Risiko für das Auftreten postoperativer Komplikationen nach Pankreasresektion verbunden: Tumoren der Papille und der Ampulla Vateri, des Duodenums, neuroendokrine Tumoren und Zysten. Bei all diesen Tumoren kommt es selten zu einem Aufstau des Sekretabflusses aus dem Bauchspeicheldrüsengang und auch seltener zum Gallestau im Vergleich zum Pankreaskarzinom. Damit findet sich ein weiches Pankreasgewebe mit zartem Pankreasgang und mitunter auch ein zarter Gallengang für die Anastomosen, welche damit schwieriger anzulegen und mit einem erhöhten Risiko der Undichtheit verbunden sind. Obwohl man diesen Umstand als solchen nicht ändern kann, so ist es wichtig, dies in der OP-Planung zu berücksichtigen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Onko_2002_Weblinks_jat_onko_2002_s26_tab1_schindl.jpg" alt="" width="275" height="559" /></p> <h2>Die gefürchtete Pankreasfistel</h2> <p>Das Auftreten einer klinisch relevanten Pankreasfistel ist eine gefürchtete Komplikation nach Bauchspeicheldrüsenkopf- Resektion, weil dadurch der postoperative Heilungsverlauf verzögert und der Krankenhausaufenthalt verlängert wird. Darüber hinaus kann die Fistel Ursprung für weitere Komplikationen, wie Blutung und Sepsis, sein. Ein typischer Risikofaktor für das Auftreten einer Pankreasfistel ist neben einem weichen Pankreasgewebe, dem zarten Pankreasgang und bestimmten Diagnosen auch ein hoher intraoperativer Blutverlust als Ausdruck eines komplizierten Operationsverlaufs.<br /> Diese Faktoren sind im „Fistula Risk Score“ (FRS) (Tab. 2) zusammengefasst. Je nach Ausprägung werden Risikopunkte vergeben, welche in Summe das Risiko für das Auftreten einer Pankreasfistel ausdrücken (Berechnung online unter https:// www.pancreasclub.com/calculators/fistula-risk-score-calculator/). Einen Surrogatparameter für weiches Pankreasgewebe stellt der Body-Mass-Index (BMI) dar. Je höher dieser ist, desto wahrscheinlicher ist das Pankreasgewebe fettreich und entsprechend weich.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Onko_2002_Weblinks_jat_onko_2002_s26_tab2_schindl.jpg" alt="" width="275" height="232" /></p> <h2>Das chirurgische Team und der Eingriff selbst</h2> <p>Weitere Risikofaktoren in der Pankreaschirurgie sind eingriffspezifisch bzw. können vom chirurgischen Team ausgehen (Tab. 1). Demnach geht eine geringe persönliche Erfahrung in der Pankreaschirurgie mit verlängerter Operationszeit, stärkerem intraoperativem Blutverlust, Pankreasfisteln und einem Anstieg der Zahl an perioperativen Komplikationen einher. Eine geringe Fallzahl pankreaschirurgischer Eingriffe an einer Abteilung ist mit einer erhöhten perioperativen Sterblichkeit assoziiert. Allgemein gültige Richtwerte, ab denen Pankreaschirurgie „sicher“ durchgeführt werden kann, gibt es nicht, jedoch zeigt eine Studie deutlich, dass wahrscheinlich nach 50 Operationen insgesamt die individuelle Lernkurve für den einzelnen Chirurgen abflacht und zwischen 10 und 20 Eingriffen pro Jahr in einem Zentrum die Sterblichkeit abnimmt. Auch die individuelle Fallzahl pro Jahr ist relevant für die Risikoverminderung, sie liegt bei 5 Operationen.<br /> Aktuell wird die individuelle technische Geschicklichkeit bei standardisierten Operationsschritten gemessen und in Bezug auf den Zusammenhang mit dem Auftreten von Komplikationen wie Pankreasfistel ausgewertet.</p> <h2>Krankenhausspezifische Risikofaktoren</h2> <p>Wesentlich für ein gutes Gesamtergebnis nach der Operation ist ein unkomplizierter intraoperativer Verlauf, ohne Blutverlust und mit zügigem Operationsfortschritt. Andererseits ist ein hoher intraoperativer Blutverlust, sei es aufgrund der Komplexität des Eingriffs oder wegen mangelnder Erfahrung des OP-Teams oder aufgrund der Kombination beider Faktoren, mit dem Auftreten von Komplikationen verbunden (Tab. 1). In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Komplexität eines Eingriffs nach Möglichkeit präoperativ realistisch einzuschätzen und mit der Erfahrung des Operationsteams abzugleichen sowie gegebenenfalls bestimmte Operationen an ein Zentrum mit mehr Erfahrung in einer bestimmten Operation zu überweisen.<br /> Sobald eine oder mehrere Komplikationen auftreten, ist es entscheidend, diese rasch zu erkennen und adäquat zu behandeln. Mehrere Studien haben gezeigt, dass das Auftreten von Komplikationen in „High volume“ Zentren ähnlich hoch ist wie in „Low volume“ Zentren. Der entscheidende Unterschied liegt aber darin, dass in spezialisierten Zentren mit hoher Patientenzahl die Komplikationen von einem multiprofessionellen Team rasch korrekt erkannt und interdisziplinär behandelt werden („escalation of care“), sodass die Patienten aus der Komplikation gerettet werden und nicht daran sterben („failure to rescue“). Die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen innerhalb einer Abteilung sowie verschiedener Fächer innerhalb eines Krankenhauses ist stark von der jährlichen Patientenzahl und der daraus entstehenden Erfahrung abhängig. In Krankenhäusern mit einer niedrigen Fallzahl fehlt häufig diese Erfahrung, um in schwierigen Situationen rasch und adäquat zu behandeln.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Es ist möglich, zahlreiche Risikofaktoren in der Pankreaschirurgie (Tab. 3), sei es seitens des Patienten, der Operation und des chirurgischen Teams sowie in Bezug auf die Bedingungen im Krankenhaus, zu identifizieren und für eine gegebene Situation individuell zu berechnen, wie am Beispiel der Pankreasfistel, oder abzuschätzen, wie anhand der Komplexität des Eingriffs und der Erfahrung des Zentrums. Dabei ist der bewusste Umgang mit Risikofaktoren entscheidend für die Vorbeugung oder erfolgreiche Behandlung von Komplikationen. Darüber hinaus gibt eine realistische Einschätzung des perioperativen Risikos im Einzelfall die Möglichkeit einer balancierten Abwägung von Nutzen und Risiko eines Eingriffs (wichtig bei kleinen Zysten und neuroendokrinen Tumoren) und entsprechender Aufklärung des Patienten.</p> </div> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Onko_2002_Weblinks_jat_onko_2002_s26_tab3_schindl.jpg" alt="" width="275" height="172" /></p></p>
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