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Radiochemotherapie des Zervixkarzinoms
Jatros
Autor:
Dr. Johannes Knoth
Universitätsklinik für Strahlentherapie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: johannes.knoth@meduniwien.ac.at
Autor:
OA Dr. Alina Sturdza
Universitätsklinik für Strahlentherapie<br> Medizinische Universität Wien<br> E-Mail: alina.sturdza@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
11.07.2019
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<p class="article-intro">Die Behandlung des Zervixkarzinoms wurde in einer durch die europäischen Gesellschaften für gynäkologische Onkologie, Strahlentherapie und Pathologie gemeinsam erarbeiteten Leitlinie vereinheitlicht und besteht bereits für auf die Cervix uteri begrenzte Stadien aus einer primären Radiochemotherapie, sofern es sich um große Tumoren handelt. Durch die Anwendung moderner strahlentherapeutischer Techniken lassen sich dabei unter optimaler Schonung der umliegenden Risikoorgane Dosen applizieren, die zu exzellenter lokaler Kontrolle und sehr guten Gesamtüberlebensraten führen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Trotz Sekundärprävention (Screening mittels Zytologie) bleibt das Zervixkarzinom mit einer Inzidenz von dzt. 8,5/100 000 Frauen in Österreich eine schwerwiegende und optimalerweise interdisziplinär zu behandelnde Erkrankung. Jeder suspekte makroskopische Befund an der Portio sollte mittels Kolposkopie und kolposkopisch gezielter Biopsie weiterführend abgeklärt werden.<sup>1 </sup></p> <h2>Oft asymptomatisch in Frühstadien</h2> <p>Obwohl sich das Zervixkarzinom in Frühstadien oft asymptomatisch präsentiert, gibt es manchmal klinische Hinweise wie postkoitale Kontaktblutungen, Blutungsanomalien wie beispielsweise Metrorrhagien oder Blutungen in der Postmenopause und/oder bräunlich oder blutig tingierten, häufig übelriechenden Fluor. In fortgeschrittenen Stadien kommt es weiters zu Dys-/Pollakisurie durch Harnwegsinfekte, Ureterkompression bzw. -infiltration mit teils rezidivierender Pyelonephritis bei Hydronephrose, Harnblaseninfiltration, Schmerzen im Beckenbereich, Lumbalgien durch Infiltration des Plexus sacralis, Obstipation durch Rektumkompression bzw. -infiltration und/oder Schwellung der unteren Extremität(en) durch Lymphödem oder Thrombose.</p> <h2>Weiterführende Bildgebung mittels CT und MRT</h2> <p>Die initiale Abklärung erfolgt durch klinische Untersuchung inklusive Kolposkopie und bei Verdacht auf Malignom auch Biopsie der Cervix uteri. Die weiterführende Bildgebung besteht einerseits aus einer Computertomografie (CT) des Thorax/ Abdomens zur Beurteilung der Lymphknoten zwecks Ausschlusses von Fernmetastasen und einer Hydronephrose. Andererseits können mittels Magnetresonanztomografie (MRT) des kleinen Beckens Tumorgröße, Infiltration der Parametrien und Tumorausdehnung in Nachbarorgane wie Blase und/oder Rektum beurteilt werden. Bei zeitnaher Verfügbarkeit bietet sich aufgrund der höheren Sensitivität für Lymphknotenmetastasen die Durchführung einer Positronenemissionstomografie(PET)-CT statt des CT des Thorax/Abdomens an.</p> <h2>Staging nach der FIGO-Klassifikation</h2> <p>Die Stadieneinteilung erfolgt zumeist nach der Klassifikation der Fédération Internationale de Gynécologie et d‘Obstétrique (FIGO), wobei seit dem FIGO Cancer Report 2018 auch bildgebende und pathologische Befunde in das Staging einfließen. Weiters wurde das Stadium FIGO IB neuerdings in drei Untergruppen aufgeteilt und ein zusätzliches Stadium FIGO IIIC zur Beschreibung von Lymphknotenmetastasen eingeführt.<sup>2</sup> Zunehmend wird jedoch entsprechend der Empfehlung der 2018 publizierten Guidelines der European Society of Gynaecological Oncology (ESGO)/European Society for Radiotherapy & Oncology (ESTRO)/European Society of Pathology (ESP) auch das TNM-System angewandt.<sup>3</sup></p> <h2>Radiochemotherapie inkl. Brachytherapie</h2> <p>Die Behandlung des Zervixkarzinoms wurde in Europa im Rahmen der ESGOESTRO- ESP-Guidelines homogenisiert. Ab dem Stadium T1b2/T2a2 N0 bzw. bei positiven Lymphknoten wird darin die definitive Radiochemotherapie inklusive Brachytherapie empfohlen, um eine mit einer höheren Morbidität verbundene Kombination aus Resektion und Bestrahlung zu vermeiden.<sup>3 <br /></sup>Die Radiotherapie besteht zunächst aus einer Teletherapie des Primärtumors inklusive des gesamten Uterus sowie der Beckenlymphabflusswege über fünf Wochen bis zu einer Gesamtdosis von 45–50,4 Gray (Gy) bei einer Einzeldosis von 1,8 Gy täglich. Idealerweise wird sie nach CT- und MRT-gestützter Planung mittels intensitätsmodulierter Radiotherapie (IMRT) bzw. „volumetric modulated arc therapy“ (VMAT) durchgeführt, um eine optimale Schonung der umgebenden Risikoorgane zu gewährleisten. Ein weiterer Ansatz zur Schonung des umliegenden Gewebes ist eine, je nach Blasenfüllung und Lage des Uterus, täglich adaptierte Anordnung des Zielgebiets, um ein „geographical miss“ zu vermeiden. Positive Lymphknoten können mit einer höheren Einzeldosis pro Tag bis zu einer Äquivalenzdosis von 60 Gy ausgelastet werden (Abb. 1). <br />Konkomitant wird einmal wöchentlich Cisplatin in einer Dosierung von 40 mg/m<sup>2</sup> Körperoberfläche über fünf Zyklen verabreicht.<sup>4</sup> Bei eingeschränkter Nierenfunktion stehen alternativ Carboplatin bzw. Mitomycin/5-Fluorouracil zur Verfügung.<sup>5,6</sup> <br />Gegen Ende der Teletherapie wird ohne zeitliche Latenz eine Brachytherapie im Bereich des Resttumors angeschlossen. Um ein eventuelles Tumorshrinking vor Brachytherapie zu ermöglichen, sollten zumindest 38 Gy mittels Teletherapie appliziert worden sein. Die Brachytherapie sollte bevorzugt als „image-guided adaptive brachytherapy“ (IGABT), welche als Goldstandard gilt, durchgeführt werden. Im Regelfall werden dabei nach MRT-gestützter Planung im „High dose rate“- (HDR)-Verfahren nochmals 40–50 Gy Äquivalenzdosis in zwei Sitzungen über vier Fraktionen appliziert, sodass am Tumor in Summe aus Tele- und Brachytherapie 85–95 Gy verabreicht werden. Sofern es die Resttumorgröße erfordert, sollte ein interstitielles Verfahren mit einer Kombination aus Stift-/Ringapplikator und Nadeln gewählt werden (Abb. 2). Die Gesamtbehandlungsdauer aus Tele- und Brachytherapie sollte 45–50 Kalendertage nicht überschreiten, da jeder zusätzliche Tag das Gesamtüberleben nach fünf Jahren um jeweils ein Prozent reduziert.<sup>7</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s12_abb1.jpg" alt="" width="2188" height="1008" /></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s12_abb2.jpg" alt="" width="500" height="354" /></p> <p> </p> <h2>Vielversprechende Ergebnisse</h2> <p>Über alle Stadien hinweg kann mithilfe der beschriebenen Therapie eine lokale Kontrolle von 90 % nach fünf Jahren erreicht werden. Im Stadium T1b wird eine lokale Kontrolle von 98 % nach fünf Jahren erreicht. Auch bei fortgeschrittenen Tumoren in den Stadien T3b/T4 kann durch die Etablierung der MRT-gestützten Brachytherapie zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine lokale Kontrollrate von 76 % nach fünf Jahren erzielt werden.<sup>8</sup> Das vom Tumorstadium unabhängige Gesamtüberleben nach 10 Jahren beträgt 67 % und ist damit um 25 % höher als nach einer Behandlung mittels alleiniger Teletherapie.<sup>8,9</sup></p> <h2>Nebenwirkungen</h2> <p>11 % der Patientinnen erleiden kumuliert über die ersten fünf Jahre nach Behandlung eine Grad-≥3-Morbidität nach „common terminology criteria for adverse events“ (CTCAE) im Bereich des Gastrointestinal- und/oder Urogenitaltraktes, wobei Symptome wie Diarrhö, Bauchkrämpfe, Dysurie, Schmerz oder Übelkeit transienter Natur sind.<sup>10</sup> Andere Symptome wie Abgeschlagenheit, erhöhte Harnfrequenz, Lymphödem oder Schlafstörungen können hingegen bei 10–15 % der Patientinnen nach subjektiver Einschätzung anhand des European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) Quality of Life Questionnaire-Core 30 (QLC30) persistieren.<sup>11</sup> Schwere Nebenwirkungen wie Fistelbildungen oder Nekrosen stellen eine Rarität dar.</p> <h2>Nach fünf Jahren genügt jährliche Kontrolle</h2> <p>Die Nachsorge sieht Kontrollen alle drei Monate mittels gynäkologischer Untersuchung ± MRT des Beckens sowie Bestimmung des Tumormarkers („squamous cell carcinoma“[SCC]-Antigen) für die ersten zwei Jahre vor, da die meisten Rezidive in diesem Zeitraum auftreten. Anschließend können die Intervalle bei Tumorfreiheit auf sechs Monate ausgeweitet werden. Nach fünf Jahren ist eine jährliche Kontrolle ausreichend. Zumindest einmal im Jahr sollte auch eine CT-Untersuchung von Thorax und Abdomen durchgeführt werden. Ob eine Ausweitung der Intervalle, basierend auf PET-CT- und MRT-Parametern, möglich ist (Stichwort: „Radiomics“), müssen weitere Studien zeigen.<sup>12,13</sup></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Statistik Austria: Österreichisches Krebsregister und Todesursachenstatistik. 19.12.2018 <strong>2</strong> Bhatla N et al.: FIGO cancer report 2018. Int J Gynaecol Obstet 2018; 143 Suppl 2: 2-3 <strong>3</strong> Cibula D et al.: The European Society of Gynaecological Oncology/European Society for Radiotherapy and Oncology/European Society of Pathology Guidelines for the management of patients with cervical cancer. Int J Gynecol Cancer 2018; 28(4): 641-55 <strong>4</strong> Rose PG et al.: Concurrent cisplatin-based radiotherapy and chemotherapy for locally advanced cervical cancer. N Engl J Med 1999 15; 340(15): 1144-53 <strong>5</strong> Xue R et al.: The efficacy of concurrent weekly carboplatin with radiotherapy in the treatment of cervical cancer: A meta-analysis. Gynecol Oncol 2018; 150(3): 412-19 <strong>6</strong> Lorvidhaya V et al.: Concurrent mitomycin C, 5-fluorouracil, and radiotherapy in the treatment of locally advanced carcinoma of the cervix: a randomized trial. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2003; 55(5): 1226-32 <strong>7</strong> Fyles A et al.: Prognostic factors in patients with cervix cancer treated by radiation therapy: results of a multiple regression analysis. Radiother Oncol 1995; 35(2): 107-17 <strong>8</strong> Sturdza A et al.: Image guided brachytherapy in locally advanced cervical cancer: Improved pelvic control and survival in RetroEMBRACE, a multicenter cohort study. Radiother Oncol 2016; 120(3): 428-33 <strong>9</strong> Han K et al.: Trends in the utilization of brachytherapy in cervical cancer in the United States. Int J Radiat Oncol Biol Phys 2013; 87(1): 111-9 <strong>10</strong> Fokal L et al.: Image guided adaptive brachytherapy with combined intracavitary and interstitial technique improves the therapeutic ratio in locally advanced cervical cancer: Analysis from the retroEMBRACE study. Radiother Oncol 2016; 120(3): 434-40 <strong>11</strong> Vittrup A et al.: Persistence of late substantial patient reported symptoms (LAPERS): A report from the EMBRACE study. ESTRO 2019, Poster <strong>12</strong> Siva S et al.: ¹⁸F-FDG PET/CT following chemoradiation of uterine cervix cancer provides powerful prognostic stratification independent of HPV status: a prospective cohort of 105 women with mature survival data. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2015; 42(12): 1825-32 <strong>13</strong> Lucia F et al.: Prediction of outcome using pretreatment 18F-FDG PET/CT and MRI radiomics in locally advanced cervical cancer treated with chemoradiotherapy. Eur J Nucl Med Mol Imaging 2018; 45(5): 768-86</p>
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