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Patientenfälle und laufende AGO-Studien
Jatros
30
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11.07.2019
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<p class="article-intro">Anders als bei den bisherigen WAAGO-Sitzungen wurden in diesem Jahr nicht prioritär die laufenden Studien der AGO, sondern praxisnahe Patientenfälle vorgestellt. Die Session war interaktiv gestaltet: Bei den Therapieentscheidungen konnte das Publikum mitvoten. Rund um den jeweiligen Fall wurden dann auch Studien präsentiert, in die gegenwärtig die diskutierten Patientinnen eingebracht werden könnten.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Primärtherapie Endometriumkarzinom</h2> <p>Eine 77-jährige Patientin wurde im Oktober 2018 an der Universitätsklinik für Frauenheilkunde der Medizinischen Universität (MU) Innsbruck vorstellig. Sie berichtete über seit fünf Monaten bestehende Schmierblutungen, die zuletzt in etwa regelstark waren. Bei der transvaginalen Ultraschalluntersuchung zeigte sich ein aufgetriebener Uterus mit Flüssigkeitsretention (Hämatometra) und im Zervixbereich eine bis zum Isthmus uteri reichende unregelmäßig begrenzte, solide Tumorformation. Histologisch wurde ein gering differenziertes, teils tubulär/teils papillär gebautes Adenokarzinom (CA) mit ausgeprägten Atypien (G3) diagnostiziert. Im PET-CT wurde eine ausgeprägte retroperitoneale Lymphadenopathie festgestellt. Der hohe Ki67-Status von 80 % wies darauf hin, dass es sich um einen hoch aggressiven Tumor handelte. Initial war unklar, ob es sich um ein Karzinom der Zervix oder ein primäres Endometrium-CA handelte. Bei der Frage, welche Primärtherapie erfolgen sollte, voteten 43 % für eine erweiterte radikale Hysterektomie + beidseitige Adnexektomie + Entfernung der pelvinen und paraaortalen „bulky nodes“ – eine Strategie, die dann auch an der MU Innsbruck praktiziert wurde. Die Rationale dafür ist in den Empfehlungen der AGO Österreich<sup>1</sup> und der S3-Leitlinie aus Deutschland<sup>2</sup> begründet: Aufgrund des High-Risk-Status sollte eine maximale Zytoreduktion angestrebt werden. Die finale Histopathologie ergab die Diagnose eines primären Endometrium-CA FIGO IIIC2 (cT3b N1 M0) mit MSI(Mikrosatelliteninstabilität)- high-Status. Als adjuvante Therapie erhielt die Patientin eine Chemotherapie (CTx) mit Carboplatin (Carbo) + Paclitaxel (Pac) und drei Zyklen Brachytherapie (à 7 Gy).</p> <h2>MSI-high: Immuntherapie-Studien</h2> <p>Die FDA (Food and Drug Administration) hat den Immuncheckpointinhibitor Pembrolizumab (Pembro) basierend auf den Ergebnissen aus fünf Studien bei soliden Tumoren mit MSI-high-Status oder einer MMR(„mismatch repair“)-Defizienz nach Progression bereits im Mai 2017 zugelassen.<sup>3</sup> Pembro wurde von der FDA außerdem im August 2018 in Kombination mit dem Multikinase-Inhibitor Lenvatinib in derselben Indikation basierend auf den Interimsergebnissen der Studie KEYNOTE- 146 zugelassen.<sup>4</sup><br /> In Anlehnung an diese Zulassungen wurden zwei Studien konzipiert, in die Patientinnen wie die im von OA Dr. Daniel Reimer präsentierten Fallbeispiel eingeschlossen werden können: In der Phase- III-Studie AGO 60 LEAP-001 (ENGOTen9; NCT03884101) werden Patientinnen mit neu diagnostiziertem oder rezidiviertem Endometrium-CA im Stadium III oder IV zum Erhalt von Pembro + Lenvatinib vs. CTx mit Carbo + Pac randomisiert. Als koprimärer Endpunkt sind OS + PFS definiert (Abb. 1). In der Phase-III-Studie AGO 57 (AtTEND: Atezolizumab bei Endometriumkarzinom; NCT03603184) wird der PD-L1-Inhibitor Atezolizumab in Kombination mit Carbo + Pac vs. Carbo + Pac untersucht. Auch in dieser Studie werden OS + PFS als primärer Endpunkt ausgewertet.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s9_abb1.jpg" alt="" width="450" height="253" /></p> <h2>Primärtherapie – fortgeschrittenes Ovarialkarzinom</h2> <p>Assoc. Prof. Priv.-Doz. Dr. Veronika Seebacher-Shariat, MU Wien, präsentierte den Fall einer 62-jährigen Patientin, bei der beim Ultraschall (US) des Abdomens ein suspekter Adnexbefund so wie ein Aszites diagnostiziert worden waren. Die Patientin litt u. a. seit ca. drei Monaten an unspezifischen abdominellen Beschwerden. Im transvaginalen US und CT wurde der Verdacht auf bilaterale Adnextumoren – diese zeigten eine starke Vaskularisation – bestätigt. Es fanden sich keine Organmetastasen, keine Lymphadenopathie, jedoch bestand ein Verdacht auf eine Peritonealkarzinose. Seebacher-Shariat stellte die Frage, welche Primärtherapie bei Verdacht auf ein fortgeschrittenes Ovarialkarzinom (OC) zur Anwendung kommen sollte. Die Mehrheit der Zuhörer (65 %) votete für „primäre Zytoreduktion mit dem Ziel einer R0-Resektion“. Diese Strategie wurde auch bei der Patientin praktiziert. Seebacher- Shariat diskutierte aber auch die weiteren Antwortmöglichkeiten, denn nicht immer ist eine primäre „debulking surgery“ (PDS) möglich. Faktoren wie ein schlechter Performancestatus, eine ausgedehnte viszerale Metastasierung oder eine ungünstige Verteilung der Peritonealkarzinose können gegen eine PDS sprechen. In diesem Fall bietet sich die Gabe einer neoadjuvanten Chemotherapie (NACT) mit einer Intervall- Debulking-Surgery (IDS) als gangbare Strategie an. Dieses Konzept wurde in mehreren randomisierten Studien<sup>5–8</sup> mit der PDS verglichen. Bei Vergleich der Studien miteinander zeigt sich, dass die Operationsdauer bei der PDS mit der Zahl der R0-Resektionen korreliert – d. h., je länger die OP dauert, umso mehr Patientinnen können R0-reseziert werden. Bei IDS wurde – mit Ausnahme der italienischen Studie SCORPION<sup>8</sup> – eine niedrigere Rate an perioperativen Komplikationen verzeichnet als bei PDS. Die Frage, ob diese Studien die Frage beantworten, ob NACT + IDS oder PDS zu besseren Outcomes führen, kann jedoch durch den Vergleich dieser Studienergebnisse nicht beantwortet werden. Auf Initiative der deutschen AGO wurde die Studie TRUST (NCT02828618) initiiert, deren Ergebnisse hoffentlich endgültig eine Antwort auf diese Frage liefern können.<br /> Eine weitere Option im Rahmen der Primärtherapie stellt der Zusatz einer HIPEC („hyperthermic intraperitoneal chemotherapy“) zu NACT + IDS dar. Erst im Vorjahr wurden die Ergebnisse einer ersten großen randomisierten Studie dazu publiziert. Das rezidivfreie Überleben war durch HIPEC signifikant länger als ohne HIPEC (p = 0,003), was sich auch in einem signifikant längeren OS (p = 0,02) niederschlug. Die Studie weist jedoch einige Mängel auf – wie etwa, dass Bevacizumab nicht verabreicht oder der <em>BRCA</em>-Mt-Status nicht bestimmt wurde.<sup>9</sup></p> <h2>Adjuvante systemische Therapie</h2> <p>Die im Fall präsentierte Patientin wies eine <em>BRCA</em>-Mutation (Mt) auf. Bei den Antwortmöglichkeiten bezüglich einer systemischen adjuvanten Therapie sprachen sich 57 % für den neuen SOC (Standard of Care) – die Gabe einer PARP-Inhibitor-Erhaltungstherapie (ET) nach sechs Zyklen Carbo + Pac bei <em>BRCA</em>-Mt-Positivität – aus. 26 % hätten der Patientin Carbo + Pac + eine ET mit BEV verabreicht, 1 % nur Carbo + Pac und 16 % hätten die Patientin in die Studie DUO-O eingebracht. Da die Studie SOLO-110 zur ET mit Olaparib noch nicht angelaufen war, erhielt die Patientin Carbo + Pac mit einer BEV-ET.</p> <h2>DUO-O: Immuntherapie beim Ovarialkarzinom</h2> <p>Die Phase-III-Studie DUO-O (Durvalumab treatment in combination with chemotherapy and bevacizumab, followed by maintenance durvalumab, bevacizumab and olaparib treatment in advanced ovarian cancer patients; NCT03737643) ist eine internationale multizentrische Studie, in der auch Österreich mit vier Zentren vertreten ist. Geplant ist die Einbringung von insgesamt 1056 Patientinnen. Sowohl <em>BRCA</em>-mt- als auch Nicht-mt-Patientinnen mit neu diagnostiziertem fortgeschrittenem epithelialem High-grade-OC (FIGOStadien III–IV) nach vorangegangener PDS oder IDS können eingeschlossen werden. <em>BRCA</em>-mt-Patientinnen erhalten sechs Zyklen CTx + Durvalumab (optional auch BEV), gefolgt von einer ET mit Durvalumab und Olaparib. Nicht-<em>BRCA</em>-mt-Patientinnen werden im 1:1:1-Design in die drei folgenden Arme randomisiert: sechs Zyklen CTx + BEV (Arm A), sechs Zyklen CTx + BEV + Durvalumab (Arm B) bzw. sechs Zyklen CTx + BEV + Durvalumab + Olaparib (Abb. 2). Als primärer Endpunkt wird das PFS in den Nicht-<em>BRCA</em>-Mt-Kohorten untersucht.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1904_Weblinks_jatros_onko_1904_s10_abb2.jpg" alt="" width="950" height="489" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: WAAGO-Sitzung: „Interaktives Tumorboard – Fallbeispiele
aus der klinischen Praxis im Kontext der aktuellen
Studienlandschaft“ am 9. Mai im Rahmen der AGO-Jahrestagung,
9.–11. Mai 2019, Salzburg
</p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> http://ago-austria.at/app/manual/index_start.html <strong>2</strong> www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/032-034OLl_ S3_Endometriumkarzinom-Diagnostik-Therpie-Nachsorge_ 2018-04.pdf <strong>3</strong> www.fda.gov/media/109762/download <strong>4</strong> www.ascopost.com/News/59131 <strong>5</strong> Vergote I et al.: N Engl J Med 2010; 363: 943-53 <strong>6</strong> Kehoe S et al.: Lancet 2015; 386: 249-57 <strong>7</strong> Onda T et al.: Eur J Cancer 2016; doi: 10.1016/j.ejca.2016.05.017 <strong>8</strong> Fagotti A et al.: Eur J Cancer 2016; 59: 22-33 <strong>9</strong> Van Driel WJ et al., N Engl J Med 2018; 378: 230-40 <strong>10</strong> Moore K et al., N Engl J Med 2018; 379: 2495-505</p>
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</p>
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