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Partizipative Entscheidungsfindung bei Krebserkrankten am Lebensende

<p class="article-intro">Menschen, deren Lebenszeit durch eine Krebserkrankung voraussichtlich nur noch auf geringe Zeit begrenzt ist, gelten als besonders verletzlich. Aus gesundheitlichen wie auch aus emotionalen Gründen fällt es in solchen Situationen oft schwer, Entscheidungen zu medizinischen Behandlungen oder deren Unterlassung zu fällen. Deshalb gilt es, dem Prozess der Entscheidungsfindung bezüglich der Behandlung lebensbedrohlich Erkrankter besondere Aufmerksamkeit zu widmen. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints" class="Kasten-umflie-end"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Grundprinzip medizinischen Handelns: Autonomie, F&uuml;rsorge, das Prinzip des Nichtschadens und Gerechtigkeit liegen Entscheidungen zugrunde.</li> <li>Menschen nahe dem Lebensende sind besonders vulnerabel und bed&uuml;rfen eines feinf&uuml;hligen Umgangs.</li> <li>&Auml;rztinnen und &Auml;rzte sollen sich der Macht ihrer beruflichen Rolle bewusst sein und deshalb besonders respektvoll die Patientenautonomie w&uuml;rdigen.</li> <li>Vorausverf&uuml;gte bzw. delegierte Willens&auml;u&szlig;erungen erm&ouml;glichen Beachtung des Patientenwillens, auch wenn keine Kommunikation mehr m&ouml;glich ist (Patientenverf&uuml;gung und Vorsorgevollmacht).</li> </ul> </div> <h2>Ethische Prinzipien medizinischen Handelns</h2> <p>Allgemein gelten f&uuml;r medizinische Entscheidungen laut Beauchamp und Childress vier Grundprinzipien des Handelns. Das Prinzip des Respektierens der Autonomie der Patientinnen und Patienten soll garantieren, dass ein Mensch seine Selbstbestimmtheit ausleben kann. Das F&uuml;rsorgeprinzip (Benefizienz) gibt vor, Patientinnen und Patienten die Ma&szlig;nahmen zukommen zu lassen, aus denen sie gr&ouml;&szlig;tm&ouml;glichen Nutzen ziehen. In der fr&uuml;hen Phase einer Krebserkrankung kann dies h&auml;ufig Heilung sein, bei fortgeschrittener Erkrankung Verl&auml;ngerung der Lebenszeit und in palliativen Situationen bezieht sich der Nutzen vor allem auf die Lebensqualit&auml;t, nicht nur bez&uuml;glich k&ouml;rperlicher Symptome, sondern auch in Hinblick auf psychosoziale und spirituelle Aspekte der subjektiv empfundenen Lebensqualit&auml;t. Das F&uuml;rsorgeprinzip basiert auf dem menschenrechtlich verankerten Recht auf Leben und auf der W&uuml;rde des Individuums. Das Prinzip des Nichtschadens (&bdquo;nil nocere&ldquo;) soll verhindern, dass Patientinnen und Patienten durch medizinische Ma&szlig;nahmen einen Nachteil erfahren. Im Extremen soll durch Beachtung dieses Prinzips das Menschenrecht auf Schutz vor unmenschlicher oder herabw&uuml;rdigender Behandlung garantiert werden. Das Prinzip der Gerechtigkeit soll bedingen, dass allen Menschen ohne Diskriminierung die notwendige Behandlung zukommt, Verteilungsgerechtigkeit bedeutet, dass begrenzte Mittel so eingesetzt werden, dass nicht nur einzelne Privilegierte davon profitieren.</p> <h2>Abw&auml;gung von Indikation und Patientenwillen</h2> <p>Es ist eine &auml;rztliche Aufgabe, unter Beachtung der Prinzipien F&uuml;rsorge, Nichtschaden und Gerechtigkeit die Indikation f&uuml;r eine Ma&szlig;nahme in einer konkreten Situation herauszuarbeiten. In der Kommunikation mit Patientinnen und Patienten wird dann unter Respekt vor deren Autonomie partizipativ eine Entscheidung entwickelt. Wird ein deliberativer Entscheidungsprozess angestrebt, so machen &Auml;rztinnen und &Auml;rzte einen Vorschlag bezugnehmend auf die Wertewelt der Patientinnen und Patienten und haben dabei das Ziel einer gemeinsamen Entscheidung. Bei Weitem nicht in allen Situationen ist zu garantieren, dass die Voraussetzungen f&uuml;r die Entscheidungsf&auml;higkeit der Patientinnen und Patienten gegeben sind: Es bedarf der k&ouml;rperlichen, geistigen, sprachlichen und emotionalen Voraussetzungen und des Verstehens der Gesundheitssituation wie auch der vorgeschlagenen Behandlungen, damit eine Entscheidung vern&uuml;nftig gef&auml;llt werden kann. Die Forderung an &Auml;rztinnen und &Auml;rzte ist dabei, eine m&ouml;glichst umfassende, jedoch auf die Betroffenen zugeschnittene Information zu &uuml;bermitteln und sich zu versichern, dass diese verstanden wurde. Solches Vorgehen entspricht der Forderung nach informierter Einwilligung in medizinische Behandlung. Jedoch ist gerade in der Palliativsituation die Entscheidungsf&auml;higkeit der Betroffenen fluktuierend oder gar aufgehoben. Hilfreich in solchen Situationen kann eine fr&uuml;hzeitige Kommunikation &uuml;ber den Patientenwillen sein, welcher dann in einer Patientenverf&uuml;gung festgehalten werden kann. Auch das Einsetzen einer vorsorgebevollm&auml;chtigten Person kann Sicherheit vermitteln, dass Medizinerinnen und Mediziner den Patientenwillen in Situationen nahe dem Lebensende erfahren k&ouml;nnen.<br />F&uuml;r den Prozess der Entscheidungsfindung zur medizinischen Behandlung am Lebensende hat der Europarat 2014 einen Leitfaden herausgegeben, in dem Kommunikation hoch bewertet wird:<br />Die Qualit&auml;t des Dialogs zwischen dem medizinischen Personal und den Patienten ist deshalb ein wesentliches Merkmal der Rechte des Patienten. Dieser Dialog muss es ferner erm&ouml;glichen, allf&auml;llige k&uuml;nftige Entscheidungen f&uuml;r Situationen, die vorhersehbar sind oder auch pl&ouml;tzlich auftreten k&ouml;nnten, vorwegzunehmen. [...] In jedem Fall sollten Entscheidungen in ungewissen und komplexen Situationen, wie sie sich am Lebensende ergeben, den Endpunkt eines proaktiven und kollektiven Diskussionsprozesses darstellen, der sicherstellt, dass der Patient im Mittelpunkt steht und dass der mutma&szlig;liche Patientenwille Ber&uuml;cksichtigung findet. Es gilt, Subjektivit&auml;t zu vermeiden und daf&uuml;r zu sorgen, dass die Behandlung m&ouml;glichst dem sich &auml;ndernden Zustand des Patienten angepasst wird.<sup>1</sup><br />Der ver&auml;nderliche Zustand von Patientinnen und Patienten bedingt, dass es von Bedeutung ist, die noch verbleibende erwartbare Lebenszeit in die Entscheidungsfindung einflie&szlig;en zu lassen, weil diese ein wichtiger Faktor daf&uuml;r ist, ob eine Behandlung aus Patientenperspektive Sinn hat.</p> <h2>Entscheidungen in Palliativsituationen</h2> <p>F&uuml;r palliatives Arbeiten ist in &Ouml;sterreich vom &Ouml;sterreichischen Bundesinstitut f&uuml;r Gesundheit (&Ouml;BIG) vorgegeben, dass Entscheidungen &uuml;ber Therapien und Ma&szlig;nahmen unter Abw&auml;gung von Nutzen und Belastung in Hinblick auf die Lebensqualit&auml;t der Betroffenen erfolgen sollen. Dies geschieht in einem gemeinsamen informierten Entscheidungsprozess unter Einbeziehung von Patientinnen und Patienten, Angeh&ouml;rigen und Team (&bdquo;shared decision making&ldquo;). Es wird vom &Ouml;BIG auch auf die Bedeutung vorausschauender Planung (&bdquo;advance care planning&ldquo;) verwiesen. F&uuml;r palliative Entscheidungsfindungen sollen also alle an einer Patientenbegleitung beteiligten Personen geh&ouml;rt werden. Damit sind neben Patientinnen und Patienten und &Auml;rztinnen und &Auml;rzten auch Angeh&ouml;rige gemeint und weitere Mitglieder des Behandlungs- und Pflegeteams. Strukturiert kann ein solcher kollektiver Entscheidungsprozess beispielsweise in einem Ethikkonsil ablaufen. Pflegenden wird im neuen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz eine Rolle in der ethischen Entscheidungsfindung zugeschrieben. Daf&uuml;r scheinen diese besonders geeignet, weil sie in ihrer Berufsaus&uuml;bung viel Zeit in gro&szlig;er N&auml;he zu den Patientinnen und Patienten verbringen und dabei kommunizieren. Oft werden Pflegende weniger als Autorit&auml;t wahrgenommen denn &Auml;rztinnen und &Auml;rzte und k&ouml;nnen so eher von aktuellen Anliegen der Patientinnen und Patienten erfahren. &Uuml;ber genaue Beobachtungen zur k&ouml;rperlichen Leistungsf&auml;higkeit leisten Pflegepersonen zudem einen wichtigen Beitrag zur Absch&auml;tzung der Lebenserwartung. Die Einbindung von Pflegenden in Entscheidungsprozesse beg&uuml;nstigt Verst&auml;ndnis f&uuml;r eine Entscheidung, die dann leichter konfliktfrei mitgetragen werden kann. Gemeinsame Entscheidungsfindung hat nicht nur die Autonomie der Patientinnen und Patienten im Blick, sondern ist auch f&ouml;rderlich f&uuml;r die Kultur der Kommunikation und der Zusammenarbeit im Behandlungsteam.<br />Allerdings besteht eine Asymmetrie zwischen &Auml;rztinnen und &Auml;rzten und Patientinnen und Patienten (&uuml;berspitzt!): &bdquo;Gesunde Expertinnen und Experten stehen verantwortungstragend und m&auml;chtig kranken Laien gegen&uuml;ber, die sich angesichts der Krankheit ohnm&auml;chtig und angewiesen erleben.&ldquo; Eine so erlebte Situation braucht einen bewussten und aktiven Ausgleich von &auml;rztlicher Seite: Der Ungleichheit des Wissens soll durch individualisierte Wissensangebote begegnet werden, die Ungleichheit der Gesundheit m&ouml;ge durch bestm&ouml;gliche Symptomlinderung abgemildert werden und die Ungleichheit der Macht braucht eine besonders feinf&uuml;hlige Interaktion, in der Respekt vor der Autonomie sowie Anregung zu Selbstf&uuml;rsorge und Selbstbestimmung zum Ausdruck kommen.</p> <h2>Perspektive der Betroffenen</h2> <p>Wenn onkologische Patientinnen und Patienten gefragt werden, zeichnen sie ihr Wunschbild von partizipativen Entscheidungsprozessen: Sie wollen ernst genommen werden, ausreichend Information und auch ausreichend Unterst&uuml;tzung von &Auml;rztinnen und &Auml;rzten erhalten. Auch wenn die Selbstbestimmung als Wert von Palliativpatientinnen und -patienten hochgehalten wird, ist mit etwa 50 % das pr&auml;ferierte Modell der Entscheidungsfindung ein partizipatives und ca. 30 % wollen &ndash; freiwillig und aktiv &ndash; die Entscheidung an &Auml;rztinnen und &Auml;rzte delegieren.<br />&bdquo;Als Folge dieser fluktuierenden Entscheidungsf&auml;higkeit bei Palliativpatienten und der damit einhergehenden eingeschr&auml;nkten M&ouml;glichkeit der aktiven Mitbestimmung muss die Hauptaufgabe und Priorit&auml;t von &Auml;rzten und Pflegenden die f&uuml;rsorgliche Versorgung des Patienten bleiben &ndash; bei gleichzeitig gr&ouml;&szlig;tm&ouml;glicher F&ouml;rderung von dessen Entscheidungsf&auml;higkeit. Dies verlangt, insbesondere von &Auml;rzten, eine gro&szlig;e Sensibilit&auml;t hinsichtlich der Grenzziehung zwischen ausreichender F&uuml;rsorge und (inakzeptablem) Paternalismus.&ldquo; (Geck SC, 2012)</p> <div id="keypoints" class="Kasten-umflie-end"> <p>Was palliative Patientinnen und Patienten und ihre Angeh&ouml;rigen besprechen wollen (nach You et al., 2014):</p> <ol> <li class="Kasten-Fazit">nach den eigenen Vorstellungen zu Behandlung und Pflege gefragt werden, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt (4)*</li> <li class="Kasten-Fazit">nach den eigenen Werten gefragt werden (5)*</li> <li class="Kasten-Fazit">Prognose besprechen (1)*</li> <li class="Kasten-Fazit">Gelegenheit haben, &Auml;ngste und Bedenken auszusprechen (2)*</li> <li class="Kasten-Fazit">gefragt werden, ob es noch Fragen zur Kl&auml;rung des Therapieziels gebe (3)*</li> </ol> <p>* In Klammer die Reihung der W&uuml;nsche bei den befragten Angeh&ouml;rigen.</p> </div></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> <a href="http://www.coe.int/t/dg3/healthbioethic/conferences_and_symposia/Guide%20FDV%20deutsch.pdf">http://www.coe.int/t/dg3/healthbioethic/conferences_and_symposia/Guide%20FDV % 20deutsch.pdf</a><br />Weitere Literatur bei der Verfasserin</p> </div> </p>
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