
Palliative Chirurgie für Magen- und Ösophagus-Karzinome
Autoren:
Dr. med. Dr. phil. nat. Michel Dosch
Camille Brasset
Dr. med. Mickael Chevallay
Prof. Dr. med. Stefan Paul Mönig
University Hospitals of Geneva
Surgery Department
The Division of Digestive Surgery
Rue Gabrielle-Perret-Gentil 4
1205 Geneva
Korrespondenz:
E-Mail: Stefan.Moenig@hcuge.ch
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Viele Patienten mit Magen- oder Ösophaguskarzinom kommen aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums ihres Tumors nicht mehr füreine kurative Behandlung infrage. Wir beschreiben nachfolgend die Rolle der Chirurgie in diesen Fällen sowie neue Konzepte für Patientenmit Oligometastasen (limitiert metastasiert).
Keypoints
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Keine primäre palliative Resektion; Ausnahmen: unstillbare Blutung, Magenperforation, symptomatische Stenose.
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Die palliative Gastrektomie zeigt gemäss retrospektiven Daten keinen Überlebensvorteil gegenüber der Gastroenterostomie und wird deswegen nicht empfohlen.
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Eine Subgruppe von Patienten mit Oligometastasen profitiert möglicherweise von einer radikalen Resektion im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts. Bei solchen Patienten kann im Rahmen klinischer Studien ein multimodales Therapieziel einschliesslich der Tumor- und Metastasenresektion erfolgen (RENAISSANCE-Studie).
Die aktuelle Standardtherapie für Magenkarzinome im Stadium IV und Karzinome des ösophagogastralen Übergangs (EGJ) besteht in einer palliativen Chemotherapie oder Radiochemotherapie. Gemäss geltenden Leitlinien hat die Chirurgie in kurativer Intention aktuell keinen Platz bei solchen Patienten. Ein resezierendes Verfahren ist dennoch individuell gerechtfertigt, besonders zur Symptomkontrolle bei Vorliegen eines Passagehindernisses oder als unmittelbar lebensrettende Massnahme bei einer relevanten gastrointestinalen Blutung oder bei einer Magenperforation. Bei asymptomatischen Patienten wird von einer palliativen Resektion aktuell abgeraten.
Zur Symptomkontrolle kommen resezierende und nicht resezierende Verfahren zur Anwendung. Zu den resezierenden Verfahren zählen die totale Gastrektomie ohne Lymphadenektomie sowie die distale oder proximale Magenteilresektion. Zu den nicht resezierenden Verfahren zählen eine Umgehungsoperation im Sinne einer Gastroenterostomie oder eine Magenbypassoperation und die endoskopische Einlage eines Stents.
Des Weiteren kann eine Gastrostomie zur Ableitung oder zur Ernährungstherapie endoskopisch (perkutane endoskopische Gastrostomie) oder laparoskopisch durchgeführt werden. Zur Ernährungstherapie ist auch eine Jejunostomie möglich.
Resezierende oder nicht resezierende Verfahren bei symptomatischen Patienten?
Eine Tumorstenose tritt erst in einem fortgeschrittenen Stadium auf und erfordert daher ein schnelles Eingreifen. Die Wahl des Operationsverfahrens hängt von der Lage des Tumors, seiner Grösse und dem Grad der Symptome ab.
In Fällen, in denen die Stenose den ösophagogastralen Übergang betrifft, kann endoskopisch ein Stent implantiert werden, was zu einer schnellen Besserung der Symptomatik führt. In Fällen, in denen die Stenose weiter distal liegt, kann eine Magenteilresektion, eine Gastroenterostomie oder ein Magenbypass durchgeführt werden. Auch ein endoskopischer Eingriff im Sinne einer Stenteinlage ist möglich.
Wenn man die palliative Resektion mit der Gastroenterostomie direkt vergleicht, zeigt sich in einer retrospektiven Studie von 2021 kein Überlebensvorteil für die palliative Gastrektomie. Interessanterweise waren die Komplikationen von beiden Operationen vergleichbar.1 Eine palliative Resektion, insbesondere ohne Metastasektomie, ist im Vergleich zur Gastroenterostomie allein nicht mit einem Prognosevorteil verbunden.
Unsere Prioritäten bei fortgeschrittenem Magenkrebs mit Obstruktion des Magenausgangs sollten darin bestehen, die Symptome der Obstruktion zu lindern, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und bessere Bedingungen für die Chemotherapie zu schaffen.
Stellenwert der palliativen Resektion bei asymptomatischen Patienten
Bei asymptomatischen Patienten stellt sich die Frage, welchen Stellenwert eine palliative Resektion des Tumors im Vergleich zu einer palliativen Chemotherapie ohne Resektion hat.
Aus retrospektiven Studien, zumeist aus der Ära der multimodalen Therapie, konnte ein gewisser Prognosevorteil der palliativen Resektion mit Chemotherapie im Vergleich zur Chemotherapie allein gezeigt werden.2–5 Im Jahre 2016 wurde eine asiatische prospektiv-randomisierte Studie (REGATTA) zum Stellenwert der palliativen Gastrektomie plus Chemotherapie im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie durchgeführt. Die Gastrektomie beinhaltete dabei eine D1-Lymphadenektomie, aber ohne Resektion der Metastasen. In dieser Studie zeigte die Gastrektomie ohne Metastasenresektion plus Chemotherapie keinen Vorteil im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie.6
Die Resektion des Primärtumors ohne Resektion der Metastasen, wie sie in der REGATTA-Studie untersucht wurde, hat wahrscheinlich keine Prognoserelevanz für den Patienten. Aus diesem Grund wurde die FLOT-3-Studie durchgeführt, eine deutsche prospektive Studie, die die Wirkung von Chemotherapie gefolgt von einer chirurgischen Resektion mit Metastasektomie bei oligometastasierten Magen- und EGJ-Karzinomen untersucht. Nach einer Chemotherapie mit dem FLOT-Protokoll wurde bei Patienten ohne Progression eine chirurgische Resektion des Primärtumors und der Metastasen durchgeführt, die im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie einen deutlichen Überlebensvorteil ergab.7
Bei einem Ösophaguskarzinom gibt es Hinweise, dass eine lokoregionale Kontrolle der Krankheit im Sinne einer Metastasektomie bei Patienten mit einer Oligometastasierung kombiniert mit einer Radiochemotherapie im Vergleich zur Radiochemotherapie allein zu einem verlängerten Überleben führen könnte.8,9
Jedoch kann aufgrund dieser widersprüchlichen Ergebnisse zurzeit eine palliative Resektion nicht empfohlen werden, sodass die Standardtherapie bei metastasierten Magen-/EGJ- und Ösophaguskarzinomen die (Radio-)Chemotherapie bleibt.
Multimodale Therapie mit radikaler Resektion des Primärtumors und Metastasenresektion
Abb. 1: Therapiealgorithmus für Erstlinientherapie von fortgeschrittenem/metastasiertem, nicht resezierbarem Magenkarzinom. Modifiziert nach Lordick F et al.
Eine Subgruppe von Patienten mit einem metastasierten Magenkarzinom konnte in verschiedenen retrospektiven Studien von einer palliativen Resektion des Primärtumors und der Metastasen zusammen mit Chemotherapie profitieren.10,11 Dies betrifft insbesondere jüngere Patienten mit einer limitierten Metastasierung (sogenannte Oligometastasierung) ohne Peritonealkarzinose und einem guten Allgemeinzustand, die gut auf die systemische Chemotherapie angesprochen haben.2–4,12
Die exakte Definition von Oligometastasen (limitierte Metastasierung) bleibt kontrovers. Bei der Oligometastasierung handelt es sich um eine Krebserkrankung mit einer begrenzten Anzahl von metastasierenden Tumoren, die nur ein oder wenige Organe befallen und biologische Eigenschaften aufweisen, die sie potenziell für eine lokoregionale Therapie geeignet machen.
Zurzeit sind die Guidelines für Oligometastasen noch nicht klar. Insbesondere bleibt die Rolle des Chirurgen eine offene Diskussion. Die internationalen Guidelines geben keine klaren Empfehlungen. Allerdings lassen die aktualisierten ESMO-Guidelines die Tür für Chirurgie bei hochselektionierten Fällen offen (Abb. 1). Die NCCN-Guidelines erwägen bei solchen Patienten keine Chirurgie. In den deutschen S3-Guidelines bleibt die Chirurgie Teil von Studien.
In der letzten Dekade konnte die multimodale Therapie mit Chemotherapie, Radiotherapie, Chirurgie und aktuell auch Immuntherapie deutlich verbessert werden. Das Ziel dieser multimodalen Therapien sind dabei eine Lebenszeitverlängerung mit guter Lebensqualität und gegebenenfalls eine Heilung. Diese Fortschritte sind in Europa besonders wichtig, da wir im Gegenteil zu asiatischen Ländern signifikant mehr Stadium-IV-Karzinome behandeln. Diese Strategie sollte in einem interdisziplinären Tumorboard diskutiert und gemeinsam abgestimmt werden.
Zukunftsperspektiven
Die Zukunft besteht nach Ansicht unserer Gruppe in einer Renaissance der Chirurgie für selektionierte Patienten mit Oligometastasen. Aufgrund der Ergebnisse der FLOT3-Studie stellen wir die Hypothese auf, dass Patienten mit oligometastasierter Erkrankung, die eine intensive neoadjuvante Chemotherapie erhalten und ein gutes Ansprechen gezeigt haben, von einer Operation des Primärtumors und der Metastasen profitieren. Deshalb hat unsere Gruppe die RENAISSANCE-FLOT5-Studie initiiert.13 Sie wird von der deutschen AIO-Gruppe in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Viszeralchirurgie organisiert. Besonders wichtig für den Erfolg dieser Studie ist eine genaue Definition der Population von Patienten mit Oligometastasierung.14
Die Studie begann 2016 und umfasst Patienten mit limitiert metastasierten Magen- und EGJ-Karzinomen. Nach vier Zyklen FLOT (5-Fluorouracil, Folinsäure [Leucovorin], Oxaliplatin, Docetaxel [Taxan]) werden die Patienten in den Operationsarm oder den reinen Chemotherapiearm randomisiert. Patienten im Operationsarm erhalten vier Zyklen FLOT adjuvant. Bisher wurden 176 von 271 Patienten eingeschlossen und 130 von 176 wurden randomisiert. Trastuzumab für HER2-positive Tumoren und Nivolumab für PD-L1-positive Erkrankungen können perioperativ eingesetzt werden.
Die Ergebnisse dieser randomisierten Studie müssen abgewartet werden.
Literatur:
1 Chen XJ et al.: Palliative gastrectomy versus gastrojejunostomy for advanced gastric cancer with outlet obstruction: a propensity score matching analysis. BMC Cancer 2021; 21(1): 188 2 Lasithiotakis K et al.: Gastrectomy for stage IV gastric cancer. A systematic review and meta-analysis. Anticancer Res 2014; 34(5): 2079-85 3 He MM et al.: The role of non-curative surgery in incurable, asymptomatic advanced gastric cancer. PLOS ONE 2013; 8(12): e83921 4 Mariette C et al.: Palliative resection for advanced gastric and junctional adenocarcinoma: which patients will benefit from surgery? Ann Surg Oncol 2013; 20(4): 1240-9 5 Mahar AL et al.: A systematic review of surgery for non-curative gastric cancer. Gastric Cancer 2012; 15 Suppl 1: S125-37 6 Fujitani K et al.: Gastrectomy plus chemotherapy versus chemotherapy alone for advanced gastric cancer with a single non-curable factor (REGATTA): a phase 3, randomised controlled trial. Lancet Oncol 2016; 17(3): 309-18 7 Al-Batran SE et al.: Effect of neoadjuvant chemotherapy followed by surgical resection on survival in patients with limited metastatic gastric or gastroesophageal junction cancer: the AIO-FLOT3 trial. JAMA Oncol 2017; 3(9): 1237-44 8 Jamel S et al.: Detection and management of oligometastatic disease in oesophageal cancer and identification of prognostic factors: a systematic review. World J Gastrointest Oncol 2019; 11(9): 741-9 9 Schizas D et al.: Patients undergoing surgery for oligometastatic oesophageal cancer survive for more than 2 years: bootstrapping systematic review data. Interact Cardiovasc Thorac Surg 2020; 31(3): 299-304 10 Moehler M et al.: German S3-guideline »Diagnosis and treatment of esophagogastric cancer”. Z Gastroenterol 2011; 49: 461-531 11 Martella L et al.: Surgery for liver metastases from gastric cancer: a meta-analysis of observational studies. Medicine (Baltimore) 2015; 94(31): e1113 12 Andreou A et al.: Response to preoperative chemotherapy predicts survival in patients undergoing hepatectomy for liver metastases from gastric and esophageal cancer. J Gastrointest Surg 2014; 18(11): 1974-86 13 Al-Batran SE et al.: The RENAISSANCE (AIO-FLOT5) trial: effect of chemotherapy alone vs. chemotherapy followed by surgical resection on survival and quality of life in patients with limited-metastatic adenocarcinoma of the stomach or esophagogastric junction - a phase III trial of the German AIO/CAO-V/CAOGI. BMC Cancer 2017; 17(1): 893 14 Jung MK et al.: Treatment options for oligometastatic gastric cancer. Chirurg 2021; 92: 515-21