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Onkopedia-Leitlinie CLL

Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist im ständigen Wandel. Sie ist die erste Erkrankung in der Onkologie, die in drei Therapielinien komplett chemotherapiefrei behandelt werden konnte. Auch die Tage der zielgerichteten Therapie haben mit der CLL ihren Anfang genommen. Deswegen waren Forschung und Klinik lange Zeit erfolgsverwöhnt. In den letzten Jahren hat sich diese Erfolgskurve etwas abgeflacht – und das sieht man auch in den Leitlinien.

Die Änderungen und Fortschritte in den Updates sind etwas subtiler und die wesentlichen Fragen zu den Therapieoptionen, die in der Erstlinie für spezielle Patient:innengruppen zu bevorzugen sind, sind eher „eminence-based“ als „evidence-based“ zu beantworten. Damit müssen manche der Aktualisierungen differenziert betrachtet werden.

Neu: Acalabrutinib+Venetoclax

Das wichtigste Leitlinien-Update für die Erstlinientherapie bei der CLL ist die zeitlich begrenzte Therapie mit der Kombination von Acalabrutinib mit Venetoclax – plus/minus Obinutuzumab, so zumindest der Zulassungstext. Für Obinutuzumab war in Studien ein Nachteil im Gesamtüberleben (OS) zu sehen, aber auch ein Vorteil im progressionsfreien Überleben (PFS). Werden Therapien zeitlich begrenzt, begrenzen sich auch die Nebenwirkungen – das geschieht auch bei dieser Kombination. Damit gibt es eine neue, sehr starke und für Patient:innen gut verträgliche Option. Es handelt sich außerdem um zwei orale Medikamente, die somit bei der Verabreichung einen deutlich geringeren Aufwand verursachen. Das ist eine klinisch relevante Neuerung für unsere onkologische Praxis.

Bisherige effektive Therapieregime, die der Goldstandard sind, werden in Studien im Kontrollarm genutzt, z.B. zeitlich begrenzt Obinutuzumab+Venetoclax, also ein CD20-Antikörper mit einem BCL-2-Inhibitor. Für die Gabe von Obinutuzumab braucht es bei der Einleitung eine stationäre Aufnahme, bei der Venetoclax-Einleitung bei größerer Tumorlast sind strengere Überwachungen mit Laborkontrollen nötig.

Dieser Aufwand lässt sich mit der neuen Kombination Acalabrutinib+Venetoclax gut umschiffen. Die Lead-in-Phase von Acalabrutinib wurde mit zwei Monaten angesetzt. Viele Kolleg:innen verlängern sie jedoch, damit die Leukozytenwerte wieder abfallen. Das macht Sinn in der leukämischen Phase. Weil die Kombination so gut verträglich und zeitlich begrenzt ist, gibt es da auch keine Probleme.

Die längere Lead-in-Phase war auch für die Kombination Ibrutinib+Venetoclax beliebt, die letztes Jahr in den Leitlinien noch mit den Daten der GLOW-Studie repräsentiert war. Das Nebenwirkungsprofil von Ibrutinib, besonders in Kombination mit Venetoclax, erwies sich aber als zu hoch und es gab viele Todesfälle, vor allem bei älteren komorbiden Patient:innen. Acalabrutinib+Venetoclax ist eine sehr schöne Alternative.

Kontraindikationen

Es gibt keine strengen Kontraindikationen für diese neue Kombination, aber Fälle, bei denen man eher auf alternative Therapieschemata ausweicht. Bei Patient:innen mit Blutungsneigung und jenen, die Blutverdünner oder sogar zwei verschiedene Gerinnungshemmer nehmen, sollte man mit BTK-Inhibitoren vorsichtig sein, weil sie ebenfalls zu einer erhöhten Blutungsneigung führen.

Eine andere Kontraindikation sind Unverträglichkeiten, die sich oft auch erst während der Therapie herausstellen, weil die wenigsten Patient:innen in der ersten Linie schon Vorerfahrungen mit einem BTK-Inhibitor haben. Das Auftreten von Nebenwirkungen kann also zu einer generellen Kontraindikation führen. Das gilt natürlich auch für Venetoclax. Auch die Dosierung spielt eine Rolle.

Kontroverse Meinungen

Manche Sachverhalte werden in den Leitlinien sehr wohl bedacht, selbst wenn wir Expert:innen uns nicht immer einig sind. Das betrifft z.B. die Unterscheidung zwischen IGHV-mutiert, nicht IGHV-mutiert und Hochrisiko oder 17p-TP53-Mutation oder einem komplexen Karyotyp. Es gibt verschiedene Meinungen, welche Behandlungsstrategie in diesen Fällen die allerbeste ist. Der Grund ist, dass der Endpunkt der relevanten Studien in den meisten Fällen das PFS und nicht das OS ist.

Dieser Endpunkt ist unter Einbezug der zwei prinzipiellen Therapiekategorien zu betrachten: der zeitlich unbegrenzten und der zeitlich begrenzten Therapie.

Therapien werden bei CLL-Patient:innen erst begonnen, wenn diese symptomatisch sind. In der CLL12-Studie der Deutschen CLL Studiengruppe wurde ein früherer Therapiestart mit einer Dauertherapie mit Ibrutinib mit Placebo blindverglichen. Bei Patient:innen mit Dauertherapie war das PFS zwar länger als bei jenen, die nur mit Placebo behandelt wurden, also keine Therapie erhielten. Aber im OS sah man aufgrund von Nebenwirkungen keinen Überlebensunterschied. Daher bleibt es Behandlungsstandard, abzuwarten, bis die CLL symptomatisch wird.

Das Prinzip lässt sich auch auf den Vergleich von Dauertherapien und zeitlich begrenzten Therapien übertragen. Da ist man gerne fehlgeleitet, weil eine zeitlich begrenzte Therapie früher wieder eine Nachfolgetherapie notwendig machen kann bzw. die Patient:innen früher wieder eine Progression zeigen. Nur weil eine CLL wieder progredient ist, muss sie nicht sofort wieder therapiert werden, sondern sie sollte erst ihre Behandlungsindikationen erfüllen. Das können z.B. negative Veränderungen im Blutbild sein, ein Krankheitsgefühl oder Lymphome in störender Größe. Die CLL ist zwar nicht heilbar, aber mit sinnvoll geplanter Therapie kann eine hohe Lebensqualität erreicht werden.

Nächste Schritte

Gerade steht die Veröffentlichung der CLL17-Studie an. Der Abstract wurde schon als Abstract No. 1 in der Plenary Session für das kommende ASH-Meeting akzeptiert. CLL17 ist eine der größten und wichtigsten Studien, die in nächster Zeit zu erwarten sind. Mit etwas Glück gibt es zeitgleich mit der Präsentation am ASH-Meeting im Dezember 2025 in Orlando auch die Publikation. Diese Publikation würde wahrscheinlich direkt wieder in ein Update der Leitlinien einfließen.

Onkopedia-Leitlinie Chronische lymphatische Leukämie (CLL), September 2025

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