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Onkopedia: Abklärung einer Blutungsneigung

Es handelt sich bei der Onkopedia-Leitlinie zur Abklärung von Blutungsneigungen um eine ganz neue Leitlinie in der erst rezent aufgelegten Sparte Hämostaseologie. Die Leitlinie umfasst Informationen zum praktischen Herangehen bei Blutungsneigungen.

Klinisch tätige Kolleg:innen, die nicht jeden Tag mit Hämostaseologie zu tun haben, erfahren in der Leitlinie Grundlagen: Wie erkenne ich eine Blutungsneigung, was muss ich im Weiteren abklären und worauf muss ich sonst noch achten?

Die erste Botschaft der Leitlinie ist ganz wichtig und lautet: Blutungsneigungen sind häufig. Klinik und Forschung haben sich in der Vergangenheit v.a. auf schwere Blutgerinnungsstörungen konzentriert: auf Hämophilie A und B oder die Von-Willebrand-Erkrankung, obwohl diese Erkrankungen teilweise selten sind. Neben ihnen gibt es noch viele andere, die zu einer Blutungsneigung führen und von denen deutlich mehr Menschen betroffen sind. Das heißt nicht, dass alle Menschen mit einem Blutungsereignis eine Blutgerinnungsstörung haben, und auch nicht, dass bei allen die Blutungsneigung klinisch bedeutsam ist. Aber es ist wichtig, auf Blutungsneigungen aufmerksam zu werden und sie richtig einzuordnen, sei es nur eine verlängerte postoperative Blutung oder eine Patientin, die mit einer zu starken Regelblutung vorstellig wird.

Meist gibt es Verzögerungen in der Diagnostik. Bei starker Regelblutung kann es z.B. bis zu 15 Jahre bis zu einer Diagnose dauern, wenn sie denn überhaupt gestellt wird – diese Verzögerung sollte heutzutage eigentlich vermeidbar sein. Aber da dieses Symptom insbesondere Frauen betrifft, wurde es lange Zeit vernachlässigt und alles, was mit Menstruation zu tun hat, wurde als alleinige Aufgabe der Gynäkologie gesehen. Oft haben sich Menschen mit Blutungsneigung auch an ihre Symptome gewöhnt, z.B. an die Neigung zu Nasenbluten oder blauen Flecken. Wenn es genetische Gründe gibt, fallen die Symptome oft nicht einmal innerhalb einer Familie auf und werden viel zu oft nicht hinterfragt. Darum ist es die Aufgabe von Ärzt:innen, die Anamnese so zu erheben, dass Blutungsmanifestationen erkannt werden – und das am besten vor größeren chirurgischen Eingriffen oder der Verabreichung von Medikamenten, die die Hämostase beeinflussen.

Auch die Diagnostik selbst kann bei der Abklärung von Blutungsneigungen eine Hürde sein. Verdachtsfälle müssen an spezialisierte Zentren überweisen werden, weil viele Tests in herkömmlichen Labors nicht verfügbar sind. In der Medizin müssen auch nicht alle alles können – aber alle müssen einschätzen können, ob weitere Abklärungen nötig sind, und diese veranlassen. Ärzt:innen müssen die richtigen Fragen stellen und die Tests machen, die sie selbst durchführen können, z.B. den Score aus der aktuellen Leitlinie ermitteln. Wichtig ist auch, bereits in der Anamnese herauszufinden, ob eine Blutungsneigung erworben oder angeboren ist.

Die Forschung zu Blutungsneigungen wird in unserer Arbeitsgruppe, der „Thrombosis and Haemostasis Research Group“ an der Medizinischen Universität Wien, sehr aktiv betrieben. Auch international tut sich viel. Das Bewusstsein für die eingeschränkte Lebensqualität Betroffener und die möglichen schwerwiegenden Komplikationen, z.B. im Rahmen von Operationen oder Geburten, ist in den letzten Jahren gestiegen. Blutungsneigungen werden nicht mehr bagatellisiert. Spannend ist, dass es ganz oft klinisch relevante Blutungsneigungen gibt, bei denen die Ursache nicht gefunden werden kann. Wien ist hier wissenschaftlich federführend. Univ.-Prof. Dr. Ingrid Pabinger-Fasching und ich haben 2009 die Vienna Bleeding Biobank gegründet, in die mittlerweile Daten von über 1000 erwachsenen Patient:innen eingeflossen sind, die eine lebenslange Geschichte von Blutungsmanifestationen haben. Die größte Erkenntnis war bisher, dass bei zwei Dritteln der Fälle die Ursache nicht zu ermitteln ist. Wien hat diese „Blutungsneigung unklarer Ursache“ mit definiert. Bei einem Viertel der Patient:innen in der Vienna Bleeding Biobank ist die Ursache der Blutungsneigung eine Thrombozytenfunktionsstörung, bei der auch noch viele Faktoren unbekannt sind. Weniger als zehn Prozent haben eine Von-Willebrand-Erkrankung, die bisher eigentlich als die häufigste Blutgerinnungsstörung galt. Andere Diagnosen sind seltene Einzelfaktormängel. Fehlende Ursachen freuen Forschende natürlich, aber sind für Klini-ker:innen schwierig.

Unterprojekte der Vienna Bleeding Biobank sind z.B. Untersuchungen zur Blutgruppe als unabhängiger Risikofaktor für eine Blutungsneigung, zu Faktoren, die die Blutgerinnung physiologisch hemmen, oder auch zu solchen, die man eigentlich aus der Thromboseentstehung kennt. Z.B. können Protein C oder andere Antikoagulanzien eine Rolle bei Blutungsneigungen spielen und zu einer übermäßigen Koagulationshemmung führen. Vermutlich wird die Mehrzahl der leichten bis moderaten Blutungsneigungen nicht durch einen Faktor alleine verursacht – es handelt sich möglicherweise bei der Mehrheit um ein heterogenes, multifaktorielles Geschehen. Auch Prädispositionen und Risikofaktoren spielen eine Rolle.

Onkopedia-Leitlinie Abklärung einer Blutungsneigung, August 2025

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