
Onkologie für AYA in der Schweiz
Autorin:
Dr. med. Katrin Scheinemann, MSc
Leitende Ärztin
Assoziierte Professorin für Pädiatrie
Pädiatrische Onkologie – Hämatologie
Klinik für Kinder und Jugendliche
Kantonsspital Aarau
E-Mail: katrin.scheinemann@ksa.ch
Die Betreuung von an Krebs erkrankten Jugendlichen und jungen Erwachsenen (AYA) zwischen 15 und 39 Jahren ist eine besondere Herausforderung an die ärztliche, pflegerische und multidisziplinäre Kompetenz. Die medizinischen und psychosozialen Bedürfnisse in dieser Altersgruppe unterscheiden sich wesentlich von denen von Kindern einerseits und älteren Erwachsenen andererseits. Die Prognose ist im Vergleich zu älteren Erwachsenen gut, aber schlechter im Vergleich zu Kindern.
Keypoints
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Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 39 Jahren mit Krebs stellen eine besondere Altersgruppe dar, die spezielle Versorgungsstrukturen benötigt.
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Verzögerung bei der Diagnose oder geringer Einschluss in Therapieoptimierungsstudien stellen nur zwei Herausforderungen in der Versorgung dar, die dringend verbessert werden müssen. Als Referenz sollte hierbei die pädiatrische Onkologie gelten.
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In der Schweiz gibt es aktuell keine formalen AYA-Programme, allerdings gibt es an vielen onkologischen Zentren erste Schritte in diese Richtung.
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Die Entwicklung von AYA-Programmen muss innerhalb der europäisch entwickelten Richtlinien und in enger Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Ländern erfolgen, in denen solche Programme schon lange etabliert sind.
Die besonderen Herausforderungen in der Betreuung von an Krebs erkrankten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sogenannten «adolescents and young adults» (AYA), wurde schon vor über 30 Jahren erkannt.1 In Australien als erstem Land wurde schon 1985 eine nationale Organisation zur Unterstützung dieser Patientenpopulation gebildet. Nach und nach entstanden in vielen Ländern spezifische AYA-Programme.
In Europa wurde 2015 eine AYA-Arbeitsgruppe von der European Society for Medical Oncology (ESMO) und der European Society for Paediatric Oncology (SIOPE) gegründet, die in einem Positionspapier die Herausforderungen und Empfehlungen in der Betreuung von AYA formuliert hat.2
Die Herausforderungen sind mannigfaltig:
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Die Tumorentitäten bei AYA setzen sich sowohl aus pädiatrischen Krebserkrankungen als auch typischen Erwachsenenkrebserkrankungen zusammen. Allerdings kann sich die Tumorbiologie von Tumoren bei AYA deutlich von der anderer Altersgruppen unterscheiden, daher kann die Wahl der richtigen Therapie herausfordernd sein und benötigt Behandelnde mit breiter Expertise für alle Altersgruppen.
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Häufig findet in der Altersgruppe der AYA keine regelmässige medizinische Vorsorge statt, die Krebsdiagnose wird damit später gestellt.
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Die Zahl der Einschlüsse und Behandlungen von AYA in internationalen Therapieoptimierungsstudien sind deutlich geringer im Vergleich zu den Kindern, was sich auf die Behandlungsfortschritte der vergangenen Jahre und die Prognose auswirkt.
Die psychosoziale Unterstützung muss für die AYA-Altersgruppe besondere Aspekte berücksichtigen. Gedanken an Krankheit und Tod sind normalerweise in diesem Alter weit entfernt. Andere Themen stehen im Vordergrund, je nach Stadium der Persönlichkeitsreifung: Unabhängigkeit und Ablösung vom Elternhaus, Akzeptanz bei Freunden und Partnern, sexuelle Orientierung und Erfahrung, Mobilität, Alkohol- und Drogenkonsum, Ausbildung, Arbeitsplatz und Karriere oder Gründung einer Familie.3,4 Gerade das Thema Fertilität ist von grosser Bedeutung – Expertise in diesem Bereich ist unabdingbar in der Behandlung von Personen dieser Altersgruppe.5
All diese Aspekte müssen natürlich in der Betreuung der AYA berücksichtigt werden. Die Arbeitsgruppe hat daher minimale Anforderungen an ein AYA-Zentrum definiert:2
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Multidisziplinäres Team mit Onkologen und Hämatologen aus der Pädiatrie und und dem Erwachsenenbereich
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Zugang und Infrastruktur zu internationalen Therapieoptimierungsstudien, die die AYA-Altersgruppe miteinschliessen
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Expertise in den für die Altersgruppe spezifischen Krebserkrankungen, wie Lymphomen, Sarkomen, Melanomen und Karzinomen
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Team zur psychosozialen Unterstützung
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Altersentsprechende Spitalausstattung und Angebote
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Fertilitätserhaltende Massnahmen
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«Survivorship»-Sprechstunde
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Transitionskonzepte für den Übergang von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin
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Krebsprädispositions-Sprechstunde
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Altersentsprechendes Palliativbetreuungsprogramm
Viele europäische Ländern haben die Bedeutung der Versorgung der AYA-Altersgruppe erkannt und, besonders in den letzten 20 Jahren, nationale AYA-Arbeitsgruppen gebildet sowie entsprechende AYA- Zentren aufgebaut. Exemplarisch soll hier der «Teenage Cancer Trust UK» vorgestellt werden, der sich auf Patienten der Altersspanne 15 bis 24 Jahre fokussiert hat.6 Das Angebot reicht hier von der medizinischen Versorgung und Ausstattung spezieller altersgerechter Stationen im Krankenhaus (insgesamt 28 im gesamten Vereinigten Königreich) bis zu vielen Weiterbildungen als auch finanzieller Unterstützung für die Betroffenen und ihre Familien.
Wie sieht die Situation in der Schweiz aus?
Die Versorgung von an Krebs erkrankten Jugendlichen und jungen Erwachsenen setzt eine enge Zusammenarbeit zwischen der pädiatrischen Onkologie/Hämatologie und den entsprechenden Kollegen der Erwachsenenbetreuung voraus. Diese ist in der Schweiz nur an den neun «Swiss Pediatric Oncology Group»(SPOG)-Zentren gegeben, es sind dies:
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das Kantonsspital Aarau,
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das Ospedale Regionale di Bellinzona,
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das Inselspital Bern,
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das Centre hospitalier universitaire vaudois,
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das Kantonsspital Luzern,
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die Hôpitaux universitaires de Genève (HUG)
sowie bei den reinen Kinderspitälern
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das Universitätskinderspital beider Basel (Universitätsspital Basel),
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das Ostschweizer Kinderspital St. Gallen (Kantonsspital St. Gallen) sowie
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das Universitätskinderspital Zürich (Universitätsspital Zürich).
In all diesen Zentren findet ein reger Austausch bei vielen Krebsneudiagnosen in dieser Altersgruppe statt, die Behandlung erfolgt gemäss Biologie, der stationäre Aufenthalt auf der pädiatrischen oder der Erwachsenenseite wird vom individuellen Wunsch, der Tumorentität und weiteren Faktoren abhängig gemacht. Offiziell gibt es aber in der Schweiz keine AYA-Station oder ein entsprechendes formales Programm.
Prinzipiell ist die Altersgrenze zwischen pädiatrischer und Erwachsenenonkologie nicht scharf definiert, aber meist dem Alter der Volljährigkeit (18 Jahre) angepasst. Bei einem Erkrankungsalter von 16–18 Jahren findet aber die Behandlung nicht immer an einem kinderonkologischen Zentrum statt.
Im Gegensatz dazu ist für die seit dem 1. Januar 2020 geltende Meldepflicht laut Krebsregistrierungsgesetz (KRG) eine klare Altersgrenze festgelegt: Bei Kindern und Jugendlichen, die zum Zeitpunkt der Diagnosestellung das 20. Altersjahr noch nicht vollendet haben, müssen Daten zum gesamten Krankheits- und Behandlungsverlauf einschliesslich der Behandlungsergebnisse sowie Angaben zu Nachsorgeuntersuchungen (sogenannte Zusatzdaten) an das Kinderkrebsregister gemeldet werden.7 Eine einheitliche Regelung der Altersgrenze wäre hier wünschenswert.
Pilotprojekt am Kantonsspital Aarau
Am Kantonsspital Aarau gibt es nun (ab 2022) ein Pilotprojekt zu AYA-Onkologie – das sogenannte CAYAC-Projekt («Care for Adolescents and Young Adult Cancer patients and survivors»). Sämtliche Patienten mit einem Alter von 16–25 Jahren bei Diagnosestellung werden an einem interdisziplinären Tumorboard bzw. in interdisziplinären Meetings besprochen, die Therapie sowie der Therapieort werden gemeinsam von pädiatrischen und Erwachsenenonkologen unter Einbezug individueller Faktoren festgelegt, die Betreuung sowie die Nachsorge erfolgen ebenfalls mit vereinter Expertise. Die Patienten können sowohl auf das pädiatrische als auch auf das Erwachsenenteam bezüglich aller Unterstützungsangebote zurückgreifen. Die wichtige Meinung der Betroffenen wird mittels «patient-reported outcome measures» (PROM) evaluiert werden. Das Pilotprojekt ist auf zwei Jahre begrenzt und durch die Palatin-Stiftung finanziert. Parallel werden im retrospektiven Teil der Studie Patienten mit entsprechendem Alter bei Diagnosestellung ab dem Jahr 2010 ausgewertet im Hinblick auf Diagnose, Therapie, Therapietoxizität und Langzeitnachsorge.
Zudem sollte in naher Zukunft hoffentlich auch in der Schweiz eine Arbeitsgruppe «AYA Oncology» gebildet werden, um ein nationales Konzept für diese Altersgruppe zu entwickeln. Ein entsprechendes Netzwerk gibt es bereits in Deutschland8 – dieses könnte sicherlich als Grundlage für eine Diskussion dienen.
Unterstützungsangebote für die betroffene Altersgruppe gibt es aber bereits in der Schweiz – viele kantonale Krebsligen haben spezielle Angebote für die AYA-Altersgruppe in ihrem Programm. Der Verein «AYA Cancer Support CH» unterhält eine ausführliche Website zu diesem Thema mit entsprechenden Events, Unterstützungsprogrammen, aber auch einer AYA-Facebook-Gruppe zur besseren Vernetzung.9
Literatur:
1 Barr RD: Adolescent and young adult (AYA) oncology — An emerging discipline. Medicina Universitaria 2014; 16: 216-18 2 Ferrari A et al.: Adolescents and young adults (AYA) with cancer: a position paper from the AYA Working Group of the European Society for Medical Oncology (ESMO) and the European Society for Paediatric Oncology (SIOPE). ESMO Open 2021; 6: 100096 3 Morgan S et al.: Sex, drugs and rock’n roll: caring for adolescents and young adults with cancer. J Clin Oncol 2010; 28: 4825-30 4 Pearce S: Policy and practice in teenage and young adult cancer care in England: looking to the future. Eur J Oncol Nurs 2009; 13: 149-153 5 Levine J et al.: Fertility preservation in adolescents and young adults with cancer. J Clin Oncol 2010; 28: 4831-41 6 Teenage Cancer Trust: Online unter https://www.teenagecancertrust.org/ . Abgerufen am 30. November 2021 7 Schweizerische Eidgenossenschaft: Verordnung über die Registrierung von Krebserkrankungen. 11. April 2018. Online unter https://www.kinderkrebsregister.ch/wp-content/uploads/sites/ 2/2019/09/Krebsregistrierungsverordnung.pdf . Abgerufen am 30. November 2021 8 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie: AYA-Netzwerk. 2018. Online unter https://www.dgho.de/arbeitskreise/ a-g/aya-netzwerk . Abgerufen am 30. November 2021 9 Cancer Support for Adolescents and Young Adults: 2019. Online unter https://ayacancersupport.ch/ . Abgerufen am 30. November 2021
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