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Oligometastasierung bei gastrointestinalen Tumoren
Jatros
Autor:
OA Dr. Peter Tschann
Landeskrankenhaus Feldkirch<br> Abteilung für Allgemein-, Thorax- und<br> Viszeralchirurgie<br> E-Mail: peter.tschann@lkhf.at
Autor:
Prim. Prof. Ingmar Königsrainer
Landeskrankenhaus Feldkirch<br> Abteilung für Allgemein-, Thorax- und<br> Viszeralchirurgie
30
Min. Lesezeit
05.03.2020
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<p class="article-intro">Während noch vor 10 Jahren eine Oligometastasierung gastrointestinaler Tumoren jeglichen Ursprungs eine palliative Situation darstellte, kam es in den letzten Jahren zu einem Paradigmenwechsel, sodass heute die meisten oligometastasierten Patienten beim kolorektalen Karzinom einer kurativ intendierten Therapie zugeführt werden können.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bei Oligometastasierung ist eine interdisziplinäre Strategie erforderlich.</li> <li>Das Gesamtüberleben beim Kolorektalkarzinom hängt wesentlich von der Therapie der Metastasen ab.</li> <li>Beim Ösophagus- und Magenkarzinom ist das Ansprechen auf eine neoadjuvante Therapie entscheidend, ob eine multimodale Therapie durchgeführt werden kann.</li> </ul> </div> <p>Gründe dafür sind die verbesserte Datenlage in der Literatur, genauere präoperative Diagnostik, neue Ansätze in der systemischen Therapie sowie radikalere lokaltherapeutische Möglichkeiten. Beim Ösophagus- und Magenkarzinom sowie beim Pankreaskarzinom ist die Datenlage nicht eindeutig. In allen Fällen ist eine interdisziplinäre Strategie von entscheidender Bedeutung.</p> <h2>Definition der Oligometastasierung</h2> <p>Eine Oligometastasierung wird als intermediärer Zustand zwischen lokal beschränktem Tumorstadium und dem Vorliegen einer echten fernmetastasierten Erkrankung definiert und wurde von Hellmann und Weichselbaum erstmalig propagiert. <sup>1</sup> In der deutschen S3-Leitlinie wird die Oligometastasierung auf 1 bis 5 Metastasen in 1 bis 3 Organsystemen beschränkt, wobei aufgrund der schlechten Prognose Gehirn, Knochen und Lymphknoten nicht miteinbezogen werden.<sup>2</sup><br /> Die European Society for Medical Oncology (ESMO) definierte 2016 in ihren Guidelines die Oligometastasierung als eine auf wenige Organe oder Läsionen beschränkte Erkrankung, bei der lokal ablative Verfahren das Outcome eines Patienten verbessern können. Durch die Kombination multimodaler Konzepte aus systemischer Therapie, Chirurgie und interventionellen Behandlungsverfahren kann so das Gesamtüberleben um >50 % verbessert werden.<sup>3</sup><br /> Entscheidend für die Prognose ist jedoch eine individuelle Therapiestrategie. Bei ca. 60 bis 80 % der Fälle ist die Leber das erste filialisierte Organ (in 20 % synchron), hierbei nimmt die Chirurgie nach aktuellen Leitlinien einen zentralen Stellenwert ein, wobei das anzustrebende Ziel eine R0-Resektion ist. Aber auch eine kurativ intendierte R1-Resektion kann diskutiert werden und zeigte ein vergleichbares onkologisches Ergebnis.<sup>4</sup> Welche operative Strategie gewählt wird, hängt maßgeblich von der (Rest-)Leberfunktion ab. Bei normaler Leberfunktion können bis zu 75 % des Lebergewebes reseziert werden. Bei systemisch vorbehandeltem Patienten oder vorgeschädigter Leber (CHILD B oder C) sollten nicht mehr als 60 % entfernt werden.<sup>5</sup> Im Rahmen der präoperativen Planung zählen neben funktionellen Aspekten auch eine Lebervolumetrie zur Bestimmung des operativ verbleibenden Rest-Lebervolumens („future liver remnant“, FLR) zum diagnostischen Standard. Bei insuffizientem FLR können zweizeitige Verfahren (PVE, ALPPS, TSH) in die therapeutische Strategie einfließen. Bei Unmöglichkeit einer operativen Herangehensweise wären interventionelle Verfahren (RFA, SIRT, TACE) eine Alternative.<br /> Der Zeitpunkt für die Lokaltherapie sollte in einem multimodalen Konzept festgelegt werden. Eine zytoreduktive Strategie ist maßgeblich von einem guten Ansprechen auf eine Vortherapie abhängig. Beim kolorektalen Karzinom sollte ein „Liver first“-Konzept ins Auge gefasst werden, da das Gesamtüberleben maßgeblich durch die Lebermetastasen beeinflusst wird.<sup>6</sup> Eine Ausnahme stellt eine drohende Stenosierung des Primärtumors dar. Hier sollte das Primum vor einer systemischen Therapie reseziert werden, da ein Ileus mit möglicher septischer Komplikation während der Chemotherapie das Gesamtüberleben deutlich verschlechtert.</p> <h2>Kolorektales Karzinom</h2> <p>Gerade beim kolorektalen Karzinom beeinflusst die Therapie der Metastasen das Gesamtüberleben wesentlich. 20 bis 25 % der Patienten haben bereits bei Erstdiagnose Metastasen, meist in der Leber. Weitere 20 bis 25 % entwickeln im weiteren Verlauf der Erkrankung Leberfiliae. Während Patienten mit Lebermetastasen ohne chirurgische Therapie ein medianes Überleben von weniger als 18 Monaten und eine 5-Jahres-Überlebensrate (5-JÜLR) von 0 % aufzeigen, haben resezierte Patienten ein medianes Überleben von ca. 40 Monaten und eine 5-JÜLR von 17 % , auch wenn es zum Rezidiv kommt.<sup>7</sup> Bei synchroner Metastasierung wird die therapeutische Strategie kontroversiell diskutiert: Grundsätzlich ist ein synchrones und ein metachrones Vorgehen möglich und wird in mehreren Fallserien als gleichwertig beschrieben.<sup>8, 9</sup> Andere Fallserien präferieren ein zweizeitiges Vorgehen, da aufgrund der nicht zu vernachlässigenden Morbidität bei synchronem Vorgehen ein verschlechtertes Gesamtüberleben zu erwarten ist.<sup>10</sup> Die Entscheidung, ob ein synchrones oder ein metachrones Vorgehen gewählt wird, sollte verschiedene Kriterien beinhalten: Major- Resektionen gemeinsam mit der Resektion des Primums sollten vermieden werden, kleine periphere Resektionen können allerdings sicher synchron durchgeführt werden. In die Entscheidungsfindung sollten Alter, bestehende Komorbiditäten und die Leberfunktion einfließen.<br /> Die Lunge als isoliertes filialisiertes Organ ist selten (<1,7–7,2 % ).<sup>11</sup> Bei den meisten Patienten besteht eine synchrone Metastasierung in Leber und Lunge. Sowohl bei isolierter als auch bei synchroner Metastasierung sollte eine Resektion der pulmonalen Herde angestrebt werden, da diese – im Vergleich zu Patienten, bei denen pulmonale Herde belassen werden – eine signifikant bessere 5-JÜLR aufweisen (51,5 % Leberresektion bei isolierter Lebermetastase vs. 44,5 % Lungen- und Leberresektion vs. 14,3 % Leberresektion, aber Lunge belassen).<sup>12</sup> Dabei sollte ein thorakales Lymphknoten- Sampling durchgeführt werden, da dieses bei Positivität einen schlechteren prognostischen Indikator darstellt.<sup>13</sup> Wenn nach erfolgreicher Resektion Rezidive auftreten sollten, ist die Entscheidung zur Resektion unter denselben Aspekten wie bei der primären Metastasierung zu treffen.</p> <h2>Ösophagus- und Magenkarzinom</h2> <p>Zur Behandlung von oligometastasierten Patienten beim Ösophagus- und Magenkarzinom finden sich kaum kontrollierte Studien, sondern meist lediglich retrospektive Fallserien. In den deutschen S3-Leitlinien ist deshalb ein chirurgisches Vorgehen bei Oligometastasierung beim Ösophaguskarzinom nicht empfohlen und beim Magenkarzinom findet diese in der aktuellen Fassung keine Erwähnung.<sup>14, 15</sup> Die bereits publizierten retrospektiven Daten weisen allerdings auf einen Vorteil gegenüber alleiniger palliativer Systemtherapie hin. In einer prospektiven Arbeit von Al-Batran et al. scheinen Patienten bei einem Adenokarzinom des distalen Ösophagus oder des Magens im Stadium einer „limitierten“ Metastasierung von einer multimodalen Therapie (neoadjuvante Chemotherapie mit Chirurgie) zu profitieren, wenn ein Ansprechen auf die neoadjuvante Therapie vorhanden war.<sup>16</sup> Dennoch ist gerade bei diesen Patienten ein multimodales Konzept in Verbindung mit neoadjuvanter Systemtherapie unerlässlich.<sup>17</sup> Im Gegensatz zum kolorektalen Karzinom muss allerdings erwähnt werden, dass singuläre Metastasen prognostisch günstiger als multiple Metastasen zu betrachten sind.<sup>18</sup> Somit ist bei diesen beiden Entitäten eine sehr genaue Patientenselektion vor Therapie durchzuführen. Eine Resektion pulmonaler Metastasen sollte nur in ausgewählten Fällen durchgeführt werden.</p> <h2>Pankreaskarzinom</h2> <p>Die Prognose beim Pankreaskarzinom hat sich in den letzten Jahren kaum verändert und hat mit einer 5-JÜLR von ca. 9 % die schlechteste Prognose von allen gastrointestinalen Malignomen.<sup>19</sup> Bei den meisten Patienten sind bereits zum Zeitpunkt der Erstdiagnose Fernmetastasen vorhanden, nur 10 bis 20 % aller Fälle befinden sich zum Diagnosezeitpunkt in einem potenziell kurativen Stadium.<sup>20</sup> In den aktuellen Leitlinien wird eine lokale Therapie bei Nachweis von Metastasen nicht empfohlen und wird deshalb nur in ausgewählten Einzelfällen durchgeführt. Aus diesem Grund ist die Datenlage lediglich auf einzelne retrospektive Datenanalysen beschränkt. In diesen wird bei sehr selektionierten Patienten, bei Vorliegen von einzelnen Metastasen sowie bei zuvor durchgeführter systemischer Therapie mit gutem Ansprechen auf diese, ein Überlebensvorteil im Rahmen von Resektionen bei oligometastasierten Patienten beschrieben (2,7 Jahre bei M1 mit Resektion vs. 0,98 Jahre bei M1 ohne Resektion).<sup>21</sup> Weitere, vor allem prospektiv randomisierte Studien werden notwendig sein, um die aktuellen Empfehlungen zu verändern.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Gerade beim kolorektalen Karzinom scheint ein radikaler zytoreduktiver Ansatz das Gesamtüberleben entscheidend zu beeinflussen. Dies ist auch durch eine sehr gute Datenlage in der Literatur belegt. Beim Ösophagus- und Magenkarzinom scheint sich bei limitierter Metastasierung ein Vorteil bei Entfernung der Absiedelungen herauszustellen. Beim Pankreaskarzinom kann dies aus aktueller Sicht nur in Ausnahmefällen empfohlen werden und findet deshalb richtigerweise in den aktuellen Leitlinien keine Empfehlung. Ein multimodales individuelles Therapiekonzept erfordert eine sehr enge Kooperation auf interdisziplinärer Ebene, um den maximalen therapeutischen Effekt für jeden einzelnen Patienten zu erzielen und so eine entscheidende Verbesserung der Überlebenszeit bei diesen Erkrankungen zu bewirken.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Jatros_Onko_2001_Weblinks_jat_onko_2001_s53_abb1_tschann.jpg" alt="" width="550" height="252" /></p> </div></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Hellmann S, Weichselbaum RR: J Clin Oncol 1995; 13: 8-10<strong> 2</strong> S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom 2019 (www. awmf.org) <strong>3</strong> Van Cutsem E et al.: Ann Oncol 2016; 27: 1386- 1422 <strong>4</strong> Miller CL et al.: J Gastrointest Surg 2017; 21: 1831- 40 <strong>5</strong> Alvarez FA et al.: J Gastrointest Surg 2013; 17: 814-21 <strong>6</strong> Gruenberger B et al.: BMC Cancer 2008; 8: 120 <strong>7</strong> Stewart CL et al.: Curr Probl Surg 2018; 55: 330-79 <strong>8</strong> Fahy BN, Fischer CP: J Gastrointest Oncol 2012; 3: 48-58 <strong>9</strong> Mayo SC et al.: J Am Coll Surg 2013; 216: 707-18 <strong>10</strong> Tanaka K et al.: Surgery 2004; 136: 650-9 <strong>11</strong> Tan KK et al.: J Gastrointest Surg 2009; 13: 642-8 <strong>12</strong> Andres A et al.: Br J Surg 2015; 102: 691-9 <strong>13</strong> Pfannschmidt J et al.: Ann Thorac Surg 2007; 84: 324-38 <strong>14</strong> S3-Leitlinie Ösophaguskarzinom 2018 (www. awmf.org) <strong>15</strong> S3 Leitlinie Magenkarzinom 2019 (www. awmf.org) <strong>16</strong> Al-Batran SE et al.: JAMA Oncol 2017; 3: 1237-44 <strong>17</strong> Schmidt T et al.: Eur J Surg Oncol 2015; 41: 1340-7<strong> 18</strong> Markar SR et al.: Ann Surg 2016; 263: 1092-101 <strong>19</strong> Siegel RL et al.: CA Cancer J Clin 2019; 69: 7-34 <strong>20</strong> Mayo SC et al.: Cancer 2012; 118: 2674-81 <strong>21</strong> Kandel P et al.: J Pancreat Cancer 2018; 4: 88-94</p>
</div>
</p>