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Nutzen der homöopathischen Medizin in der Onkologie
Jatros
Autor:
Dr. Erfried Pichler
Kinderonkologie<br> Klinikum Klagenfurt/Wörthersee<br> E-Mail: erfried.pichler@medway.at
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Die klassische Homöopathie ist eine medizinische Therapieform mit Einzelarzneien, welche am gesunden Menschen geprüft sind und in potenzierter Form nach dem Ähnlichkeitsprinzip verordnet werden.<sup>1</sup> In der Onkologie stellt die Homöopathie eine supportive Maßnahme zum bestehenden Therapiekonzept dar.</p>
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<p class="article-content"><h2>Allgemeines</h2> <p>Die Homöopathie ist eine individuelle, arzneiliche Regulationstherapie, welche sich unter Berücksichtigung körperlicher, seelischer, geistiger, konstitutioneller, biografischer, sozialer und umweltbedingter Faktoren als Medizin der gesamten Person versteht. Daraus resultiert die untrennbare Einheit des Individuums, sodass einzelne pathologische Äußerungen fast immer im Konnex mit der Ganzheit des Menschen zu sehen sind. Der Zugang zur ganzheitlichen Erfassung des Patienten geschieht meistens über auffallende und pathologische Erscheinungen, die in der Homöopathie als Symptome bezeichnet werden. Sie sind für jeden charakteristisch in ihrer Ausprägung und dienen damit der genauen Arzneimittelwahl. Erst im Einklang der Symptome mit einem Arzneimittel kann die Verordnung der passenden Arznei erfolgen.</p> <h2>Klinische Daten zur Wirksamkeit</h2> <p>In einer prospektiven Kohortenstudie von 2011 konnten eine Verbesserung der Lebensqualität und eine Tendenz zur Reduktion von Fatigue bei Patienten mit einer zusätzlichen Homöopathiebehandlung zur konventionellen Standardtherapie festgestellt werden. Aufgrund des Studiendesigns konnten die Autoren jedoch keinen kausalen Zusammenhang zwischen den positiven Effekten und der Homöopathie feststellen.<sup>2</sup><br /> Eine andere, 2015 veröffentlichte, randomisierte, kontrollierte Studie untersuchte die Wirkung von Homöopathie an 413 Patienten mit unterschiedlichen Tumorentitäten. Die Patienten wurden entweder der jeweiligen Standardtherapie oder der Standardtherapie mit einer zusätzlichen, auf jeden Patienten abgestimmten homöopathischen Behandlung zugewiesen. Ziel der Studie war es, den Einfluss der Homöopathie auf den allgemeinen Gesundheitsstatus und das persönliche Wohlbefinden zu untersuchen. Anhand von Fragebögen konnte gezeigt werden, dass die Verbesserung des Allgemeinzustands in der Homöopathiegruppe signifikant besser war als in der Gruppe, die nur die Standardtherapie erhielt (7,7; 95 % CI: 2,3–13,0; p=0,005). Auch das persönlichen Wohlbefinden war bei der Behandlung mit Homöopathie signifikant besser (14,7; 95 % CI: 8,5–21,0; p=0,001).<sup>3</sup> Bei der Studie stellen allerdings das Fehlen einer Kontrollintervention und einer Verblindung ein Bias-Risiko dar.</p> <h2>Klinische Anwendung</h2> <p>Seit 20 Jahren werden an der Kinderonkologie des Klinikums Klagenfurt/Wörthersee die homöopathischen Arzneien für die an Krebs erkrankten jungen Patienten ermittelt. Ein Hauptbeweggrund für die Installierung der homöopathischen Behandlungsmöglichkeit ist die Tatsache, dass ca. 80 % aller onkologischen Patienten in irgendeiner Form „alternative“ Behandlungsarten ausprobieren. Welche Möglichkeiten, aber vor allem „Unmöglichkeiten“ angeboten werden, ist hinlänglich bekannt. Teilweise geben die Betroffenen sehr viel Geld aus, um Wunder zu erwarten, die dann doch nicht eintreffen. Daher ist es an dieser Abteilung das Ziel, die Homöopathie in ihrer klassischen und nachvollziehbaren Form als sinnvolle Ergänzung in das Therapiekonzept der Kinderonkologie zu integrieren. Die Kosten werden direkt von der Kärntner Kinderkrebshilfe übernommen. Seit 20 Jahren bewährt sich dieses Miteinander und es werden faktisch alle Kinder sowohl konventionell als auch homöopathisch therapiert. Die Akzeptanz ist vorbildlich und es scheint aufgrund dieses dualen Therapieprinzips eine Reduktion an Analgetika, Antiemetika und Psychopharmaka eingetreten zu sein.</p> <h2>Behandlung von Nebenwirkungen</h2> <p>Akute Therapienebenwirkungen lassen sich mit Homöopathika günstig beeinflussen. Ein häufiges Problem stellt die chemotherapieinduzierte Stomatitis dar, die durch zusätzliche Gabe von Mercurius corrosivus C30, 2–3x täglich 5 Globuli, rascher abheilt. Der ausgeprägte Speichelfluss, der unangenehme foetor ex ore, eine allgemeine Schweißneigung sowie die reizbare Stimmung sind für diese Arznei charakteristisch. Die Schwächezustände lassen sich positiv durch China regia beeinflussen. Kommen eine große Ängstlichkeit und ein intensives Wärmeverlangen dazu, ist Acidum arsenicosum imstande, den Allgemeinzustand zu verbessern.<br /> Primär jedoch ist das Erkennen des jeweiligen Konstitutionsmittels für die kleinen Patienten. Nach einer mindestens einstündigen Anamnese wird mittels Repertorisation (Nachschlagen in Symptomenverzeichnissen) und Analogisierung die ähnlichste Arznei erarbeitet. Anschließend werden die patientencharakteristischen Symptome mit den bekannten Arzneibeschreibungen in Einklang gebracht, um so das ähnlichste Konstitutionsmittel zu erfassen.</p> <h2>Patientenbericht</h2> <p>Die einstündige Anamnese mit dem 4-jährigen Kilian findet 2006, eine Woche nach Beginn der onkologischen Therapie nach Standard-Schema, statt. Der normalgewichtige, eher blasse Knabe ist vor einem Monat in einem Krankenhaus wegen einer Pneumonie behandelt worden. Danach war er zehn Tage beschwerdefrei. Eine plötzliche, anfangs unerklärbare Epistaxis führte rasch zu einer stationären Abklärung mit der Diagnose akute lymphatische Leukämie (ALL).<br /> In der Familienanamnese fallen Krebserkrankungen bei Großvater, Tante und Großonkel auf. Für seine Mutter war Kilian die erste geplante Schwangerschaft. Entwicklung und Verhalten des kleinen Patienten waren unauffällig bis auf schmerzhafte Zahnungen, wobei er ein großes Verlangen nach Flüssigkeiten ohne Kohlensäure zeigte. Süßigkeiten nimmt er selten zu sich.<br /> Die Mutter beschreibt ihn als sehr folgsam und pflichtbewusst sowie als vorsichtig im Umgang mit anderen Kindern und beim Erkunden von Neuem. Im Krankenhaus ist er bei den Abklärungen erstaunlich kooperativ. Kilian spürt kaum Nebenwirkungen der Chemotherapie, außer einem intensiven, lästigen Kratzen im Rachenbereich.<br /> In dieser Anamnese finden sich charakteristische Züge seiner Person. In diesem Alter ist es nicht selbstverständlich, dass ein Kind so pflichtbewusst ist und fast keine Süßigkeiten isst. Das belastende Kratzen im Rachenraum als Nebenwirkung der Chemotherapie ist ein weiteres ungewöhnliches Symptom. Schlägt man diese Zeichen im Repertorium nach, findet sich Phosphor an erster Stelle. Kinder, die als homöopathische Arznei Phosphor benötigen, sind jedoch extrovertiert und begeisterungsfähig. Pflichtbewusstsein hingegen ist ein typisches Verhalten von Menschen, die Kalium in homöopathischer Zubereitung benötigen. Daher ist bei genauerer Betrachtung Kalium phosphoricum die Arznei, die den Symptomen und dem Verhalten am ehesten entspricht. Kalium phosphoricum wird in einer C12 verschrieben, zweimal täglich fünf Globuli, fünfzehn Minuten vor dem Frühstück und Abendessen.<br /> Nach einiger Zeit treten Aphten in der Mundhöhle auf, die auf Mercurius corrosivus rasch sistieren. Nach 7 Wochen hat Kilian keine Übelkeit und kein Halskratzen, aber er wird aggressiv und ungeduldig, flucht, schreit und schlägt. Dieses Verhalten ist neu an Kilian und stellt im homöopathischen Sinne ein auffallendes Symptom dar. Zorn und Wut im Rahmen von onkologischen Therapien sprechen üblicherweise schnell auf Nux vomica (Strychnos nux vomica – Brechnuss) an. Diese wird nun in einer C12 2x täglich verordnet.<br /> Eine Woche später ist Kilian ist wie ausgewechselt, er ist nicht mehr aggressiv, fühlt sich wohl. Der Stuhl ist o.B., er hat keine Übelkeit nach der Chemotherapie. Der Appetit ist besser, vor allem zu Hause. Er schläft ruhig.<br /> Weitere 5 Wochen später ist Kilian ausgeglichen und bei gutem Appetit. Er lacht viel und ist freundlich. Er spielt sogar mit mir, sonst spielt er auch gerne alleine. Kilian ist sehr aktiv, schläft bestens, auch bei Vollmond, was ihm früher Probleme bereitet hat. Nux vomica wird abgesetzt. Nach wenigen Tagen wird er erneut aggressiv. Innerhalb von zwei Tagen nach Wiedereinsetzen von Nux vomica beruhigt er sich wieder.<br /> Nach insgesamt 8 Monaten ist die Therapie beendet. Nux vomica wird jeden zweiten Tag verabreicht, Kilian ist weiterhin ausgeglichen.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>In dieser Krankengeschichte sind die Wirkungen der homöopathischen Arzneien gut zu erkennen. Innerhalb von ein bis zwei Tagen bilden sich Aphten unter Mercurius corrosivus zurück und das aggressive Verhalten wird durch Nux vomica rasch verändert. Wichtig ist die Verabreichung der Akutarzneien beim ersten Anzeichen von Nebenwirkungen. Gerade in der Onkologie entwickeln sich Probleme oft extrem schnell. Innerhalb von Stunden können sich massive Veränderungen an Mund- und Rachenschleimhaut einstellen. Je früher eine Behandlung einsetzt, desto schneller kommt es zur Genesung. So verordne ich Mercurius corrosivus schon zu Beginn der Schleimhautprobleme, weil diese Arznei häufig das Fortschreiten verhindert.<br /> Nach jeder Gabe von Nux vomica beruhigt Kilian sich. Dieses duale Therapieprinzip ermöglicht eine Verbesserung des Therapieregimes sowohl auf physischer als auch auf psychischer Ebene und hat sich mittlerweile seit zwanzig Jahren an der Kinderonkologie bestens bewährt.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Swayne J: International Dictionary of Homeopathy. Edinburgh: Churchill Livingstone 2000 <strong>2</strong> Rostock M et al: Classical homeopathy in the treatment of cancer patients – a prospective observational study of two independent cohorts. BMC Cancer 2011; 11: 19, 2011 <strong>3</strong> Frass M et al: Influence of adjunctive classical homeopathy on global health status and subjective wellbeing in cancer patients – a pragmatic randomized controlled trial. Complement Ther Med 2015; 23(3): 309-17</p>
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