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Nuklearmedizinische Onkologie: von der Theranostik zur Immuntheranostik

Theranostik im weiteren Sinne bedeutet, eine entscheidende Modifikation oder ein Merkmal einer Krankheit zu erkennen oder zu messen, um sie dann zu behandeln oder zu hemmen. Die entscheidende Modifikation kann eine genetische Mutation sein, die zur Aktivierung eines Signalwegs führt, eine Rezeptorüberexpression oder ein anderes spezifisches Merkmal einer Krankheit.

Keypoints

  • Nuklearmedizinische Theranostik bedeutet, ein therapeutisches Ziel mit diagnostischen Radiopharmazeutika sichtbar zu machen, bevor das gleiche Ziel mit therapeutischen Radiopharmazeutika behandelt wird.

  • Der Erfolg immunonkologischer Behandlungen wird von der Interaktion mit der Tumormikroumgebung bestimmt. Diese kann mittels nuklearmedizinischer Theranostik detektiert und moduliert werden.

  • In Studien soll überprüft werden, ob die nuklearmedizinische Theranostik in Kombination mit immunonkologischer Therapie synergistische Effekte erwirken kann.

Die Grundlagen für das theranostische Denken wurden in einem «White Paper»der FDA 2004, «Challenge and Opportunity on the Critical Path to New Medical Technologies», veröffentlicht.1 Es wurde verfasst, da bereits damals der medizinische Produktentwicklungsprozess nicht mehr in der Lage war, mit den grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen Schritt zu halten. Es zielte darauf ab, neue Entwicklungen schneller und mit mehr biologischem Verständnis in Studien überprüfen zu können und vor allem die individuelle Krankheitssituation des Patienten besser zu verstehen. In der Zwischenzeit wurden von der FDA viele solcher Untersuchungen, z.B. in der Onkologie, zugelassen.2

Nuklearmedizinische Theranostik

In dieser kurzen Übersicht wird vor allem auf die Theranostik in der Nuklearmedizin eingegangen. Unter nuklearmedizinischer Theranostik versteht man, eine Ziel struktur mit diagnostischen Radiopharmaka sichtbar zu machen und zu messen, bevor sie mit einem, sich bezüglich der Biodistribution identisch verhaltenden, therapeutischen Radiopharmakon behandelt wird. Der erste und immer noch einer der effektivsten theranostischen Ansätze in der Nuklearmedizin ist die Behandlung von Schilddrüsenerkrankungen. Die spezifische Jodaufnahme über den Natrium-Jod-Symporter (NIS) ist das exklusive Stoffwechselmerkmal von Schilddrüsenzellen. Daher können Jod-123 und Jod-131 als diagnostische und therapeutische Paarisotope eingesetzt werden. Jod-123 emittiert Gammastrahlen und macht Schilddrüsengewebe sicht- und messbar, während Jod-131 dasselbe Gewebe durch hoch dosierte lokale Elektronenstrahlung depletiert. Beispiele sind Hochrisiko-Schilddrüsenkarzinome, inoperable funktionelle Adenome oder der refraktäre Morbus Basedow.

Die moderne nuklearmedizinische Theranostik wird in der Schweiz aktuell vor allem bei neuroendokrinen Tumoren und beim Prostatakarzinom eingesetzt. Die Durchführung eines diagnostischen Gallium-68-Dotatate-PET-CT, gefolgt von einer Lutetium-177-Dotatate-Therapie, wurde in einer prospektiv randomisierten Studie in gut differenzierten (G1/G2) neuroendokrinen Tumoren des Gastrointestinaltrakts überprüft und zeigte hochsignifikante Resultate.3 Erste prospektive Studien mit Gallium-PSMA-PET-CT gefolgt von einer Gallium-68-PSMA-Therapie zeigen ebenfalls erste positive Resultate,4 wobei die Resultate der Registrierungsstudie zu lutetiumbasiertem PSMA (VISION Trial; NCT NCT03511664) laut einer ersten Pressemitteilung positiv bezgl. Gesamtüberleben und radiologischem progressionsfreien Überleben sind, genaue Resultate aber noch abgewartet werden müssen.5

Die Entwicklung der nuklearmedizinischen Theranostik schreitet weiter rasch voran. Derzeit werden neue therapeutische Isotope überprüft. Vor allem Alphastrahler wie z.B. das Bleiisotop Pb-212 scheinen sehr attraktive physikalische Eigenschaften und eine gute Verfügbarkeit zu haben. Erste klinische Versuche mit Pb-212-Dotamtate für neuroendokrine Tumoren zeigten in einer Phase-I-Studie sehr eindrückliche klinische Resultate ohne klinisch signifikante Toxizität.6 Eine besonders interessante Eigenschaft dieses Isotops ist, dass der therapeutische Alphazerfall, welcher hocheffizient über ein paar Mikrometer wirkt, erst als zweiter physikalischer Schritt nach einer Halbwertszeit von zehn Stunden auftritt. Das heisst, das Radiopharmakon hat zehn Stunden Zeit, sich korrekt zu verteilen und – falls ungebunden – renal eliminiert zu werden, bevor es zur lokal begrenzten zytotoxischen Wirkung übergeht.

Personalisierte Medizin

Eine weitere sehr interessante Entwicklung ist die Integration theranostischer Methoden in das aktuelle Umfeld der Immunonkologie (IO). Um dieser rasanten Entwicklung gerecht zu werden, ist unser nuklearmedizinisches Theranostik-Denken vielleicht zu kurz gedacht und schliesst die Nuklearmedizin von dieser spannenden IO-Entwicklung weitgehend aus.

Der Erfolg einer immunonkologischen Behandlung wird in hohem Masse von der Interaktion mit der Tumormikroumgebung (TME) bestimmt. Die in fortgeschrittenen Tumoren oft antiinflammatorische TME hemmt auf mannigfaltige Art und Weise eine erfolgreiche Immunantwort. Leider ist die TME innerhalb der Tumoren selbst, aber auch zwischen den verschiedenen Metastasen extrem heterogen und abhängig von externen Faktoren, z.B. Hypoxie und der daraus resultierenden Nekrose. Ausserdem verändert sich die TME auch zeitlich, z.B. unter dem externen Druck einer Therapie. Resistenzmechanismen, wie die Makrophagenpolarisation, das aktivierte Tumorendothel oder aktivierte Fibroblasten, sind daher ortsspezifisch und zeitabhängig. Die nuklearmedizinische Theranostik überwindet damit die Einschränkungen der lokalen Biopsie, da z.B. ein inhibitorischer Zelltyp oder aktivierendes Zytokin einerseits im ganzen Körper abgebildet wird und andererseits zeitlich mehrere Bildgebungen durchgeführt werden können. Wir müssen daher das nuklearmedizinische Theranostik-Paradigma neu überdenken und auf die moderne Immunonkologie ausweiten. Erste Studien zur Bestimmung der PD-L1- oder PD1-Expression wurden bereits durchgeführt und zeigen eine bessere Vorhersage des Ergebnisses als die Immunhistochemie.7,8 Da die Sensitivität modernster PET-Scanner laufend verbessert wird, sind Strahlenbelastung (<2mSv) und Auflösung (<3mm) immer weniger ein Problem.

Chance Immuntheranostik

Im Einklang mit diesem Gedanken, die Theranostik auf die IO-Behandlung auszuweiten, stehen wir vor neuen Herausforderungen. Erstens, und das ist wohl am wichtigsten, wird die Resistenz gegenüber einer Immuntherapie nicht nur von einem Parameter bestimmt, sondern von einer Vielzahl interagierender hemmender (und aktivierender) Zytokine und Zelltypen.9 Zweitens sind Studien, die den Nutzen solch bildgebender Messungen zeigen, sehr kompliziert und erfordern ein sehr komplexes und teures Studiendesign. Drittens müssen sozioökonomische Studien durchgeführt werden, die erfolgreich validieren, ob wir die Gesamtkosten von IO-Behandlungen drastisch reduzieren können, indem wir die richtigen Patienten anhand von (relativ teuren) Biomarker-Bildgebungsergebnissen ausschliessen. Neben diesen drei Herausforderungen bleibt die Frage, ob die Optimierung der Immuntherapie durch die Visualisierung des Targets letztendlich überhaupt eine echte Form der Theranostik ist.

Wenn wir die ursprüngliche Grundlage der Theranostik im Sinne der FDA betrachten – die Medikamentenherstellung durch bessere Vorhersage der Ergebnisse beim einzelnen Patienten zu beschleunigen – sicherlich ja, aber gilt das auch für die nuklearmedizinische Theranostik? Um das Paradigma der Theranostik im Kontext der Immuntherapie bei Krebs zu erweitern, wurde kürzlich der Begriff «Immuntheranostik» eingeführt.10 Er bedeutet, die TME durch eine nuklearmedizinische Theranostik-Behandlung erst zu detektieren und in der Folge zu modulieren, um ihre lokale antientzündliche Barriere erst zu erkennen und dann zu überwinden. In diesem Sinne könnte die Immuntheranostik synergistisch mit der IO-Therapie funktionieren, mit dem Ziel, den Prozentsatz des lokalen Tumoransprechens oder der Resistenz zu prognostizieren und die Heilungschance durch gezielte Elimination der zuvor dargestellten Barrieren zu erhöhen. Aktuelle eigene Studien überprüfen zum Beispiel die funktionelle Bildgebung von antiinflammatorischen («m2-like») Makrophagen bei Patienten vor der Immuntherapie (NCT04663126) oder die Rolle bildgebender Messung der Tumorangiogenese vor der Gabe von autologen Tumorlymphozyten (NCT03475134). Weitere Phase-I-Studien an unserem Spital werden in Kürze aufgenommen, um zu überprüfen, ob die theranostische Bestrahlung solcher Targets auch therapeutisch in Kombination mit IO eingesetzt werden kann.

<< Wir müssen das nuklearmedizinische Theranostik-Paradigma neu überdenken und auf die moderne Immunonkologie ausweiten.>>
N. Schaefer, Lausanne

Fazit

Nuklearmedizinische Theranostik bedeutet, ein therapeutisches Ziel mit diagnostischen Radiopharmazeutika sichtbar zu machen, bevor das gleiche Ziel mit therapeutischen Radiopharmazeutika behandelt wird. Sie hat die Nuklearmedizin zu einem der wichtigsten Partner der modernen klinischen Onkologie gemacht und ein extremes Wachstumsgebiet geschaffen. Dennoch bleiben wichtige Herausforderungen bestehen. Die wichtigste Herausforderung ist, dass die Nuklearmedizin weiterhin ihre theranostischen Ansätze in grossen Studien prospektiv überprüft und logistische Probleme von internen Strahlentherapien optimal löst. Die Nuklearmedizin hat zudem aktuell die einmalige Chance sich mit der Immuntheranostik aktiv in die Entwicklung der modernen Immunonkologie einzubringen und auch diese Ansätze müssen prospektiv auf deren Nutzen und Sicherheit überprüft werden. Um diese zwei Herausforderungen zu meistern erscheint insbesondere wichtig, unsere jungen Ärzte interdisziplinär zwischen Onkologie und Nuklearmedizin so auszubilden, dass sie über ein umfassendes klinisches Spektrum verfügen, um diese Form der personalisierten Medizin weiterzuentwickeln und in der Zukunft am Patienten im richtigen Kontext einzusetzen.

1 U.S. Food and Drug Administration, U.S. Department of Health and Human Services: Challenge and opportunity on the critical path to new medical technologies. March 2004. Online unter: https://www.who.int/intellectualproperty/documents/en/FDAproposals.pdf 2 U.S. Food and Drug Administration: List of cleared or approved companion diagnostic devices (in vitro and imaging tools). 2020. Online unter: https://www.fda.gov/medical-devices/vitro-diagnostics/list-cleared-or-approved-companion-diagnostic-devices-vitro-and-imaging-tools 3 Strosberg J et al.: NEngl J Med 2017; 376(2): 125-35 4 Hofman MS et al.: JCO 2020; 38(15_suppl): 5500-5500 5 Rosa K.: 177Lu-PSMA-617 Improves OS and rPFS Over Best Standard of Care in Advanced Prostate Cancer. Online unter: https://www.onclive.com/view/177lu-psma-617-improves-os-and-rpfs-over-best-standard-of-care-in-advanced-prostate-cancer 6 Delpassand E et al.: J Nucl Med 2020; 61(Suppl 1): 415 7 Niemeijer AN et al.: Nat Commun 2018; 9(1): 4664 8 Bensch F et al.: Nat Med 2018; 24(12): 1852-8 9 Tang H et al.: Cancer Lett 2016; 370(1): 85-90 10 Schaefer N et al.: Nucl Med Mol Imaging 2020; 54: 81-5

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