
©
Getty Images/iStockphoto
Next-Generation Sequencing – Grundlagen, Möglichkeiten und Limitationen
Jatros
Autor:
Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Gregor Hörmann, PhD
Klinisches Institut für Labormedizin<br>Medizinische Universität Wien<br>E-Mail: gregor.hoermann@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Die Entwicklung von Hochdurchsatz-Sequenzierverfahren des Next-Generation Sequencing (NGS) erlaubt neue diagnostische Ansätze in allen Bereichen der Hämatologie und Onkologie und stellt das wesentliche diagnostische Instrument der Präzisionsmedizin und damit auch der personalisierten Medizin dar. Damit hat diese Technologie das Potenzial, die herkömmliche diagnostische Herangehensweise an eine Tumordiagnose grundlegend zu verändern – weg von einer morphologischen, Organ-zentrierten Diagnostik hin zu einer genetischen, Pathway-zentrierten Diagnostik. </p>
<p class="article-content"><div id="keypoints" class="Kasten-umflie-end"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>NGS ermöglicht durch eine massive Parallelisierung der Sequenzierung eine genetische, Pathway-zentrierte Diagnostik.</li> <li>NGS-Tests sind vom diagnostischen Labor hinsichtlich ihrer Performance-Daten zu vali­dieren.</li> <li>Die Integration von NGS-basierten Analyseergebnissen in diagnostische und therapeutische Entscheidungen erfordert eine intensive Kommunikation zwischen diagnostischem Labor und klinischem Einsender.</li> </ul> </div> <p>Diese Entwicklung verbessert und erleichtert zum einen die Anwendung zielgerichteter „targeted drugs“. Zum anderen erfordert dies aber vonseiten der diagnostisch und therapeutisch tätigen Ärzte eine fundierte Auseinandersetzung mit Genetik und der dazugehörigen Nomenklatur von komplexen molekulargenetischen Befunden. Der folgende Artikel soll einen groben Überblick über die technischen Grundlagen, die diagnostischen Möglichkeiten, aber auch über die Herausforderungen und Limitationen von NGS geben.</p> <h2>Technische Grundlagen</h2> <p>Unter dem Begriff NGS werden unterschiedliche Methoden zusammengefasst, die durch eine massive Parallelisierung der Sequenzierung und damit auch durch eine Potenzierung des Durchsatzes im Vergleich zur herkömmlichen Sanger-Sequenzierung gekennzeichnet sind. Die überwiegende Mehrheit der heute im diagnostischen Umfeld etablierten Systeme gehört zu den sogenannten „2<sup>nd</sup> Generation Sequencer“, für die vor der eigentlichen Sequenzierung eine Amplifikation der DNA-Moleküle erfolgt. Diese Gerätegeneration wird neuen Technologien des „3<sup>rd</sup> Generation Sequencing“ gegenübergestellt, die die Basensequenz einzelner DNA-Moleküle auslesen können, ohne diese vorher mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zu amplifizieren. In allen Fällen ist nach der eigentlichen Sequenzierung eine bioinformatische Analyse großer Datenmengen notwendig, um genetische Veränderungen in der Probe zu detektieren und anschließend zu bewerten. Grob vereinfacht, werden aus den Rohdaten Sequencing Reads (Basensequenzabfolgen eines DNA-Moleküls) ermittelt, die gegen die bekannte Referenzsequenz des menschlichen Genoms abgeglichen werden. Unterschiede zur Referenzsequenz werden als genetische Varianten bezeichnet, deren pathogenetische Bedeutung (von sicher benigner Normvariante bis hin zur krankheitskausalen genetischen Veränderung) durch den Abgleich mit Datenbanken, in-silico-Analysen und gegebenenfalls weiterführende Untersuchungen beurteilt wird.<sup>1</sup></p> <h2>Anwendungsmöglichkeiten</h2> <p>Je nach Probenvorbereitung kann mittels NGS ein umschriebenes Genpanel („targeted sequencing“), das Exom als Summe aller kodierenden Bereiche des Genoms („whole exome sequencing“, WES) oder das gesamte Genom („whole genome sequencing“, WGS) analysiert werden. Darüber hinaus kann auch die RNA-Expression im Rahmen von Transkriptom-Analysen untersucht werden. RNA-basierte Sequenzierverfahren eignen sich auch für die Detektion von Splice-Varianten und Fusionstranskripten, wie sie zum Beispiel im Rahmen von Chromosomentranslokationen entstehen. Die Analyse von Methylierungen und anderen DNA-Modifikationen erlaubt darüber hinaus die Untersuchung von epigenetischen Veränderungen. All diese Analyseverfahren können sowohl aus leicht zugänglichen Zellen für Keimbahnanalysen (typischerweise Leukozyten aus peripherem Blut, Mundschleimhautabstrich o.Ä.) als auch aus Tumorproben durchgeführt werden. Darüber hinaus ermöglicht die hochsensitive Analyse von frei zirkulierender zellfreier DNA aus Plasma eine Aussage zu genetischen Veränderungen im Tumor, ohne diesen selbst analysieren zu müssen. Viele dieser Analysen sind von hohem wissenschaftlichem Wert. Im klinischen Alltag werden in der hämato-onkologischen Diagnostik derzeit vor allem Genpanel-Analysen durchgeführt.<sup>2</sup></p> <h2>Herausforderungen und Limitationen</h2> <p>Die oben genannten weiterführenden Analysen von genetischen Varianten beziehen sich im Fall von Tumorproben meist auf die Untersuchung einer Keimbahnkontrolle von nicht neoplastischen Zellen, um so somatische Mutationen, die im Tumor entstanden sind, von ererbten genetischen Varianten, die in allen Körperzellen zu finden sind, zu unterscheiden. Im Fall von klassischen Erbkrankheiten ist als weiterführende Analytik oft die Untersuchung von Familienmitgliedern notwendig, um die pathogenetische Bedeutung einer genetischen Variante abzuklären. Diese Vorgangsweise ist grundsätzlich nicht auf NGS limitiert und kommt auch bei herkömmlichen molekulargenetischen Analyseverfahren zur Anwendung. Im Gegensatz zu diesen wird mittels NGS aber ein Vielfaches mehr an Varianten detektiert, da meist ein deutlich größerer Bereich des menschlichen Genoms analysiert wird. In der Folge kommt der Interpretation dieser Vielzahl an Varianten in der NGS-basierten Diagnostik eine besondere Bedeutung zu. Dabei sind vor allem Varianten unklarer Signifikanz (VUS) zu erwähnen, über deren pathogenetische Bedeutung zum Zeitpunkt der Befunderstellung keine eindeutige Aussage getroffen werden kann, die aber gegebenenfalls durch neue Erkenntnisse reklassifiziert werden könnten (Abb. 1).<sup>2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1706_Weblinks_s62.jpg" alt="" width="1454" height="994" /><br />Neben der genetischen Nomenklatur einer detektierten Variante sollte ein molekulargenetischer Befund auch Angaben zur Varianten-Allel-Frequenz (VAF) der jeweiligen Veränderung enthalten. Diese beschreibt, in welchem Anteil an Sequencing Reads die Veränderung detektiert wurde. Bei Keimbahnvarianten ist eine VAF von ca. 50 % für heterozygote und ca. 100 % für homozygote Varianten zu erwarten; bei Tumorproben mit somatischen Mutationen kann die VAF auch deutlich geringer sein. Dies kann zum einen daher resultieren, dass nur ein Teil der Tumorzellen die genetische Veränderung aufweist (im Sinne eines Subklons). Zum anderen kann ein geringer Anteil an Tumorzellen in der Probe die Ursache für eine geringe VAF sein. In diesen Fällen ist es besonders wichtig, die Sensitivität des jeweiligen Tests (Detektionslimit) zu kennen, um im Fall eines negativen Befundes das Vorliegen einer genetischen Veränderung auch mit der notwendigen Sicherheit ausschließen zu können. Das Detektionslimit eines NGS-basierten Tests ist insbesondere von seiner Coverage abhängig. Diese Kennzahl gibt an, von wie vielen Sequencing Reads eine Position erfasst wird. Für Keimbahnanalysen wird eine minimale Coverage von 20x als ausreichend erachtet, während für die Analyse somatischer Mutationen im Tumor eine um ein Vielfaches höhere Coverage (von z.B. 500x) verwendet wird. In der Folge ist ein für Keimbahnanalytik optimierter NGS-Assay nicht geeignet, um eine somatische Mutation zum Beispiel im Tumorsuppressor-Gen TP53 mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, obwohl vielleicht dasselbe Gen sequenziert wird. Dieses Beispiel zeigt, dass es in der Verantwortung des diagnostischen Labors liegt, die Performance-Daten der jeweiligen NGS-Assays genau zu kennen und in Übereinstimmung mit dem zuweisenden Kliniker die für die jeweilige Fragestellung richtigen Tests auszuwählen. Die überwiegende Mehrheit der NGS-Anwendungen ist dabei vom Hersteller derzeit nicht zur diagnostischen Anwendung zugelassen (CE-IVD), sondern als Forschungstest („research use only“, RUO) klassifiziert, deren Performance-Charakteristika (u.a. Präzision, Reproduzierbarkeit, Sensitivität und Spezifität) vom diagnostischen Labor, das diese Tests anwendet, ausführlich selbst validiert werden müssen. Diese Validierung umfasst den gesamten Analyseprozess inklusive Bioinformatik und stellt in Übereinstimmung mit einschlägigen gesetzlichen und regulatorischen Bestimmungen sicher, dass nur qualitativ hochwertige und reproduzierbare Daten als Grundlage diagnostischer Befunde und klinischer Entscheidungen verwendet werden. In der Folge sollen dem Kliniker mit dem Ergebnis auch die wesentlichen Performance-Daten des Tests rückgemeldet werden.<sup>3–5</sup></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>NGS eröffnet eine Fülle an neuen diagnostischen Möglichkeiten. Die erfolgreiche klinische Anwendung erfordert zum einen die Zusammenarbeit unterschiedlicher diagnostischer Fachrichtungen (insbesondere Pathologie, Labormedizin und Humangenetik) zur Integration genetischer Daten in einen Gesamtbefund und zum anderen eine intensive Kommunikation zwischen diagnostischem Labor und klinischem Einsender im Rahmen von Tumorboards u.Ä., um aus NGS-basierten genetischen Tests optimale diagnostische und therapeutische Schlussfolgerungen abzuleiten. <span class="Artikelende" style="font-size: 1em;" xml:lang="de-DE">n</span></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Richards S et al.: Standards and guidelines for the interpretation of sequence variants: a joint consensus recommendation of the American College of Medical Genetics and Genomics and the Association for Molecular Pathology. Genet Med 2015; 17(5): 405-24 <strong>2</strong> Lee LA et al.: Annotation of sequence variants in cancer samples – processes and pitfalls for routine assays in the clinical laboratory. J Mol Diagn 2015; 17: 339-51 <strong>3</strong> Aziz N et al.: College of American Pathologists’ laboratory standards for next-generation sequencing clinical tests. Arch Pathol Lab Med 2015; 139(4): 481-93 <strong>4</strong> Gargis AS et al.: Assuring the quality of next-generation sequencing in clinical laboratory practice. Nat Biotechnol 2012; 30(11): 1033-6 <strong>5</strong> Matthijs G et al.: Guidelines for diagnostic next-generation sequencing. Eur J Hum Genet 2016; 24(1): 2-5</p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Erhaltungstherapie mit Atezolizumab nach adjuvanter Chemotherapie
Die zusätzliche adjuvante Gabe von Atezolizumab nach kompletter Resektion und adjuvanter Chemotherapie führte in der IMpower010-Studie zu einem signifikant verlängerten krankheitsfreien ...
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...