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Next-Generation Sequencing – Grundlagen, Möglichkeiten und Limitationen

<p class="article-intro">Die Entwicklung von Hochdurchsatz-Sequenzierverfahren des Next-Generation Sequencing (NGS) erlaubt neue diagnostische Ansätze in allen Bereichen der Hämatologie und Onkologie und stellt das wesentliche diagnostische Instrument der Präzisionsmedizin und damit auch der personalisierten Medizin dar. Damit hat diese Technologie das Potenzial, die herkömmliche diagnostische Herangehensweise an eine Tumordiagnose grundlegend zu verändern – weg von einer morphologischen, Organ-zentrierten Diagnostik hin zu einer genetischen, Pathway-zentrierten Diagnostik. </p> <p class="article-content"><div id="keypoints" class="Kasten-umflie-end"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>NGS erm&ouml;glicht durch eine massive Parallelisierung der Sequenzierung eine genetische, Pathway-zentrierte Diagnostik.</li> <li>NGS-Tests sind vom diagnostischen Labor hinsichtlich ihrer Performance-Daten zu vali&shy;dieren.</li> <li>Die Integration von NGS-basierten Analyseergebnissen in diagnostische und therapeutische Entscheidungen erfordert eine intensive Kommunikation zwischen diagnostischem Labor und klinischem Einsender.</li> </ul> </div> <p>Diese Entwicklung verbessert und erleichtert zum einen die Anwendung zielgerichteter &bdquo;targeted drugs&ldquo;. Zum anderen erfordert dies aber vonseiten der diagnostisch und therapeutisch t&auml;tigen &Auml;rzte eine fundierte Auseinandersetzung mit Genetik und der dazugeh&ouml;rigen Nomenklatur von komplexen molekulargenetischen Befunden. Der folgende Artikel soll einen groben &Uuml;berblick &uuml;ber die technischen Grundlagen, die diagnostischen M&ouml;glichkeiten, aber auch &uuml;ber die Herausforderungen und Limitationen von NGS geben.</p> <h2>Technische Grundlagen</h2> <p>Unter dem Begriff NGS werden unterschiedliche Methoden zusammengefasst, die durch eine massive Parallelisierung der Sequenzierung und damit auch durch eine Potenzierung des Durchsatzes im Vergleich zur herk&ouml;mmlichen Sanger-Sequenzierung gekennzeichnet sind. Die &uuml;berwiegende Mehrheit der heute im diagnostischen Umfeld etablierten Systeme geh&ouml;rt zu den sogenannten &bdquo;2<sup>nd</sup> Generation Sequencer&ldquo;, f&uuml;r die vor der eigentlichen Sequenzierung eine Amplifikation der DNA-Molek&uuml;le erfolgt. Diese Ger&auml;tegeneration wird neuen Technologien des &bdquo;3<sup>rd</sup> Generation Sequencing&ldquo; gegen&uuml;bergestellt, die die Basensequenz einzelner DNA-Molek&uuml;le auslesen k&ouml;nnen, ohne diese vorher mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) zu amplifizieren. In allen F&auml;llen ist nach der eigentlichen Sequenzierung eine bioinformatische Analyse gro&szlig;er Datenmengen notwendig, um genetische Ver&auml;nderungen in der Probe zu detektieren und anschlie&szlig;end zu bewerten. Grob vereinfacht, werden aus den Rohdaten Sequencing Reads (Basensequenzabfolgen eines DNA-Molek&uuml;ls) ermittelt, die gegen die bekannte Referenzsequenz des menschlichen Genoms abgeglichen werden. Unterschiede zur Referenzsequenz werden als genetische Varianten bezeichnet, deren pathogenetische Bedeutung (von sicher benigner Normvariante bis hin zur krankheitskausalen genetischen Ver&auml;nderung) durch den Abgleich mit Datenbanken, in-silico-Analysen und gegebenenfalls weiterf&uuml;hrende Untersuchungen beurteilt wird.<sup>1</sup></p> <h2>Anwendungsm&ouml;glichkeiten</h2> <p>Je nach Probenvorbereitung kann mittels NGS ein umschriebenes Genpanel (&bdquo;targeted sequencing&ldquo;), das Exom als Summe aller kodierenden Bereiche des Genoms (&bdquo;whole exome sequencing&ldquo;, WES) oder das gesamte Genom (&bdquo;whole genome sequencing&ldquo;, WGS) analysiert werden. Dar&uuml;ber hinaus kann auch die RNA-Expression im Rahmen von Transkriptom-Analysen untersucht werden. RNA-basierte Sequenzierverfahren eignen sich auch f&uuml;r die Detektion von Splice-Varianten und Fusionstranskripten, wie sie zum Beispiel im Rahmen von Chromosomentranslokationen entstehen. Die Analyse von Methylierungen und anderen DNA-Modifikationen erlaubt dar&uuml;ber hinaus die Untersuchung von epigenetischen Ver&auml;nderungen. All diese Analyseverfahren k&ouml;nnen sowohl aus leicht zug&auml;nglichen Zellen f&uuml;r Keimbahnanalysen (typischerweise Leukozyten aus peripherem Blut, Mundschleimhautabstrich o.&Auml;.) als auch aus Tumorproben durchgef&uuml;hrt werden. Dar&uuml;ber hinaus erm&ouml;glicht die hochsensitive Analyse von frei zirkulierender zellfreier DNA aus Plasma eine Aussage zu genetischen Ver&auml;nderungen im Tumor, ohne diesen selbst analysieren zu m&uuml;ssen. Viele dieser Analysen sind von hohem wissenschaftlichem Wert. Im klinischen Alltag werden in der h&auml;mato-onkologischen Diagnostik derzeit vor allem Genpanel-Analysen durchgef&uuml;hrt.<sup>2</sup></p> <h2>Herausforderungen und Limitationen</h2> <p>Die oben genannten weiterf&uuml;hrenden Analysen von genetischen Varianten beziehen sich im Fall von Tumorproben meist auf die Untersuchung einer Keimbahnkontrolle von nicht neoplastischen Zellen, um so somatische Mutationen, die im Tumor entstanden sind, von ererbten genetischen Varianten, die in allen K&ouml;rperzellen zu finden sind, zu unterscheiden. Im Fall von klassischen Erbkrankheiten ist als weiterf&uuml;hrende Analytik oft die Untersuchung von Familienmitgliedern notwendig, um die pathogenetische Bedeutung einer genetischen Variante abzukl&auml;ren. Diese Vorgangsweise ist grunds&auml;tzlich nicht auf NGS limitiert und kommt auch bei herk&ouml;mmlichen molekulargenetischen Analyseverfahren zur Anwendung. Im Gegensatz zu diesen wird mittels NGS aber ein Vielfaches mehr an Varianten detektiert, da meist ein deutlich gr&ouml;&szlig;erer Bereich des menschlichen Genoms analysiert wird. In der Folge kommt der Interpretation dieser Vielzahl an Varianten in der NGS-basierten Diagnostik eine besondere Bedeutung zu. Dabei sind vor allem Varianten unklarer Signifikanz (VUS) zu erw&auml;hnen, &uuml;ber deren pathogenetische Bedeutung zum Zeitpunkt der Befunderstellung keine eindeutige Aussage getroffen werden kann, die aber gegebenenfalls durch neue Erkenntnisse reklassifiziert werden k&ouml;nnten (Abb.&nbsp;1).<sup>2</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1706_Weblinks_s62.jpg" alt="" width="1454" height="994" /><br />Neben der genetischen Nomenklatur einer detektierten Variante sollte ein molekulargenetischer Befund auch Angaben zur Varianten-Allel-Frequenz (VAF) der jeweiligen Ver&auml;nderung enthalten. Diese beschreibt, in welchem Anteil an Sequencing Reads die Ver&auml;nderung detektiert wurde. Bei Keimbahnvarianten ist eine VAF von ca. 50 % f&uuml;r heterozygote und ca. 100 % f&uuml;r homozygote Varianten zu erwarten; bei Tumorproben mit somatischen Mutationen kann die VAF auch deutlich geringer sein. Dies kann zum einen daher resultieren, dass nur ein Teil der Tumorzellen die genetische Ver&auml;nderung aufweist (im Sinne eines Subklons). Zum anderen kann ein geringer Anteil an Tumorzellen in der Probe die Ursache f&uuml;r eine geringe VAF sein. In diesen F&auml;llen ist es besonders wichtig, die Sensitivit&auml;t des jeweiligen Tests (Detektionslimit) zu kennen, um im Fall eines negativen Befundes das Vorliegen einer genetischen Ver&auml;nderung auch mit der notwendigen Sicherheit ausschlie&szlig;en zu k&ouml;nnen. Das Detektionslimit eines NGS-basierten Tests ist insbesondere von seiner Coverage abh&auml;ngig. Diese Kennzahl gibt an, von wie vielen Sequencing Reads eine Position erfasst wird. F&uuml;r Keimbahnanalysen wird eine minimale Coverage von 20x als ausreichend erachtet, w&auml;hrend f&uuml;r die Analyse somatischer Mutationen im Tumor eine um ein Vielfaches h&ouml;here Coverage (von z.B. 500x) verwendet wird. In der Folge ist ein f&uuml;r Keimbahnanalytik optimierter NGS-Assay nicht geeignet, um eine somatische Mutation zum Beispiel im Tumorsuppressor-Gen TP53 mit hinreichender Sicherheit auszuschlie&szlig;en, obwohl vielleicht dasselbe Gen sequenziert wird. Dieses Beispiel zeigt, dass es in der Verantwortung des diagnostischen Labors liegt, die Performance-Daten der jeweiligen NGS-Assays genau zu kennen und in &Uuml;bereinstimmung mit dem zuweisenden Kliniker die f&uuml;r die jeweilige Fragestellung richtigen Tests auszuw&auml;hlen. Die &uuml;berwiegende Mehrheit der NGS-Anwendungen ist dabei vom Hersteller derzeit nicht zur diagnostischen Anwendung zugelassen (CE-IVD), sondern als Forschungstest (&bdquo;research use only&ldquo;, RUO) klassifiziert, deren Performance-Charakteristika (u.a. Pr&auml;zision, Reproduzierbarkeit, Sensitivit&auml;t und Spezifit&auml;t) vom diagnostischen Labor, das diese Tests anwendet, ausf&uuml;hrlich selbst validiert werden m&uuml;ssen. Diese Validierung umfasst den gesamten Analyseprozess inklusive Bioinformatik und stellt in &Uuml;bereinstimmung mit einschl&auml;gigen gesetzlichen und regulatorischen Bestimmungen sicher, dass nur qualitativ hochwertige und reproduzierbare Daten als Grundlage diagnostischer Befunde und klinischer Entscheidungen verwendet werden. In der Folge sollen dem Kliniker mit dem Ergebnis auch die wesentlichen Performance-Daten des Tests r&uuml;ckgemeldet werden.<sup>3&ndash;5</sup></p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>NGS er&ouml;ffnet eine F&uuml;lle an neuen diagnostischen M&ouml;glichkeiten. Die erfolgreiche klinische Anwendung erfordert zum einen die Zusammenarbeit unterschiedlicher diagnostischer Fachrichtungen (insbesondere Pathologie, Labormedizin und Humangenetik) zur Integration genetischer Daten in einen Gesamtbefund und zum anderen eine intensive Kommunikation zwischen diagnostischem Labor und klinischem Einsender im Rahmen von Tumorboards u.&Auml;., um aus NGS-basierten genetischen Tests optimale diagnostische und therapeutische Schlussfolgerungen abzuleiten. <span class="Artikelende" style="font-size: 1em;" xml:lang="de-DE">n</span></p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Richards S et al.: Standards and guidelines for the interpretation of sequence variants: a joint consensus recommendation of the American College of Medical Genetics and Genomics and the Association for Molecular Pathology. Genet Med 2015; 17(5): 405-24 <strong>2</strong> Lee LA et al.: Annotation of sequence variants in cancer samples &ndash; processes and pitfalls for routine assays in the clinical laboratory. J Mol Diagn 2015; 17: 339-51 <strong>3</strong> Aziz N et al.: College of American Pathologists&rsquo; laboratory standards for next-generation sequencing clinical tests. Arch Pathol Lab Med 2015; 139(4): 481-93 <strong>4</strong> Gargis AS et al.: Assuring the quality of next-generation sequencing in clinical laboratory practice. Nat Biotechnol 2012; 30(11): 1033-6 <strong>5</strong> Matthijs G et al.: Guidelines for diagnostic next-generation sequencing. Eur J Hum Genet 2016; 24(1): 2-5</p> </div> </p>
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