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Neue Immuntherapien für die akute lymphoblastische B-Zell-Leukämie (B-ALL)
Jatros
Autor:
Univ.-Prof. Dr. Christina Peters
Stammzelltransplantationseinheit 1A<br> St. Anna Kinderspital, Wien<br> E-Mail: christina.peters@stanna.at
30
Min. Lesezeit
04.04.2019
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<p class="article-intro">Im Sommer 2018 wurde in Europa das erste CAR-T-Zellprodukt von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen. Tisagenlecleucel (Kymriah<sup>®</sup>) ist ein genetisch verändertes Lymphozytenpräparat, das gegen das Oberflächenprotein CD19 gerichtet ist, welches auf B-Zellen exprimiert wird.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Was sind CAR-T-Zellen?</h2> <p>CAR-T-Zellen sind T-Lymphozyten, in die ex vivo mittels eines lentiviralen Transferkonstruktes ein Gen eingebracht wird. Dieses Gen kodiert einen Bauplan für einen künstlichen Antigenrezeptor, welcher sowohl eine Domäne innerhalb des T-zellulären Zytoplasmas als auch eine extrazelluläre Domäne zur Erkennung von CD19-positiven B-Zellen enthält. CD19- Oberflächenproteine befinden sich sowohl auf gesunden als auch auf malignen BZellen.</p> <h2>Für wen ist eine Therapie mit Tisagenlecleucel zugelassen?</h2> <p>Diese Art der Immunzelltherapie eignet sich für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von bis zu 25 Jahren mit einer Chemotherapie-refraktären oder rezidivierten ALL, die CD19- positive Blasten exprimiert. Das können auch Patienten sein, die nach einer allogenen Stammzelltransplantation einen Leukämierückfall erleiden. Ebenso zugelassen ist Tisagenlecleucel für erwachsene Patienten mit refraktärem oder rezidiviertem diffusem großzelligem B-Zell-Lymphon (DLBCL), welche bereits zwei oder mehr Linien einer systemischen Therapie erhalten haben.<br /> Tisagenlecleucel ist gegen CD19-positive Leukämie gerichtet. Derzeit wird in einigen Studien auch die Wirksamkeit gegen CD19-positive Lymphome bei Kindern und Jugendlichen untersucht.<br /> Ein anderer, ähnlicher immuntherapeutischer Wirkstoff, der in der EU ebenfalls 2018 zugelassen wurde, ist Axicabtagen- Ciloleucel (Yescarta<sup>®</sup>). Er richtet sich gleichermaßen gegen CD19-positive Zellen, ist allerdings nicht zur Behandlung einer B-ALL indiziert.</p> <h2>Wie werden CAR-T-Zellen hergestellt?</h2> <p>Zunächst werden über eine Leukapherese T-Lymphozyten vom Patienten gewonnen und anschließend kryokonserviert. Die Zellen werden tiefgekühlt in ein amerikanisches oder europäisches Zentrallabor versandt, wo ihnen mittels lentiviraler Transduktion ein modifiziertes Gen eingebaut wird, das Z-Zellen normalerweise nicht haben. Dieses Gen kodiert ein Protein, welches chimärer Antigenrezeptor (CAR) genannt wird. Die modifizierten Zellen werden sodann vermehrt und auf ihre Sicherheit getestet. Das kryokonservierte Produkt wird daraufhin an das Behandlungszentrum geschickt.</p> <h2>Behandlung der Patienten</h2> <p>Während der Herstellungsphase des genetisch modifizierten Lymphozytenpräparats brauchen manche Patienten eine überbrückende Chemotherapie, um ein Fortschreiten der Leukämie zu verhindern. Wenn das Produkt hergestellt wurde und alle Sicherheits- und Infektionschecks in Ordnung waren (meist nach ca. 4–6 Wochen), kann der Patient für die Infusion vorbereitet werden. Meist wird eine lymphodepletierende Chemotherapie verabreicht, um ein gutes Anwachsen und eine Vermehrung der CAR-T-Zellen zu gewährleisten. Dadurch werden nicht nur Leukämiezellen, sondern auch das körpereigene Immunsystem unterdrückt. Dies ist für Patienten, die häufig an Virusinfektionen leiden, eine potenzielle Bedrohung, weshalb in solch einer Situation zusätzlich eine virostatische Therapie stattfinden muss, ehe die Zellen infundiert werden können. Unmittelbar nach der Infusion der CART- Zellen beginnen diese, alle CD19-positiven Zellen zu zerstören. Dies findet nicht nur im Blut, sondern auch in Organen und im Gehirn statt. Eine intensive Überwachung ist notwendig, um ein Zellzerfallssyndrom rechtzeitig zu erkennen und zu therapieren.</p> <h2>Nebenwirkungen</h2> <p>Bei fast allen Patienten kommt es nach der Infusion von Tisagenlecleucel zu Nebenwirkungen, die lebensbedrohlich sein können, weshalb ein intensives Monitoring und eine rechtzeitige Therapie essenziell sind.<br /> Die häufigste und am schwersten wiegende Nebenwirkung ist der sogenannte Zytokinsturm („cytokine-release syndrome“). Frühe Symptome sind hohes Fieber, Kreislaufinstabilität, Ödeme und Aszites. Ein gegen Interleukin-6 gerichteter Antikörper (Tozilizumab) kann erfolgreich diese überschießenden Entzündungsreaktionen kontrollieren. Manchmal kommt es jedoch zu Makrophagenaktivierung, Hämophagozytose und Zytopenien. Weiters sind neurologische Komplikationen (Aphasie, Krampfanfälle, Verwirrtheit, selten Koma) bei mehr als einem Drittel der Patienten zu beobachten, diese sind jedoch meist reversibel. Langfristig macht die bleibende B-Zell-Aplasie eine Bildung von Immunglobulinen unmöglich und somit ist eine regelmäßige Immunglobulinsubstitution erforderlich. Diese kann subkutan im ambulanten Setting oder zu Hause erfolgen.</p> <h2>Wirksamkeit</h2> <p>In der globalen Zulassungsstudie wurden 75 Kinder und Jugendliche mit CD19- positiver, rezidivierter oder therapierefraktärer ALL mit Tisagenlecleucel behandelt. Ursprünglich waren 92 Patienten registriert, allerdings kam es bei einigen nicht zur Infusion, weil es nicht möglich war, ihre Lymphozyten entsprechend zu modifizieren, oder weil die Patienten zuvor an Komplikationen oder Leukämieprogress starben. 81 % der Patienten erreichten eine vollständige Remission nach der Infusion. Die Rate des ereignisfreien Überlebens betrug nach sechs Monaten 73 % , die des Gesamtüberlebens 90 % . Nach 12 Monaten waren noch 50 % der Patienten rezidivfrei und 76 % am Leben.</p> <h2>Diskussion</h2> <p>Die Therapie mit modifizierten körpereigenen Lymphozyten eröffnet vollkommen neue Therapiemöglichkeiten für Patienten mit Leukämie und Lymphomen. Es sind bereits Studien im Gange, die diese Behandlungsmethoden frühzeitiger einsetzen, und es ist anzunehmen, dass hiermit die Erfolgsaussichten größer werden. Man wird auch evaluieren, ob mit diesen Methoden auf eine allogene Stammzelltransplantation verzichtet werden kann. Eine Alternative zur zentralen Aufbereitung von CAR-T-Zellen wird die dezentrale Präparation in vollautomatischen Systemen sein. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie potent und nebenwirkungsbehaftet diese Therapie ist und wie gut die Zellen persistieren. Langzeitbeobachtungen, vor allem bei jungen Patienten, sind essenziell und wurden von der EMA auch gefordert. Alle Tisagenlecleucel-Patienten werden in einem zentralen Register der European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) dokumentiert, ihr Verlauf wird über mindestens 15 Jahre evaluiert.</p></p>
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