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NEU: tertiäre Individual-Prävention berufsbedingter Hauterkrankungen in Österreich
Jatros
Autor:
Dr. Szandra Takacs
Fachärztin für Dermatologie und Venerologie,<br> Berufsdermatologin<br> AUVA-Rehabilitationsklinik Tobelbad<br> Dr.-Georg-Neubauer-Straße 6<br> E-Mail: szandra.takacs@auva.at
Autor:
Primaria Barbara Machan
Ärztliche Leitung der Abteilung für<br> Berufskrankheiten und Arbeitsmedizin<br> AUVA-Rehabilitationsklinik Tobelbad
Autor:
Dr. Susanne Kroemer
Ärztin für Allgemeinmedizin und Arbeitsmedizin<br> AUVA-Rehabilitationsklinik Tobelbad<br> E-Mail: susanne.kroemer@auva.at
30
Min. Lesezeit
02.03.2017
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<p class="article-intro">Nach den beiden vorangegangenen berufsdermatologischen Aufsätzen soll der aktuelle Artikel die Maßnahmen der interdisziplinären stationären Rehabilitation im Rahmen des neuen österreichischen Konzeptes bei berufsbedingten Hauterkrankungen erläutern.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Berufsbedingte Hauterkrankungen – BK 19</h2> <p>Berufskrankheiten sind die in § 177 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) in Anlage 1 bezeichneten Krankheiten, die durch Ausübung der beruflichen Tätigkeit verursacht sind. Hautkrankheiten gelten nur dann als Berufskrankheiten, wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Tätigkeiten zwingen.<sup>1</sup><br /> Nach der Lärmschwerhörigkeit stellen berufsbedingte Hauterkrankungen derzeit die zweithäufigste Berufskrankheit in Österreich dar.<sup>2</sup><br /> Hochrisikogruppen sind z.B. ArbeitnehmerInnen im Friseurhandwerk, in der Metallbranche, in der Reinigungs- und Pflegebranche sowie in der Gastronomie oder im Baugewerbe.</p> <h2>Historische Möglichkeit: Kur</h2> <p>Es gab schon seit vielen Jahren die Möglichkeit für die Betroffenen aus Österreich, auf Kosten der AUVA einen vierwöchigen Kuraufenthalt in Kroatien (Opatija) am Meer zu verbringen. Hier wurden unter Klimatherapie sowie durch dermatologische Lokaltherapien auch entsprechende Besserungen erzielt, jedoch fehlten die in der Folge beschriebenen komplexen Rehabilitationsmaßnahmen. Die Patienten kehrten in ihren Berufsalltag zurück ohne Bewusstseinsbildung für Hautrisiken sowie ohne Informationen über für sie geeignete Schutzausrüstung. Somit wurde meist keine nachhaltige Wirkung erreicht.</p> <h2>Neues Konzept – Hautkompetenzzentrum der AUVA in Tobelbad</h2> <p>In der Rehabilitationsklinik Tobelbad besteht seit dem 1. Oktober 2015 die Möglichkeit – derzeit nur für Betroffene aus der Steiermark und Kärnten –, eine umfassende stationäre Hautrehabilitation nach dem „Osnabrücker Modell“ in der Abteilung für Berufskrankheiten und Arbeitsmedizin (Leiterin: Prim. Dr. Barbara Machan) durchzuführen. Eine Ausweitung dieses Angebots für Patienten aus ganz Österreich erfolgt voraussichtlich innerhalb der nächsten zwei Jahre.<br /> Tertiäre Individual-Prävention (TIP) als modifiziertes stationäres Heilverfahren ist ein interdisziplinäres Angebot im Rahmen des integrativen Stufenverfahrens für die von der Berufsaufgabe bedrohten Patienten.<sup>3</sup></p> <h2>Ablauf der TIP</h2> <p>Voraussetzung für die Inanspruchnahme ist immer das Vorliegen einer Meldung auf Verdacht einer Berufskrankheit BK 19 in der AUVA. Die Indikation zur stationären Rehabilitation wird durch einen Berufsdermatologen der AUVA bereits im Rahmen der Hautsprechstunde I oder erst nach Absolvierung eines eintägigen Hautseminars gestellt.<br /> Zielgruppe sind Patienten mit schweren, therapieresistenten Hautsymptomen sowie komplexe Fälle, in denen eine spezielle Abklärung/Diagnostik notwendig ist. Chronisch-irritative Handekzeme, allergische Kontaktekzeme, beruflich getriggerte atopische Handekzeme sowie beruflich provozierte weitere Dermatosen, wie z.B. Psoriasis palmaris, zählen zu den häufigsten Diagnosen.<br /> Derzeit stehen für Hautpatienten insgesamt sechs Einzelzimmer für den dreiwöchigen stationären Turnus in der Rehabilitationsklinik Tobelbad zur Verfügung. Der dreiwöchige Aufenthalt wird mit einer bis zu dreiwöchigen poststationären Arbeitskarenz ergänzt, um eine vollständige Konsolidierung der Hautbarriere zu erreichen. In der Folge kehren die Patienten im Idealfall an den Arbeitsplatz zurück, unter Anwendung der erlernten Techniken und der persönlichen Schutzausrüstung (PSA).<br /> Drei bzw. sieben Wochen nach dem Aufenthalt sind poststationäre Untersuchungen zur Verlaufskontrolle vorgesehen. Nach einem Jahr ist eine Rückmeldung in Form eines zugeschickten Fragebogens geplant.<br /> Für jeden stationären Fall wird im Anschluss an den Aufenthalt ein berufsdermatologisches Gutachten verfasst.</p> <h2>Stationäre Rehabilitation – Patient im Mittelpunkt</h2> <p>Das medizinische Kernteam „Haut“ besteht aus Berufsdermatologen und Arbeitsmedizinern, Pflegepersonal, Gesundheitspädagoginnen, Ergotherapeutinnen und einer Psychologin. Bei Bedarf steht ein Sozialberater im Haus zur Verfügung. Während des Aufenthalts finden wöchentlich Teambesprechungen zum Informationsaustausch statt.<br /> Jede Berufsgruppe hält hautbezogene Gruppenvorträge, zusätzlich finden Einzelberatungen und praktische Übungen statt. Ziel ist es, das berufliche und außerberufliche Hautrisikobewusstsein für Hautbelastungen zu stärken, die richtige Anwendung der Hautschutzmaßnamen zu erlernen und deren konsequente Umsetzung im beruflichen Alltag einzufordern.<br /><br /> Entsprechend den arbeitsmedizinischen und dermatologischen Anforderungen stellen die Gesundheitspädagogen die persönliche Schutzausrüstung nach etablierten Richtlinien unter Berücksichtigung der vorliegenden Sensibilisierungen zusammen.<br /> Die Patienten erlernen in der Ergotherapie während berufsspezifischer Arbeitssimulationen, wie die persönlichen Hautschutzmaßnahmen im Berufsalltag funktionieren. Im Haushaltstraining werden die gewohnten Tätigkeiten des privaten Umfelds hinsichtlich Hautbelastung überprüft und optimiert.<sup>4</sup><br /><br /> Es finden wochentags ärztliche Visiten statt, zudem pflegerische Behandlungen zweimal täglich. Das therapeutische Spektrum umfasst Lokaltherapie, physikalische Behandlungsformen (Lichtbehandlung UVA, UVB, Leitungswasser-Ionthophorese) und systemische Therapie. Lokaltherapeutisch wird die Applikation von kortikosteroidfreien Präparaten angestrebt.<sup>5</sup><br /><br /> Nicht selten bestehen neben Hautproblemen auch berufsassoziierte Beschwerden der Atemwege. Da die stationäre Betreuung und Begutachtung von Patienten mit Berufskrankheiten der Lunge und der Atemwege in Österreich in der Rehabilitationsklinik Tobelbad schon seit 1959 stattfinden, gibt es die Möglichkeit, begleitende arbeitsbedingte inhalative Beschwerden der Hautpatienten während des Aufenthalts abzuklären.<br /><br /> Raucherberatung, COPD-Schulung sowie Ernährungsberatung können nach Bedarf in den individuellen Plan inkludiert werden. Zusätzlich können die sportund physiotherapeutischen Angebote des Hauses, Laser-Akupunktur und physikalische Maßnahmen in Anspruch genommen werden, Therapieausflüge werden regelmäßig organisiert.</p> <h2>Umfassende Abklärung</h2> <p>Die exakte und umfassende Anamneseerhebung hat einen großen Stellenwert, sodass diese bei der stationären Aufnahme nochmals vertieft und eventuell ergänzt wird. Neben der allgemeinen Krankheitsanamnese wird sowohl die berufliche als auch die außerberufliche Vorgeschichte (z.B. Haushalt, Hobby) hinsichtlich hautbelastender Tätigkeiten und Expositionen erhoben.<sup>6</sup> Eine zusätzliche arbeitsmedizinische Arbeitsplatzbegehung vor Ort kann im Einzelfall erforderlich sein.<br /> Aufgrund der Anamnese sowie nach Prüfung der Vorbefunde wird ein persönlicher Diagnostikplan aufgestellt. Moderne diagnostische Verfahren dienen zur effektiven Abklärung.<br /> Neben der standardisierten Epikutantestung werden auch verdächtige berufliche sowie außerberufliche Eigensubstanzen nach ärztlicher Prüfung der Testbarkeit in geeigneter Konzentration appliziert. Bei fraglichen Testbefunden ist eine Nachtestung mit Verdünnungsreihen vorgesehen.<sup>7, 8</sup> Eine Atopieabklärung ist stets Bestandteil der Basisdiagnostik.<sup>9</sup> Zur Diagnosesicherung kann im Spezialfall eine operative Biopsie erforderlich sein. Hautphysiologische Spezialuntersuchungen sind aktuell im Aufbau.</p> <h2>Erste Erfahrungen</h2> <p>Bereits nach einem Jahr zeichnet sich der Benefit des neuen Stufenverfahrens in Österreich ab. Die ersten Zahlen bestätigen, dass der Berufserhalt auch in den schweren Fällen durch interdisziplinäre tertiäre Individual-Prävention deutlich häufiger ist. Die wissenschaftliche Evaluierung der TIP-Maßnahmen folgt, die Ergebnisse werden im Verlauf des kommenden Jahres veröffentlicht werden.<br /><br /> Mit dem neuen integrativen Stufenplan der AUVA gibt es ein Angebot, berufsbedingten Hauterkrankungen in Österreich effektiv, individuell und nachhaltig gegenzusteuern.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> § 177 und Anlage 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) <strong>2</strong> Statistik der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt 2015 <strong>3</strong> John SM, Skudlik C: Neue Versorgungsformen in der Dermatologie. Vernetzte ambulant- stationäre Prävention von schweren Berufsdermatosen. Gesundheitswesen 2006; 68: 769-774 <strong>4</strong> Sonsmann F, John SM, Wulfhorst B, Wilke A: „Ich kann mit Handschuhen nicht arbeiten!“ – oder doch? Herausforderungen und Lösungen bei der Auswahl eines adäquaten Handschuhschutzes. Akt Dermatol 2015; 41: 25-30 <strong>5</strong> Skudlik C: Tertiäre Individual-Prävention (TIP) in der Berufsdermatologie. Akt Dermatol 2015; 41: 15-19 <strong>6</strong> Bamberger Merkblatt. Begutachtungsempfehlungen für die Begutachtung von Haut- und Hautkrebserkrankungen. Teil 1 – Hauterkrankungen. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV), März 2009 <strong>7</strong> Schnuch A et al: Durchführung des Epikutantests mit Kontaktallergenen. JDDG 2008; 6: 699- 814 <strong>8</strong> Brach J et al: S1-AWMF Leitlinie Kontaktekzem. Allergo J Int 2014; 23: 126-138 <strong>9</strong> Diepgen TL, Fartasch M, Hornstein OP: Kriterien zur Beurteilung der atopischen Hautdiathese. Dermatosen 1991; 39: 79-83</p>
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