Nebenwirkungen gezielt managen: Praxis nach S3- und internationalen Leitlinien
Autor:innen:
OA Dr. med. Hassan Naim
Prof. Dr. med. David Blum
PD Dr. med. Caroline Hertler
Universitätsspital Zürich
Klinik für Radio-Onkologie
Kompetenzzentrum für Palliative Care
Interdisziplinäres Zentrum für Hochpräzisionstherapie, Zürich
Korrespondenz:
E-Mail: hassan.naim@usz.ch
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Systemische Krebstherapien verlängern Leben und kontrollieren Tumorerkrankungen. Entscheidend ist, dass Patient:innen die Behandlung gut vertragen. Das gelingt mit klaren, vorausschauenden Supportivstrategien: Risiken früh erfassen, prophylaktisch handeln, Nebenwirkungen stufenbasiert therapieren und eng nachkontrollieren – im Sinne der S3-Leitlinie und ergänzender internationaler Empfehlungen.1
Keypoints
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Antiemese, Infektprophylaxe und Aufklärung vor Therapiebeginn standardisieren.
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Immuntherapie-Toxizitäten (irAE, «immune-related adverse events») organbezogen und gradabhängig managen; klare Notfallwege definieren.
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Unter TKI (Tyrosinkinase-Inhibitor) v.a. Hypertonie, HFSR (Hand-Fuss-Hautreaktion) und Diarrhö/QTc (korrigiertes QT-Intervall) aktiv adressieren.
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Adhärenz, Notfallwege, Dosisanpassungen und Reexposition dokumentieren.
Warum jetzt handeln?
Nebenwirkungen sind ein häufiger Grund für Dosisreduktion, Unterbruch oder vermeidbare Hospitalisation. Die S3-Leitlinie «Supportive Therapie» (032-054OL, Version 2.0; 2.4.2025) bietet einen Informationsrahmen von Emesis über Myelosuppression und Mukositis bis zu zielgerichteten Therapien. Konsequente Umsetzung der Empfehlungen stabilisiert Lebensqualität und Therapieadhärenz; hilfreich sind SOP (Standardarbeitsanweisungen), frühe Follow-ups (z.B. Telefonkontakt <72 Stunden) und definierte Eskalationspfade.1
Chemotherapie: Klassiker im Vorbeugen und Behandeln
Antiemese: nach emetogenerRisikoklasse steuern
Die Primärprophylaxe bei Emesis und Nausea richtet sich nach patient:innenspezifischen Faktoren und der emetogenen Risikoklasse des Regimes. Es werden vier Klassen unterteilt:
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hoch emetogene Chemotherapie (HEC)
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moderat emetogene Chemotherapie (MEC)
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niedrig emetogene Chemotherapie (LEC)
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minimale Emetogenität
Bei HEC ist die antemetische Standardtherapie:
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Neurokinin-1-Rezeptorantagonist(NK1-RA)
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+5-Hydroxytryptamin-3-Rezeptorantagonist (5-HT3-RA)
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+Dexamethason
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± Olanzapin
Bei einer Carboplatinfläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (AUC) von ≥4 sollte ein Neurokinin-1-Rezeptorantagonist (NK1-RA) ergänzt werden.
Das Update der Multinational Association of Supportive Care in Cancer (MASCC)/European Society for Medical Oncology (ESMO) 2023/24 präzisiert die Klassifikation – u.a. für orale Onkologika – und ergänzt die S3-Empfehlungen. Praktisch gesehen bedeutet das:1,2
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Antiemese fix im Operationsplan
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Antiemese bei Durchbruch-chemotherapieinduzierte Übelkeit und Erbrechen (CINV) eskalieren/wechseln
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Adhärenz prüfen
Febrile Neutropenie –Notfall bleibt Notfall
Primärprophylaxe mit G-CSF
Bei einem Risiko für febrile Neutropenie (FN) von ≥20% (oder 10–20% plus Risikofaktoren) ist eine Primärprophylaxe mit G-CSF (Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor) möglich. Bei Fieber ist eine sofortige Sepsisabklärung nötig, Blutkulturen sollten erstellt und unverzüglich antipseudomonale Antibiotika i.v. verabreicht werden. Nach Stabilisierung kann deeskaliert werden. Orale Strategien sind ausgewählten Niedrigrisikopatient:innen vorbehalten.1
Tab. 1: Standard-Antiemese nach emetogener Risikoklasse (Auszug; modifiziert nach S3-Leitlinie und Jordan K et al.)1,2
Risikofaktoren für febrile Neutropenie
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Alter ≥65 Jahre, schlechter Allgemeinzustand (AZ)/ECOG-Status ≥2
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vorbestehende Neutropenie/Knochenmarksinfiltration oder frühere FN
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Organfunktionsstörung (Niere/Leber), Mangelernährung/niedriges Albumin
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hohe Myelotoxizität oder dosisintensive/dosisdichte Chemotherapie-Regime
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aktive Infektion, offene Wunden/rezente Operation, mehrere Komorbiditäten
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fortgeschrittene Erkrankung, vorangegangene Chemo-/Radiotherapie
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Immunsuppression (z.B. HIV, systemisch verabreichte Steroide)
Bei einem FN-Risiko von 10–20% sollte man eine Prophylaxe erwägen, wenn ≥1 Faktor vorliegt.
Mukositis, Diarrhö, Fatigue & CIPN – strukturiert vorgehen Mukositis:
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konsequente Mundpflege
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Analgesie
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Ernährungssupport
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in ausgewählten Situationen Palifermin erwägen
Chemotherapie-assoziierte Diarrhö (v.a. 5-FU [5-Fluorouracil)/Capecitabin/Irinotecan]):
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Loperamid hochdosiert
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refraktär Octreotid
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Flüssigkeit/Elektrolyte aktiv managen
Fatigue:
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Aufklärung
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gezielte Bewegungstherapie
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Schlafhygiene
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Symptomkontrolle (Anämie/Schmerz/Depression)
CIPN (chemotherapieinduzierte periphere Neuropathie):
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Prävention via Dosis-/Zeitmanagement
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symptomorientierte Therapie, v.a. Duloxetin bei schmerzhafter Neuropathie1
Immuntherapie: irAE erkennen, einstufen und kommunizieren
Immuncheckpoint-Inhibitoren führen zu organübergreifenden Nebenwirkungen (Haut, Darm, Lunge, Leber, endokrin, kardial/neurologisch).
ESMO 2022 und ASCO (American Society of Clinical Oncology) 2021 definieren auf CTCAE («common terminology criteria for adverse events») basierte Schweregrade (Grad 1–4), Diagnostik und Therapie, inkl. Steroid-Ein-/Ausschleichen und Zweitlinien-Immunsuppression (z.B. mit Infliximab, Mycophenolat).
Empfehlenswert ist eine niedrigschwellige Diagnostik (Labor inkl. TSH/Kortisol-Achse, Stuhltests/Bildgebung, ggf. Endoskopie) und ein Notfallpass mit 24/7-Kontaktweg.3,4
Tab. 2: Kurzalgorithmus irAE(«immune-related adverse event»)-Management (Auswahl; modifiziert nach Haanen JBAG et al. und Schneider BJ et al.)3,4
Praktische Hinweise
Immuntherapie/Immunonkologie
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Bei Endokrinopathien (Hypo-/Hyperthyreose, Hypophysitis, Nebenniereninsuffizienz) wird substituiert; IO(Immuntherapie/Immunonkologie)-Fortsetzung ist nach Stabilisierung möglich.3,4
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Reexposition nach irAE («immune-related adverse event») von Grad 2–3 ist möglich, aber individuell zu entscheiden (Organ, Verlauf, Rezidivrisiko).3,4
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Dokumentation/Schulung (Steroidschema, Warnzeichen) reduziert Rehospitalisationen.3,4
Tyrosinkinase-Inhibitoren:die Trias im Alltag sicher führen
Unter VEGF-(T)KI («vascular endothelial growth factor»-Tyrosinkinase-Inhibitoren) steht die Hypertonie als Nebenwirkung im Vordergrund.
Die European Society of Cardiology (ESC) 2022 empfiehlt «Angiotensin-converting-enzyme»(ACE)-Hemmer, Angiotensinrezeptorblocker (ARB) oder Dihydropyridin-Kalziumantagonisten (z.B. Amlodipin) als bevorzugte Antihypertensiva; Verapamil/Diltiazem sollten wegen Interaktionen gemieden werden. Ziel ist die Kontinuität der onkologischen Therapie ohne kardiovaskuläre Komplikation.
Hauttoxizitäten (v.a. Hand-Fuss-Haut-Reaktion, HSFR) werden mit ureahaltiger Pflege, Druckentlastung und bei Grad 2–3 mit Dosispausen/-reduktion plus topischen Steroiden behandelt. Persistierende Diarrhö erfordert ein Elektrolytmanagement und einen Interaktionscheck; bei Diarrhö von Grad ≥3 ist eine Dosisanpassung/ein Unterbruch gemäss Fachinformation und Leitlinie angebracht.
QTc-Monitoring (korrigiertes QT-Intervall) ist bei ausgewählten TKI obligat (z.B. BCR-ABL-Inhibitoren).5
Literatur:
1 Leitlinienprogramm Onkologie (DKG/DKH/AWMF), S3-Leitlinie: Supportive Therapie bei onkologischen Patient:innen. Version 2.0; 02.04.2025. AWMF-Registernummer 032-054OL 2 Jordan K et al.: Emetic risk classification and evaluation of the emetogenicity of antineoplastic agents — updated MASCC/ESMO consensus recommendation. Support Care Cancer 2023/2024; 32(1): 53 3 Haanen JBAG et al.: Management of toxicities from immunotherapy: ESMO Clinical Practice Guideline. Ann Oncol 2022; 33(12): 1217-38 4 Schneider BJ et al.: Management of immune-related adverse events in patients treated with immune checkpoint inhibitor therapy: ASCO Guideline Update. J Clin Oncol 2021; 39(36): 4073-126 5 Lyon AR et al.: 2022 ESC Guidelines on cardio-oncology (EHA/ESTRO/IC-OS). Eur Heart J 2022; 43(41): 4229-361
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