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Mutationsanalytik – welche Mutationen sind derzeit in der Lunge relevant?
Jatros
Autor:
Caroline Leistentritt, BSc
Biomedizinische Analytikerin<br> Institut für Pathologie<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: caroline.leistentritt@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
25.05.2017
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<p class="article-intro">Die Mutationsanalytik bei Lungentumoren hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Durch das Detektieren vieler neuer Mutationen ist es schwierig, den Überblick über deren Relevanz – Stichwort Reflextestung – zu behalten. Die Einführung einer Mutationsdatenbank in Österreich soll dies erleichtern und zur Qualitätssicherung beitragen.</p>
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<p class="article-content"><h2>Reflextestung bei Lungentumoren</h2> <p>Nicht kleinzellige Bronchialkarzinome („non-small cell lung cancer“, NSCLC) machen etwa 80 % aller Lungentumoren aus. Dazu zählen Adenokarzinome, die den größten Teil der NSCLC ausmachen, Plattenepithelkarzinome und andere seltenere Typen der Bronchialkarzinome.<br /> Bei der Erstdiagnose eines Adenokarzinoms der Lunge wird in jedem Fall im Rahmen der sogenannten Reflextestung gleichzeitig auf das Vorliegen von Mutationen im EGFR-Gen und die Expression von ALK, ROS1 und PD-L1-Proteinen getestet. Ein fragliches ALK- oder ROS1-Expressionsergebnis kann mit „next generation sequencing“ (NGS) abgeklärt werden. Hier wird mit dem sogenannten „RNA fusion panel“ nach Fusionsprodukten von ALK und ROS1 gesucht. In Abhängigkeit von einer Veränderung in den beschriebenen Genen stehen für den Patienten unterschiedliche Therapien zur Verfügung. Im Laufe der Therapie können Patienten eine Resistenzmutation entwickeln, deren Vorkommen in gewissen Abständen (Verlaufskontrolle) in frei zirkulierender Tumor- DNA aus Plasma bestimmt werden kann.<br /> Die Empfehlung für die Reflextestung bei Plattenepithelkarzinomen besteht derzeit in der Untersuchung von EGFR- und PD-L1-Expression.</p> <h2>Relevante Gene bei Lungentumoren</h2> <p>Zusätzlich zum EGFR-Gen sind derzeit vor allem das BRAF- und das ERBB2(HER2)-Gen wichtig. Die Statistik der getesteten Adenokarzinome der Lunge von 2016 (Abb. 1) basiert auf den Daten des Labors für Molekulare Diagnostik am Institut für Pathologie an der Medizinischen Universität Graz und zeigt, dass etwa 15 % eine EGFR-Mutation aufweisen. In 4 % aller Fälle konnte eine BRAF-Mutation und bei 2 % aller Patienten eine ERBB2-Mutation nachgewiesen werden. In drei Vierteln der Patientenproben, die im EGFR-, BRAF- und ERBB2-Gen eine Wildtypsequenz zeigten, konnte eine Mutation in einem anderen Gen, hauptsächlich TP53 und KRAS, nachgewiesen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1703_Weblinks_s68_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="1109" /></p> <h2>Mutationen und Fusionsprodukte mittels NGS testen</h2> <p>Das Ion AmpliSeq<sup>™</sup> Colon/Lung Cancer Panel V2 von ThermoFisher Scientific analysiert alle für die Untersuchung notwendigen Mutations-Hotspots dieser drei Gene und weitere Mutations-Hotspots in den Genen ALK, AKT1, CTNNB1, DDR2, ERBB4, FBXW7, FGFR1, FGFR2, FGFR3, KRAS, MAP2K1, MET, NOTCH1, NRAS, PIK3CA, PTEN, SMAD4, STK11 und TP53. Hotspots sind kurze Genabschnitte, in denen häufiger Veränderungen detektiert werden.<br /> Im EGFR-Gen sind die bekannten Hotspots abgedeckt: Exon 18 (inkludiert G719), Exon 19 (sämtliche häufigen Deletionen), Exon 20 (inkludiert die Resistenzmutation T790M sowie Insertionen) und Exon 21 (inkludiert L858 und L861). Hotspots in Exon 11 und Exon 15 (inkludiert V600) des BRAF-Gens sowie im Exon 20 des ERBB2-Gens werden ebenfalls durch Amplikons in diesem Panel abgedeckt.<br /> Die 71 häufigsten Fusionsprodukte der Gene ALK, RET, ROS1 und NTRK1 können mittels Ion AmpliSeq<sup>™</sup> RNA Lung Fusion Cancer Panel (ThermoFisher Scientific) nachgewiesen werden. Hierfür wird RNA aus dem Gewebsmaterial extrahiert, in eine cDNA umgeschrieben, in die Ampli- Seq-PCR eingesetzt und – sollten Fusionsprodukte vorhanden sein – sequenziert.</p> <h2>Mutationen mit NGS verifizieren</h2> <p>Die primäre Auswertung der Sequenzierung erfolgt durch den sogenannten „variant caller“. Dies ist ein statistisches Verfahren, das von der Referenzsequenz (Normalsequenz) abweichende Nukleotide erkennt. Die Abweichung wird auf das Vorhandensein einer Mutation (Genveränderung) in beiden Strängen („Forward“- und „Reverse“-Richtung) sowie auf Insertionen (eingefügte Basen) und Deletionen (Verlust von Basen) überprüft. Danach erstellt der „variant caller“ aufgrund eines mathematischen Algorithmus eine Liste von detektierten Veränderungen.<br /> Um das Software-Ergebnis zu verifizieren, werden die EGFR-, BRAF- und ERBB2- Hotspotregionen, alle zusätzlich für die Untersuchung angeforderten Gene sowie alle detektierten Veränderungen, die der „variant caller“ auflistet, visuell überprüft. Die Sequenzen werden mit der Software Integrated Genome Viewer (IGV) dargestellt. Hier gilt es, die „echten“ Mutationen zu erkennen und von Artefakten zu unterscheiden. Wenn eine Mutation verifiziert ist, zählt es zu unseren Aufgaben, die Veränderung mittels Literatur und Datenbanken in Bezug auf ihre Pathogenität zu bewerten.<br /> Für die Interpretation einer Veränderung ist das Heranziehen verschiedener Datenbanken wie COSMIC, ClinVar und My Cancer Genome sinnvoll. COSMIC (Catalogue of Somatic Mutation in Cancer) ist eine Datenbank, in der somatische Mutationen, die in wissenschaftlichen Arbeiten gefunden wurden, eingetragen werden. Ein Eintrag einer Mutation enthält unter anderem Informationen in Bezug auf humane Tumorarten. Weiters kann die Verteilung häufig mutierter Stellen eines Gens in COSMIC übersichtlich als Histogramm dargestellt werden. In der ClinVar- Datenbank hingegen ist ersichtlich, ob eine Abweichung von der Referenzsequenz eine pathogene Mutation ist oder eine benigne Variante. Die Datenbank My Cancer Genome gibt Aufschlüsse über zielgerichtete Therapien bei bestimmten Mutationen. Je nach Erkrankung zeigt die Datenbank relevante Gene und deren häufigste Mutationen. 1000 Genomes ist eine SNP-Datenbank, in der die gesamte Genomsequenz von über 1000 gesunden Personen eingetragen ist, um häufige Polymorphismen (Auftreten mehrerer Genvarianten innerhalb einer Population) zu erkennen. Eine Variante mit 1 % in der 1000-Genomes-Datenbank bedeutet, dass 1 % aller Personen, die für die 1000-Genomes- Datenbank sequenziert wurden, an dieser Stelle diese Variante tragen.</p> <h2>Die Nomenklatur – Benennung von Mutationen</h2> <p>Die Human Genome Variation Society (HGVS) hat es sich zum Ziel gesetzt, eine eindeutige Beschreibung von Mutationen zu etablieren. Die HGVS schlägt vor, die gefundene Veränderung auf DNA-Level sowie auf Proteinebene zu benennen. In Abhängigkeit von der Funktion können von demselben Gen verschieden lange Transkripte vorhanden sein. Die Codon- Nummerierung sollte sich möglichst am längsten Transkript orientieren. Im Zuge von wissenschaftlichen Arbeiten finden sich immer wieder neue Transkriptvarianten, die länger oder auch wesentlich kürzer sein können als das bisher am längsten beschriebene Transkript. Daher ist es sinnvoll, bei Benennung einer Mutation immer die jeweilige Transkriptnummer anzugeben.</p> <h2>Pilotprojekt Mutationsdatenbank</h2> <p>Durch die neuen Sequenziermethoden, die oft nicht mehr nur einen Hotspot eines Gens abdecken, können immer mehr Mutationen nachgewiesen werden, deren Auswirkungen noch nicht bekannt sind. Daher ist es sinnvoll, Datenbanken mit möglichst umfangreichen Informationen zu generieren beziehungsweise zu füllen. Als Pilotprojekt wurde von der österreichischen Gesellschaft für Pathologie eine Mutationsdatenbank erstellt, die in erster Linie sämtlichen molekularpathologischen Laboratorien in Österreich als Unterstützung für das Qualitätsmanagement dienen soll.<br /> Der Erhebungsbogen ist derzeit quartalsmäßig auszufüllen und in die Bereiche Lunge, Kolon und Melanom unterteilt. Entsprechend der COSMIC-Datenbank wurden die für die jeweiligen Bereiche am häufigsten untersuchten Gene definiert. Bei Adenokarzinomen der Lunge ist dies derzeit das EGFR-Gen. Dessen häufigste Mutationen werden erfasst. Es werden die jeweilige Fallzahl sowie die Testung oder Nichttestung der gesuchten Mutation erhoben. Alle Teilnehmer erhalten einen Zugang zur Gesamtstatistik aller Laboratorien und zu den eigenen Daten, jedoch nicht zu Daten anderer Laboratorien. Die Laboratorien können somit überprüfen, ob sie alle häufigen Mutationen mit der eingesetzten Methode detektieren und ob die gefundenen Mutationsfrequenzen mit der Gesamtstatistik übereinstimmen. Durch das Ausfüllen von vorgegebenen Tabellen werden die unterschiedlichen Schreibweisen der Mutationen ausgeschaltet. Im Rahmen der Mutationsdatenbank werden wir zusätzliche Informationen gewinnen und die relevanten Mutationen von morgen schon früher diskutieren können.</p></p>