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Multiple Linien beim kastrationsresistenten metastasierten Prostatakarzinom (mCRPC) im Spiegel der Leitlinien
Jatros
Autor:
OA Dr. Ercan Müldür
Zentrum für Onkologie, Hämatologie und Palliativmedizin<br> Wilhelminenspital der Stadt Wien<br> E-Mail: ercan.muelduer@wienkav.at
30
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27.12.2018
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<p class="article-intro">Die medikamentöse Behandlung des kastrationsresistenten metastasierten Prostatakarzinoms (mCRPC) hat in den letzten Jahren durch mehrere wirksame Therapien große Fortschritte erfahren. Substanzen wie Docetaxel, Cabazitaxel, Abirateron/Aprednisolon, Enzalutamid und Radium-223 sind in verschiedenen Therapielinien zugelassen. Die Herausforderung für den Kliniker ist dabei, diese Substanzen in bestmöglicher Sequenz und Leitlinien-orientiert einzusetzen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Überblick über zugelassene Behandlungsoptionen</h2> <p>Nach langer Durststrecke konnte durch den Einzug von mehreren wirksamen Substanzen in den klinischen Alltag eine eindrucksvolle Verlängerung der Lebenszeit für die Patienten mit metastasiertem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) erreicht werden.<br /> Mit Docetaxel konnte bei mCRPC erstmals mit einer Chemotherapie gegenüber der damaligen Standardbehandlung mit Mitoxantron in zwei Phase-III-Studien (TAX-327, SWOG 99-16) ein signifikanter Überlebensvorteil gezeigt werden.<sup>1</sup> Seit 2010 ist auch Cabazitaxel, eine Weiterentwicklung von Docetaxel, nach positiven Ergebnissen bezüglich des Gesamtüberlebens (OS) und des progressionsfreien Überlebens (PFS) in der Zulassungsstudie TROPIC Trial für die Behandlung von mCRPC zugelassen.<sup>2</sup><br /> Basierend auf der Erkenntnis, dass der intratumoröse Androgenspiegel während der Progression des CRPC durch De-novo- Steroidsynthese ansteigt und Androgenrezeptoren reaktiviert werden,<sup>3</sup> konnten sogenannte Androgenrezeptor-„targeted agents“ der zweiten Generation (ARTA) bei der Behandlung des mCRPC als eine essenzielle Therapiesäule etabliert werden. Hier einerseits Abirateronacetat, ein Androgensynthese-Inhibitor mit positiven Überlebensdaten in zwei Phase-III-Studien (COU-AA-301, COU-AA-302) vor und nach Docetaxel, und andererseits Enzalutamid, ein Androgenrezeptor-Inhibitor mit ebenfalls zwei positiven Phase-III-Studien (AFFIRM, PREVAIL) in Bezug auf das Überleben vor und nach Docetaxel.<sup>4–7</sup><br /> Zudem konnte bei der Behandlung des mCRPC mit isolierten Knochenmetastasen erstmals mit einer Radionuklid-Therapie, Radium-223, in einer Phase-III-Studie (ALSYMPCA) das Gesamtüberleben signifikant verlängert werden.<sup>8</sup></p> <h2>Sequenztherapie bei mCRPC</h2> <p>Bei der Behandlung des metastasierten kastrationsresistenten Prostatakarzinoms muss zunächst das Therapieziel definiert werden. Wenn davon auszugehen ist, dass die Todesursache des Patienten sein metastasiertes Prostatakarzinom sein wird, dann sollte der Patient wenn möglich alle wirksamen Therapieoptionen inklusive Chemotherapie erhalten, da man mit jeder Therapielinie Lebenszeit generiert. Laut der derzeit vorliegenden Datenlage, die auf retrospektiven Analysen beruht, haben jene Patienten die beste Prognose, die im Laufe ihrer Tumorerkrankung sowohl Docetaxel als auch Cabazitaxel in einer Therapiesequenz sehen.<br /> Somit drängt sich in der klinischen Praxis die Frage der Sequenztherapie bei mCRPC auf. Um diese Frage verlässlich zu beantworten, fehlen uns leider bis jetzt prospektive Daten. Wir haben derzeit auch keine prädiktiven Ansprechfaktoren, um die am besten geeignete therapeutische Sequenz zu bestimmen. Allerdings gibt es mittlerweile zwei retrospektive Analysen, die folgende Ergebnisse zutage förderten: Die retrospektive Analyse aus dem Jahr 2015 von Maines9 und die heuer publizierte retrospektive europäische FLAC-Studie10 zeigen, dass die Sequenz Docetaxel gefolgt von Cabazitaxel und ARTA die längsten Überlebenszeiten generiert (Abb. 1). Bei aller Einschränkung der retrospektiven Analysen scheint der frühere Taxan-Block die effektivste Therapiesequenz zu sein.<br /> Bezüglich einer Sequenztherapie mit den neuen Androgenrezeptor(AR)-gerichteten Therapien, ARTA (Enzalutamid und Abirateron), war die Datenlage bis jetzt auf retrospektive Analysen beschränkt, die auf eine Kreuzresistenz zwischen Enzalutamid und Abirateron hindeuteten.<br /> Rezent wurde eine prospektive Phase- II-Cross-over-Studie mit 202 Patienten zur Sequenztherapie von ARTA bei mCRPC mit den primären Endpunkten PSA-Rückgang von >50 % und PSA-progressionsfreies Überleben (PSA-PFS) im „Journal of Clinical Oncology“ publiziert. In die Studie eingeschlossen waren Chemotherapienaive mCRPC-Patienten, die in der Erstlinie randomisiert Abirateron/Prednisolon oder Enzalutamid erhielten (je n=101) und bei PSA-Progress auf die jeweils andere Therapie umgestellt wurden (n=65 bzw. 71). Patienten, die in der Erstlinie Abirateron/Prednisolon und bei PSA-Progression bzw. bei Unverträglichkeit Enzalutamid erhielten, hatten in der zweiten Therapielinie signifikant öfter ein PSAAnsprechen als Patienten mit der umgekehrten Abfolge (31 % vs. 4 % ; p<0,001; koprimärer Endpunkt: PSA50-Ansprechrate) (Abb. 2). Das PSA-progressionsfreie Überleben (PSA-PFS) war unter der Zweitlinientherapie mit Enzalutamid bei Therapiestart mit Abirateron/Prednisolon ebenfalls signifikant länger (median 2,7 vs. 1,3 Monate; p<0,001).<sup>11</sup> Mit dieser Studie liegen uns zum ersten Mal prospektive Daten vor, die einerseits eine geringe Ansprechrate unter 2nd-Line-Abirateron und andererseits unabhängig von der Sequenz ein kurzes PSA-Ansprechen unter 2<sup>nd</sup>- Line-ARTA aufzeigen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1807_Weblinks_jatros_onko_1807_s45_abb1.jpg" alt="" width="1455" height="820" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1807_Weblinks_jatros_onko_1807_s46_abb2.jpg" alt="" width="1459" height="806" /></p> <h2>S3-Leitlinien der deutschen Krebsgesellschaft</h2> <p>Es stellt sich nun die Frage, wie die Substanzen Docetaxel, Cabazitaxel, Abirateron/ Prednisolon, Enzalutamid und Radium- 223 Leitlinien-basiert einzusetzen sind. Hierbei können uns in der klinischen Praxis unter anderem die S3-Leitlinien der deutschen Krebsgesellschaft Hilfestellung leisten.<sup>12</sup> In der Erstlinientherapie des nicht oder mild symptomatischen kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (mCRPC) sollte gemäß den aktuellen S3-Leitlinien Abirateronacetat 1000mg/Tag plus Prednison oder Prednisolon 10mg/Tag oder Enzalutamid 160mg/Tag zum Einsatz kommen.<br /> Patienten mit nicht oder mild symptomatischem kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) kann gemäß den aktuellen S3-Leitlinien Docetaxel in zweioder dreiwöchigen Dosierungsschemata als Erstlinientherapie angeboten werden.<br /> In der Erstlinientherapie des symptomatischen kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (mCRPC) kann gemäß den aktuellen S3-Leitlinien Abirateronacetat 1000mg/Tag plus Prednison oder Prednisolon 10mg/Tag oder Enzalutamid 160mg/Tag zum Einsatz kommen.</p> <p>In der Erstlinientherapie des symptomatischen kastrationsresistenten Prostatakarzinoms (mCRPC) mit ossären Metastasen ohne Nachweis extraossärer Metastasen kann Radium-223 gemäß den aktuellen S3-Leitlinien als Erstlinientherapie angeboten werden.<br /> In der Zweitlinientherapie nach Docetaxel und bei gutem Allgemeinzustand (ECOG 0–1) soll gemäß den aktuellen S3- Leitlinien eine der folgenden Therapieoptionen (alphabetische Reihenfolge) angeboten werden:</p> <ul> <li>Abirateron (in Kombination mit Prednison/ Prednisolon)</li> <li>Cabazitaxel</li> <li>Enzalutamid</li> <li>Radionuklidtherapie mit Radium-223 bei ossärer Metastasierung</li> </ul> <p>Patienten mit kastrationsresistentem, progredientem Prostatakarzinom und gutem Allgemeinzustand (ECOG 0–1) nach Androgenrezeptor-gerichteter Erstlinientherapie kann eine Sequenztherapie unter Verwendung eines der anderen wirksamen Arzneimittel angeboten werden.<br /> Patienten mit kastrationsresistentem, progredientem Prostatakarzinom in gutem Allgemeinzustand (ECOG 0–1) kann nach Ausschöpfen der empfohlenen Therapieoptionen ein Therapieversuch mit Lutetium-177-PSMA auf Basis der Empfehlung einer interdisziplinären Tumorkonferenz angeboten werden.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zusammenfassend stehen uns heute bei der Behandlung des mCRPC mehrere wirksame Substanzen zur Verfügung. Durch den Einzug der Substanzen Docetaxel, Cabazitaxel, Abirateron/Prednisolon, Enzalutamid und Radium-223 in den klinischen Alltag kann heute eine signifikante Verlängerung der Lebenszeit bei Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom erreicht werden.<br /> Das Ziel der Behandlung sollte darin bestehen, dem Patienten möglichst alle verfügbaren Therapien zukommen zu lassen, um letztendlich ein längeres Überleben zu ermöglichen. Im Idealfall kann mit jeder Therapiesequenz Lebenszeit generiert werden. Bei der Wahl der Therapie bieten die S3-Leitlinien eine wichtige Orientierung.<br /> Die beste Therapiesequenz ist noch Gegenstand der Studienlandschaft.</p> </div></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Tannock IF et al.: Docetaxel plus prednisone or mitoxantrone plus prednisone for advanced prostate cancer. N Engl J Med 2004; 351: 1502-12 <strong>2</strong> De Bono JS et al.: Prednisone plus cabazitaxel or mitoxantrone for metastatic castration-resistant prostate cancer progressing after docetaxel treatment: a randomized open-label trial. Lancet 2010; 376: 1147-54 <strong>3</strong> Locke JA et al.: Androgen levels increase by intratumoral de novo steroidogenesis during progression of castration-resistant prostate cancer. Cancer Res 2008; 68: 6407-15 <strong>4</strong> de Bono JS et al.: Abiraterone and increased survival in metastatic prostate cancer. N Engl J Med 2011; 364(21): 1995-2005 <strong>5</strong> Ryan CJ et al.: Abiraterone in metastatic prostate cancer without previous chemotherapy. N Engl J Med 2013; 368(2): 138-48 <strong>6</strong> Scher HI et al.: Increased survival with enzalutamide in prostate cancer after chemotherapy. N Engl J Med 2012; 367(13): 1187-97 <strong>7</strong> Beer TM et al.; PREVAIL Investigators: Enzalutamide in metastatic prostate cancer before chemotherapy. N Engl J Med 2014; 371(5): 424-33 <strong>8</strong> Parker C et al.: Alpha emitter radium-223 and survival in metastatic prostate cancer. N Engl J Med 2013; 369: 213-23 <strong>9</strong> Maines F et al.: Sequencing new agents after docetaxel in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer. Crit Rev Hematol Oncol 2015; 96: 498-506 <strong>10</strong> Angelergues A et al.: Results of the FLAC European Database of metastatic castration-resistant prostate cancer patients treated with docetaxel, cabazitaxel, and androgen receptor-targeted agents. Clin Genitourin Cancer 2018; 16(4): e777-84 <strong>11</strong> Khalaf D et al.: Phase 2 randomized cross-over trial of abiraterone + prednisone vs enzalutamide for patients with metastatic castration resistant prostate cancer (mCPRC): results for 2<sup>nd</sup>-line therapy. J Clin Oncol 2018; 36: 5015 <strong>12</strong> Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Früherkennung, Diagnose und Therapie der verschiedenen Stadien des Prostatakarzinoms, 2018</p>
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</p>
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