
«Für die Mehrheit der Patienten in der fortgeschrittenen Situation ist diese Therapie eine zusätzliche Möglichkeit»
Das Interview führte Dr. Nicole Leitner
Unser Gesprächspartner:
PD Dr.med. Aurelius Omlin
Klinik für Medizinische Onkologie und Hämatologie
Kantonsspital St. Gallen
E-Mail: aurelius.omlin@kssg.ch
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Beim Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) fanden sich auch in diesem Jahr wieder spannende Studien zum Prostatakarzinom. PD Dr. med. Omlin sprach im Interview über die relevantesten Studienergebnisse.
Was war für Sie beim Prostatakarzinom das Highlight des diesjährigen ASCO-Meetings?
A. Omlin: Ich glaube, die wichtigste Studie des diesjährigen ASCO-Kongresses ist die VISION-Studie, die auch in der Presidential Session präsentiert wurde. In dieser Studie wurde die Lutetium-PSMA-Therapie beim fortgeschrittenen kastrationsresistenten Prostatakarzinom in der dritten oder vierten Therapielinie untersucht. Die Patienten mussten bereits eine endokrine Therapie mit Abirateron oder Enzalutamid oder Ähnlichem sowie mindestens eine, jedoch nicht mehr als zwei Linien Chemotherapie als Vorbehandlung erhalten haben. Wichtig zu erwähnen ist, dass Lutetium plus Standard of Care vs. Standard of Care alleine untersucht wurde. Im Standard of Care waren endokrine Therapie, «low-dose» Steroide oder Radiotherapie erlaubt, aber keine Chemotherapie oder Radium. Die Patienten wurden mittels Gallium-68-PSMA-PET/CT selektioniert, was zentral beurteilt wurde. Etwas mehr als 12% der Patienten konnten nicht eingeschlossen werden, da es im PET Diskrepanzen in Sinne von PET-negativen Läsionen gab. Die übrigen Patienten wurden 2 : 1 randomisiert.
Die Studie erreichte ihre beiden alternierenden Endpunkte: zum einen eine Verlängerung des Gesamtüberlebens (OS), hier bestand ein absoluter Vorteil von vier Monaten (Abb. 1). Zum anderen war auch das radiografisch progressionsfreie Überleben (rPFS) um etwas mehr als fünf Monate verlängert im Vergleich zur Therapie mit Standard of Care. Unter Lutetium-Therapie kam es in einem erwartbaren Ausmass zu Toxizitäten. Diese waren hauptsächlich hämatologischer Natur.
Wichtig ist die Studie, weil wir in Deutschland, Österreich und der Schweiz Lutetium bereits einsetzen können, ohne dass bisher grosse Studien dazu vorlagen. VISION ist die erste grosse Phase-III-Studie, die den Vorteil dieser Therapie in Kombination mit dem Standard of Care zeigt. Interessanterweise wurden nur 12,6% der Patienten aufgrund der PSMA-PET-Bildgebung ausgeschlossen, d.h., für die Mehrheit der Patienten in der fortgeschrittenen Situation ist diese Therapie eine Möglichkeit. Die Anti-Tumor-Aktivität ist gut, die Studie ist positiv ausgefallen, aber trotzdem ist das Ergebnis nicht überwältigend. Mit Cabazitaxel werden in der dritten Linie ein ähnliches OS und rPFS erreicht. Man darf auch nicht vergessen, dass Lutetium alle sechs Wochen über maximal sechs Zyklen gegeben wird, das entspricht insgesamt 9 Monaten. Das mediane rPFS lag in der Studie bei 8,7 Monaten. D.h. – und das ist vielleicht auch für die Patienten eine wichtige Information –, am Ende dieser 9 Monate wird die Hälfte der Patienten bereits radiografisch progredient sein.1
Lutetium ist eine zusätzliche Option in der dritten oder vierten Linie, aber es ist nicht die einzige Option. Wenn man Patienten damit behandelt, dann ist das Monitoring wichtig, damit man allenfalls auf eine andere Therapie wechseln kann, wenn die Therapie mit Lutetium-PSMA nicht das gewünschte Ergebnis zeigt.
Gab es beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom noch weitere wichtige Daten, die präsentiert wurden?
A. Omlin: Es gab noch ein interessantes Update zur PEACE-III-Studie, die Enzalutamid mit/ohne Radium beim kastrationsresistenten Prostatakarzinom in der ersten Linie untersucht.2 Die Studie ist besonders interessant, weil eine ähnliche Studie, ERA 2233 mit Abirateron plus/minus Radium, negativ war und im Kombinationsarm eine deutliche Zunahme der Frakturrate zeigte. Aus diesem Grund wird PEACE durch das unabhängige Data Review Committee besonders sorgfältig monitorisiert. Nach Publikation der ERA-Daten wurde verlangt, dass alle Patienten in der PEACE-Studie eine osteoprotektive Therapie mit 120mg Denosumab alle 4 Wochen oder Zoledronat 3–4mg abhängig von der Kreatininclearance alle 3–4 Wochen erhalten. Prof. Gillessen hat nun ein Update der Sicherheitsdaten vorgestellt. Wie die Daten in Bezug auf den primären Endpunkt aussehen, wissen wir noch nicht, da PEACE-III noch nicht voll rekrutiert ist. Zum Zeitpunkt 18 Monate zeigt sich, dass die Frakturrate bei Patienten, die Enzalutamid als Monotherapie ohne Osteoprotektion bekommen, bei 21% liegt. Bei den Patienten, die zusätzlich zur Enzalutamid-Monotherapie eine Osteoprotektion erhielten, lag die Frakturrate nur bei 2,6%. Somit fand sich eine signifikante Reduktion der Frakturrate, die bei der Kombination mit Radium sehr ähnlich aussah.2
Wir haben viele Patienten in der ersten Linie, die Enzalutamid oder Abirateron erhalten und Knochenmetastasen aufweisen. Konkret unterstützen diese Ergebnisse den frühen Einsatz einer osteoprotektiven Therapie bei diesen Patienten.
Welche Neuigkeiten gab es beim hormonsensitiven Prostatakarzinom?
A. Omlin: Da gab es eine ganz besonders wichtige Studie, die PEACE-1-Studie. Aus meiner Sicht ist die Studie zwar noch nicht «practice changing», aber es handelt sich um eine grosse Studie mit über 1000 Patienten. Alle Patienten waren synchron metastasiert mit hormonsensitivem Prostatakarzinom. Es gab vier Studienarme: Standard of Care, Standard of Care plus Abirateron, Standard of Care plus Radiotherapie der Prostata und die Kombinationstherapie aus allem.4
Abb. 2: Radiografisch progressionsfreies Überleben unter Standard of Care ± Docetaxel ± Radiotherapie mit vs. ohne Abirateron (nach Fizazi et al.)4
Der Standard-of-Care-Arm hat sich über die Jahre geändert. Initial war es nur ADT (Androgenentzugstherapie) alleine, im Verlauf wurde Docetaxel erlaubt (nach Publikation von CHAARTED5 und STAMPEDE6) und ab 2017 wurde Docetaxel sogar verlangt. D.h., 60% der Patienten in der PEACE-Studie erhielten im Standard-of-Care-Arm Docetaxel. Es gab keine Interaktion zwischen der lokalen Behandlung der Prostata mit Radiotherapie und der Therapie mit Zytiga (statistisch), sodass am ASCO primär die Daten zur zusätzlichen Therapie mit Abirateron zum Standard of Care gezeigt wurden. In der Kombination Standard of Care + Abirateron (meistens auch + Docetaxel) sieht man eine signifikante, sehr eindrückliche Verlängerung des rPFS mit 54 Monaten vs. 26 Monate im Standard-of-Care-Arm. Nebenwirkungsdaten liegen bisher nur für die ersten sechs Monate vor, das ist etwas kurz.4 Ich denke, da wird noch ein Update folgen. Für viele Kolleginnen und Kollegen reichen wahrscheinlich diese Daten zum rPFS noch nicht, um routinemässig beim hormonsensitiven synchron metastasierten Prostatakarzinom diese Dreifachkombination einzusetzen. Da werden wir mehr Updates brauchen. Man darf nicht vergessen, es gibt auch die ENZAMET-Studie, die mit dem gleichen Konzept Enzalutamid und Docetaxel untersucht.7 Auch da fehlen die OS-Daten derzeit noch. Es gibt eine weitere Studie, die ARAMIS-Studie, die ADT + Docetaxel ± Darolutamid untersucht.8 Diese Studie hat noch keine Resultate gezeigt.
Es wurden auch Ergebnisse aus Real- World-Studien präsentiert. Wie schätzen Sie diese Daten ein?
A. Omlin: Etwas überraschend waren drei Poster zu diesem Setting. Hier wurde beleuchtet, wie die vielen verfügbaren Optionen beim hormonsensitiven Prostatakarzinom in der Praxis ausserhalb von Studien eingesetzt werden.
Die grösste von diesen drei Studien war eine Medicare-Datenbankanalyse von Januar 2009 bis Dezember 2018. 35000 Patienten mit hormonsensitivem Prostatakarzinom waren eingeschlossen. Es zeigte sich, dass zwar die Anwendung von ADT als Monotherapie leicht abnahm, aber leider befindet sich die Rate an Therapie mit ADT + Docetaxel im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Darüber hinaus erhalten viele Patienten in den USA immer noch ADT plus einen Androgenrezeptorantagonist der ersten Generation, häufig Bicalutamid, statt einer der neuen Therapien.9 Nicht zu vergessen ist jedoch, dass die Daten zu LATITUDE10 und STAMPEDE6 mit Abirateron erst 2017 publiziert wurden und erst 2019 die zusätzlichen Daten zu Enzalutamid und Apalutamid. Möglicherweise würden die Daten aus der Medicare-Datenbank-Analyse anders aussehen, wenn man ein längeres Follow-up nach einigen weiteren Jahren dazu nimmt. Aber es zeigt sich durchaus, dass in der Praxis die Mehrheit der Patienten noch keine Kombinationstherapie erhält.
Abb. 3: Genomische Alterationen beim Prostatakarzinom, die sich für eine zielgerichtete Therapie eignen, bei Patienten europäischer vs. afrikanischer Herkunft (nach Sivakumar et al.)12
Welche Neuigkeiten gab es zu Biomarkern und genomischen Daten?
A. Omlin: Da gab es verschiedene interessante Untersuchungen. Eine möchte ich erwähnen, weil sie vermutlich exemplarisch ist für das, was hoffentlich noch kommen wird. Aus STAMPEDE, dieser riesigen Studie mit 10000 eingeschlossenen Patienten mit hormonsensitivem Prostatakarzinom, wurden erste Daten zur Biomarker-Analyse gezeigt anhand von 500 Patienten, die im Kontrollarm eingeschlossen waren. Die Daten sind schon alt, diese Patienten wurden zwischen 2006 und 2015 eingeschlossen. Man untersuchte die Proliferation am Tumorgewebe und bestimmte immunhistochemisch KI-67. Interessanterweise, wenn auch nicht ganz überraschend, korrelierte die Proliferationsrate stark mit der Prognose beim hormonsensitiven Prostatakarzinom. Je höher der Proliferationsindex, desto schlechter war die Prognose.11
Ehrlicherweise hilft uns diese Erkenntnis nicht im Alltag. Aber ich hoffe doch, dass die gleiche Arbeit anhand der vielen anderen grossen Studien, die auch je über 1000 Patienten eingeschlossen und sicherlich Tumorgewebe gesammelt haben, durchgeführt wird. Das könnte uns helfen, diese Therapien in Zukunft personalisierter einsetzten zu können. Gerade beim hormonsensitiven Prostatakarzinom wissen wir, dass es grosse Unterschiede zwischen den Patienten gibt. Es gibt Patienten, die eine indolente Erkrankung haben und über viele Jahre mit endokriner Therapie gut behandelt werden können, während andere Patienten mit einem aggressiven Subtyp nach 6 bis 9 Monaten trotz Kombination bereits wieder progredient werden.
Es gab noch eine weitere grosse Datenanalyse zur genomischen Testung am Tumorgewebe. Ich fand sie interessant, weil sie mit 11700 Männern ein sehr grosses Datenset enthält. Man hat eine Foundation-1-Testung am Tumorgewebe durchgeführt. 1400 Männer waren afrikanischer Herkunft, auf diesen lag der Schwerpunkt der Präsentation. Zwischen den Patienten kaukasischer und afrikanischer Herkunft wurden keine grossen oder relevanten Unterschiede in den gefundenen genomischen Alterationen gesehen.
Die Untersuchung bestätigt jedoch die Häufigkeit der pathogenen BRCA1- und BRCA2-Mutationen. In diesem sehr grossen Datenset lag bei 8–10% eine BRCA2- und bei etwa 1,5–2% eine BRCA1-Mutation vor.12 Warum ist das wichtig? Olaparib ist sowohl in der EU als auch in der Schweiz für Patienten mit BRCA1/2-Mutationen zugelassen. Jeder zehnte Patient mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom könnte möglicherweise von dieser Therapie profitieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Literatur:
1 Morris MJ et al.: Phase III study of lutetium-177-PSMA-617 in patients with metastatic castration-resistant prostate cancer (VISION). ASCO 2021, Abstr. #LBA4 2 Gillessen S et al.: Decreased fracture rate by mandating bone protecting agents in the EORTC 1333/PEACEIII trial combining Ra223 with enzalutamide versus enzalutamide alone: An updated safety analysis. ASCO 2021, Abstr. #5002 3 Smith M et al.: Addition of radium-223 to abiraterone acetate and prednisone or prednisolone in patients with castration-resistant prostate cancer and bone metastases (ERA 223): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet Oncol 2019; 20(3): 408-19 4 Fizazi K et al.: A phase 3 trial with a 2x2 factorial design of abiraterone acetate plus prednisone and/or local radiotherapy in men with de novo metastatic castration-sensitive prostate cancer (mCSPC): First results of PEACE-1. ASCO 2021, Abstr. #5000 5 Sweeney CJ et al.: Chemohormonal therapy in metastatic hormone-sensitive prostate cancer. N Engl J Med 2015; 373(8): 737-46 6 James ND et al.: Addition of docetaxel, zoledronic acid, or both to first-line long-term hormone therapy in prostate cancer (STAMPEDE): survival results from an adaptive, multiarm, multistage, platform randomised controlled trial. Lancet 2016; 387(10024): 1163-77 7 Davis ID et al.: Enzalutamide with standard first-line therapy in metastatic prostate cancer. N Engl J Med 2019; 381(2): 121-31 8 Fizazi et al.: ARAMIS: Efficacy and safety of darolutamide in nonmetastatic castration-resistant prostate cancer (nmCRPC). ASCO GU 2019, Abstr. #140 9 Freedland SJ et al.: Real-world utilization of advanced therapies and racial disparity among patients with metastatic castration-sensitive prostate cancer (mCSPC): A Medicare database analysis. ASCO 2021, Abstr. #5073 10 Fizazi K et al.: Abiraterone plus prednisone in metastatic, castration-sensitive prostate cancer. N Engl J Med 2017; 377(4): 352-60 11 Mendes L et al.: Proliferation index and survival in men with prostate cancer starting long-term androgen deprivation therapy in the STAMPEDE clinical trial. ASCO 2021, Abstr. #5076 12 Sivakumar S et al.: Ancestral characterization of the genomic landscape, comprehensive genomic profiling utilization, and treatment patterns may inform disparities in advanced prostate cancer: A large-scale analysis. ASCO 2021, Abstr. #5003
Das könnte Sie auch interessieren:
Erhaltungstherapie mit Atezolizumab nach adjuvanter Chemotherapie
Die zusätzliche adjuvante Gabe von Atezolizumab nach kompletter Resektion und adjuvanter Chemotherapie führte in der IMpower010-Studie zu einem signifikant verlängerten krankheitsfreien ...
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...