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Medikamenteninteraktionen bei palliativen Patienten

<p class="article-intro">In der palliativmedizinischen Arzneimitteltherapie spielen Medikamenteninteraktionen eine bedeutende Rolle. Im folgenden Artikel wird auf Arzneimittelwechselwirkungen häufig zur Symptomenkontrolle verordneter Medikamente eingegangen.</p> <hr /> <p class="article-content"><h2>Risikofaktoren und H&auml;ufigkeit</h2> <p>Arzneimittelinteraktionen sind nachgewiesenerma&szlig;en mit einem erh&ouml;hten Morbidit&auml;ts- und Mortalit&auml;tsrisiko verbunden.<sup>1</sup> Mit jeder verordneten Substanz steigt das Risiko f&uuml;r unerw&uuml;nschte Arzneimittelwechselwirkungen. Die Polypharmazie gilt neben patientenindividuellen Faktoren als der entscheidende Risikofaktor (Tab. 1).<br /> Bei Krankenhauspatienten sind Medikamenteninteraktionen f&uuml;r ca. 17 % der arzneimittelbezogenen Probleme verantwortlich.<sup>2</sup> Palliativpatienten mit behandlungsbed&uuml;rftigen Symptomen werden in der Regel &ge;5 Medikamente verordnet.<sup>3</sup> Untersuchungen bei Palliativ- und Hospizpatienten konnten bei 31&ndash;75 % potenzielle Arzneimittelinteraktionen finden, davon wurden bis zu 20 % als potenzielle Hochrisikointeraktionen eingestuft.<sup>4</sup> Oral eingenommene Langzeitonkologika haben in der Krebsbehandlung stark an Bedeutung gewonnen. Auf m&ouml;gliche Interaktionen mit anderen Medikamenten oder Nahrungsmittel muss hier besonders geachtet werden. Verwirrtheitszust&auml;nde und Delir sind oftmals medikamenteninduzierte Symptome. Potenziell ausl&ouml;sende Substanzen d&uuml;rfen nicht in Kombination eingesetzt werden.<br /> Im Folgenden werden nun in der Palliativmedizin relevante Medikamenteninteraktionen auf Ebene des Cytochrom- P450-Enzymsystems dargestellt (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s46_tab1_graggober.jpg" alt="" width="686" height="847" /></p> <p>&nbsp;</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s47_tab2_graggober.jpg" alt="" width="1419" height="2321" /></p> <h2>CYP1A2</h2> <p>Zu den wichtigsten Induktoren des CYP1A2 geh&ouml;rt Tabakrauch. Ein medikament&ouml;ses Ersetzen des Nikotins bei Reduktion des Rauchverhaltens oder Rauchstopp des Patienten verhindert nicht eine m&ouml;gliche toxische Erh&ouml;hung eines gleichzeitig eingenommenen Substrats f&uuml;r das Isoenzymsystem CYP1A2. Deswegen m&uuml;ssen CYP1A2-Substrate wie Clozapin oder Olanzapin bei Rauchern in ihrer Dosierung gesteigert werden, um einen ad&auml;quaten Plasmaspiegel erreichen zu k&ouml;nnen. Bei &Auml;nderung des Rauchverhaltens des Patienten soll die Dosierung des CYP1A2-Substrates entsprechend adaptiert werden.<br /> Es gibt Berichte &uuml;ber einige Nahrungsmittel (wie z.B. Brokkoli, Rosenkohl), welche beim t&auml;glichen Verzehr durch eine Induktion des CYP1A2 einen klinisch relevanten Effekt haben k&ouml;nnen.<br /> Zu den wichtigsten Inhibitoren des CYP1A2 z&auml;hlt Ciprofloxacin. Es bewirkt beispielsweise eine verminderte Theophyllin- Clearance, was zu einem signifikanten Anstieg der Theophyllinkonzentration und damit zu klinischen Symptomen wie Schlaflosigkeit, Tremor, &Uuml;belkeit und Erbrechen f&uuml;hren kann.<sup>6</sup></p> <h2>CYP2C9</h2> <p>Bei den nichtsteroidalen Antiphlogistika wie Ibuprofen und Diclofenac m&uuml;ssen vor allem additive toxische Effekte im Gastrointestinaltrakt und in den Nieren ber&uuml;cksichtigt werden. Das Risiko f&uuml;r ein akutes Nierenversagen wird durch die Kombination aus einem Diuretikum, einem nichtsteroidalen Entz&uuml;ndungshemmer (NSAR) und einem ACE-Hemmer oder Sartan signifikant erh&ouml;ht. NSAR k&ouml;nnen den antihypertensiven Effekt von ACE-Hemmern, Sartanen und Betablockern reduzieren. Das Risiko f&uuml;r kardiovaskul&auml;re Erkrankungen und eine Nierensch&auml;digung, vor allem bei bereits eingeschr&auml;nkter Organfunktion, steigt massiv durch die Einnahme von NSAR.<br /> Thrombozyt&auml;re Interaktionen bzw. eine erh&ouml;hte Blutungsneigung sind bei einer Kombination von NSAR mit SSRI, Glukokortikoiden und plasmatischen Gerinnungshemmern zu beachten.</p> <h2>CYP2C19</h2> <p>Der Anstieg des pH-Wertes im Magen unter Protonenpumpenhemmern (PPI) ver&auml;ndert die Resorption vieler Arzneimittel. So ben&ouml;tigt eine Reihe von Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) einen m&ouml;glichst niedrigen Magen-pH-Wert, damit sie ausreichend in L&ouml;sung gebracht und anschlie&szlig;end gut aus dem Gastrointestinaltrakt absorbiert werden k&ouml;nnen. Wird in der Komedikation Pantoprazol eingesetzt, kann beispielsweise der Dasatinib- Spiegel um mehr als 40 % reduziert werden.<sup>7</sup> Das ist kein Substanzklasseneffekt, sondern kann bei jedem TKI unterschiedlich sein. Die Interaktion l&auml;sst sich auch durch die zeitlich versetzte Einnahme der Pr&auml;parate nicht umgehen, denn PPI haben aufgrund der irreversiblen Hemmung der Protonenpumpe eine relativ lange pharmakodynamische Wirkung.<br /> PPI sind potente CYP2C19-Inhibitoren, wodurch die Serumkonzentration etwa der Antiepileptika Phenytoin und Carbamazepin ansteigen kann, was eine Dosisanpassung erforderlich macht.</p> <h2>CYP2D6</h2> <p>Der genetische Polymorphismus von Enzymsystemen ist ein wichtiger patientenindividueller Faktor, der f&uuml;r Arzneimittelinteraktionen bedeutsam sein kann. Besonders relevant ist dies f&uuml;r CYP2D6, da hier&uuml;ber der Stoffwechsel vieler Psychopharmaka l&auml;uft. Es kann einen erheblichen Unterschied f&uuml;r das Interaktionspotenzial machen, ob der behandelte Patient ein sog. &bdquo;poor metabolizer&ldquo; oder ein &bdquo;ultra rapid metabolizer&ldquo; mit entsprechend langsamem bzw. sehr schnellem Stoffwechsel &uuml;ber bestimmte Enzyme ist.<br /> Nicht nur bei &bdquo;poor metabolizer&ldquo;, sondern auch durch CYP2D6-Inhibitoren (Tab. 2) k&ouml;nnen Tramadol und Oxycodon nicht in den analgetisch wirksamen Metaboliten umgebaut werden. Tamoxifen wird seit Jahren zur Kontrolle des Tumorwachstums bei Frauen mit hormonsensitivem Brustkrebs eingesetzt. Der selektive &Ouml;strogenrezeptor- Modulator (SERM) wird in betr&auml;chtlichem Ausma&szlig; haupts&auml;chlich &uuml;ber Cytochrom P450 (CYP) 3A4 zu N-Desmethyl-Tamoxifen metabolisiert und anschlie&szlig;end &uuml;ber CYP2D6 zu dem aktiven Metaboliten 4-Hydroxy-N-Desmethyl- Tamoxifen (Endoxifen) verstoffwechselt. Bei Patientinnen mit fehlender CYP2D6-Aktivit&auml;t zeigt sich eine um etwa 75 % niedrigere Konzentration an Endoxifen im Vergleich zu Patientinnen mit normaler CYP2D6-Aktivit&auml;t. Sowohl genetische als auch medikamenteninduzierte Faktoren beeinflussen direkt die Konzentration des aktiven Metaboliten von Tamoxifen und damit auch das Outcome der Patientinnen, die adjuvant Tamoxifen erhalten.<sup>8</sup></p> <h2>CYP3A4</h2> <p>Die Wirksamkeit und Wirkdauer von Opioiden wie Buprenorphin, Fentanyl, Methadon und Oxycodon k&ouml;nnen durch Enzyminduktoren vermindert werden. Die klinische Bedeutung ist f&uuml;r Buprenorphin, nicht zuletzt aufgrund der langen Verweilzeit von Buprenorphin am &mu;-Opioid-Rezeptor, nicht so gro&szlig; wie f&uuml;r Fentanyl.<br /> Nach Absetzen des Induktors kommt es erst nach entsprechender zeitlicher Latenz von ein bis zwei Wochen (Deinduktionszeit) zur Zunahme der Opioidwirkung.<br /> Umgekehrt hemmen Inhibitoren von CYP3A4 den Metabolismus der zuvor genannten Opioide, was die Gefahr der &Uuml;berdosierung in sich birgt.<br /> Mit Hydromorphon steht ein Analgetikum f&uuml;r &auml;ltere, multimorbide Patienten zur Verf&uuml;gung. Es zeichnet sich durch eine gute Kombinierbarkeit mit bestehenden Begleittherapien aus. Es wird &uuml;ber Glucuronidierung verstoffwechselt, ist CYP-unabh&auml;ngig und es sind keine klinisch relevanten Metaboliten bekannt.<br /> Carbamazepin ist ein starker Induktor des Cytochrom-P450-Isoenzyms 3A4 und beschleunigt beispielsweise den Metabolismus von Dexamethason. Die Folge sind um 60&ndash;100 % reduzierte Blutspiegel von Dexamethason. Bei gleichzeitiger Gabe m&uuml;ssen die Dexamethason-Spiegel entsprechend angehoben werden.<br /> Dexamethason gilt als bevorzugtes Steroid in der Palliativmedizin, da es keine mineralkortikoiden Effekte hat, welche zur Natriumretention und vermehrten Kaliumexkretion beitragen w&uuml;rden. Durch Prednisolon in Kombination mit Substanzen, die &auml;hnliche Wirkungen haben, z.B. Schleifen- oder Thiaziddiuretika, kann es zu symptomatischer Hypokali&auml;mie und Symptomen wie Schw&auml;che und Obstipation kommen.</p> <h2>Verwirrtheitszust&auml;nde und Delir</h2> <p>Das m&ouml;gliche Auftreten arzneimittelinduzierter Verwirrtheitszust&auml;nde bis hin zum Delir muss im therapeutischen Konzept ber&uuml;cksichtigt werden, insbesondere da die potenziell ausl&ouml;senden Substanzen oftmals in Kombination eingesetzt werden. Neben serotoninerh&ouml;henden Pharmaka sind auch anticholinerge und Hyponatri&auml;mie-bedingende Pharmaka h&auml;ufig Ursache eines Delirs.<br /> Das Serotoninsyndrom wird vielfach nicht als solches erkannt. Die Symptome sind unspezifisch von einer leichten bis moderaten Auspr&auml;gung, beispielsweise Tremor oder Myokloni, Schwitzen, Diarrh&ouml; und Akathisie, bis hin zu lebensbedrohlicher Toxizit&auml;t mit Hyperthermie, Delir, Muskelrigidit&auml;t und stark erh&ouml;htem Muskeltonus.<sup>9</sup> Viele der milden und moderaten, relativ unspezifischen Symptome sind h&auml;ufig bei Palliativpatienten zu beobachten und werden meist mit der Erkrankung in Zusammenhang gebracht. F&uuml;r viele Medikamente, die in der Palliativmedizin h&auml;ufig Anwendung finden, ist ein Zusammenhang mit dem Serotoninsyndrom beschrieben, wie beispielsweise SSRI, Venlafaxin, Mirtazapin, Fentanyl, Metoclopramid, Ondansetron und Johanniskraut.<br /> <strong>Anticholinergika</strong> sollen einerseits nicht mit zentral wirksamen Acetylcholinesterasehemmern und andererseits nicht gleichzeitig mit Prokinetika verabreicht werden, da sich die Wirkungen aufheben.</p> <h2>Conclusio</h2> <p>Wichtig ist das grunds&auml;tzliche Bewusstsein, dass Arzneimittelinteraktionen in der Palliativmedizin h&auml;ufig anzutreffen sind und dass Symptome und neu aufgetretene Probleme nicht unreflektiert auf den Krankheitsprogress geschoben werden d&uuml;rfen. Die Erstellung einer institutionsspezifischen Interaktionsliste, mit den am h&auml;ufigsten eingesetzten Medikamenten, kann hilfreich sein, ebenso wie die Verwendung von Interaktionsdatenbanken.<br /> Palliativmedizin dient der Verbesserung der Lebensqualit&auml;t des Patienten und gerade die Polypharmazie verursacht oft mehr Morbidit&auml;t, als einzelne Medikamente Nutzen stiften.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> G&auml;rtner J et al.: Drug interactions in palliative care &ndash; it&rsquo;s more than cytochrome P450. Palliat Med 2012; 26(6): 813- 25 <strong>2</strong> Krahenbuhl-Melcher A et al.: Drug-related problems in hospitals: a review of the recent literature. Drug Saf 2007; 30: 379-407 <strong>3</strong> Nauck F et al.: Drugs in palliative care: results from a representative survey in Germany. Palliat Med 2004; 18: 100-7 <strong>4</strong> Regnard C, Hunter A: Increasing prescriber awareness of drug interactions in palliative care. J Pain Symptom Manage 2005; 29: 219-21 <strong>5</strong> https://drug-interactions.medicine.iu.edu/Home.aspx (Stand: 7. 4. 2019) <strong>6</strong> Wijnands WJ, Vree TB: Interaction between the fluoroquinolones and the bronchodilator theophylline. J Antimicrob Chemother 1988; 22(Suppl C): 109- 14 <strong>7</strong> Lipp HP: Wechselwirkungsrisiken mit zielgerichtet wirksamen, oralen Tumortherapeutika &ndash; ein &Uuml;berblick. Deutsche Zeitschrift f&uuml;r Onkologie 2017; 48: 38-42 <strong>8</strong> Goetz MP et al.: Tamoxifen pharmacogenomics: the role of CYP2D6 as a predictor of drug response. Clin Pharmacol Ther 2008; 83(1): 160-6 <strong>9</strong> Boyer EW, Shannon M: The serotonin syndrome. N Engl J Med 2005; 352: 1112-20</p> </div> </p>
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