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Medikamenteninteraktionen bei palliativen Patienten
Jatros
Autor:
OÄ Dr. Gabriele Graggober, MSc
Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin<br> Universitätsklinikum St. Pölten<br> E-Mail: dr.graggober@stpoelten.lknoe.at
30
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30.05.2019
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<p class="article-intro">In der palliativmedizinischen Arzneimitteltherapie spielen Medikamenteninteraktionen eine bedeutende Rolle. Im folgenden Artikel wird auf Arzneimittelwechselwirkungen häufig zur Symptomenkontrolle verordneter Medikamente eingegangen.</p>
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<p class="article-content"><h2>Risikofaktoren und Häufigkeit</h2> <p>Arzneimittelinteraktionen sind nachgewiesenermaßen mit einem erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko verbunden.<sup>1</sup> Mit jeder verordneten Substanz steigt das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwechselwirkungen. Die Polypharmazie gilt neben patientenindividuellen Faktoren als der entscheidende Risikofaktor (Tab. 1).<br /> Bei Krankenhauspatienten sind Medikamenteninteraktionen für ca. 17 % der arzneimittelbezogenen Probleme verantwortlich.<sup>2</sup> Palliativpatienten mit behandlungsbedürftigen Symptomen werden in der Regel ≥5 Medikamente verordnet.<sup>3</sup> Untersuchungen bei Palliativ- und Hospizpatienten konnten bei 31–75 % potenzielle Arzneimittelinteraktionen finden, davon wurden bis zu 20 % als potenzielle Hochrisikointeraktionen eingestuft.<sup>4</sup> Oral eingenommene Langzeitonkologika haben in der Krebsbehandlung stark an Bedeutung gewonnen. Auf mögliche Interaktionen mit anderen Medikamenten oder Nahrungsmittel muss hier besonders geachtet werden. Verwirrtheitszustände und Delir sind oftmals medikamenteninduzierte Symptome. Potenziell auslösende Substanzen dürfen nicht in Kombination eingesetzt werden.<br /> Im Folgenden werden nun in der Palliativmedizin relevante Medikamenteninteraktionen auf Ebene des Cytochrom- P450-Enzymsystems dargestellt (Tab. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s46_tab1_graggober.jpg" alt="" width="686" height="847" /></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s47_tab2_graggober.jpg" alt="" width="1419" height="2321" /></p> <h2>CYP1A2</h2> <p>Zu den wichtigsten Induktoren des CYP1A2 gehört Tabakrauch. Ein medikamentöses Ersetzen des Nikotins bei Reduktion des Rauchverhaltens oder Rauchstopp des Patienten verhindert nicht eine mögliche toxische Erhöhung eines gleichzeitig eingenommenen Substrats für das Isoenzymsystem CYP1A2. Deswegen müssen CYP1A2-Substrate wie Clozapin oder Olanzapin bei Rauchern in ihrer Dosierung gesteigert werden, um einen adäquaten Plasmaspiegel erreichen zu können. Bei Änderung des Rauchverhaltens des Patienten soll die Dosierung des CYP1A2-Substrates entsprechend adaptiert werden.<br /> Es gibt Berichte über einige Nahrungsmittel (wie z.B. Brokkoli, Rosenkohl), welche beim täglichen Verzehr durch eine Induktion des CYP1A2 einen klinisch relevanten Effekt haben können.<br /> Zu den wichtigsten Inhibitoren des CYP1A2 zählt Ciprofloxacin. Es bewirkt beispielsweise eine verminderte Theophyllin- Clearance, was zu einem signifikanten Anstieg der Theophyllinkonzentration und damit zu klinischen Symptomen wie Schlaflosigkeit, Tremor, Übelkeit und Erbrechen führen kann.<sup>6</sup></p> <h2>CYP2C9</h2> <p>Bei den nichtsteroidalen Antiphlogistika wie Ibuprofen und Diclofenac müssen vor allem additive toxische Effekte im Gastrointestinaltrakt und in den Nieren berücksichtigt werden. Das Risiko für ein akutes Nierenversagen wird durch die Kombination aus einem Diuretikum, einem nichtsteroidalen Entzündungshemmer (NSAR) und einem ACE-Hemmer oder Sartan signifikant erhöht. NSAR können den antihypertensiven Effekt von ACE-Hemmern, Sartanen und Betablockern reduzieren. Das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und eine Nierenschädigung, vor allem bei bereits eingeschränkter Organfunktion, steigt massiv durch die Einnahme von NSAR.<br /> Thrombozytäre Interaktionen bzw. eine erhöhte Blutungsneigung sind bei einer Kombination von NSAR mit SSRI, Glukokortikoiden und plasmatischen Gerinnungshemmern zu beachten.</p> <h2>CYP2C19</h2> <p>Der Anstieg des pH-Wertes im Magen unter Protonenpumpenhemmern (PPI) verändert die Resorption vieler Arzneimittel. So benötigt eine Reihe von Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI) einen möglichst niedrigen Magen-pH-Wert, damit sie ausreichend in Lösung gebracht und anschließend gut aus dem Gastrointestinaltrakt absorbiert werden können. Wird in der Komedikation Pantoprazol eingesetzt, kann beispielsweise der Dasatinib- Spiegel um mehr als 40 % reduziert werden.<sup>7</sup> Das ist kein Substanzklasseneffekt, sondern kann bei jedem TKI unterschiedlich sein. Die Interaktion lässt sich auch durch die zeitlich versetzte Einnahme der Präparate nicht umgehen, denn PPI haben aufgrund der irreversiblen Hemmung der Protonenpumpe eine relativ lange pharmakodynamische Wirkung.<br /> PPI sind potente CYP2C19-Inhibitoren, wodurch die Serumkonzentration etwa der Antiepileptika Phenytoin und Carbamazepin ansteigen kann, was eine Dosisanpassung erforderlich macht.</p> <h2>CYP2D6</h2> <p>Der genetische Polymorphismus von Enzymsystemen ist ein wichtiger patientenindividueller Faktor, der für Arzneimittelinteraktionen bedeutsam sein kann. Besonders relevant ist dies für CYP2D6, da hierüber der Stoffwechsel vieler Psychopharmaka läuft. Es kann einen erheblichen Unterschied für das Interaktionspotenzial machen, ob der behandelte Patient ein sog. „poor metabolizer“ oder ein „ultra rapid metabolizer“ mit entsprechend langsamem bzw. sehr schnellem Stoffwechsel über bestimmte Enzyme ist.<br /> Nicht nur bei „poor metabolizer“, sondern auch durch CYP2D6-Inhibitoren (Tab. 2) können Tramadol und Oxycodon nicht in den analgetisch wirksamen Metaboliten umgebaut werden. Tamoxifen wird seit Jahren zur Kontrolle des Tumorwachstums bei Frauen mit hormonsensitivem Brustkrebs eingesetzt. Der selektive Östrogenrezeptor- Modulator (SERM) wird in beträchtlichem Ausmaß hauptsächlich über Cytochrom P450 (CYP) 3A4 zu N-Desmethyl-Tamoxifen metabolisiert und anschließend über CYP2D6 zu dem aktiven Metaboliten 4-Hydroxy-N-Desmethyl- Tamoxifen (Endoxifen) verstoffwechselt. Bei Patientinnen mit fehlender CYP2D6-Aktivität zeigt sich eine um etwa 75 % niedrigere Konzentration an Endoxifen im Vergleich zu Patientinnen mit normaler CYP2D6-Aktivität. Sowohl genetische als auch medikamenteninduzierte Faktoren beeinflussen direkt die Konzentration des aktiven Metaboliten von Tamoxifen und damit auch das Outcome der Patientinnen, die adjuvant Tamoxifen erhalten.<sup>8</sup></p> <h2>CYP3A4</h2> <p>Die Wirksamkeit und Wirkdauer von Opioiden wie Buprenorphin, Fentanyl, Methadon und Oxycodon können durch Enzyminduktoren vermindert werden. Die klinische Bedeutung ist für Buprenorphin, nicht zuletzt aufgrund der langen Verweilzeit von Buprenorphin am μ-Opioid-Rezeptor, nicht so groß wie für Fentanyl.<br /> Nach Absetzen des Induktors kommt es erst nach entsprechender zeitlicher Latenz von ein bis zwei Wochen (Deinduktionszeit) zur Zunahme der Opioidwirkung.<br /> Umgekehrt hemmen Inhibitoren von CYP3A4 den Metabolismus der zuvor genannten Opioide, was die Gefahr der Überdosierung in sich birgt.<br /> Mit Hydromorphon steht ein Analgetikum für ältere, multimorbide Patienten zur Verfügung. Es zeichnet sich durch eine gute Kombinierbarkeit mit bestehenden Begleittherapien aus. Es wird über Glucuronidierung verstoffwechselt, ist CYP-unabhängig und es sind keine klinisch relevanten Metaboliten bekannt.<br /> Carbamazepin ist ein starker Induktor des Cytochrom-P450-Isoenzyms 3A4 und beschleunigt beispielsweise den Metabolismus von Dexamethason. Die Folge sind um 60–100 % reduzierte Blutspiegel von Dexamethason. Bei gleichzeitiger Gabe müssen die Dexamethason-Spiegel entsprechend angehoben werden.<br /> Dexamethason gilt als bevorzugtes Steroid in der Palliativmedizin, da es keine mineralkortikoiden Effekte hat, welche zur Natriumretention und vermehrten Kaliumexkretion beitragen würden. Durch Prednisolon in Kombination mit Substanzen, die ähnliche Wirkungen haben, z.B. Schleifen- oder Thiaziddiuretika, kann es zu symptomatischer Hypokaliämie und Symptomen wie Schwäche und Obstipation kommen.</p> <h2>Verwirrtheitszustände und Delir</h2> <p>Das mögliche Auftreten arzneimittelinduzierter Verwirrtheitszustände bis hin zum Delir muss im therapeutischen Konzept berücksichtigt werden, insbesondere da die potenziell auslösenden Substanzen oftmals in Kombination eingesetzt werden. Neben serotoninerhöhenden Pharmaka sind auch anticholinerge und Hyponatriämie-bedingende Pharmaka häufig Ursache eines Delirs.<br /> Das Serotoninsyndrom wird vielfach nicht als solches erkannt. Die Symptome sind unspezifisch von einer leichten bis moderaten Ausprägung, beispielsweise Tremor oder Myokloni, Schwitzen, Diarrhö und Akathisie, bis hin zu lebensbedrohlicher Toxizität mit Hyperthermie, Delir, Muskelrigidität und stark erhöhtem Muskeltonus.<sup>9</sup> Viele der milden und moderaten, relativ unspezifischen Symptome sind häufig bei Palliativpatienten zu beobachten und werden meist mit der Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Für viele Medikamente, die in der Palliativmedizin häufig Anwendung finden, ist ein Zusammenhang mit dem Serotoninsyndrom beschrieben, wie beispielsweise SSRI, Venlafaxin, Mirtazapin, Fentanyl, Metoclopramid, Ondansetron und Johanniskraut.<br /> <strong>Anticholinergika</strong> sollen einerseits nicht mit zentral wirksamen Acetylcholinesterasehemmern und andererseits nicht gleichzeitig mit Prokinetika verabreicht werden, da sich die Wirkungen aufheben.</p> <h2>Conclusio</h2> <p>Wichtig ist das grundsätzliche Bewusstsein, dass Arzneimittelinteraktionen in der Palliativmedizin häufig anzutreffen sind und dass Symptome und neu aufgetretene Probleme nicht unreflektiert auf den Krankheitsprogress geschoben werden dürfen. Die Erstellung einer institutionsspezifischen Interaktionsliste, mit den am häufigsten eingesetzten Medikamenten, kann hilfreich sein, ebenso wie die Verwendung von Interaktionsdatenbanken.<br /> Palliativmedizin dient der Verbesserung der Lebensqualität des Patienten und gerade die Polypharmazie verursacht oft mehr Morbidität, als einzelne Medikamente Nutzen stiften.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Gärtner J et al.: Drug interactions in palliative care – it’s more than cytochrome P450. Palliat Med 2012; 26(6): 813- 25 <strong>2</strong> Krahenbuhl-Melcher A et al.: Drug-related problems in hospitals: a review of the recent literature. Drug Saf 2007; 30: 379-407 <strong>3</strong> Nauck F et al.: Drugs in palliative care: results from a representative survey in Germany. Palliat Med 2004; 18: 100-7 <strong>4</strong> Regnard C, Hunter A: Increasing prescriber awareness of drug interactions in palliative care. J Pain Symptom Manage 2005; 29: 219-21 <strong>5</strong> https://drug-interactions.medicine.iu.edu/Home.aspx (Stand: 7. 4. 2019) <strong>6</strong> Wijnands WJ, Vree TB: Interaction between the fluoroquinolones and the bronchodilator theophylline. J Antimicrob Chemother 1988; 22(Suppl C): 109- 14 <strong>7</strong> Lipp HP: Wechselwirkungsrisiken mit zielgerichtet wirksamen, oralen Tumortherapeutika – ein Überblick. Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2017; 48: 38-42 <strong>8</strong> Goetz MP et al.: Tamoxifen pharmacogenomics: the role of CYP2D6 as a predictor of drug response. Clin Pharmacol Ther 2008; 83(1): 160-6 <strong>9</strong> Boyer EW, Shannon M: The serotonin syndrome. N Engl J Med 2005; 352: 1112-20</p>
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