
Mammakarzinom: die lokoregionäre Therapie bei älteren Patientinnen
Autorin:
Dr. med. Constanze Elfgen
Fachärztin Gynäkologie und Geburtshilfe
Brust-Zentrum Zürich
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Mit weltweit steigender durchschnittlicher Lebenserwartung wächst auch die Anzahl an Menschen, die im hohen Alter an Brustkrebs erkranken können. Missverständnisse bei der Therapie älterer Patientinnen* betreffen nicht nur Methoden, sondern auch Erwartungen.
Keypoints
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Grundsätzlich unterscheidet sich die lokoregionäre Therapie des Mammakarzinoms bei älteren Patientinnen nicht von der Behandlung jüngerer Frauen.
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Unter- und Übertherapie sind im gleichen Mass zu vermeiden, was bei älteren Patientinnen einer individuelleren Beurteilung bedarf.
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Ein hohes chronologisches Alter kann einem deutlich jüngeren biologischen Alter gegenüberstehen; gleichzeitig haben ältere Patientinnen häufiger Komorbiditäten mit reduzierender Lebenserwartung.
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Massgeblich für die Anpassung der Therapie sind neben den Bedürfnissen der Patientinnen das klinische Assessment und die verbleibende Lebenserwartung, welche in Relation zur Intensität der Therapien zu setzen sind.
Die Lebenserwartung in den Industrieländern war noch nie so hoch wie heute. Ein Mädchen, das heute in der Schweiz geboren wird, hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 85,7 Jahren.1 Gleichzeitig steigt auch die Anzahl von Menschen, die in guter Gesundheit ein hohes Alter erreichen.2
Das Mammakarzinom ist mit einem Lebenszeitrisiko von 11,6% die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 64 Jahren.3 Betrachtet man diese Daten zusammen mit den demografischen Veränderungen, ist es diskussionswürdig, dass Mammografie-Screening-Programme zur regelmässigen Früherkennung des Mammakarzinoms mit dem 70. Geburtstag beendet werden.
Dieser Sachverhalt findet auch darin Ausdruck, dass bei fortgeschrittenem Patientinnenalter ein Mammakarzinom bei Diagnosestellung deutlich grösser ist als bei Patientinnen, welche noch zur Screening-Population gezählt werden.4 Noch immer hält sich die Überzeugung, dass ein Mammakarzinom im Alter „langsam wächst“ oder „weniger aggressiv“ sei.
Dabei steigt mit zunehmendem Alter die Wahrscheinlichkeit, an einem Mammakarzinom zu sterben (Abb. 1).3 Auch ist das Risiko bei älteren Patientinnen grösser, keine Standardtherapien mehr zu erhalten.5,6
Abb. 1: Bei zunehmendem Alter der Patientinnen steigt das Risiko, an einem Mammakarzinom zu sterben. Modifiziert nach dem Schweizerischen Krebsbericht 20211
Die ältere Patientin in der klinischen Praxis
Die Definition der «älteren» Patientinnen wird in der aktuellen Literatur zumeist mit ≥70 Jahren angesetzt. Diese Altersgrenze orientiert sich an der aktuellen Lebenserwartung und demografischen Entwicklung in den Industrienationen. Frühere Studien kategorisieren bereits Menschen ab 65 Jahren als «älter». Diese Altersschwelle fällt in etwa mit dem Eintritt in das Rentenalter zusammen.7 Studien, die auch Menschen aus weniger entwickelten Ländern berücksichtigen, definieren «älter» bereits als Alter ab 60 Jahren.8
Gerade weil bei zunehmendem Alter die Abweichungen zwischen «biologischem» Alter, Allgemeinzustand und bestehenden Vorerkrankungen grösser werden, muss bei einer Erkrankung am Mammakarzinom eine angemessene und individualisierte Therapie empfohlen werden. Dabei ist ein generelles Problem bei klinischen Studien und darauf beruhenden Leitlinien die Unterrepräsentanz von älteren Patientinnen.9
Untertherapie basierend auf falscher Einschätzung der Lebenserwartung, des Therapiebenefits und des Mortalitätsrisikos der älteren Patientinnen muss ebenso vermieden werden wie eine Übertherapie ohne nachweisbaren Nutzen.10 Bei der Entscheidungsfindung sollte das behandelnde interdisziplinäre Team folgende Punkte mit einbeziehen:
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Begleiterkrankungen und Allgemeinzustand der Patientinnen, welche sich mittels validierter Scores wie beispielsweise des ECOG-Scores und des Karnofsky-Index objektivieren lassen.11,12
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Die verbleibende Lebenserwartung von Patientinnen, die abhängig ist vom bereits erreichten Alter. So hat eine 80-jährige Frau eine durchschnittliche Lebenserwartung von weiteren 9,4 Jahren.1
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Die Wünsche und Bedürfnisse der Patientinnen hinsichtlich der Therapie. Diese können sich von den Vorstellungen der Behandelnden deutlich unterscheiden. Bei älteren Patientinnen wird beispielsweise oft unbewusst von einem Verzicht auf eine die Ästhetik berücksichtigende operative Therapie ausgegangen. Die Bedeutung einer informierten Beteiligung an der Entscheidungsfindung ist altersunabhängig.24
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Verfahrenstypische Risiken.
Die operative Therapie
Unabhängig vom Alter der Patientinnen stellt die operative Therapie den Eckstein bei der Behandlung des Mammakarzinoms dar.13 Insgesamt ist die moderne Brustchirurgie mit einer niedrigen Komplikationsrate vergesellschaftet und lässt sich auch bei älteren Patientinnen meist unkompliziert durchführen, nicht zuletzt durch die Entwicklung schonender Anästhesieverfahren.
Das chronologische Alter darf die behandelnden Ärzt*innen nicht davon abhalten, auch mit dem Ziel eines bestmöglichen kosmetischen Ergebnisses zu operieren. Dazu gehört im Falle einer Mastektomie auch das Angebot einer Brustrekonstruktion (Abb. 2). Im Hinblick auf die axilläre Chirurgie zeigen neuere Studien bei über 70-jährigen Patientinnen mit frühem Tumorstadium und klinisch unauffälligen Lymphknoten keinen Benefit der Sentinel-Lymphonodektomie hinsichtlich Rezidivrate oder Mortalität.
Abb. 2: 72-jährige Patientin nach Mastektomie rechts (A) und sekundärer Eigengewebsrekonstruktion (DIEP-Flap) sowie angleichender Reduktion der Gegenseite (B). Bilder freundlicherweise zur Verfügung gestellt von Prof. J. Farhadi, Plastic Surgery Group
In der klinischen Praxis wird die Sentinel-Lymphonodektomie auch in diesen Fällen noch regelmässig durchgeführt.14 Dies mag auch darin begründet liegen, dass die Sentinel-Lymphonodektomie zumeist ein schneller Routineeingriff mit niedriger Komplikationsrate ist. Man muss jedoch bedenken, dass bei hochbetagten Patientinnen mit körperlichen Einschränkungen bereits leichte operationsbedingte Komplikationen Funktionseinschränkungen mit sich bringen können, die im alltäglichen Leben bedeutsam sein können.
In zukünftigen Studien wird sich herauskristallisieren, ob diese Standardpraxis bei über 70-jährigen Patientinnen mit frühem Tumorstadium nicht vielleicht doch aufgegeben werden sollte. Bei primär klinisch positiver Axilla oder ≥3 Sentinel-Lymphknotenmetastasen ist derzeit noch immer eine Axilladissektion indiziert.15
Bei älteren Patientinnen mit Komorbiditäten zeigt sich in dieser Situation hingegen kein Benefit, sodass ein Verzicht auf eine Axilladissektion bzw. ein eingeschränkt radikales operatives Vorgehen erwogen werden sollte (z.B. lediglich die gezielte Entfernung klinisch auffälliger Lymphknoten).16
Die Radiotherapie
In der adjuvanten Behandlung der älteren Brustkrebs-Patientinnen wird in der klinischen Praxis zunehmend eine reduzierte Strahlendosis angewendet. Bei der hypofraktionierten Ganzbrust-Bestrahlung erfolgen eine reduzierte Anzahl an Bestrahlungen sowie eine leichte Reduktion der Gesamtdosis. Dieses Schema hat bei eingeschränkt mobilen Patientinnen den Vorteil geringerer Nebenwirkungen und einer besseren Organisierbarkeit.17
Bei Patientinnen mit niedrigem Rezidivrisiko ist die akzelerierte Teilbrustbestrahlung in Form von Brachytherapie, intraoperativer Radiotherapie oder externer Teilbrustbestrahlung eine gute Alternative.18 Die akzelerierte Teilbrustbestrahlung bietet den Vorteil einer deutlich reduzierten Gesamtstrahlendosis und damit eine weitere Risikoreduktion.
Die Frage nach dem gänzlichen Verzicht auf eine Radiotherapie bei älteren Patientinnen ist nicht pauschal zu beantworten. Bei einer jüngsten Auswertung der SEER(«Surveillance, Epidemiology, and End Results Program»)-Datenbank in den USA zeigte sich kein Benefit hinsichtlich des Gesamtüberlebens bei älteren Patientinnen, die in der adjuvanten Situation nach Mastektomie und höherem Tumorstadium (T3N0 oder T1-2N1) eine Radiotherapie erhalten hatten.
Hingegen war ein klarer Vorteil der Radiotherapie bei älteren Patientinnen mit frühem Tumorstadium (T1N0) und brusterhaltender Operation zu erkennen.19 Bei hochbetagten Patientinnen ist im Einzelfall der Verzicht auf eine Radiotherapie vertretbar.20 Bei frühen Tumorstadien sollte dabei aber eine Mastektomie nicht mit dem Ziel durchgeführt werden, eine Radiotherapie zu vermeiden.21
Die systemische Therapie zur Vermeidung einer lokalen Therapie
Bei älteren Patientinnen mit HR-positivem Mammakarzinom und signifikanten Komorbiditäten sowie Operations- oder Narkoserisiken kann alternativ zu einer lokoregionären Therapie eine primär systemische endokrine Therapie durchgeführt werden.22
In Studien konnte gezeigt werden, dass in den meisten Fällen innerhalb von zwei bis drei Jahren die Karzinomerkrankung so kontrolliert werden kann, dass es in der verbleibenden Lebenszeit nicht zu einem Progress kommt. Dieses Therapiekonzept sollte daher vor allem Patientinnen mit hoher altersbedingter Komorbidität und daher erwartet kurzer Überlebenszeit vorbehalten sein.
Das Vertrauen in die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt ist dabei massgeblich für eine Adhärenz zur endokrinen Therapie.23
Literatur:
1 Bundesamt für Statistik: Lebenserwartung. Online unter https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/geburten-todesfaelle/lebenserwartung.html . Abgerufen am 20.11.2022 2 Levine ME: Modeling the rate of senescence: can estimated biological age predict mortality more accurately than chronological age? J Gerontol A Biol Sci Med 2013; 68(6): 667-74 3 Schweizerischer Krebsbericht 2021: Steigende Anzahl an «Cancer Survivors» erfordert entsprechende Nachsorgeangebote. Online unter https://www.krebsliga.ch/medien/medienmitteilungen/schweizerischer-krebsbericht-2021-steigende-anzahl-an-cancer-survivors-erfordert-entsprechende-nachsorgeangebote . Abgerufen am 20.11.2022 4 Vetter M et al.: Breast cancer in women 80 years of age and older: a comprehensive analysis of an underreported entity. Acta Oncol 2013; 52(1): 57-65 5 Lavelle K et al.: Non-standard management of breast cancer increases with age in the UK: a population based cohort of women > or =65 years. Br J Cancer 2007; 96(8): 1197-203 6 Alzahrani M et al.: Management strategies for older patients with low-risk early-stage breast cancer: a physician survey. Curr Oncol 2021; 29(1): 1-13 7 Office for National Statistics: Living longer: is age 70 the new age 65? Online unter https://www.ons.gov.uk/peoplepopulationandcommunity/birthsdeathsandmarriages/ageing/articles/livinglongerisage70thenewage65/2019-11-19 . Abgerufen am 20.11.2022 8 Shetty P: Grey matter: ageing in developing countries. Lancet 2012; 379(9823): 1285-7 9 Hutchins LF et al.: Underrepresentation of patients 65 years of age or older in cancer-treatment trials. N Engl J Med 1999; 341(27): 2061-7 10 Abdel-Razeq H et al.: Breast cancer in geriatric patients: current landscape and future prospects. Clin 2022; 17: 1445-60 11 Sørensen JB et al.: Performance status assessment in cancer patients. An inter-observer variability study. Br J Cancer 1993; 67(4): 773-5 12 Costa WA et al.: Quality of life in breast cancer survivors. Rev Assoc Med Bras 2017; 63(7): 583-9 13 Leitlinienprogramm Onkologie: Mammakarzinom. Online unter https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/mammakarzinom/ . Abgerufen am 22.12.2020 14 Di Lena É et al.: Sentinel lymph node biopsy in women over 70: Evaluation of rates of axillary staging and impact on adjuvant therapy in elderly women. Surgery 2022; Online ahead of print 15 Ortega Expósito C et al.: The effect of omitting axillary dissection and the impact of radiotherapy on patients with breast cancer sentinel node macrometastases: a cohort study following the ACOSOG Z0011 and AMAROS trials. Breast Cancer Res 2021; 189(1): 111-20 16 Poodt IGM et al.: The rationale for and long-term outcome of incomplete axillary staging in elderly women with primary breast cancer. Eur J Surg Oncol2018; 44(11): 1714-9 17 Shaitelman SF et al.: Acute and short-term toxic effects of conventionally fractionated vs hypofractionated whole-breast irradiation: a randomized clinical trial. JAMA Oncol 2015; 1(7): 931-41 18 Vicini FA et al.: Long-term primary results of accelerated partial breast irradiation after breast-conserving surgery for early-stage breast cancer: a randomised, phase 3, equivalence trial. Lancet 2019; 394(10215): 2155-64 19 Wu N et al.: Adjuvant radiation therapy for older women with early-stage breast cancer: a propensity-matched SEER analysis. Clin Transl Oncol 2022 20 Kommission Mamma | Leitlinien & Empfehlungen | Leitlinien & Stellungnahmen | AGO - Die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie. Online unter https://www.ago-online.de/leitlinien-empfehlungen/leitlinien-empfehlungen/kommission-mamma . Abgerufen am 11.07. 2022 21 Stueber TN et al.: Effect of adjuvant radiotherapy in elderly patients with breast cancer. PloS One 2020; 15(5): e0229518 22 Morgan J et al.: Surgery versus primary endocrine therapy for operable primary breast cancer in elderly women (70 years plus). Cochrane Database Syst Rev 2014; 2014(5): CD004272 23 Constanze E et al.: The role of trust in the acceptance of adjuvant endocrine therapy in breast cancer patients. Psychooncology 2022 24 Lawhon VM et al.: ‘It’s important to me’: a qualitative analysis on shared decision-making and patient preferences in older adults with early-stage breast cancer. Psychooncology 2021; 30(2): 167-75
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