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Lymphopenie als prädiktiver und prognostischer Parameter für die 1st-Line-Therapie
Jatros
Autor:
OÄ Dr. Jasmin Terzic
Klin. Abteilung für Onkologie<br> Univ.-Klinik für Innere Medizin<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: jasminalija.terzic@klinikum-graz.at
30
Min. Lesezeit
30.05.2019
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<p class="article-intro">Eine retrospektive, multizentrische Studie, initiiert von der Klinischen Abteilung für Onkologie am LKH Graz, untersuchte die absolute Lymphozytenzahl (ALC) als eigenständigen Parameter für das Ansprechen auf die Erstlinientherapie mit Sunitinib oder Pazopanib.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Absolute Lymphopenie (prätherapeutisch und TKI-induziert) ist bei Patienten mit mcRCC einfach bei Therapiebeginn und im Krankheitsverlauf zu erheben, hat eine hohe Aussagekraft hinsichtlich des Therapieansprechens und ist mit einem signifikant kürzeren medianen OS sowie PFS und mit einer signifikant schlechteren ORR assoziiert.</li> <li>Eine während der TKI-Therapie (Sunitinib) erworbene Lymphopenie ist zusätzlich mit einer schlechteren ORR verbunden.</li> <li>Auswertungen von in prospektiven Studien behandelten Patienten zur Validierung der absoluten Lymphopenie als neuen prognostischen und prädiktiven Biomarker bei mcRCC sind notwendig und werden die Wertigkeit dieses neuen Biomarkers bestimmen.</li> </ul> </div> <p>Lymphopenie ist als negativer prognostischer Parameter bei hämatologisch malignen Erkrankungen wie Non-Hodgkin- Lymphomen (NHL) validiert. In den letzten Jahren wurde der Stellenwert der Lymphopenie auch bei soliden Tumorerkrankungen im Rahmen von Studien erhoben.<sup>1</sup><br /> Die Optionen zur Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms (mRCC) und in weiterer Folge die Sequenz der Therapielinien sind seit der Einführung von Sunitinib im Jahr 2006 einem stetigen Wandel unterworfen. Aufgrund der wachsenden Anzahl der Therapieoptionen, die in den letzten 12 Jahren vorrangig das Spektrum der zielgerichteten Therapien einschließlich Multikinase- Inhibitoren und Immuncheckpoint-Inhibitoren betrafen, sind aussagekräftige Prognosemodelle und Risikoklassifizierungen von großer Bedeutung für den Patienten. Neben Prognosefaktoren wie Tumorstadium, histopathologischem Subtyp und Karnofsky Performance Index gewinnen Biomarker bzw. klinische Marker für die Einschätzung der Prognose einen immer höheren Stellenwert.</p> <h2>Prognosemodelle und Risikoklassifizierung – Suche nach dem umfassenden „Biomarker“</h2> <p>Die beiden am weitesten verbreiteten Prognosemodelle beim mRCC sind der Memorial Sloan Kettering Cancer Center (MSKCC) Score und der International Metastatic Renal Cell Carcinoma Database (IMDC) Score. Der Motzer- oder auch MSKCC-Score wurde im Jahr 1999 von der Arbeitsgruppe um R. Motzer am Memorial Sloan Kettering Cancer Center entwickelt.<sup>2, 3</sup> <br />Das ursprüngliche Scoring-System wurde im Jahr 2002 innerhalb einer Patientenkohorte mit Interferon-alpha (IFN-α) in der Erstlinientherapie überarbeitet und um die „Motzer-Kriterien“ ergänzt. Die Grundlagen der verschiedenen Prognosemodelle sind der Performance-Status (Karnofsky-Index oder ECOG-Status), das Zeitintervall bis zur Metastasierung der Erkrankung und definierte Blutbildparameter (Tab. 1). <br />Im Jahr 2005 validierten Mekhail et al. den erweiterten Motzer-Score und schlugen eine Ergänzung um die Faktoren „vorhergehende Radiotherapie“ bzw. „Vorkommen von mehr als einer Metastasenlokalisation“ vor.<sup>4</sup> <br />Der IMDC-Score beinhaltet vier der fünf Risikofaktoren des MSKCC-Scores, erweitert diesen aber noch um die absoluten Thrombozyten- bzw. Neutrophilenzahlen (Tab. 1). <br />Die Risikostratifizierung (Tab. 2) des Patienten sollte bei beiden Modellen vor Beginn einer systemischen Therapie durchgeführt werden. Es ist zu erwähnen, dass beide klinisch relevanten Prognosemodelle vor der Ära der Immuntherapien entstanden sind. Der Heng- oder auch IMDC-Score wurde von D. Heng et al. speziell für den Einsatzbereich von VEGFRtargeted Therapien entwickelt und wird vor allem in neueren Studien verwendet. Bei der Stratifizierung wird pro zutreffendem Risikofaktor ein Punkt verteilt und die Anzahl der Punkte anschließend addiert. Zusammenfassend ist bei mehr als zwei Risikofaktoren nach dem aktuellen Prognosemodell von einer schlechten Prognose und somit von einem medianen Gesamtüberleben von 7,8 Monaten auszugehen.<sup>5</sup> <br />In allen derzeit verwendeten Prognose-Scores wird die absolute Lymphozytenzahl (ALC) bislang bei der Prognosestellung des mRCC nicht miteinbezogen. Prädiktive Faktoren für das Ansprechen auf eine antiangiogenetische Therapie fehlen momentan noch. <br />Die derzeit bekannten neuen Biomarker umfassen unter anderem gewebespezifische Marker wie das Von-Hippel-Lindau- Gen (VHL), blutbasierte Marker wie VEGF („vascular growth factor“), immunologische Marker wie die PD-L1-Expression, „tumour-infiltrating lymphocytes“ (TILs) und natürliche Killerzellen (NKZ).<sup>6, 7</sup> <br />Aktuell wird das Mapping von Angiogenese-assoziierten Genen und immunassoziierten Genen mittels Transkriptom-Analyse als potenzieller Marker in Studien untersucht.<sup>8</sup> <br />Man muss jedoch hervorheben, dass bis zum jetzigen Zeitpunkt keiner der genannten Biomarker und Faktoren einen Stellenwert in der klinischen Routine hat. Die PD-L1-Expression bei klarzelligen Nierenzellkarzinomen besitzt derzeit vor allem einen prognostischen Stellenwert. Ob auch ein prädiktiver Wert vorhanden ist, wird in aktuellen Studien untersucht. Subgruppenanalysen von verschiedenen Kombinationsstudien konnten derzeit einen prädiktiven Wert bei Kombinationstherapien, die vor allem mit Immuntherapien geführt werden, feststellen. <br />Zu den Biomarkern sei erwähnt, dass einerseits die prospektive Validierung in Phase-III-Studien fehlt und andererseits keine signifikanten Verbesserungen bestehender Prognosemodelle erzielt werden konnten.<sup>9, 5</sup></p> <p> </p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s80_tab1_terzic.jpg" alt="" width="1419" height="655" /></p> <h2><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s80_tab2_terzic.jpg" alt="" width="1419" height="413" /></h2> <h2>Hypothese: Einfluss von Immunzellen auf Ansprechen, antiangiogenetische Therapie und Krankheitsverlauf</h2> <p>Inflammation und ein supprimiertes Immunsystem spielen eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung und Progression von Neoplasien. Das Mikroenvironment als inflammatorisches Milieu mit den infiltrierenden Immunzellen und Entzündungsmediatoren wie Zytokinen und Chemokinen unterstützt die Proliferation und das Überleben maligner Zellen, fördert die Angiogenese und Metastasierung und verhindert eine adäquate Immunantwort.<sup>10</sup><br /> Die Verminderung der ALC stellt einen weiteren Indikator für die Alteration des Immunsystems dar. Das Nierenzellkarzinom ist ein „immunogener“ Tumor und wir wollten durch die retrospektiv erhobenen Daten zeigen, dass die ALC und ihr Verlauf einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf beim mcRCC haben.<br /> Eine japanische Studie aus dem Jahr 2013 bestätigte uns in unserer oben genannten Annahme, wobei diese Studie keine Pazopanib-Kohorte aufwies und den Verlauf der ALC nicht dokumentierte bzw. die ORR, das PFS oder das OS nicht als Studienendpunkte definierte.<br /> Kobayashi et al. zeigten, dass Veränderungen der Immunzellen unter Primärtherapie mit TKI als prognostische Parameter für den weiteren Krankheitsverlauf dienen können.<sup>11</sup> In dieser Studie wurden die Veränderungen von verschiedenen Immunzellen in den ersten vier Wochen der targeted Therapie dokumentiert. Die Erstlinientherapie umfasste Sunitinib, zwei m-TOR-Inhibitoren und Sorafenib.</p> <h2>Myelosuppression durch zielgerichtete Therapien</h2> <p>Wir wissen aus präklinischen Untersuchungen, dass TKI, deren Zielstruktur der VEGF-Rezeptor ist, auch eine Affinität zu anderen Kinasen aufweisen und somit unterschiedliche Nebenwirkungen auslösen können. Flt-3 und c-Kit-Rezeptor sind Beispiele für solche Kinasen, werden auf hämatopoetischen Progenitorzellen exprimiert und bremsen deren Zellwachstum und Differenzierung. Pazopanib zeigt eine geringere Affinität für den Flt-3-Rezeptor und hat somit eine geringere Auswirkung auf die Hämatopoese und Lymphopenie im Vergleich zu Sunitinib.<sup>12</sup></p> <h2>Uroonkologische Kooperation bei Identifizierung des prädiktiven und prognostischen Markers</h2> <p>Die im letzten Absatz erwähnte Hypothese griffen wir in der gegenwärtigen Studie auf und untersuchten den Einfluss der absoluten Lymphozytenzahl auf die objektive Ansprechrate („objective response rate“, ORR), das progressionsfreie Überleben („progression-free survival“, PFS) und das Gesamtüberleben („overall survival“, OS) bei Patienten mit mcRCC unter der Therapie mit Sunitinib oder Pazopanib.<br />Die Studienkohorte umfasste retrospektiv 129 Patienten, die aus vier verschiedenen österreichischen uroonkologischen Zentren stammten (LKH Graz, Klinische Abteilung für Onkologie, n=61; LKH Graz, Univ.-Klinik für Urologie, n=9; LKH Leoben, n=14; LKH Innsbruck, Urologie, n=32; Wilhelminenspital Wien, n=13). Eine Anpassung der Dosis während der Therapie war erlaubt. Die Erstlinientherapie wurde bis zu einer radiografisch nachgewiesenen Progression oder einem intolerablen Nebenwirkungsprofil durchgeführt. Die Blutbildparameter wurden zu drei verschiedenen Zeitpunkten erhoben. Der erste Zeitpunkt war der Beginn der Therapie (+ 4 Wochen vor Therapie), der 2. Zeitpunkt vier Wochen nach Therapiebeginn (+/– 2 Wochen) und der 3. Zeitpunkt war im Rahmen des Restagings. Dieses fand in der Regel ca. 12 Wochen nach TKI-Einleitung statt.</p> <h2>Fazit der Kooperationsstudie</h2> <p>Die prätherapeutische mediane ALC konnte mit 1,6 G/L [25.–75. Perzentile: 1,2–2,0] berechnet werden. Eine ALC ≤ des ersten Quartils (i. e. Q1, Cut-off: ≤1,3 G/L, definiert als „Lymphopenie“) prädisponierte für eine schlechtere ORR in der Erstlinientherapie.<br /> Hervorzuheben ist, dass in beiden Studienpopulationen eine prätherapeutisch in der Norm liegende mediane ALC (1,6 vs. 1,5 G/L; p=0,56) dokumentiert wurde und somit im Durchschnitt die Patienten vor TKI-Einleitung keine Lymphopenie zeigten (Abb. 1). Die vorliegenden Ergebnisse weisen auf eine unvorteilhafte Beziehung zwischen einem dysfunktionalen, proinflammatorischen Immunstatus und beeinträchtigter Effektivität von zielgerichteten Therapien hin.<br /> Jene Patientenkohorte, die bereits vor der TKI-Therapie eine Lymphopenie unter dem definierten Cut-off aufwies (1,3 G/L), zeigte in der Auswertung unserer Studie ein deutlich schlechteres Ansprechen auf die TKI-Therapien mit Sunitinib oder Pazopanib bzw. auch ein signifikant kürzeres PFS und OS.<br /> Im Verlauf der Therapie mit Sunitinib kam es zu einem zusätzlichen Absinken der ALC im Durchschnitt um weitere 0,3 G/L (95 % CI: 0,1–0,4; p=0,002) in den ersten vier Wochen der TKI-Therapie. Pazopanib zeigte diesen Effekt nicht.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Jatros_Onko_1903_Weblinks_jatros_onko_1903_s81_abb1_terzic.jpg" alt="" width="1460" height="816" /></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Mozayen M et al.: Lymphopenia as a prognostic marker in renal cell carcinoma. J Clin Oncol 2012; 30: 470-470 <strong>2</strong> Motzer RJ: Interferon-alfa as a comparative treatment for clinical trials of new therapies against advanced renal cell carcinoma. J Clin Oncol 2002; 20: 289-296 <strong>3</strong> Ljungberg B et al.: EAU Guidelines on renal cell carcinoma. European Association of Urology, 2017 <strong>4</strong> Mekhail TM et al.: Validation and extension of the Memorial Sloan-Kettering prognostic factors model for survival in patients with previously untreated metastatic renal cell carcinoma. J Clin Oncol Off J Am Soc Clin Oncol 2005; 23: 832-841 <strong>5</strong> Heng DYC et al.: External validation and comparison with other models of the International Metastatic Renal- Cell Carcinoma Database Consortium prognostic model: a population-based study. Lancet Oncol 2013; 14: 141-148. DOI:10.1016/S1470-2045(12)70559-4 <strong>6</strong> Sun M et al.: Prognostic factors and predictive models in renal cell carcinoma: a contemporary review. Eur Urol 2011; 60: 644-661 <strong>7</strong> Igarashi T et al.: Changes on distribution of CD4+/ CD45RA- and CD8+/CD11- cells in tumor-infiltrating lymphocytes of renal cell carcinoma associated with tumor progression. Eur Urol 1992; 22: 323-328 <strong>8</strong> Rini B et al.: IMmotion151 Biomarkers. ESMO 2018 [abstract LBA31]. http://bit.ly/2yaVgyI <strong>9</strong> Heng DYC et al.: Prognostic factors for overall survival in patients with metastatic renal cell carcinoma treated with vascular endothelial growth factor- targeted agents: results from a large, multicenter study. J Clin Oncol 2009; 27: 5794-5799 <strong>10</strong> Mantovani A et al.: Cancer-related inflammation. Nature 2008; 454: 436-444 <strong>11</strong> Kobayashi M et al.: Changes in peripheral blood immune cells: their prognostic significance in metastatic renal cell carcinoma patients treated with molecular targeted therapy. Med Oncol 2013; 30(2): 556 30 <strong>12</strong> Karaman MW et al.: A quantitative analysis of kinase inhibitor selectivity. Nat Biotechnol 2008; 26: 127-132</p>
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