
S3-Leitlinie zu Diagnostik und Therapie der Plattenepithelkarzinome und Adenokarzinome des Ösophagus
Bericht:
Ingeborg Morawetz, MA
In den Versionen 3.0 und 3.1 der Leitlinie wurden vor allem die Empfehlungen zur adjuvanten und neoadjuvanten Therapie mit kurativer Intention sowie zur palliativen Therapie überarbeitet.
Endoskopie
Bei Symptomen mit Verdacht auf Ösophaguskarzinom ist eine zeitnahe endoskopische Untersuchung wichtig. Der Breischluck gilt als obsolet. Das Barrett-Epithel ist eine Präkanzerose mit erhöhtem Karzinomrisiko und sollte endoskopisch überwacht werden. Bei Patient*innen mit Risiko für eine Karzinomentstehung wird der zusätzliche Einsatz einer digitalen oder direkten Chromoendoskopie mit Essigsäure oder Lugol’scher Lösung empfohlen. Bei Nachweis hochgradiger Dysplasie oder eines Frühkarzinoms sollte eine endoskopische Therapie nach interdisziplinärer Diskussion erfolgen. Dies erlaubt den Organerhalt des Ösophagus.
Neoadjuvante Therapie– multimodales Vorgehen
Die Leitlinie enthält Algorithmen für die Therapie der Adenokarzinome und der Plattenepithelkarzinome des thorakalen Ösophagus in Relation zum Stadium. Der Schwerpunkt multimodaler Therapie liegt im Bereich des lokoregional fortgeschrittenen Ösophaguskarzinoms (T3/T4- und/oder N+-Tumoren). Beim lokoregional fortgeschrittenen Adenokarzinom wird eine perioperative Chemo- oder eine neoadjuvante Radiochemotherapie empfohlen. Eine neuere Phase-III-Studie belegt die vergleichbare onkologische Effektivität beider Therapien. Beim lokoregional fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinom werden zwei Ansätze empfohlen: die neoadjuvante Radiochemotherapie mit anschließender Operation oder die definitive Radiochemotherapie mit höherer Strahlendosis. Zweitere wird vor allem beim lokoregional fortgeschrittenen Plattenepithelkarzinom diskutiert, ist aber auch beim lokoregional fortgeschrittenen Adenokarzinom einsetzbar. Besonders bei drei Indikationen ist sie relevant:
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Patient*innen lehnen die Operation ab
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Komorbiditäten verhindern die Narkose
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R0-Resektion ist nicht erreichbar aufgrund anatomischer Verhältnisse
Bei Patient*innen mit Dysphagie wird außerdem inzwischen präoperativ bei vorgesehener neoadjuvanter Radiochemotherapie von einem Stent abgeraten (erhöhte Morbidität und postoperative Mortalität). Bei zervikalem Sitz eines Plattenepithelkarzinoms wird primär die definitive Radiochemotherapie empfohlen.
Adjuvante Therapie
Die Phase-III-Studie CheckMate577 überprüfte die Sinnhaftigkeit des adjuvanten Einsatzes von Nivolumab. Wegen der überzeugenden Ergebnisse der Studie – deutliche Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens – wurde in die Leitlinie die Empfehlung aufgenommen, eine adjuvante Immuntherapie mit Nivolumab über ein Jahr durchzuführen, wenn nach neoadjuvanter Radiochemotherapie und R0-Resektion eines Plattenepithelkarzinoms oder eines Adenokarzinoms im Ösophagus bzw. im gastroösophagealen Übergang im Resektat histologisch noch ein Resttumorbefund nachgewiesen werden kann (≥ ypT1 oder ≥ ypN1). Daten zum Gesamtüberleben gibt es noch nicht, die Daten sind jedoch bereits signifikant genug für diese neue Empfehlung – ein „Meilenstein der Therapieentwicklung“.
Operationen
Vor geplanter Ösophagektomie soll eine Risikoanalyse wichtiger Organfunktionen des Patienten erfolgen. Bei funktioneller Inoperabilität trotz onkologischer Resektabilität sollen andere Therapieverfahren eingesetzt werden. Die S3-Leitlinie 3.1 weist auch als erste Leitlinie auf eine präoperative Evaluation der Mangelernährung hin. Die Ösophagektomie und die Rekonstruktion des Ösophagus sollten minimal invasiv oder in Kombination mit offenen Verfahren (Hybrid-Technik) ausgeführt werden, wenn keine Kontraindikationen gegen diesen Zugang bestehen. Die postoperative Morbidität wird bei vergleichbarem Gesamtüberleben so gesenkt.
Palliative Therapie
Viele neue Studienergebnisse zur Palliation ergänzen die Version 3.1. Beim Adenokarzinom wird zu palliativer Chemotherapie in Zweier- oder Dreierkombination geraten. Verlängerungen des progressionsfreien und Gesamtüberlebens sind belegt. Beim Plattenepithelkarzinom gibt es bisher keine eindeutigen Phase-III-Studien zur Effektivität palliativer Chemotherapie im metastasierten Stadium. Patient*innen mit Plattenepithelkarzinom sind wegen Komorbiditäten oft nicht so belastungsfähig wie jene mit Adenokarzinom. Durch neue Checkpoint-Inhibitoren hat sich das therapeutische Vorgehen im palliativen Bereich geändert. So soll der kombinierte prognostische Score (CPS) beim metastasierten Plattenepithel- und Adenokarzinom (zusätzlich auch die Expression von HER2/neu) bestimmt werden. Je nach CPS-Höhe reichen die Empfehlungen von alleiniger Chemotherapie bis zu Chemotherapie+ Pembrolizumab/Nivolumab.
Kommende Updates
Das nächste Update der Leitlinie wird das multimodale und palliative Vorgehen auf der Grundlage von Studien modifizieren, die beim letzten Update noch nicht vorlagen. Die Empfehlung, technisch schwierige Eingriffe nur in Kliniken mit hoher Fallzahl durchzuführen und Mindestzahlen zu verhängen, wird ausgesprochen werden.
Quelle:
Interview mit dem Leitlinienautor Prof. Dr. Rainer Porschen, ehem. Chefarzt der Medizinischen Klinik, Klinikum Bremen Ost