
©
Getty Images/iStockphoto
Krebs und Thrombose – eine unheilige Allianz
Jatros
30
Min. Lesezeit
31.05.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Onkologische Erkrankungen und venöse Thromboembolien (VTE) stehen in einem engen Zusammenhang. Einerseits erhöht Krebs das VTE-Risiko und andererseits wird das Krebsrisiko durch VTE ungünstig beeinflusst. Im Rahmen der 62. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) im Februar in Wien referierten Experten über Pathomechanismen sowie Management von krebsassoziierten VTE.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Epidemiologische Studien haben gezeigt, dass VTE mit einer erhöhten Inzidenz von Krebserkrankungen assoziiert sind.<sup>1</sup> Bei Patienten mit einer VTE ist das Risiko, an einem okkulten Karzinom zu leiden, um das Dreifache gesteigert, wobei das Risiko von der Tumorlokalisation abhängig ist.<sup>2</sup> Darüber hinaus haben Patienten mit idiopathischer VTE ein höheres Risiko als Patienten mit sekundärer VTE, was einen Hinweis darauf gibt, dass das okkulte Karzinom für die VTE verantwortlich ist. Krebserkrankungen, die zur gleichen Zeit wie eine VTE oder innerhalb eines Jahres nach einer VTE diagnostiziert werden, weisen auch ein fortgeschritteneres Stadium sowie eine ungünstigere Prognose auf als Tumoren, die nicht mit einer VTE in Zusammenhang gebracht werden können.<sup>3</sup><br /> Auf der anderen Seite ist bei Krebspatienten das VTE-Risiko um das Vier- bis Siebenfache gegenüber nicht onkologischen Patienten erhöht.<sup>4</sup> Die VTE beeinflusst Morbidität und Mortalität dieser Patienten ungünstig und sowohl VTE-Rezidive als auch Blutungskomplikationen unter antithrombotischer Therapie sind häufiger. Die Inzidenz von VTE ist dabei abhängig vom Stadium und der Lokalisation des Tumors. So hat die Auswertung der Daten des California Cancer Registry ergeben, dass Metastasierung zum Zeitpunkt der Diagnose der stärkste Prädiktor für eine VTE ist. Von den Tumorentitäten sind Pankreaskarzinome mit dem höchsten VTE-Risiko assoziiert, gefolgt von Magen-, Blasen- und Gebärmutterkrebs.</p> <h2>Tumorzelle und Gerinnung</h2> <p>„Klinische Risikofaktoren, bestimmte Mechanismen der Tumorzellen sowie die Reaktion der Wirtszelle schaffen eine hyperkoagulative Umgebung, die einerseits die Thromboseneigung und andererseits das Tumorwachstum fördert“, erklärte Prof. Anna Falanga, Hospital Papa Giovanni XXIII, Bergamo (I). Krebszellen aktivieren die Gerinnung, indem sie die Expression von gerinnungsfördernden Faktoren, insbesondere „tissue factor“ (TF), Adhäsionsmolekülen sowie inflammatorischen Zytokinen und proaangiogenetischen Faktoren begünstigen.<sup>5</sup> So konnte etwa nachgewiesen werden, dass Tumorzellen in der Lage sind, die Thrombinbildung zu induzieren.<sup>6</sup> Andererseits tragen Gerinnungsproteine wie TF/FVIIa, Faktor Xa, Thrombin und Fibrin zu Wachstum, Invasion, Metastasierung und Angiogenese des Tumors bei.<br /> „Die Interaktion von Tumorzelle und Gerinnung ist ein integraler Bestandteil der malignen Transformation und die Aktivierung der Gerinnungsfaktoren wird durch die genetischen Programme des Tumors gesteuert“, so Falanga. Eine Reihe von Onkogenen ist dabei an der Aufregulierung von Mikropartikeln, TF oder Faktor VII beteiligt.<sup>7</sup><br /> Als Beispiel führte Falanga die akute promyeloische Leukämie (APL) an. Bei der APL ist die typische PML/RARa-Genläsion mit einer Überexpression von prokoagulativen Faktoren wie etwa TF und damit einhergehend einer schweren Koagulopathie assoziiert.<sup>8</sup> Falanga: „Durch die Differenzierung der leukämischen Zellen in reife Granulozyten, die durch All-trans- Retinsäure – eine Therapie, die direkt an der molekularen Läsion angreift – induziert wird, geht die gerinnungsfördernde Aktivität verloren und die Koagulopathie geht in Remission.“ Unter All-trans-Retinsäure (ATRA) kommt es zu einem Abfall bei gleichzeitigem Anstieg der Expression von CD11b, einem Marker für die Differenzierung von Myeloidzellen.</p> <h2>„Tissue factor“, Fibrin und Thrombozyten</h2> <p>„TF ist das Bindeglied zwischen der Gerinnungskaskade und Krebs“, erklärt Falanga. Einerseits ist TF ein Gerinnungsfaktor und andererseits reguliert er VEGF in der Tumorzelle hoch. TF-Expression bei Krebs ist mit höhergradigen Tumoren, Metastasierung und schlechter Prognose assoziiert. Er beeinflusst die Krebsprogression einerseits, indem er die Signalwege, die das Tumorwachstum ermöglichen, fördert, und andererseits, indem er die Blutgerinnung einleitet und somit das Überleben von Metastasen begünstigt. Im Tiermodell konnte bereits gezeigt werden, dass die Blockade des TF-Signalings die Transkription von Krebsstammzellen und damit die Metastasierung hemmt.<sup>9</sup> Auf der anderen Seite findet sich TF in von Krebszellen gebildeten Mikropartikeln. Es konnte gezeigt werden, dass aktivierter TF in Mikropartikeln von den Tumorzellen in die Blutbahn freigesetzt wird und damit die Koagulation in Gang gesetzt wird.<sup>10</sup><br /> „Die frühzeitige Expression gerinnungsfördernder Mechanismen bietet der Tumorzelle Überlebensvorteile, erlaubt ihre Entwicklung und Migration“, so Falanga. So schützt sie vor Angriffen des Immunsystems mit einem Fibrinmantel, der auch das Anhaften an den Gefäßwänden ermöglicht.<sup>11</sup> Fibrin induziert die Expression der prokoagulativen Aktivität von TF sowie die Angiogenese aufgrund der IL-8-Aktivität der Endothelialzellen. Darüber hinaus bildet Fibrin das Gerüst für die Neoangiogenese im Tumor.<br /> Tumorzellen sind in der Lage, Thrombozyten zu aktivieren, entweder direkt durch Adhäsion der Zellen oder durch Freisetzung von ADP, Proteasen oder anderen Aktivatoren. Die Adhäsion der Thrombozyten an Tumorzellen, dem Endothelium und den Leukozyten trägt dazu bei, die Gerinnung an der Gefäßwand zu aktivieren, und sie unterstützt das Tumorwachstum sowie die Metastasierung.</p> <h2>Podoplanin und NET</h2> <p>Für die Bindung der Thrombozyten an die Tumorzelle ist das Podoplanin verantwortlich. Es handelt sich dabei um ein Glykoprotein, das auf den Oberflächen verschiedener Tumorzellen exprimiert wird und das der einzige bekannte Ligand des Thrombozyten-aktivierenden Rezeptors CLEC-2 („C-type lectin receptor type 2“) ist. Die Bindung von Podoplanin an den CLEC-2 induziert die Thrombozytenaggregation.<sup>12</sup> „Bei den meisten Krebserkrankungen korreliert ein hohes Maß an Podoplaninexpression mit erhöhtem Risiko für venöse Thromboembolien, Metastasierung in die Lymphknoten und verkürztem Überleben“, berichtet Falanga.<br /> Ein neu diskutierter Zusammenhang zwischen Krebs und tumorassoziierten VTE sind „neutrophil extracellular traps“ (NET). Dabei handelt es sich um Netzwerke extrazellulärer Fasern, die primär aus der DNA neutrophiler Granulozyten bestehen. Tumor-aktivierte Neutrophile weisen eine erhöhte NET-bildende Kapazität auf und diese NET könnten auf unterschiedlichen Stufen der Tumorprogression eine wesentliche Rolle spielen.<sup>13</sup> So konnte etwa gezeigt werden, dass Pankreaskrebszellen die Bildung von NET stimulieren, die wiederum die Thrombozytenaktivierung und -ausbreitung sowie die Thrombusbildung fördern.<sup>14</sup><br /> „Tumorpatienten befinden sich in einem Zustand erhöhter Gerinnungsneigung. Diese ist durch Veränderung von thrombotischen Markern gekennzeichnet, ohne dass klinisch eine Thrombose vorliegen muss“, so Falanga. Studien, die den Wert von Gerinnungsmarkern für die Krebsdiagnose und dessen Prognose evaluieren, sind im Laufen. In der HYPERCAN- Studie wird derzeit untersucht, ob erhöhte Gerinnungsneigung einerseits bei gesunden Probanden das Risiko für eine Tumorerkrankung erhöht und andererseits bei Krebspatienten die Prognose beeinflusst.<sup>15</sup></p> <h2>Management krebsassoziierter Thrombosen</h2> <p>In den letzten Jahren hat eine Reihe von internationalen Fachgesellschaften Guidelines zum Management von krebsassoziierten Thrombosen (CAT) publiziert. „Allerdings fehlen in diesen Guidelines Empfehlungen für häufige klinische Situationen wie etwa Krebspatienten mit Thrombozytopenie, rezidivierenden venösen Thromboembolien oder katheterassoziierten Thrombosen“, bemängelt Priv.- Doz. Dr. Cihan Ay, Klinische Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie, Univ.- Klinik für Innere Medizin I, Wien.<br /> Als Basis der CAT-Behandlung empfehlen internationale Guidelines die Therapie mit niedermolekularem Heparin (LMWH) in der Akutphase und danach für weitere sechs Monate.<sup>16</sup> Diese Empfehlung basiert auf randomisierten kontrollierten „Open-label“-Studien, in denen LMWH in der Therapie über sechs Monate gegen einen Vitamin-K-Antagonisten (VKA) getestet wurden.<sup>17, 18</sup> Effektivität und Sicherheit einer LMWH-Therapie bis zu 12 Monaten wurden in der DALTECAN- Studie evaluiert, in der Patienten mit CAT Dalteparin in therapeutischer Dosierung für ein Jahr erhielten.<sup>19</sup> Dabei zeigte sich, dass die Inzidenz von Blutungskomplikationen mit Fortdauer der Therapie abnahm. So traten im ersten Monat unter Dalteparin bei 3,6 % der Patienten schwere Blutungen auf, während es in den Monaten 2 bis 6 nur noch 1,1 % und in den Monaten 6 bis 12 nur noch 0,7 % pro Patientenmonat waren. Auch das VTE-Risiko war während des ersten Monats am höchsten und nahm im Laufe der Zeit ab. Daten liegen auch für das direkte Antikoagulans (DOAK) Edoxaban vor. Das DOAK erwies sich in der HOKUSAI-VTE-Cancer-Studie als nicht unterlegen gegenüber Dalteparin hinsichtlich des VTE-Rezidivrisikos und des Blutungsrisikos.<sup>20</sup><br /> In den aktuellen ESMO-Guidelines wird daher eine Therapie mit LMWH oder einem DOAK für 3 bis 6 Monate empfohlen.<sup>21</sup> Ist der Krebs nach 6 Monaten in kompletter Remission, kann die LMWH-Behandlung bzw. die Antikoagulation beendet werden (Abb. 1). Bei fortgesetzter Tumortherapie wird auch die LMWH/ DOAK-Behandlung fortgesetzt. Ist die Krebserkrankung stabil, sollte die VTEProphylaxe ebenso fortgesetzt werden, wobei die Entscheidung DOAK oder LMWH nach der Präferenz des Patienten erfolgen kann.<br /> Unter fortschreitender Malignität treten VTE-Rezidive häufig auf. Auf diese klinische Situation kann entweder mit der Erhöhung der LMWH-Dosis, dem Wechsel auf LMWH-Gabe zweimal täglich, dem Wechsel auf ein alternatives Antikoagulans oder in seltenen Fällen dem Einsetzen eines Vena-cava-Filters reagiert werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Onko_1803_Weblinks_s16_abb1.jpg" alt="" width="1454" height="876" /></p> <h2>Management von Blutungen</h2> <p>Zum Blutungsmanagement bei Tumorpatienten mit VTE und Antikoagulation existieren keine evidenzbasierten Guidelines. Für das Management von Blutungen sind laut Ay die Schwere der Blutung – ob es sich dabei um Epistaxis oder eine intrakranielle Blutung handelt –, die wahrscheinliche Dauer der Blutung, die Wahrscheinlichkeit für ein Blutungsrezidiv sowie die Möglichkeit, die Blutung zu stoppten oder deren Ursache zu beseitigen, in Betracht zu ziehen. Empfehlungen, wie mit Blutungen in unterschiedlichen Szenarien umgegangen werden sollte, finden sich in einer Leitlinie der International Society on Thrombosis and Haemostasis (ISTH).<sup>22</sup><br /> Eine weitere Herausforderung ist das Management von CAT bei Patienten mit Krebs- bzw. Chemotherapie-induzierter Thrombozytopenie. Die diesbezügliche Evidenzlage ist äußerst dürftig. Ein Managementalgorithmus findet sich ebenfalls in den ISTH-Empfehlungen.<sup>22</sup></p> <h2>Antikoagulation bei Niereninsuffizienz</h2> <p>Eine besondere Herausforderung für die Antikoagulation bei Krebs sind Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion. Auch hier existiert nur limitierte und bis zu einem gewissen Grad widersprüchliche Evidenz vor. Es wird empfohlen, die Dosierung von LMWH an den Grad der Niereninsuffizienz anzupassen.<sup>23</sup> Patienten mit einer Kreatinin-Clearance (Cr- Cl) <50ml/min sollten beobachtet werden, ab CrCl <30ml/min sollte LMWH vermieden werden, außer es erfolgt ein Monitoring der Anti-Faktor-Xa-Aktivität. Bezüglich der DOAK wird für Edoxaban eine Dosisreduktion bei einer CrCl zwischen 30 und 50ml/min empfohlen. Bei Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz (CrCl <30ml/min) ist der DOAK nicht indiziert.<br /> „Die Behandlung der krebsassoziierten Thromboembolie hat eine Reihe herausfordernder Aspekte. Das Management sollte auf den Patienten individuell zugeschnitten sein, wobei Nutzen und Risiken der Therapieoptionen und Patientenwünsche in die Entscheidung einbezogen werden“, schließt Ay.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 62. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung
(GTH), 20.–23. Februar 2018 in Wien
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Nordström M et al.: BMJ 1994; 308(6933): 891-4 <strong>2</strong> Iodice S et al.: J Thromb Haemost 2008; 6(5): 781-8 <strong>3</strong> Sørensen HT et al.: N Engl J Med 2000; 343(25): 1846-50<strong> 4</strong> Falanga A et al.: Curr Opin Hematol 2014; 21(5): 423-9 <strong>5</strong> Falanga A et al.: Semin Thromb Hemost 2015; 41(7): 756-64 <strong>6</strong> Marchetti M et al.: Haematologica 2012; 97(8): 1173-80 <strong>7</strong> Falanga A et al.: The Hematologist 2011; 8(4): 4-5 <strong>8</strong> Falanga A et al.: Semin Thromb Hemost 2008; 34(2): 204-10 <strong>9</strong> Ünlü B et al.: ISTH, Berlin 2017, Abstr.# OC28.1 <strong>10</strong> Davila M et al.: J Thromb Haemost 2008; 6(9): 1517-24 <strong>11</strong> Falanga A et al.: Thromb Res 2015; 135(Suppl 1): S8-S11 <strong>12</strong> Suchanski J et al.: Am J Cancer Res 2016; 6(2): 370-86 <strong>13</strong> Demers M, Wagner DD: Oncoimmunology 2013; 2(2): e22946 <strong>14</strong> Razak AN et al.: Int J Mol Sci 2017; 18(3): 487 <strong>15</strong> Falanga A et al.: Thromb Res 2016; 140(Suppl 1): S55-9 <strong>16</strong> Farge D et al.: Lancet Oncol 2016; 17(10): e452-66 <strong>17</strong> Lee AYY et al.: JAMA 2015; 314(7): 677-86 <strong>18</strong> Meyer G et al.: Arch Intern Med 2002; 162(15): 1729-35 <strong>19</strong> Francis CW et al.: J Thromb Haemost 2015; 13(6): 1028-35 <strong>20</strong> Raskob GE et al.: N Engl J Med 2018; 378(7): 615-24 <strong>21</strong> Ay C et al.: ESMO Open 2017; 2(2): e000188 <strong>22</strong> Carrier M et al.: J Thromb Haemost 2013; 11(9): 1760-5 <strong>23</strong> Carrier M et al.: Curr Oncol 2015; 22(1): 49-59</p>
</div>
</p>