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Komplikationsmanagement bei älteren RCC-Patienten
Leading Opinions
Autor:
Priv.-Doz. Dr. med. Sabine Brookman-May
Urologische Klinik LMU München, Campus Grosshadern<br> Director Clinical Research Janssen Pharma Research and Development<br> E-Mail: sabine.brookman-may@email.de
30
Min. Lesezeit
14.07.2016
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<p class="article-intro">
Die radikale bzw. partielle Nephrektomie ist der aktuelle Goldstandard in der Therapie für Patienten mit lokalisiertem oder lokal fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (RCC, „renal cell carcinoma“). Trotz aller technischen Fortschritte treten jedoch nach
wie vor bei ca. einem Drittel der Patienten und insbesondere bei geriatrischen Patienten intra- oder postoperative Komplikationen auf, die das Überleben bzw. die mittel- und langfristige Lebensqualität der Patienten entscheidend beeinflussen können.
Im folgenden Artikel soll auf die Spezifität geriatrischer Patienten in der Nierentumorchirurgie, die individuelle therapeutische Entscheidungsfindung und ein mögliches perioperatives geriatrisches Komplikationsmanagement eingegangen werden. </p>
<p class="article-content">
<div id="keypoints">
<h2>Key Points</h2>
<ul>
<li>Bei älteren RCC-Patienten besteht oftmals das Risiko einer Übertherapie und es kann eine beträchtliche Tumorheterogenität mit teilweise höherer Aggressivität auch kleiner Nierentumoren vorliegen.</li>
<li>Die klinische Entscheidungsfindung sollte durch adäquate Patientenselektion und anhand eines objektiven Risikoassessments erfolgen, welches das (biologische) Alter, den funktionellen Status, Komorbiditäten und die verbleibende Lebenserwartung
berücksichtigt (geriatrisches Assessment).</li>
<li>Werden ältere Patienten mit vergleichsweise höherem Risiko für Komplikationen und deren langfristige Folgen operiert, so sollte der NSS der Vorrang gegeben werden und eine sorgfältige präoperative Planung erfolgen.</li>
<li>Neben den chirurgischen Komplikationen sollten spezifisch geriatrische Komplikationen durch ein individuelles, präoperativ festgelegtes und intra- und postoperativ interdisziplinär umgesetztes Management vermieden werden.</li>
<li>Die überwiegende Zahl der RCC-Studien und damit die den Leitlinien und Therapiealgorithmen zugrunde liegenden Daten fussen auf Daten von Patienten im typischen Diagnosealter zwischen 60 und 70 Jahren.</li>
</ul>
</div>
<p>Der überwiegende Teil der RCC-Patienten ist zum Zeitpunkt der Diagnose älter als 60 Jahre. Immer öfter beraten wir zudem RCC-Patienten mit inzidenteller Diagnose, die bereits das 80. Lebensjahr überschritten haben. Eine deutliche
Zunahme der Anwendung von CT und MRI (sowie die flächendeckende Nutzung der Ultraschalldiagnostik) in den letzten 20 Jahren hat zu einer stetigen Zunahme an inzidentell diagnostizierten sog. „small renal masses“ (SRM) geführt,
die zu einem beträchtlichen Anteil benigne sind bzw. sehr langsam wachsen und ein geringes Metastasierungspotenzial aufweisen. Unter Berücksichtigung der aktuellen Lebenserwartung dieser Patienten stehen wir Urologen immer öfter
vor der Herausforderung, zu entscheiden, wie wir diese Patienten hinsichtlich der richtigen Therapie beraten sollen. Ist die radikale Nephrektomie (RN) oder eine nierenerhaltende Operation (NSS, „nephron-sparing surgery“; offen, laparoskopisch
oder robotisch assistiert), sind ablative Therapien oder die aktive Surveillance (AS) die beste Option, um der noch bestehenden quantitativen und qualitativen Lebenserwartung der Patienten gerecht zu werden? Einerseits besteht dabei sicher das
Risiko einer Übertherapie dieser Patienten, andererseits erhalten alte Patienten teilweise unter alleiniger Berücksichtigung ihres kalendarischen Alters und aus Angst vor Komplikationen keine aktive Therapie, obwohl diese ggf. von Vorteil
wäre. Dem gegenüber steht ausserdem die zunehmende Evidenz, dass ältere Patienten möglicherweise unter aggressiveren Tumoren leiden und eine geringere krebsspezifische Überlebensrate (CSS; „cancer-specific survival“)
als junge Patienten haben. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1603_Weblinks_Seite59.jpg" alt="" width="" height="" /></p>
<p>In einer aktuellen Studie an 12  618 RCC-Patienten (MediCare-Daten), die zwischen 1995 und 2005 operiert wurden, erlitten ca. 37 % der Patienten mindestens eine postoperative Komplikation.<sup>1</sup> Zudem waren die Patienten, bei denen
Komplikationen auftraten, generell älter, überwiegend männlich und komorbide und hatten eine offene (versus laparoskopische) Operation erhalten. Während eines mittleren Follow-up von 32 Monaten verstarben 37,1 % der Patienten.
Bei Patienten mit mindestens einer Komplikation ergab sich eine signifikant geringere 5-Jahres-Gesamtüberlebens-Rate (59,9 % ) gegenüber den Patienten ohne Komplikationen (69,5 % ). Diese Assoziation blieb nach Adjustierung nach Patientencharakteristika,
Tumorstadien und chirurgischem Vorgehen weiterhin bestehen. Das Auftreten von Komplikationen war unabhängig assoziiert mit einer Verkürzung des Langzeitüberlebens, dem Auftreten von Herzinsuffizienz, akutem und chronischem Nierenversagen,
kardialen und neurologischen Komplikationen sowie postoperativen Infekten. <br />Daten wie diese zeigen deutlich, dass wir unsere Therapieentscheidungen insbesondere bei alten RCC-Patienten unter Berücksichtigung des bestehenden Komplikationsrisikos
treffen und ein geeignetes Komplikationsmanagement zur Hand haben sollten. Berücksichtigt man zudem das gleichzeitig höhere Komplikationsrisiko älterer und komorbider Patienten, so sind eine klare Strategie und spezielle Überlegungen
notwendig, um zu einer bestmöglichen Therapieentscheidung und zu einem optimalen Therapiemanagement bei diesen Patienten zu gelangen. Letztendlich sind für uns Urologen im Hinblick auf ein adäquates Therapie- und Komplikationsmanagement
älterer RCC-Patienten die folgenden Fragen relevant:</p>
<ul>
<li>Benötigen ältere RCC-Patienten eine aktive Therapie (RN, NSS, ablative Therapie) oder nicht (aktive Überwachung, „watchful waiting“)?</li>
<li>Wenn ja, welches ist die beste Option für den individuellen älteren Patienten?</li>
<li>Besteht für den individuellen älteren Patienten ein erhöhtes Komplikationsrisiko? Ist das Risiko abhängig von der Art der Therapie? Wie können wir das Komplikationsrisiko verringern?</li>
</ul>
<h2>Option 1: Vermeidung aktiver Therapie bei älteren RCC-Patienten</h2>
<p>Eine Möglichkeit der Umgehung von Komplikationen einer operativen Therapie bestünde einfach darin, eine aktive Behandlungsstrategie zu vermeiden. Insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ältere Patienten ein erhöhtes
Risiko haben, an konkurrierenden Ursachen zu sterben, verdient diese Überlegung, beachtet zu werden. Gemäss aktueller Evidenz haben lediglich ca. 20 % der Nierentumoren mit einer Grösse bis zu 7cm potenziell aggressive Eigenschaften
und neigen zu raschem lokalem Wachstum und/oder einer Metastasierung. Aus Obduktionsstudien ist zudem bekannt, dass ca. 1,2 % der Patienten, die nicht an einem Nierentumor gestorben sind, dennoch einen Tumor aufweisen, ohne dass jemals eine Therapie
notwendig geworden ist. Aus weiteren Studien wissen wir, dass ca. 28 % der Patienten mit inzidentellem cT1-RCC und einem Alter >75 Jahre aus anderen Ursachen als dem Nierentumor sterben.<sup>2</sup> In rezenten AS-Studien war eine lokale Progression
unter aktiver Beobachtung bei 12–35 % und eine Fernmetastasierung bei 1 % der Patienten festzustellen.<sup>3–5</sup> Eine weitere Analyse, die anhand von US-amerikanischen Medicare-Daten durchgeführt wurde, zeigte ausserdem, dass
ältere Patienten mit kleinen Nierentumoren ein deutlich geringeres Risiko hatten, innerhalb der nächsten fünf Jahre zu versterben, als Patienten, die primär operativ therapiert wurden (24 % vs. 13 % ). Während in beiden
Gruppen jeweils 3 % infolge des Tumors starben, hatten chirurgisch therapierte Patienten im weiteren Verlauf ein doppelt so hohes Risiko für kardiale Morbidität und Tod aufgrund anderer Ursachen.<sup>6</sup> Daten wie diese deuten auf
das deutliche Risiko einer Übertherapie mit den entsprechend daraus resultierenden Komplikationen hin. <br />Berücksichtigen wir jedoch die steigende Lebenserwartung, insbesondere der älteren Patienten in den USA und in Westeuropa,
ist die Schlussfolgerung, dass bei diesen Patienten eine Therapie absolut zu vermeiden ist, nicht mehr zulässig und schlüssig. Daten des Robert-Koch-Instituts in Deutschland aus dem Jahr 2012 zeigen, dass eine 80-jährige Frau eine
verbleibende Lebenserwartung von durchschnittlich 9,1 Jahren und ein 80-jähriger Mann eine solche von durchschnittlich 7,8 Jahren hat, sodass die Frage nach der bestmöglichen Therapie auch bei Patienten in diesem Alter unverändert
bestehen bleibt.<sup>7</sup> Zudem scheint trotz zunehmender Detektion in früheren Stadien bei alten RCC-Patienten die krebsspezifische Mortalität („cancer-specific mortality“; CSM) stärker mit dem Tumorstadium korreliert
zu sein als bei jungen Patienten. Dennoch haben ältere Patienten ein höheres Risiko, dass ihnen eine aktive bzw. operativ kurative Therapie aufgrund ihres Alters (und evtl. aufgrund zusätzlich bestehender Komorbiditäten) nicht
empfohlen wird. Das heisst letztendlich, dass bei alten RCC-Patienten nicht nur ein beträchtliches Risiko der Übertherapie, sondern auch der Untertherapie besteht. <br />Unsere eigenen Daten aus der CORONA-Datenbank bestätigen die
unabhängig erhöhte CSM ebenso wie die Sterblichkeit infolge konkurrierender Risiken („other cause mortality“; OCM).<sup>8</sup> Retrospektiv wurden die Daten von 6234 RCC-Patienten nach operativer Therapie (RN oder NSS) für
die Endpunkte CSM and OCM analysiert. In der gesamten Studienkohorte fanden sich 241 Patienten über 80 Jahre (3,9 % ). Diese wurden hinsichtlich der Studienendpunkte mit 2275 Referenzpatienten im Alter zwischen 60 und 70 Jahren (36,5 % )
verglichen. Multivariable sog. „Competing risk“-Modelle wurden für beide Endpunkte unter Anwendung einer Instrumental-Variable gebildet, um ein residuelles „confounding“ aufgrund von fehlenden Daten zur Komorbidität
zu reduzieren. In den Kaplan-Meier-Analysen zeigte sich, dass alte RCC-Patienten ein signifikant reduziertes Gesamtüberleben und ein marginal reduziertes CSS im Vergleich zur Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen aufweisen (Abb. 1). In
der für weitere klinische und pathologische Kriterien adjustierten multivariablen Analyse zeigte sich ein unabhängiger, signifikanter Einfluss des Lebensalters auf beide Endpunkte. Mit einer Hazard-Ratio (HR) von 1,48 für das CSS
bedeutet dies, dass sich neben der Gesamtsterblichkeit auch die krebsspezifische Mortalität mit jedem Lebensjahr um mehr als 10 % steigert (Tab. 1).
<br />Als Schlussfolgerung muss die Überlegung angestellt werden, welche Ursachen hinter diesen Ergebnissen stecken. Ist die erhöhte krebsspezifische Sterblichkeit tatsächlich durch eine differente und höhere Tumoraggressivität
bedingt, die wir bei älteren RCC-Patienten finden? Oder ist sie die Folge dessen, dass bei diesen Patienten im Falle eines Rezidivs im weiteren Verlauf die Therapie reduziert wird, wenn das Lebensalter evtl. ein weiterer zusätzlicher
Faktor ist, der eine effektive chirurgische oder vielmehr noch eine medikamentöse Therapie im metastasierten Setting verhindert? <br />Auch in einer Arbeit von Sun et al aus dem Jahr 2011 wurde anhand einer „Competing risk“-Analyse
der SEER-Datenbank in einem Stadien- und Grad-adaptierten Modell gezeigt, dass höheres Alter auch nach Adjustierung nach Ethnie, Tumorgrösse, histologischem Grad, Stadium, Therapie und Gesamtsterblichkeit mit einer gesteigerten CSM assoziiert
ist.<sup>9</sup> Dieser Effekt war am grössten bei Patienten über 80 Jahre mit niedriggradigen Tumoren im Stadium I (T1 N0 M0), weswegen die Autoren schlussfolgerten, dass insbesondere bei diesen Patienten eine aggressivere Therapie
notwendig ist. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1603_Weblinks_Seite60.jpg" alt="" width="" height="" /></p>
<h2>Option 2: individuell beste Behandlungsoption finden</h2>
<p>Wir sehen anhand derartiger Daten, dass nicht die Vermeidung einer aktiven Therapie älterer Patienten die Lösung des Dilemmas darstellt, sondern dass vielmehr eine individuelle Entscheidung unter Berücksichtigung patientenindividueller
Faktoren (neben dem Alter) getroffen werden muss, um die bestmögliche Therapie für den einzelnen Patienten zu finden. In der Realität werden alte RCC-Patienten jedoch meistens – wenn überhaupt aktiv therapiert –
einer (laparoskopischen) RN unterzogen. Einerseits sind mit einem solchen therapeutischen Vorgehen die Vorteile einer onkologischen Radikalität, der niedrigen therapieassoziierten Morbidität und einer raschen Rekonvaleszenz gegeben,
andererseits nehmen wir auch Nachteile in Kauf, wie z.B. den Verlust der Nierenfunktion mit dem Risiko eines chronischen Nierenversagens und die im Vergleich zu jungen Patienten höhere Mortalität der Patienten im weiteren Verlauf. In
einer Studie aus dem Jahr 2012 wurde gezeigt, dass in der klinischen Realität das Alter signifikant und unabhängig die Entscheidung zugunsten einer RN beeinflusst (p <0,001).<sup>10</sup> Neben dem Alter hatten auch das Geschlecht
(Frauen erhalten seltener eine NSS), die Ethnie, der sozioökonomische Status sowie der Beziehungsstatus einen unabhängigen Einfluss auf diese Entscheidung. Die Entscheidung für oder gegen ein nierenerhaltendes Vorgehen wurde also
überwiegend nicht anhand von tumorassoziierten Faktoren getroffen, sondern durch Faktoren bestimmt, die unsere ärztliche Entscheidung im Sinne des Patienten nicht beeinflussen sollten. Zusätzlich wurde gezeigt, dass nach RN sowohl
die Gesamtsterblichkeit nach 2, 5 und 8 Jahren als auch die CSM signifikant erhöht waren (Abb. 2, 3). <br />Die Durchführung einer NSS bei allen alten RCC-Patienten wird jedoch keine allgemeingültige Lösung sein; zudem müssen
wir die Rate an operativen Komplikationen bei NSS oder alternativen therapeutischen Verfahren ebenso berücksichtigen. Allgemein gehen wir davon aus, dass die NSS mit einer höheren Komplikationsrate als die RN assoziiert ist. Ist dies
jedoch tatsächlich der Fall? In einer aktuell in Urology veröffentlichten Studie an 1092 RCC-Patienten nach RN oder NSS (OP-Zeitraum 2005–2012) zeigten Tomaszewski et al, dass es zwar eine sichere Assoziation zwischen einem erhöhten
Risikostatus des Patienten (definiert durch Alter >75 Jahre oder Charlson Comorbidity Index, CCI, <2) und postoperativen Komplikationen gibt, aber die Art der Therapie keinen signifikanten Einfluss auf das Auftreten von postoperativen Komplikationen
hatte.<sup>11</sup> In einer weiteren Studie analysierten Larcher et al Faktoren, anhand deren das Komplikationsrisiko nach NSS vorhergesagt werden kann und die damit die Entscheidung für eine ablative Therapie anstelle eines operativen Vorgehens
triggern könnten.<sup>12</sup> Als Risikofaktoren wurden dabei Alter, operatives Vorgehen (NSS vs. RN), CCI und vorbestehende Nierenfunktionseinschränkung identifiziert. Die Risikoreduktion in Bezug auf Komplikationen wäre dabei
am grössten bei jenen Patienten, deren Risikoprofil hoch ist. Berücksichtigt werden muss jedoch, dass die einfache Schlussfolgerung, dass diese Patienten einer ablativen Therapie unterzogen werden sollten, ebenso nicht uneingeschränkt
gültig sein kann, da keine direkt vergleichbaren Daten vorliegen und zudem die Evidenz für die ablative Therapie bei älteren Patienten derzeit limitiert ist.</p>
<h2>Option 3: Komplikationsmanagement/präoperatives Assessment</h2>
<p>Wie anhand der angeführten Studienergebnissen gezeigt, ist die Art des therapeutischen Eingriffs bei älteren Patienten nicht unabhängig assoziiert mit der Komplikationsrate. Zudem werden ältere Patienten trotz gegenläufiger
Evidenz weiterhin zu oft mittels RN therapiert. Dennoch muss vor einem operativen Eingriff unbedingt berücksichtigt werden, dass alte Patienten tatsächlich ein höheres Risiko haben, intraoperative chirurgische und postoperative
Komplikationen zu erleiden. Berger et al zeigten in einer aktuellen Studie (OP-Zeitraum 2002–2011), dass die therapieassoziierte Morbidität bei Patienten ab 80 Jahren signifikant war.<sup>13</sup> In einer weiteren Analyse von insgesamt
125  516 chirurgischen Eingriffen infolge eines malignen Nierentumors traten geriatrische Komplikationen bei 5,2 % der Patienten auf, deren Auftreten signifikant unabhängig mit höherem Alter, Komorbidität, niedrigerem
sozialem Status und der Durchführung einer offenen RN assoziiert war (p jeweils <0,05). Die modelladjustierte Wahrscheinlichkeit für Komplikationen betrug 3,1 % für Patienten im Alter von 55–64 Jahren, 4,7 % für 65-
bis 74-Jährige und 6,9 % für Patienten ab 75 Jahren (p <0,001). Obwohl diese Fälle nur selten eintraten, hatten komorbide Patienten ein mehr als vierfach erhöhtes Risiko, perioperativ zu sterben (1,7 % vs. 0,4 % , p <0,001).
<br />Das erhöhte Risiko relevanter Komplikationen bei alten Patienten muss also unbedingt berücksichtigt werden, bevor eine operative Intervention angestrebt wird. Die klinische Entscheidung sollte nicht nur subjektiv und anhand des
kalendarischen Patientenalters alleine getroffen werden, sondern unter Berücksichtigung</p>
<ul>
<li>objektiver tumorassoziierter Daten (erhoben z.B. mit morphometrischen Scores wie PADUA-Klassifikation, Nephrometrie-Score, c-Index)</li>
<li>objektiver patientenbezogener Daten (erhoben u.a. mit geriatrischem Assessment inkl. Berücksichtigung des kalendarischen/biologischen Alters, der Komorbiditäten, des funktionellen Status)</li>
</ul>
<p>Hinsichtlich der operativen Durchführung selbst gibt es keine spezifischen Aspekte, die bei alten Patienten berücksichtigt werden müssten. Letztendlich ist der operativen Sorgfaltspflicht nachzukommen, die eine sorgfältige Präparation
des Nierenstiels vor dem Clamping und die sorgfältige Präparation der Nebenniere beinhaltet, des Weiteren eine sorgfältige Adaptation des Hohlsystems bzw. Stentings zur Vermeidung einer relevanten Urinleckage und die Erwägung
eines „early unclamping“ oder eines Vorgehens ohne Clamping, um das Risiko eines Nierenfunktionsverlustes zu reduzieren. Zusätzlich sollte beachtet werden, dass das generelle Risiko des Auftretens von Komplikationen mit der Erfahrung
des Operateurs abnimmt, daher sollte insbesondere bei alten Patienten ein erfahrener Operateur nach Abschluss seiner Lernkurve herangezogen werden. <br />Neben den direkten chirurgischen Komplikationen sollten weitere mögliche spezifisch
geriatrische Komplikationen in die präoperativen Überlegungen einbezogen werden. Kürzlich wurden in Zusammenarbeit von American College of Surgeons (ACS) und ACS National Surgical Quality Improvement Program® (ACS NSQIP®)NSQUIP/American
Geriatric Society (AGS) erstmalig Best-Practice-Leitlinien zum optimalen perioperativen Management geriatrischer Patienten veröffentlicht.<sup>14</sup> Die Empfehlungen adressieren sowohl das unmittelbare präoperative, intraoperative
als auch das postoperative Management und inkludieren zahlreiche hilfreiche Checklisten und „position statements“ zur aktiven Risikovermeidung. Unter anderem muss berücksichtigt werden, dass alte Patienten unter spezifischen Komplikationen
leiden, die von denen junger Patienten differieren. Häufige geriatrische Komplikationen sind u.a. Delirium, pulmonale Komplikationen, Stürze, Mangelernährung, Harnwegsinfekte, Funktionseinschränkung etc. Zusätzlich sollten
bei alten Patienten neben dem präoperativen Management auch die individuellen Patientenziele und -präferenzen berücksichtigt werden (nicht jeder Patient hat die Heilung als oberstes Ziel); und bereits vorab sollte eine Handlungsdirektive
für den weiteren Verlauf entwickelt werden. Im Vordergrund steht ausserdem die Planung der präoperativen Nüchternheit, der antibiotischen Prophylaxe und der Thromboseprophylaxe. Der Bereich der intraoperativen Planung inkludiert
anästhesiologische Vorgehensweisen, die perioperative Analgesie, Übelkeit/Erbrechen, Patientensicherheit und Strategien im Umgang mit intra-, peri- und postoperativen Komplikationen wie Hypothermie, Flüssigkeitsmanagement und das
Feintuning physiologischer Parameter. Postoperativ sind insbesondere Delir, Funktionsverlust und die Vermeidung pulmonaler Komplikationen, UTI („urinary tract infections“) und Druckulzera zu beachten. <br />Derartige Leitlinien und
Tools, wie z.B. geriatrisches Assessment, sollten in die klinische Routine integriert werden, um eine bestmögliche individuelle Therapieentscheidung und ein adäquates peri- und postoperatives Management zu gewährleisten. <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1603_Weblinks_Seite61.jpg"
alt="" width="" height="" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Leading Opinions_Onko_1603_Weblinks_Seite62.jpg" alt="" width="" height="" /></p>
<div id="fazit">
<h2>Fazit</h2>
<p>Mit einer immer älter werdenden Gesellschaft wird auch das RCC zunehmend eine Erkrankung alter Patienten, welche neben ihrer Tumorerkrankung geriatrisch-spezifische Konditionen aufweisen, die bei der Therapieentscheidung berücksichtigt
werden müssen. <br />Nach adäquater präoperativer multidisziplinärer Evaluierung und entsprechender Vorbereitung kann bei den meisten älteren Patienten eine operative oder ablative Technik angewandt werden. Trotz einer
höheren perioperativen Morbidität und Reduktion der Nierenfunktion bieten RN und NSS exzellente funktionelle und onkologische Resultate in dieser Altersgruppe. Ältere Patienten scheinen ausserdem von einer laparoskopischen Durchführung
hinsichtlich einer rascheren Rekonvaleszenz zu profitieren. Bezüglich der RN gilt jedoch: Das Risiko von Nebenwirkungen, wie z.B. kardiovaskulären Erkrankungen und Niereninsuffizienz, ist relevant und höher als bei der Durchführung
einer NSS. Neben der NSS sollten auch ablative (perkutane) Techniken vor allem zur Therapie kleiner Nierentumoren als Therapieoption Beachtung finden. Langzeitevidenz zu den ablativen Techniken bei alten Patienten fehlt jedoch weiterhin, weswegen
eine sorgfältige Patientenselektion anhand von Gesundheitsstatus, Patientenpräferenz und Erfahrung im behandelnden Zentrum erfolgen sollte. <br />Aktuelle Studien zeigen, dass die meisten SRM sehr langsam wachsen und, zumindest im
kurzfristigen Zeitverlauf, nur eine geringe Tendenz zum Progress zeigen. Daher sollte AS mit verzögerter aktiver Therapieoption ebenso als eine geeignete Alternative zu invasiven Verfahren bei selektierten, insbesondere älteren und
komorbiden Patienten erwogen werden, wenn die Wahrscheinlichkeit einer Metastasierung oder eines relevanten lokalen Progresses während der verbleibenden Lebensspanne gering ist. Dennoch sollte die Entscheidung für AS nicht einfach
aufgrund des Alters der Patienten getroffen werden. Bei Progress im weiteren Verlauf stellt sich besonders im noch weiter fortgeschrittenen Patientenalter erneut die schwierige Frage nach der am besten geeigneten weiterführenden Therapie.
<br />Um bei alten Patienten die beste individuelle Therapieentscheidung zu treffen, sollten das Risiko chirurgischer Komplikationen anhand objektiver tumorbezogener Parameter (morphometrischer Scores), die Tumorprognose und die Lebenserwartung
des Patienten evaluiert werden. Im besten Fall erfolgt ein geriatrisches Assessment zur individuellen Therapieplanung und um einen individuellen Managementplan zu erstellen, der die Risiken entsprechend minimiert. <br />Soll bei älteren
Patienten eine operative Therapie erfolgen, muss deren spezifische funktionelle und regenerative Kapazität berücksichtigt werden sowie ein höheres Risiko, infolge des Eingriffs zu sterben. Eine initiale Komplikation kann mit
höherer Wahrscheinlichkeit als bei jungen Patienten zu weiteren Komplikationen führen, ein singuläres Organversagen kann im Multiorganversagen enden. Zur präoperativen Evaluation gehören neben der üblichen Untersuchung
und Anamnese auch die Identifizierung von Systemdefiziten, die präoperativ entsprechend korrigiert werden sollten, und die Erfassung des Ernährungs- und Mentalstatus. Speziell sollten das kardiovaskuläre Risiko, Hypertension,
Herzinsuffizienz, Pulmonalerkrankungen, Nierenerkrankungen, Diabetes mellitus, thromboembolische und neuropsychiatrische Erkrankungen berücksichtigt werden. Auch im postoperativen Management ergeben sich einige Unterschiede im Vergleich
zu jungen Patienten; insbesondere muss ein adäquates Schmerzmanagement im Behandlungsplan berücksichtigt und vorab geplant werden. Depressionen, Angst, Fatigue und kognitive Einschränkungen können die Schmerzwahrnehmung
verändern; ältere Patienten, die hospitalisiert werden, verlieren zudem oft ihre soziale Unabhängigkeit. Sowohl Assessment als auch Behandlungsplan sollten daher individualisiert erstellt und regelmässig kontrolliert und
ggf. anhand des postoperativen Verhaltens des Patienten modifiziert werden. Spezifische Änderungen und Anpassungen in der Akutpflege alter Patienten in Kliniken könnten die Möglichkeit dieser sehr heterogenen Gruppe verbessern,
bei Entlassung selbstständig grundlegende Alltagsaktivitäten zu verrichten, und eine Entlassung in Pflegeheime verhindern. <br />Für ein optimales Management geriatrischer RCC-Patienten ist neben einer individuellen, an patienten-
und tumorbezogenen Faktoren orientierten Therapieentscheidung und einer sorgfältig durchgeführten Therapie ausserdem ein konsequentes perioperatives interdisziplinäres Management unter Einbeziehung der chirurgischen Disziplinen,
der Anästhesisten, Schmerzmediziner, Palliativmediziner, des Pflegepersonals und der Sozialdienste unbedingt notwendig.</p>
</div>
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur">Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Tan HJ et al: Postoperative complications and long-term survival among patients treated surgically for renal cell carcinoma. J Urol 2012; 187(1): 60-6 <br /><strong>2</strong> Lane BR et al: Active treatment of localized renal
tumors may not impact overall survival in patients aged 75 years or older. Cancer 2010; 116: 3119-26 <br /><strong>3</strong> Jewett MA et al: Active surveillance of small renal masses: Progression patterns of early stage kidney cancer. Eur
Urol 2011; 60(1): 39-44 <br /><strong>4</strong> Smaldone MC et al: Small renal masses progressing to metastases under active surveillance: a systematic review and pooled analysis. Cancer 2012; 118(4): 997-1006 <br /><strong>5</strong> Volpe
A et al: The natural history of small renal masses. Nat Clin Pract Urol 2005; 2(8): 384-90 <br /><strong>6</strong> Huang WC et al: Surveillance for the management of small renal masses: utilization and outcomes in a population-based cohort.
J Clin Oncol 2013; 31(Suppl 6): abstr 343 <br /><strong>7</strong> Robert-Koch-Institut; Sterblichkeitstabellen Deutschland 2012; <a href="http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/S/SterblichkTodesurs/SterblichkTodesurs.html;jsessionid=1E4BB4A9E96AE24A112EC0B1EBC62BFB.2_cid290"
target="_blank">http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GesundAZ/Content/S/SterblichkTodesurs/SterblichkTodesurs.html;jsessionid=1E4BB4A9E96AE24A112EC0B1EBC62BFB.2_cid290</a> <br /><strong>8</strong> May M et al: Results of a comparative study analyzing octogenarians with renal cell carcinoma in a competing risk analysis with patients in the seventh decade of life. Urol Oncol 2014; 32(8): 1252-8 <br /><strong>9</strong> Sun M et al: A
stage-for-stage and grade-for-grade analysis of cancer-specific mortality rates in renal cell carcinoma according to age: a competing-risks regression analysis. Eur Urol 2011; 60(6): 1152-9 <br /><strong>10</strong> Tan HJ et al: Long-term
survival following partial vs radical nephrectomy among older patients with early-stage kidney cancer. JAMA 2012; 307(15): 1629-35 <br /><strong>11</strong> Tomaszewski JJ et al: Assessing the burden of complications following surgery for
clinically localized kidney cancer by age and co-morbidity status. Urology 2014; 83(4): 843-9 <br /><strong>12</strong> Larcher A et al: Prediction of complications following partial nephrectomy: implications for ablative technique candidates.
Eur Urol 2016; 69(4): 676-82 <br /><strong>13</strong> Berger J et al: Detailed analysis of morbidity following nephrectomy for renal cell carcinoma in octogenarians. J Urol 2012; 188(3): 736-40 <br /><strong>14</strong> Mohanty S et al: Optimal
perioperative management of the geriatric patient: a best practices guideline from the American College of Surgeons NSQIP® and the American Geriatrics Society. https://www.facs.org/quality-programs/acs-nsqip/geriatric-periop-guideline</p>
</div>
</p>
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