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Komplementärmedizin bei jungen Brustkrebspatientinnen
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Claudia Witt, MBA
Institut für komplementäre und integrative Medizin<br> Universitätsspital Zürich<br> E-Mail: claudia.witt@uzh.ch
30
Min. Lesezeit
06.04.2017
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<p class="article-intro">Junge Brustkrebspatientinnen befinden sich in einer besonderen Belastungssituation. Komplementärmedizinische Verfahren wie Akupunktur, Yoga und «Mind Body Medicine» können als supportive Massnahmen hilfreich sein.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Die junge Patientin</h2> <p>Die junge Brustkrebspatientin befindet sich in einer besonderen Situation. Häufig sind die Kinder noch klein und/oder die berufliche Karriere ist noch nicht gefestigt. Bei jungen Müttern mit Brustkrebs ist das «Sich-um-die-Kinder-Sorgen-Machen» mit einem reduzierten eigenen Wohlbefinden assoziiert.<sup>1</sup> Auch zeigt sich, dass Angst vor dem Wiederauftreten des Karzinoms mit jüngerem Alter assoziiert ist.<sup>2</sup> Weiterhin berichten jüngere Brustkrebs-Survivors öfter von nicht erfüllten Bedürfnissen im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung. Dazu gehören der Wunsch nach Interaktion mit anderen Patientinnen, zu lernen, die Erkrankung nach aussen zu kommunizieren, Stressmanagement und der Umgang mit Therapienebenwirkungen.<sup>3</sup> Man würde davon ausgehen, dass junge Patientinnen deshalb besonders von einer stationären Rehabilitation profitieren könnten, jedoch zeigte eine Erhebung in Schweizer Rehakliniken, dass Brustkrebspatientinnen diese weniger oft in Anspruch nahmen als andere Krebspatienten.<sup>4</sup> Patientinnen mit Brustkrebs sind jedoch meist sehr motiviert, noch etwas zusätzlich zur antitumoralen Therapie zu tun. Auch sind bei jungen Patientinnen menopausale Symptome unter antihormoneller Therapie häufig ausgeprägter.<sup>5</sup> Jüngere postmenopausale Patientinnen unter Letrozoltherapie zeigten zudem vermehrtes Interesse an Komplementärmedizin im Vergleich zu älteren postmenopausalen Patientinnen.<sup>6</sup></p> <h2>Komplementärmedizin</h2> <p>Brustkrebspatientinnen nutzen häufig komplementärmedizinische Verfahren.<sup>7</sup> Es gibt zudem zunehmend Evidenz, dass insbesondere nicht medikamentöse komplementärmedizinische Verfahren hilfreich sein können, um Symptome und Nebenwirkungen während der antitumoralen Therapie zu reduzieren (Tab. 1).<sup>8, 9</sup> Nach der Leitlinie der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Gynäkologische Onkologie (AGO) für Mamma-Ca<sup>10</sup> sollte beispielsweise «Mindfulness-Based Stress Reduction» zur Verminderung von depressiven Symptomen und zur Verbesserung der Lebensqualität empfohlen werden und Akupunktur bei chemotherapieinduzierter Übelkeit/Erbrechen sowie Fatigue. Während diese nicht medikamentösen Therapien eher generell empfohlen werden, äussern sich die Leitlinien der AGO<sup>10</sup> wie auch die Praxisleitlinien der Society for Integrative Oncology<sup>8</sup> ein wenig zurückhaltender zu den medikamentösen Verfahren der Komplementärmedizin. Ein Grund dafür sind mögliche Interaktionen z.B. mit der Chemotherapie.<br /> Ganz häufig besteht bei den Patientinnen der Wunsch, selber etwas tun zu können, um die Therapie besser zu vertragen, aber auch der Wunsch, einen gesünderen Lebensstil zu erlernen und umzusetzen. Ängstlichkeit, depressive Symptome und eine reduzierte Lebensqualität kommen zu den Bedürfnissen nach mehr Information, dem Austausch mit anderen Patientinnen, dem besseren Umgang mit der Erkrankung und den bestehenden Symptomen und Nebenwirkungen hinzu. Gerade für die junge Brustkrebspatientin ist es wichtig, Therapieempfehlungen und Angebote zu bekommen, die auf diese Bedürfnisse abgestimmt sind und sich ggf. auch in den Alltag einer berufstätigen Mutter integrieren lassen. Ambulante Gruppenangebote, die eine Interaktion zwischen den betroffenen Frauen ermöglichen, könnten hilfreich sein.</p> <h2>«Mind Body Medicine»-Behandlung</h2> <p>In diesem Rahmen bieten sich Konzepte der «Mind Body Medicine» an. Mind Body Medicine ist ein innovatives, integratives Konzept, das den Körper mit der Psyche verbindet und «self care» vermittelt. Durch multimodale Therapiekonzepte sollen Symptome reduziert und Selbstwirksamkeit gestärkt werden. Es werden moderne wissenschaftliche Erkenntnisse und bewährte Methoden aus Komplementärmedizin, Psychologie und Ernährungssowie Sportwissenschaften kombiniert.<sup>11</sup><br /> Das zugrunde liegende Konzept wurde Ende der 1960er-Jahre in den USA an der Harvard Medical School von Dr. Herbert Benson zur Behandlung von Symptomen wie chronischen Schmerzen entwickelt. Die Weiterentwicklung und Anpassung der Konzepte an die Bedürfnisse onkologischer Patienten sowie die Integration naturheilkundlicher Elemente erfolgten in Deutschland durch Prof. Gustav Dobos und Dr. Anna Paul.<br /> Das salutogenetische Prinzip und die Veränderung des Lebensstils spielen dabei eine wichtige Rolle: Neben psychologischen Aspekten und komplementärmedizinischen Selbsthilfemassnahmen (z.B. Akupressur oder Wickel) bilden Bewegung (u.a. Yoga und Qigong), Ernährung und Entspannung die wesentlichen Säulen des Therapiekonzepts. Zudem wurden achtsamkeitsbasierte Aspekte nach dem von Jon Kabat-Zinn entwickelten Prinzip der «Mindfulness-Based Stress Reduction » (MBSR) vertieft integriert. Grundelemente der Mind Body Medicine können zudem sehr gut in ein komplementärmedizinisches ärztliches Gespräch integriert werden. In der Praxis haben sich jedoch insbesondere Gruppenangebote sehr bewährt, da diese gerade das Bedürfnis nach Interaktion mit anderen Patientinnen gut integrieren können. In der Schweiz wird seit 2014 die Mind Body Medicine für Krebspatienten am Universitätsspital Zürich durch das Institut für komplementäre und integrative Medizin angeboten. Dafür wurden die in den USA und Deutschland entwickelten Konzepte an die spezielle Situation und die Bedürfnisse Schweizer Patientinnen angepasst. Es ist geplant, das Angebot auch Patientinnen der Frauenklinik des Luzerner Kantonspitals zur Verfügung zu stellen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s21_abb1.jpg" alt="" width="2151" height="1230" /></p> <h2>Integration in das klinische Angebot</h2> <p>Integration komplementärmedizinischer Verfahren in die Versorgung von Brustkrebspatientinnen kann in unterschiedlichen Formen stattfinden. Zum Beispiel durch ein eigenes Institut, wie es am Universitätsspital Zürich der Fall ist, wo die Patientinnen z.B. auch durch das Cancer Center Zürich über das Angebot informiert werden.<sup>12</sup> Das interdisziplinäre Brust-/Krebszentrum der Kliniken Essen Mitte in Deutschland kann als Vorreiter einer Integration gelten, wo das «Beste aus beiden Welten» direkt im Brustzentrum kombiniert wird. Ein entsprechendes Angebot macht seit 2016 auch das Brustzentrum der Frauenklinik des Luzerner Kantonsspitals in Kooperation mit dem Universitätsspital Zürich.</p> <h2>Komplementärmedizinisches Behandlungskonzept am Fallbeispiel</h2> <p>An einem Fallbeispiel soll eine zusätzliche evidenzbasierte komplementärmedizinische Behandlung für eine junge Brustkrebspatientin erläutert werden.<br /> Eine 29-jährige Patientin mit multifokalem duktalem und lobulärem Mammakarzinom links (pT1b [m] N1a [1/17] Mx G3 ER/PR 100 % HER2 negativ) kam nach der zweiten Chemotherapie in die komplementärmedizinische Sprechstunde. Die Patientin klagte über deutliche Fatigue (6–7 auf der numerischen Ratingskala von 0–10 [NRS]); sie litt nach beiden Zyklen der Chemotherapie unter starker Übelkeit und Erbrechen. Die Patientin ist Mutter von 2 Kindern (5 und 7 Jahre alt), hat gute soziale Unterstützung. Sie war vor der Erkrankung halbtags berufstätig. Sie kam mit dem Wunsch, Massnahmen zur Soforthilfe zu bekommen, die die Übelkeit und ihre Erschöpfung reduzieren, wollte aber auch Unterstützung bei einer langfristigen Lebensstiländerung erhalten. Dabei war auch Stressmanagement ein wichtiges Thema für sie. Im ärztlichen Erstgespräch wurde die Patientin über die komplementärmedizinischen Möglichkeiten und Grenzen informiert und unter Berücksichtigung ihrer Werte und Wünsche sowie der klinischen Evidenz wurde ein Therapiekonzept zusammengestellt (Tab. 2). Dazu gehörten direkt umsetzbare Massnahmen (Aufklärung über den Umgang mit der Fatigue, Erlernen einer Achtsamkeitsmeditation, Akupunktur) wie auch eine 10-wöchige «Mind Body Medicine»- Gruppenbehandlung (1x pro Woche 3,5 Stunden) nach Beendigung des vierten Zyklus der Chemotherapie.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Onko_1702_Weblinks_lo_onko1702_s22_abb2.jpg" alt="" width="2151" height="957" /></p> <h2>Schlussfolgerung</h2> <p>Aus dem Bereich der Komplementärmedizin gibt es Angebote für junge Brustkrebspatientinnen, die sich gut mit der antitumoralen Therapie kombinieren lassen oder an diese anschliessen können. Sie sind evidenzbasiert und erfüllen die besonderen Bedürfnisse dieser Patientinnen. Dabei stehen nicht medikamentöse Verfahren, ggf. auch als Gruppenangebote, im Fokus.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Stinesen-Kollberg K et al: Worry about one’s own children, psychological well-being, and interest in psychosocial intervention. Psychooncology 2013; 22(9): 2117-23 <strong>2</strong> Fiszer C et al: Prevalence, intensity, and predictors of the supportive care needs of women diagnosed with breast cancer: a systematic review. Psychooncology 2014; 23(4): 361-74 <strong>3</strong> Burris JL et al: A closer look at unmet needs at the end of primary treatment for breast cancer: a longitudinal pilot study. Behav Med 2015; 41(2): 69-76 <strong>4</strong> Ture M et al: Use of inpatient rehabilitation for cancer patients in Switzerland: who undergoes cancer rehabilitation? Swiss Medical Wkly 2015; 145: w14214 <strong>5</strong> Murthy V, Chamberlain RS: Menopausal symptoms in young survivors of breast cancer: a growing problem without an ideal solution. Cancer Control 2012; 19(4): 317-29 <strong>6</strong> Hack CC et al: Interest in integrative medicine among postmenopausal hormone receptor-positive breast cancer patients in the EvAluate-TM study. Integr Cancer Ther 2016; doi: 10.1177/1534735416668575 <strong>7</strong> Horneber M et al: How many cancer patients use complementary and alternative medicine: a systematic review and metaanalysis. Integr Cancer Ther 2012; 11(3): 187-203 <strong>8</strong> Greenlee H et al: Clinical practice guidelines on the use of integrative therapies as supportive care in patients treated for breast cancer. J Natl Cancer Inst Monogr 2014; 2014(50): 346-58 <strong>9</strong> Witt CM, Cardoso MJ: Complementary and integrative medicine for breast cancer patients - evidence based practical recommendations. Breast 2016; 28: 37-44 <strong>10</strong> AGO Breast Committee: Guidelines for diagnosis and treatment of patients with primary and metastatic breast cancer. http:// www.ago-online.de/. Accessed December 28, 2016 <strong>11</strong> Institut für komplementäre und integrative Medizin: Mind Body Medicine – Körper und Psyche stärken.http://www. iki.usz.ch/fachwissen/seiten/mind-body-medicine.aspx. Accessed December 28, 2016 <strong>12</strong> Cancer Center Zürich: Komplementärmedizin. http://www.cancercenter.usz.ch/ unser_angebot/Seiten/default.aspx. Accessed December 21, 2016 <strong>13</strong> Gotink RA: Standardised mindfulness-based interventions in healthcare: an overview of systematic reviews and meta-analyses of RCTs. PloS One 2015; 10(4): e0124344 <strong>14</strong> Molassiotis A et al: Acupuncture for cancerrelated fatigue in patients with breast cancer: a pragmatic randomized controlled trial. J Clin Oncol 2012; 30(36): 4470-6 <strong>15</strong> Bower JE et al: Yoga for persistent fatigue in breast cancer survivors: a randomized controlled trial. Cancer 2012; 118(15): 3766-75 <strong>16</strong> World Cancer Research Fund: Report des World Cancer Research Fund (WCRF) – Empfehlungen zur Krebsprävention. https:// www.ernaehrungs-umschau.de/news/28-03-2008-reportdes- world-cancer-research-fund-wcrf-empfehlungen-zurkrebspraevention/. Accessed December 21, 2016 <strong>17</strong> Culos- Reed SN et al: A pilot study of yoga for breast cancer survivors: physical and psychological benefits. Psychooncology 2006; 15(10): 891-7 <strong>18</strong> Sadja J, Mills PJ: Effects of yoga interventions on fatigue in cancer patients and survivors: a systematic review of randomized controlled trials. Explore (NY) 2013; 9(4): 232-43 <strong>19</strong> Oh B et al: Effect of medical Qigong on cognitive function, quality of life, and a biomarker of inflammation in cancer patients: a randomized controlled trial. Supportive Care Cancer 2012; 20(6): 1235-42 <strong>20</strong> Oh B et al: Impact of medical Qigong on quality of life, fatigue, mood and inflammation in cancer patients: a randomized controlled trial. Ann Oncol 2010; 21(3): 608-14 <strong>21</strong> Yoo HJ et al: Efficacy of progressive muscle relaxation training and guided imagery in reducing chemotherapy side effects in patients with breast cancer and in improving their quality of life. Supportive Care Cancer 2005; 13(10): 826-33 <strong>22</strong> Zick SM et al: Investigation of 2 types of self-administered acupressure for persistent cancer-related fatigue in breast cancer survivors: a randomized clinical trial. JAMA Oncol 2016; 2(11): 1470-76</p>
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