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Klinische Anwendbarkeit von zirkulierender Tumor-DNA
Jatros
Autor:
Assoz. Prof. Priv.-Doz. Dr. Ellen Heitzer
Institut für Humangenetik,<br> Medizinische Universität Graz<br> E-Mail: ellen.heitzer@medunigraz.at
30
Min. Lesezeit
06.04.2017
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<p class="article-intro">Anhand der Analyse von zellfreier zirkulierender Tumor-DNA (ctDNA), häufig auch als Flüssigbiopsie (engl. „liquid biopsy“) bezeichnet, können Veränderungen im Tumorgenom in Echtzeit während des gesamten Therapieverlaufs und darüber hinaus überwacht werden. Der klinische Nutzen der ctDNA als diagnostischer, prognostischer und prädiktiver Biomarker konnte bereits in unzähligen Studien belegt werden.</p>
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<p class="article-content"><h2>Einleitung</h2> <p>„Written in blood – DNA circulating in the bloodstream could guide cancer treatment – if researchers can work out how best to use it”, das war die Überschrift eines im Juli 2014 erschienenen Artikels in der Zeitschrift „Nature“.<sup>1</sup> In diesem Artikel wurden potenzielle klinische Anwendungen der zellfreien zirkulierenden Tumor-DNA (ctDNA) mit Experten diskutiert. ctDNA wird von Tumoren in die Zirkulation freigesetzt und spiegelt daher deren molekulare Eigenschaften wider. Somit können tumorspezifische Veränderungen während des gesamten Krankheitsverlaufs wiederholt und minimal invasiv durch eine einfache Blutabnahme verfolgt werden. Eine solche molekulargenetische Diagnostik bekommt insbesondere aufgrund der Tatsache, dass immer häufiger genetische Veränderungen – ob Mutationen, Kopienzahlveränderungen, strukturelle oder epigenetische Aberrationen – als Therapieziele herangezogen werden, einen immer größeren Stellenwert. Aus diesem Grund sind sich Experten einig, dass die Analyse der ctDNA aus Plasma ein vielversprechendes Tool ist und das Management von Krebspatienten in Bezug auf eine Früherkennung, die Identifizierung von minimaler Resterkrankung, eine kontinuierliche Überwachung des Therapieansprechens sowie eine frühzeitige Erkennung von Resistenzmechanismen revolutionieren wird. Die ctDNA findet daher ihre Verwendung als diagnostischer, prädiktiver und prognostischer Biomarker.<br /> Allerdings gilt es für eine Implementierung der „liquid biopsy“ in die Routine noch einige Hürden zu überwinden. So fehlt es beispielsweise an präanalytischen und analytischen standardisierten Methoden. Obwohl sich die molekulargenetischen Technologien in den letzten Jahren immer weiter verbessert haben und mittlerweile die nötige Sensitivität und Spezifität bieten, um auch geringe Mengen an ctDNA in der Zirkulation nachzuweisen, ist die Detektion von ctDNA in frühen Tumorstadien immer noch eine Herausforderung. Zudem fehlt es an validen Ergebnissen von gut gepowerten, randomisierten Studien, die den klinischen Nutzen der ctDNA tatsächlich belegen.</p> <h2>Biologie der ctDNA</h2> <p>Zellfreie DNA findet man nicht nur im Plasma von Tumorpatienten, sondern auch bei gesunden Personen, was darauf hinweist, dass die Freisetzung einen physiologischen Prozess darstellt.<sup>2, 3</sup> Allerdings ist die Menge der zellfreien DNA bei Tumorpatienten zumeist erhöht, was einerseits auf ein verstärktes Zellsterben, das mit zunehmender Proliferation und Tumormasse einhergeht, und andererseits auf eine verminderte Menge an DNA-verdauenden Enzymen im Plasma zurückzuführen ist. Mittlerweile weiß man, dass die Mehrheit der zirkulierenden DNA-Fragmente von apoptotischen Zellen stammt. Betrachtet man die Größenverteilung der zellfreien DNA, so findet man eine Anreicherung von DNA-Fragmenten im Bereich von 160 Basenpaaren entsprechend der charakteristischen Länge von aus Apoptose hervorgegangenen DNAFragmenten. In einer aktuellen Studie wurde der apoptotische Ursprung anhand von nukleosomalen Mustern bestätigt.<sup>4</sup> Dabei konnte auch auf die Herkunft bzw. die Expression von Genen in unterschiedlichen Geweben rückgeschlossen werden. Es bestätigten sich die Daten einer vorhergegangenen Studie, nach denen bei Gesunden ein Großteil der zirkulierenden DNA von hämatopoetischen Zellen stammt und nur ein Bruchteil von soliden Geweben freigesetzt wird. Bei Tumorpatienten hingegen kann sich der Anteil in Richtung des primären Tumorgewebes und seiner Metastasen verschieben.<sup>5</sup> Dennoch findet man bei Tumorpatienten hochvariable Mengen an DNA, die vom Tumor abstammt, von weniger als 1 % bis zu mehr als 90 % , wobei immer wieder Szenarien entstehen können, in denen die Menge der ctDNA trotz immer präziser werdender Sequenzierungstechnologien unter die Nachweisgrenze fällt. In einer von unserer Gruppe kürzlich in „Nature“ veröffentlichten Studie konnten wir zeigen, dass man aufgrund des typischen Fragmentierungsmusters der ctDNA und der Menge an sequenzierten Fragmenten bei metastasierten Tumorpatienten sogar Rückschlüsse auf die Genaktivität ziehen kann.<sup>6</sup></p> <h2>Klinische Anwendung der ctDNA</h2> <p>Die ctDNA wird bereits in unterschiedlichen klinischen Szenarien angewendet und als diagnostischer, prognostischer und prädiktiver Marker eingesetzt (Abb. 1).<sup>3</sup> Da das Auflösungsvermögen aufgrund des technologischen Fortschrittes ständig erhöht wird, ist es mittlerweile möglich, Mutationen zu detektieren, auch wenn sie in weit weniger als 1 % der analysierten DNA-Fragmente vorkommen. Dennoch reicht die Sensitivität noch nicht für ein umfassendes Früherkennungsprogramm aus, da in frühen Tumorstadien die freigesetzte Menge an Tumor-DNA äußerst gering ist und nur einen Bruchteil der gesamten zirkulierenden DNA ausmacht. Aber nicht nur die analytische Sensitivität stellt in diesem Zusammenhang ein Problem dar, sondern auch die Tatsache, dass es keinen universellen Marker gibt, der Tumoren von normalen Zellen unterscheidet und daher als diagnostischer Marker herangezogen werden kann. Neuere Bestrebungen, die ctDNA als Biomarker zur Krebsfrüherkennung einzusetzen, konzentrieren sich daher eher auf Multimarkermodelle, um so die diagnostische Sensitivität und Spezifität zu erhöhen.<br /> Für den Nachweis von minimaler Resterkrankung bzw. die Früherkennung von Rezidiven gibt es allerdings bereits eine Reihe von validen Studien. So konnte beispielsweise bei Brustkrebspatientinnen unter neoadjuvanter Therapie gezeigt werden, dass ein Rezidiv anhand des Vorhandenseins von ctDNA nach der Tumorresektion im Schnitt 7,9 Monate vorhergesagt werden konnte, während bei Patientinnen mit langzeitigem rezidivfreiem Überleben keine ctDNA im Plasma nachgewiesen werden konnte.<sup>7</sup> In einer weiteren Studie konnte aufgrund des Nachweises von ctDNA anhand tumorspezifischer Translokationen eine rezidivierende Erkrankung durchschnittlich 11 Monate, bevor sie klinisch evident wurde, erkannt werden.<sup>8</sup> Ebenso gibt es Studien, die belegen, dass ctDNA ein weit sensitiverer Marker bei der Erfassung von Brust- und Darmkrebs ist als herkömmliche proteinbasierende Tumormarker.<sup>2, 9</sup> Sich verändernde Level an ctDNA spiegeln also ein Ansprechen auf eine bestimmte Therapie wider und korrelieren wesentlich besser mit der Tumorlast als z.B. der klassische Tumormarker CA15-3. Zudem zeigten Patienten, die unter Chemotherapie ein signifikantes Absinken des ctDNA-Spiegels aufwiesen, ein signifikant besseres Ansprechen sowie ein längeres progressionsfreies Überleben.<sup>10</sup><br /> Die im Moment wohl am weitesten verbreitete Anwendung der ctDNA ist die Identifizierung von gut charakterisierten Resistenzmechanismen bei zielgerichteten Therapien, um schnellstmöglich die Behandlung anzupassen. Ein Paradebeispiel wäre hier die Detektion von resistenzverleihenden EGFR-Mutationen bei Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC) unter Therapie mit Tyrosinkinaseinhibitoren (TKI). In einer aktuellen Studie konnte gleichzeitig mit einer Reduktion der aktivierenden EGFR-Mutation ein Aufkommen der resistenzverleihenden Mutation bis zu 344 Tage vor der klinischen Progression beobachtet werden.<sup>11</sup> Da es für NSCLC-Patienten bereits mehrere Linien an TKI-Therapien gibt, die gezielt bei diesen Mutationen eingesetzt werden können, ist eine frühzeitige Detektion der Resistenzmutationen von großem klinischem Interesse. Mittlerweile sind u.a. IVD-zertifizierte EGFR-Kits auf dem Markt zugelassen, welche in der klinischen Routine bereits zum Einsatz kommen. Ähnlich wie beim Lungenkarzinom ist der EGF-Rezeptor ein wichtiges therapeutisches Ziel in der Behandlung des metastasierten kolorektalen Karzinoms. Bei kolorektalen Tumoren findet man allerdings häufig aktivierende KRAS-Mutationen, welche zu einer massiven Verminderung des Ansprechens auf eine EGFRgerichtete Therapie führen und daher als negative Prädiktoren gelten. Zudem kommt es unter Anti-EGFR-Therapie beim Großteil der ursprünglichen KRAS-negativen Tumoren, die initial auf die Therapie ansprechen, zu Veränderungen im KRASGen und somit zu einem Therapieversagen. Wie bei EGFR-Mutation können KRAS-Mutationen – schon Monate bevor bildgebende Verfahren eine Progression belegen – im Plasma detektiert werden.<sup>12, 13</sup> Auch bei Prostatakrebspatienten lassen sich Veränderungen des Androgenrezeptor( AR)-Gens als Ursache einer Kastrationsresistenz bei Androgendeprivationstherapie miminal invasiv aus dem Plasma nachweisen.<sup>14</sup><br /> Aufgrund der zunehmenden Anzahl an zielgerichteten Therapien, die auf der Basis tumorspezifischer Veränderungen oder aberranter Signaltransduktion verabreicht werden, kommt es zu einen Paradigmenwechsel im Management von Krebspatienten und die molekulare Stratifizierung von Patienten bekommt einen immer größeren Stellenwert. Da sich Tumoren aufgrund von Progression und des selektiven Druckes durch die Therapie kontinuierlich verändern, können im Laufe der Erkrankung neue Therapieziele aufkommen, die beim Primärtumor noch nicht vorhanden waren.<sup>15, 16</sup> Auch hier eignet sich die ctDNA hervorragend, ohne einen invasiven Eingriff die Tumorevolution zu verfolgen und Patienten zu identifizieren, die für eine bestimmte Therapie – auch im Rahmen eines „off-label use“ – infrage kommen und davon profitieren könnten. Um den klinischen Nutzen solcher Untersuchungen tatsächlich zu belegen, werden u.a. an der Onkologie der Medizinischen Universität Graz oder am Cancer Research UK in Manchester Studien durchgeführt, in denen Patienten anhand des molekularen Profilings aus Plasma behandelt werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1702_Weblinks_s93_abb1.jpg" alt="" width="2213" height="1551" /></p> <h2>Ausblick</h2> <p>Die Analyse von ctDNA hat es in den letzten Jahren möglich gemacht, die molekulare Heterogenität von Tumoren zu bestimmen, die Tumordynamik und somit die genetische Evolution von Tumoren kontinuierlich zu verfolgen, neue Therapieziele zu identifizieren und etwaige Resistenzmechanismen frühzeitig zu erkennen. Trotz der starken Fragmentierung und der relativ geringen Mengen an zirkulierender DNA wurden die molekulargenetischen Technologien immer weiter verbessert und bieten mittlerweile eine gute Sensitivität und Spezifität für unterschiedliche analytische Fragestellungen. In den kommenden Jahren sind weiterhin erhebliche technologische Fortschritte zu erwarten, die nicht nur die analytischen Methoden, sondern auch die bioinformatische Auswertung von Sequenzierdaten betreffen werden. Mithilfe von maschinellem Lernen könnten zudem auch andere Marker als Mutationen oder Kopienzahlveränderungen aus den Daten extrahiert werden, die zu verbesserten Behandlungsstrategien für unterschiedliche Krebserkrankungen beitragen könnten.<br /> Zudem gibt es immer mehr Bestrebungen, präanalytische und analytische Prozesse zu standardisieren, was für eine Übertragung und Verwendung von Untersuchungsergebnissen sowie deren Vergleichbarkeit unbedingt erforderlich ist. Für die Testung von Hotspotmutationen gibt es bereits erste offizielle Ringversuche. Auch wird die Analyse von ctDNA immer häufiger in Studienprotokolle von klinischen Studien aufgenommen, um zu erheben, ob die Patienten tatsächlich langfristig von ctDNA-Analysen profitieren können. Die Erwartungen an eine ctDNA-basierte molekulargenetische Analytik, um die personalisierte Medizin weiter vorantreiben, sind also sehr hoch und es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis die Potenziale der ctDNA in die Realität umgesetzt werden.</p></p>
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<p><strong>1</strong> Yong E: Cancer biomarkers: Written in blood. Nature 2014; 511(7511): 524-6 <strong>2</strong> Bettegowda C et al: Detection of circulating tumor DNA in early- and late-stage human malignancies. Sci Transl Med 2014; 6(224): 224ra24 <strong>3</strong> Heitzer E et al: Circulating tumor DNA as a liquid biopsy for cancer. Clin Chem 2015; 61(1): 112-23 <strong>4</strong> Snyder MW et al: Cellfree DNA comprises an in vivo nucleosome footprint that informs its tissues-of-origin. Cell 2016; 164(1-2): 57-68 <strong>5</strong> Sun K et al: Plasma DNA tissue mapping by genomewide methylation sequencing for noninvasive prenatal, cancer, and transplantation assessments. Proc Natl Acad Sci USA 2015; 112(40): E5503-12 <strong>6</strong> Ulz P AM et al: Inferring expressed genes by whole-genome sequencing of plasma DNA. Nature genetics 2016; accepted in principle <strong>7 </strong>Garcia-Murillas I et al: Mutation tracking in circulating tumor DNA predicts relapse in early breast cancer. Sci Transl Med 2015; 7(302): 302ra133 <strong>8</strong> Olsson E et al: Serial monitoring of circulating tumor DNA in patients with primary breast cancer for detection of occult metastatic disease. EMBO Mol Med 2015; 7(8): 1034-47 <strong>9</strong> Dawson SJ et al: Analysis of circulating tumor DNA to monitor metastatic breast cancer. N Engl J Med 2013; 368(13): 1199-209 <strong>10</strong> Tie J et al: Circulating tumor DNA as an early marker of therapeutic response in patients with metastatic colorectal cancer. Ann Oncol 2015; 26(8): 1715-22 <strong>11</strong> Sorensen BS et al: Monitoring of epidermal growth factor receptor tyrosine kinase inhibitor-sensitizing and resistance mutations in the plasma DNA of patients with advanced non-small cell lung cancer during treatment with erlotinib. Cancer 2014; 120(24): 3896-901 <strong>12</strong> Diaz LA Jr et al: The molecular evolution of acquired resistance to targeted EGFR blockade in colorectal cancers. Nature 2012; 486(7404): 537- 40 <strong>13</strong> Mohan S et al: Changes in colorectal carcinoma genomes under anti-EGFR therapy identified by whole-genome plasma DNA sequencing. PLoS Genet 2014; 10(3):e1004271 <strong>14</strong> Heitzer E et al: Non-invasive detection of genome-wide somatic copy number alterations by liquid biopsies. Mol Oncol 2016; 10(3): 494-502 <strong>15</strong> Heitzer E et al: Tumor-associated copy number changes in the circulation of patients with prostate cancer identified through whole-genome sequencing. Genome Med 2013; 5(4): 30 <strong>16</strong> Ulz P et al: Whole-genome plasma sequencing reveals focal amplifications as driving force in metastatic prostate cancer. Nat Commun 2016; 7: 12008</p>
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