
«Jeder Experte kann sein Wissen einbringen»
Unsere Gesprächspartnerin:
Dr. med. Patrizia Sager
Leiterin Brustzentrum Bern Biel Hirslanden
E-Mail: patrizia.sager@hirslanden.ch
Das Interview führte
Dr. med. Kassandra Settele
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Bei der Behandlung von Mammakarzinomen ist ein gutes Zusammenspiel der beteiligten Fachexperten von grösster Bedeutung. Wir sprachen mit Dr. med. Patrizia Sager, Leiterin des Brustzentrums Bern Biel Hirslanden, über Chancen und Herausforderungen in der interdisziplinären Zusammenarbeit im Brustzentrum.
Wie gestaltet sich Ihr beruflicher Werdegang?
P. Sager: Ich bin ausgebildete Fachärztin für operative Gynäkologie/Geburtshilfe mit Schwerpunkt Senologie. Meine aktuelle Position als Leiterin des Brustzentrums Bern Biel Hirslanden habe ich seit 2018 inne. Zuvor war ich sechs Jahre lang Leiterin des Brustzentrums Inselspital. Zusätzlich zur Anstellung am Brustzentrum habe ich aber auch noch eine eigene Praxis mit Schwerpunkt Senologie, in der ich die Praxisleiterin bin.
Wie stellt sich die Zusammenarbeit zwischen dem niedergelassenen Bereich und dem Brustzentrum dar?
P. Sager: Die Zusammenarbeit funktioniert sehr gut. Das Brustzentrum Bern Biel Hirslanden wurde vor drei Jahren neu aufgebaut, sodass die Zusammenarbeit damals neu ins Leben gerufen wurde. Die Qualitätsstandards mussten sich erst etablieren. Das ist mittlerweile alles gefestigt und klappt reibungslos.
Inzwischen sind wir auch sehr gut digitalisiert. Alle Patientinnen werden im Rahmen einer digitalen Tumorkonferenz besprochen, an der auch der entsprechende Zuweiser live teilnehmen kann. Da wir ja ein Brustzentrum mit zwei Standorten in Bern und in Biel sind, ist das besonders wichtig.
Welche Rolle spielt die Zertifizierung und welche Zertifikate sind anerkannt?
P. Sager: Damit eine Behandlung mit hoher Qualität garantiert werden kann, sollte die Patientin in einem zertifizierten Brustzentrum behandelt werden. Dabei ist es wichtig, darauf zu achten, dass es sich um ein gültiges Label handelt. Ein anerkanntes Label garantiert höchste Qualität und die Überprüfung erfolgt jährlich.
Die in der Schweiz anerkannten Labels sind:
-
das Q-Label der Krebsliga Schweiz und der Schweizerischen Gesellschaft für Senologie
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das deutsche Label der DKG
-
das europäische Label der EUSOMA
Sowohl Hausärzte als auch Patientinnen können sich daran orientieren: Wenn ein Brustzentrum eines dieser Labels besitzt, dann muss es die Qualitätsstandards einhalten und man kann davon ausgehen, dass die Betreuung stimmt.
Wie läuft eine digitale Tumorkonferenz ab?
P. Sager: Die Fallpräsentationen sind umfassend und natürlich wird auch die Bildgebung dargestellt. Alle Befunde werden im Expertengremium besprochen und ein Therapiekonzept für die Patientin wird empfohlen. Das Tumorboard- Protokoll wird in der Regel am selben Abend an alle beteiligten Ärzte inkl. Hausärzte versendet.
Wie oft findet die digitale Tumorkonferenz statt?
P. Sager: Einmal pro Woche.
Welche Disziplinen sind bei den Konferenzen vertreten?
P. Sager: An der Konferenz nehmen der Onkochirurg bzw. Senologe, Onkologe, Pathologe, Radioonkologe, plastischer Chirurg, Nuklearmediziner, Radiologe, Breast Care Nurse und bei Bedarf die Kolleginnen der Psychoonkologie und der Genetik teil.
Welche Vorteile haben die digitalen Tumorkonferenzen?
P. Sager: Dass wir vorher bereits Videokonferenzen abgehalten haben, ist uns natürlich während der Pandemie zugutegekommen. Somit konnten wir die Konferenzen ohne Probleme Covid-konform weiterführen. Es ist auch ein Vorteil, dass Experten zugeschaltet werden können, ohne dass zeitraubende Wege in Kauf genommen werden müssen. Das macht die Konferenzen effizient bei einem unmittelbaren Austausch.
Im Rahmen der 3. Linde Academy «Interdisziplinäre Onkologie: Personalisierte Medizin» hielten Sie einen Vortrag mit dem Titel «Interdisziplinarität im zertifizierten Brustzentrum – Chancen der Zusammenarbeit». Was waren die Kernaussagen Ihres Vortrags?
P. Sager: Durch die Interdisziplinarität und die Zusammenarbeit von verschiedenen Experten steht für Patientinnen immer die neuste Therapie zur Verfügung. Die Behandlung erfolgt dabei individualisiert, d.h., wir evaluieren sowohl den Tumortyp als auch die Lebenssituation der Patientin genau und entscheiden darauf basierend, welche Therapie für diese Patientin die beste und die etablierteste ist. In die Entscheidung fliessen die neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse und teilweise auch Trends ein. Wir können unseren Patientinnen dadurch schnell neue Therapien zur Verfügung stellen.
Diese Interdisziplinarität wird auch ausserhalb des Tumorboards gelebt, so sind die Wege kurz und bei Problemen wird direkt gehandelt. Das Expertenteam kommt auch zusammen, wenn ein Behandlungspfad verändert werden muss. Dafür kann es verschiedene Gründe geben, wie eine mangelnde Verträglichkeit oder ein fehlendes Ansprechen auf eine Therapie.
Welche Funktion hat die Breast Care Nurse?
P. Sager: Die Breast Care Nurse ist eine spezialisierte Pflegekraft, die sich um die Beratung und Betreuung von Brustkrebspatientinnen kümmert. Sie begleitet die Brustkrebspatientinnen durch alle Phasen der Erkrankung; von der Diagnose bis zum Abschluss der Therapie und in der Zeit nach Therapieende. Sie kennt den Fall, die Patientin und ihr soziales Umfeld gut. Die Patientin kann sich jederzeit bei Fragen oder Problemen an sie wenden. Die Breast Care Nurse geht ausserdem aktiv auf Patientinnen zu und kontaktiert sie regelmässig.
In welchen Situationen ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit besonders wichtig?
P. Sager: Ein gutes interdisziplinäres Zusammenspiel ist bei Patientinnen mit der Frage nach Genmutationen besonders wichtig, z.B. bei jungen Patientinnen mit neuer Brustkrebsdiagnose und einer positiven Familienanamnese. Diese Patientinnen haben möglicherweise noch einen Kinderwunsch. Wenn die Familienanamnese auf eine genetische Erkrankung hindeutet, müssen wir möglichst schnell eine genetische Abklärung in die Wege leiten. Dazu ist bei der Krankenkasse eine Kostengutsprache zu beantragen, leider benötigen die Kassen oft viel Zeit dafür, die Kostengutsprachen zu erteilen. Dadurch kann wertvolle Zeit verloren gehen und es kann zu einer Therapieverzögerung kommen.
Für andere Patientinnen ist der Kinderwunsch ein wichtiges Thema. Sie sollten schnell in eine Fertilitätssprechstunde eingeschleust werden, damit vor der Chemotherapie eine geeignete fertilitätserhaltende Therapie eingeleitet werden kann.
Es ist wichtig, dass eine einwandfreie Koordination all dieser Abklärungen erfolgt, damit wir die richtige Therapie für jede Patientin zeitgerecht anbieten können.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
P. Sager: Ich würde mir die Realisierung einer digitalen Krankenakte wünschen, welche für alle beteiligten Ärzte zugänglich ist. Das würde die Vernetzung stark verbessern und wir könnten ohne Zeitverlust Fälle bearbeiten. Zudem hätte auch die Patientin jederzeit Zugriff auf ihre Akten.
Wie stellen Sie sich die Arbeit im Brustzentrum in zehn Jahren vor?
P. Sager: Sicherlich wird es eine komplette Digitalisierung der Krankenakte geben. Wenn sich die Onkologie wie in den letzten Jahren weiterentwickelt, braucht es wahrscheinlich immer weniger chirurgische Eingriffe. Es wird weniger Chemotherapien im herkömmlichen Sinn geben, dafür etablierte Antikörpertherapien und Immuntherapien. Die personalisierte Medizin wird zentraler werden, sodass eine noch genauere Therapie des Tumors möglich ist. Vielleicht wird sich der Schwerpunkt eines Brustzentrums mehr in Richtung Prävention und Risikoabschätzung verlagern. Es wird aber wohl immer eine Drehscheibe für die interdisziplinäre Zusammenarbeit bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch!
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