© Halfpoint - stock.adobe.com

«Palliative care»

Integration: früh, schrittweise, gemeinsam oder (zu) spät?

Neue onkologische Therapien verändern auch den Umgang mit palliativer Versorgung. Mit zunehmender Überlebensdauer steigt der Fokus auf die Lebensqualität. Der Zeitpunkt, ab dem «palliative care» eingesetzt wird, muss sorgfältig abgewogen werden.

Keypoints

  • Frühe Palliativversorgung verbessert die Lebensqualität: Frühzeitige Integration von «palliative care» steigert nachweislich die Lebensqualität bei fortgeschrittener Krebserkrankung.

  • Neue Modelle – schrittweise oder digital möglich: Auch eine bedarfsorientierte oder telemedizinische Einbindung ist wirksam und praktikabel.

  • Aktuell erfolgt die Integration oft zu spät: In der Praxis wird «palliative care» meist erst sehr spät (wenige Wochen vor dem Tod) eingesetzt.

  • Moderne Therapien erfordern flexible Begleitung: Längere Überlebenszeiten und komplexe Krankheitsverläufe machen eine kontinuierliche, angepasste Palliativbegleitung nötig.

Seit einer Studie von Temel et al. im Jahre 2010 hat sich die frühe Integration von «palliative care» etabliert: Sie wird von den onkologischen Gesellschaften (ASCO/ESMO/DKG) empfohlen und auch erwünscht.1 Es wurden verschiedene Modelle vorgeschlagen, wie palliative Versorgung zu bewerkstelligen ist. Die Umsetzung ist oft auch von lokalen Begebenheiten, Diensten und Personen abhängig. In der Realität ist der Beizug leider oft unvollständig oder doch spät.

Durch die demografische Entwicklung und die Fortschritte der Onkologie, die dazu führen, dass die Zahl der Langzeitüberlebenden steigt, wird flächendeckende «palliative care» a priori für alle Menschen zunehmend zur Herausforderung bis gar unmöglich. Modelle, bei denen die «palliative care» an wichtigen Wendepunkten der Behandlung angeboten oder Menschen, die Bedarf haben, zur Verfügung gestellt wird, werden in diesem Artikel diskutiert und Möglichkeiten der Digitalisierung beleuchtet.4

Frühe Integration seitmehr als zehn Jahren

Seit der wegweisenden Studie von Temel et al., die eine Verbesserung der Lebensqualität von Patient:innen durch die Integration der Palliativversorgung im Vergleich zur alleinigen onkologischen Behandlung gezeigt hat, hat sich die frühe Einbeziehung der Palliativversorgung in die Onkologie als Standard etabliert.1 Diese Praxis wird mittlerweile von führenden onkologischen Gesellschaften wie der ASCO und der ESMO unterstützt. Auch in einer Metaanalyse konnte nachgewiesen werden, dass die Lebensqualität der Patient:innen durch den frühen Einsatz der Palliativversorgung signifikant verbessert wird.

Das traditionelle Modell, bei dem zunächst die onkologische Behandlung und erst später die Palliativversorgung zum Einsatz kam, wurde mittlerweile vom Modell der frühen Integration der Palliativversorgung während der tumorgerichteten Therapie abgelöst. Eine Herausforderung besteht jedoch darin, dass der genaue Zeitpunkt, an dem Palliativversorgung in den Behandlungsprozess integriert werden sollte, noch nicht eindeutig definiert ist. Verschiedene Faktoren und Überlegungen wurden in diesem Zusammenhang beschrieben.4

Neue Herausforderungenund Krankheitsverläufe

Durch neue zielgerichtete Therapien und Immuntherapien hat sich die Krebsbehandlung revolutioniert. Während herkömmliche Chemotherapien das Leben der Patient:innen meist nur um einige Monate verlängern konnten, führen die neuen Therapieansätze zu dramatischem Tumoransprechen und einer deutlichen Verlängerung der Lebenszeit. In einigen Fällen kommt es sogar zu lang anhaltendem Ansprechen auf die Therapie. Ein Beispiel ist das metastasierte Melanom, das früher mit einer mittleren Überlebenszeit von sechs bis neun Monaten verbunden war. Heute sprechen etwa 60% der Patient:innen auf die neuen Therapien an, was zu einer drastischen Verlängerung der Zeit des Überlebens auf bis zu sechs Jahre führen kann.6

Es ist jedoch wichtig, zu betonen, dass diese neuen Therapien auch Nebenwirkungen mit sich bringen – und zwar andere als die klassischen Toxizitäten der Chemotherapien. Immunassoziierte Nebenwirkungen treten in bis zu 40% der Fälle auf und können in etwa 0,4–1% der Fälle sogar tödlich sein. Dies alles erschwert es, den optimalen Zeitpunkt für die Einbeziehung der Palliativversorgung zu bestimmen.

Dennoch lohnt sich der frühe Einsatz von Palliativversorgung. «Palliative care»-Spezialist:innen sind darauf spezialisiert, mit Ambivalenzen umzugehen: «Auf das Beste hoffen, aber auf das Schlimmste vorbereitet sein.» Zudem haben sie umfangreiche Erfahrung in der Kommunikation und Begleitung von Patient:innen in solch herausfordernden Situationen.

Neue Modelle

Angesichts des demografischen Wandels und der sich verändernden Ärzteschaft wird deutlich, dass es unmöglich ist, allen Patient:innen mit einer fortgeschrittenen Krebserkrankung zusätzlich Palliativspezialist:innen zur Seite zu stellen. Zwei neue Studien von Temel geben darauf eine Antwort.2,3 Beide wurden mit Lungenkrebspatient:innen durchgeführt.

In der ersten Studie wurde der schrittweise Beizug der Palliativversorgung mit der frühen Integration verglichen. Palliativspezialist:innen wurden nur bei bestimmten Krankheitsereignissen («Trigger», Tab.1) hinzugezogen, zum Beispiel bei Krankheitsprogression oder Notfallhospitalisation. Es konnte gezeigt werden, dass der schrittweise Beizug der Palliativversorgung der frühen Integration in keiner Weise unterlegen ist.3

Tab.1: Kriterien für den Einsatz von «palliative care»

In der zweiten Studie, die während der Corona-Pandemie begann, wurde untersucht, ob die frühe Integration der Palliativversorgung auch über Telemedizin erfolgen kann. Die erste Konsultation wurde immer persönlich durchgeführt. Auch hier zeigte sich, dass diese Intervention der traditionellen Form der Integration in keiner Weise unterlegen war.2

Realitätscheck

Im vergangenen Jahr wurden zwei Publikationen veröffentlicht, die den Zeitpunkt der Integration von Palliativversorgung untersuchten, eine aus Wien und eine aus Zürich. In der Wiener Studie erfolgte die Integration durchschnittlich 17 Tage vor dem Tod der Patient:innen,5 in der Zürcher Studie waren es 29 Tage.7 Diese Ergebnisse zeigen, dass Palliativversorgung in der Realität oft noch zu spät in den Behandlungsprozess integriert und häufig vor allem als «end-of-life care» wahrgenommen wird (Abb.1).

Abb.1: Palliativversorgung wird in der Realität oft noch zu spät in den Behandlungsprozess integriert

Frühe Palliativversorgungplus psychosoziale Betreuung

In einer randomisiert-kontrollierten Studie wurde untersucht, ob eine frühzeitige und systematische Integration der Palliativversorgung zusätzlich zur regulären psychoonkologischen Betreuung die Lebensqualität von Krebspatient:innen mit fortgeschrittener Erkrankung verbessert. In Belgien gehört psychosoziale Unterstützung bereits zur Standardversorgung in der Onkologie.

Teilgenommen haben 186 Patient:innen mit fortgeschrittenem solidem Tumor und einer geschätzten Lebenserwartung von bis zu zwölf Monaten. Sie wurden zufällig entweder der Interventionsgruppe mit früher Palliativversorgung oder der Kontrollgruppe mit ausschliesslich regulärer onkologischer Versorgung zugewiesen. Beide Gruppen erhielten eine umfassende multidisziplinäre Betreuung durch Ärzt:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, Diätassistent:innen und Pflegepersonal.

Nach zwölf Wochen zeigte sich in der Interventionsgruppe eine signifikant höhere Lebensqualität: Sowohl die Ergebnisse des EORTC-QLQ-C30-Fragebogens als auch die des McGill Quality of Life Questionnaire (MQOL) fielen besser aus als in der Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse belegen, dass selbst in einem Umfeld mit bereits etablierten psychosozialen Angeboten eine frühzeitige und strukturierte Einbindung der Palliativmedizin zu einem zusätzlichen Gewinn an Lebensqualität führt. Die Studie unterstreicht die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen onkologischen und palliativmedizinischen Teams zur besseren Versorgung von Patient:innen mit fortgeschrittener Krebserkrankung.8

Konklusion

  • Frühe Integration hilft, die Lebensqualität von Menschen mit Krebs zu verbessern.

  • Neu ist die Feststellung, dass diese frühe Integration jedoch auch reduziert schrittweise oder digital erfolgen kann.

  • Frühe Palliativversorgung verbessert die Lebensqualität auch bei bereits guter psychosozialer Betreuung.

  • Die neuen Krankheitsverläufe stellen Patient:innen und Behandler:innen vor neue Herausforderungen, die es gemeinsam auszuhalten bedarf.

  • Besser früh integrieren als zu spät, denn der prospektive Verlauf ist auch unter neuen Therapien nicht immer absehbar.

1 Temel JS et al.: Early palliative care for patients with metastatic non-small-cell lung cancer. N Engl J Med 2010; 363(8): 733-42 2 Greer JA et al.: Telehealth vs in-person early «palliative care» for patients with advanced lung cancer. JAMA 2024; 332(14): 1153-64 3 Temel JS et al.: Stepped palliative care for patients with advanced lung cancer. JAMA 2024; 332(6): 471-81 4 Blum D et al.: Patterns of integrating palliative care into standard oncology. ESMO Open 2021; 6(3): 100147 5 Bucklar N et al.: Early integration or last consultation: in-house palliative care involvement. Support Care Cancer 2025; 33(4): 251 6Larkin J et al.: Final, 10-year outcomes with nivolumab plus ipilimumab in advanced melanoma. N Engl J Med 2024; 391(12): 1123-35 7 Adamidis F et al.: Timely integration of palliative care: the reality check. Support Care Cancer 2024; 32(8): 5 8 Vanbutsele G et al.: Effect of early and systematic integration of palliative care on quality of life. Lancet Oncol 2018; 19(3): 394-404 9 Kaasa S et al.: Integration of oncology and palliative care: a Lancet Oncology Commission. Lancet Oncol 2018; 19(11): e588-653

Back to top