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Indikationen und Optionen zur Fertilitätsprotektion
Jatros
Autor:
OA Dr. Markus Lipovac
Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe<br> Gynäkologische Station<br> Landesklinikum Korneuburg-Stockerau<br> Standort Korneuburg
30
Min. Lesezeit
06.04.2017
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<p class="article-intro">Nach einer Empfehlung vom ASCO 2011 sollten alle Frauen im Alter von 14 bis 40 Jahren, die eine onkologische Therapie benötigen, welche die Ovarien nachhaltig schädigen könnte, sobald wie möglich von Onkologen an reproduktionsmedizinische Spezialisten weitergeleitet werden.<sup>1</sup></p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Einleitung</h2> <p>Eine Chemo- und/oder Strahlentherapie zur Behandlung onkologischer oder autoimmunbedingter Erkrankungen schädigt die Eierstockfunktion meist nachhaltig. Die radikale Reduktion der Eizellreserve führt zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Reproduktionsfähigkeit und der endokrinen Funktion bis hin zum vorzeitigen Versagen der Ovarialfunktion (POF). Die Inzidenzen für eine Vielzahl von Krebserkrankungen sind nach wie vor im Steigen begriffen, gleichzeitig hat sich vor allem in den Industrienationen wegen sozioökonomischer und karrierebedingter Ursachen sowie aus politischen Gründen in den letzten Jahrzehnten der Zeitpunkt der Geburt des ersten Kindes immer mehr ins höhere reproduktive Alter der Frau verschoben. Aufgrund der ständig steigenden Überlebensraten muss daher den langfristigen Nebenwirkungen einer onkologischen Therapie wie z.B. der vorzeitigen Ovarialinsuffizienz mehr Bedeutung zugemessen werden. Die mögliche gonadale Schädigung hängt vor allem vom Alter der Patientin, der Dosis, dem Schema und der Dauer der Chemo- und/oder Strahlentherapie ab. Genauere Information und ausführliche Aufklärung über das eigene zukünftige Fertilitätspotenzial und eventuelle diesbezügliche Einschränkungen einer onkologischen Therapie durch die behandelnden Ärzte sind daher als Teil der Aufklärung der Krebstherapie notwendig und von einer überwiegenden Mehrheit der Patientinnen ausdrücklich erwünscht.<sup>2</sup></p> <h2>Ovaripexie – Transposition der Ovarien</h2> <p>Ist bei der Patientin ausschließlich eine Strahlentherapie unter Miteinbeziehung des kleinen Beckens geplant, kann zum Schutz der Ovarien mit laparoskopischer Technik eine Transposition der Ovarien außerhalb des vorgesehenen Bestrahlungsfeldes durchgeführt werden. Die genaue individuelle Prognose des Ovarschutzes ist schwierig, da dieser von der Streustrahlung, dem Alter, der Gesamtstrahlendosis, der durch die Bestrahlung hervorgerufenen Beeinträchtigung der versorgenden Gefäße und der Strahlenapplikationsart abhängt. Erfolgsraten von bis zu 85 % sind in der Literatur beschrieben.<sup>3</sup></p> <h2>Ovarschutz durch GnRH-Analoga</h2> <p>Die Substanzgruppe der GnRH-Analoga wird bei der Behandlung von Patientinnen mit östrogenrezeptorpositivem Mammakarzinom, in der assistierten Reproduktion und in der Endometriosetherapie seit Jahren eingesetzt. Durch die Herabsetzung der Empfänglichkeit der Ovarien für die körpereigenen Gonadotropine durch Applikation eines GnRHAgonisten werden die Eierstöcke in einen der Präpubertät vergleichbaren Ruhezustand gebracht – was in einer wesentlich geringeren Schädigung der Eierstöcke unter Chemotherapie resultieren sollte. Die Wirksamkeit dieser Therapieform ist zwar noch nicht gänzlich bewiesen, erste Metaanalysen weisen aber auf einen ovarprotektiven Effekt hin.<sup>4</sup> Die ASCO weist in ihren Leitlinien aus dem Jahr 2013 darauf hin, dass GnRH-Analoga additiv und nicht als einzige Therapieoption gegeben werden sollen.<sup>5</sup> Diese Empfehlung entspricht auch dem Vorgehen der ESMO und ASRM.<sup>6</sup><br /> Der Vorteil in dieser Therapieoption besteht darin, dass sie sehr schnell realisiert werden kann; insbesondere bei fehlenden therapeutischen Alternativen zum Fertilitätserhalt sollte diese Methode chemotherapeutisch behandelten Patientinnen angeboten werden.</p> <h2>Kryokonservierung von Oozyten/Embryonen</h2> <p>Die In-vitro-Fertilisation (IVF) und die intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) sind voll etablierte assistierte Reproduktionstechniken, die bei ausreichend vorhandener Zeit bis zum Beginn der geplanten onkologischen Therapie angewendet werden können. Für eine entsprechende Stimulationsbehandlung ist heute ein Zeitfenster von ca. 2 Wochen nötig. Problematisch bei dieser Methode ist, dass die begrenzte Anzahl von Oozyten/Embryonen, die gewonnen und eingefroren werden können, in einer eingeschränkten Anzahl von Transfers resultiert, womit wiederum die zu erwartende kumulative Schwangerschaftsrate bei ungefähr 40 % liegt. Dieses Verfahren gilt seit 2013 nicht mehr als experimentell,<sup>7</sup> jedoch liegen bislang zu wenig Daten vor, um exakte Prognosen in Bezug auf zu erwartende Lebendgeburtenraten bei Krebspatientinnen geben zu können. Im Kollektiv der infertilen Normalbevölkerung beträgt die Lebendgeburtenrate pro eingefrorener Eizelle in den weltweit erfahrensten Zentren laut Donnez et al durchschnittlich 6 % . Das kann bedeuten, dass man mitunter bis zu zwanzig Eizellen für eine Lebendgeburt benötigt.<sup>8</sup> Bei an Krebs erkrankten Frauen falle die erwartete Anzahl gewonnener Eizellen jedoch möglicherweise niedriger aus.<sup>9</sup> Jedes gealterte Jahr senkt die Wahrscheinlichkeit für eine Lebendgeburt um etwa 7 % . Frauen, die älter als 38 Jahre sind und bei denen weniger als 8 Eizellen gewonnen werden können, haben Studien von Cobo et al zufolge eine drastisch reduzierte Lebendgeburtenrate.<sup>10</sup><br /> Darüber hinaus ist ein Wechsel des Partners bei schon eingefrorenen Embryonen, abgesehen von den zu erwartenden rechtlichen Problemen, zumindest genetisch nicht mehr möglich. Weiters kann mit dieser Methode die endokrine Funktion weder geschützt noch wiederhergestellt werden. Daher soll der Patientin vor Beginn der Stimulationsbehandlung zusätzlich die Möglichkeit der Ovargewebeeinlagerung dargelegt und dokumentiert werden. Entscheidet sich die Patientin für eine zusätzliche Kryokonservierung, so ist die operative Entnahme im Anschluss an die IVF-Behandlung durchzuführen.</p> <h2>Kryokonservierung von Ovargewebe</h2> <p>Im Gegensatz zur Oozyten- oder Embryonenkryokonservierung bietet die ovarielle Kryokonservierung („ovarian tissue banking“, OTB) den Vorteil einer großen Zahl verfügbarer Keimzellen, die sich zum überwiegenden Teil in dem für den Einfriervorgang günstigeren Ruhepool befinden. Zusätzlich kann eine Kryopräservation von Eierstockgewebe im Gegensatz zu einer IVF-Therapie oder einer Downregulation mittels GnRH-Analoga sehr kurzfristig ohne Terminverzögerung, hormonelle Belastung sowie unabhängig vom Alter und Partnerstatus der Patientin durchgeführt werden. Besonders zu unterstreichen ist, dass dies die einzige Methode darstellt, mit der eine Rekonstitution der Fertilität und der endokrinen Funktion möglich ist. Die Entnahme von ungefähr der Hälfte des Ovarialkortex erfolgt in laparoskopischer Technik, die anschließende Verarbeitung, Aufbereitung und Kryokonservierung erfolgt nach strikt festgelegten Qualitätsstandards im Labor einer Gewebebank (Abb. 1). Nach einem ausreichend langen rezidivfreien Intervall kann bei Vorliegen eines POF („premature ovarian failure“) und entsprechendem Kinderwunsch das Gewebe üblicherweise orthotop in das verbliebene kontralaterale Ovar retransplantiert werden.<sup>11, 12</sup><br /> Voraussetzungen und Indikationen für OTB sind:</p> <ul> <li>Mädchen und Frauen bis zu einem Alter von 35–37 Jahren (mit einer dem Alter entsprechenden ovariellen Follikelreserve), bei denen eine Chemotherapie oder eine andere die Eierstockfunktion schädigende Therapie geplant ist.</li> <li>Keine ovarielle Beteiligung an der Grunderkrankung, auch dürfen keine Tumoren mit hohem Risiko einer ovariellen Beteiligung (metastasierter Brustkrebs, Ovarialkarzinom etc.) vorliegen.</li> <li>Der Zeitabstand zwischen der Laparoskopie und der geplanten Chemotherapie sollte drei Tage nicht unterschreiten.</li> <li>Der Eingriff für OTB darf die Sicherheit der Patientin nicht gefährden.</li> </ul> <p><br /> Bei der Kryokonservierung von Ovarialgewebe ist zu bedenken, dass die internationalen Erfahrungen mit dieser Technik noch begrenzt sind. Die Geburt von über 60 Kindern und mehrere weitere Schwangerschaften weisen aber auf das hohe Potenzial hin.<sup>13, 14</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1702_Weblinks_s44_abb1.jpg" alt="" width="686" height="718" /></p> <h2>Allgemeine Empfehlungen zur Fertilitätserhaltung</h2> <p>Die Inhalte der Beratungsgespräche sowie die daraus resultierende Behandlung sollten als Teil der onkologischen Behandlung angesehen und auch dort dokumentiert werden; alle Methoden der Ovarprotektion sollten interdisziplinär in Betracht gezogen werden. Die zur Fertilitätserhaltung geplanten Maßnahmen dürfen jedoch zu keiner Zeit die Effektivität der onkologischen Behandlung negativ beeinflussen oder den Therapiestart relevant verzögern (Abb. 2).<br /> An der Gynäkologischen Abteilung des Landesklinikums Korneuburg wird in Zusammenarbeit mit dem Oberösterreichischen Roten Kreuz/der Gewebebank Linz im Zuge der „Ferti-Save Initiative“ seit dem Jahr 2012 eine Kryokonservierung ovariellen Gewebes vorgenommen. Um möglichst viele betroffene Frauen kompetent beraten zu können, ist die Schaffung einer Fertilitäts-/Protektions-Sprechstunde an der Gynäkologischen Abteilung des LK Korneuburg geplant. Ziel ist es, durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Onkologie und Gynäkologie einerseits und spezialisierten Gewebebanken andererseits ein Netzwerk öffentlicher Institutionen zu etablieren. Damit soll einer möglichst breiten Schicht onkologischer Patientinnen der Zugang zu den Techniken der Fertilitätserhaltung als Teil der Krebstherapie ermöglicht werden. Die Behandlungen mit GnRH-Analoga, Ovaripexie und Ovarian Tissue Banking können direkt an der Gynäkologischen Abteilung LK Korneuburg durchgeführt werden, für eine IVF-Behandlung zur Eizellgewinnung ist geplant, die Patientinnen an niedergelassene IVF-Institute weiterzuschicken.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Onko_1702_Weblinks_s44_abb2.jpg" alt="" width="1454" height="1459" /></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Lee JS et al: American Society of Clinical Oncology recommendations on fertility preservation in cancer patients. J Clin Oncol 2006; 24(18): 2917-31 <strong>2</strong> Partridge AH et al: Web-based survey of fertility issues in young women with breast cancer. J Clin Oncol 2004; 22(20): 4174-83 <strong>3</strong> Bisharah M, Tulandi T: Laparoscopic preservation of ovarian function: an underused procedure. Am J Obstet Gynecol 2003; 188(2): 367-70 <strong>4</strong> Bedaiwy MA et al: Gonadotropin- releasing hormone analog cotreatment for preservation of ovarian function during gonadotoxic chemotherapy: a systematic review and meta-analysis. Fertil Steril 2011; 95: 906-14 <strong>5</strong> Loren AW et al: Fertility preservation for patients with cancer: American Society of Clinical Oncology clinical practice guideline update. J Clin Oncol 2013; 31(19): 2500-10 <strong>6</strong> Peccatori FA et al: Cancer, pregnancy and fertility: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2013; 24 Suppl 6: vi160-70 <strong>7</strong> Practice Committee of American Society for Reproductive Medicine: Fertility preservation in patients undergoing gonadotoxic therapy or gonadectomy: a committee opinion. Fertil Steril 2013; 100(5): 1214- 23 <strong>8</strong> Donnez J, Dolmans MM: Ovarian tissue freezing: current status. Curr Opin Obstet Gynecol 2015, 27(3): 222-30 <strong>9</strong> Cakmak H, Rosen MP: Ovarian stimulation in cancer patients. Fertil Steril 2013; 99(6): 1476-84 <strong>10</strong> Rienzi L et al: Consistent and predictable delivery rates after oocyte vitrification: an observational longitudinal cohort multicentric study. Hum Reprod 2012; 27(6):1606-12 <strong>11</strong> Donnez J et al: Livebirth after orthotopic transplantation of cryopreserved ovarian tissue. Lancet 2004; 364(9443): 1405-10 <strong>12</strong> Revelli A et al: Live birth after orthotopic grafting of autologous cryopreserved ovarian tissue and spontaneous conception in Italy. Fertil Steril 2013; 99(1): 227-30 <strong>13</strong> Donnez J et al: Children born after autotransplantation of cryopreserved ovarian tissue. A review of 13 live births. Ann Med 2011; 43(6): 437-50 <strong>14</strong> Donnez J, Dolmans MM: Ovarian cortex transplantation: 60 reported live births brings the success and worldwide expansion of the technique towards routine clinical practice. J Assist Reprod Genet 2015; 32(8): 1167-70</p>
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