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ASCO-Jahrestreffen 2023

Immuntherapien und metronomische Therapien bei Kopf-Hals-Tumoren

Im Rahmen des diesjährigen Jahreskongresses der American Society of Clinical Oncology (ASCO) standen im Bereich der Kopf-Hals-Tumoren sowohl Studien zu seltenen Tumorentitäten wie dem Nasopharynxkarzinom als auch zu Plattenepithelkarzinomen im lokal fortgeschrittenen und rezidivierten/metastasierten Setting im Mittelpunkt. Die präsentierten Studien definieren zwar den „standard of care“ nicht völlig neu, haben aber durchaus Einfluss auf die klinische Routine und werden im folgenden Artikel vorgestellt.

Lokal fortgeschrittenes Nasopharynxkarzinom

CONTINUUM-Studie: Induktionschemotherapie+Immuntherapie vs. Induktionschemotherapie alleine gefolgt von Radiochemotherapie

In dieser randomisierten Phase-III-Studie wurde die Frage gestellt, ob eine Induktionschemotherapie (ICT) mit drei Zyklen Gemcitabin/Cisplatin (GP) in Kombination mit dem Immuncheckpoint-Inhibitor Sintilimab gefolgt von Radiochemotherapie (CRT) einer ICT mit GP gefolgt von CRT überlegen ist.1

417 Patient:innen mit Nasopharynxkarzinom (NPC) im Stadium III/IV (außer T3–T4, N0 und T3, N1) wurden in die beschriebenen Studienarme randomisiert, wobei Sintilimab für insgesamt zwölf Zyklen verabreicht wurde. Der primäre Endpunkt war das ereignisfreie Überleben (EFS) und dieses war in der Sintilimab-Gruppe signifikant länger als in der Standardtherapie-Gruppe (3-Jahres-EFS: 86,1% vs. 76,0%; HR: 0,59; 95% CI: 0,38–0,92; p=0,019; Abb. 1). Das mediane Gesamtüberleben (OS) war nicht unterschiedlich.

Abb. 1: EFS-Rate von Sintilimab-ICT vs. ICT alleine (modifiziert nach Sun Y et al. 2023)1

Wie erwartet wurde in der Sintilimab-Gruppe eine höhere Anzahl an Nebenwirkungen von Grad 3–5 berichtet als in der GP-Gruppe (75,15% vs. 70,4%).

Radiochemotherapie gefolgt von adjuvanter Chemotherapie mit Gemcitabin/Cisplatin vs. 5-FU/Cisplatin bei Hochrisiko-Patient:innen mit NPC

Während des ASCO-Jahrestreffens 2023 wurden die Daten einer randomisierten Phase-III-Studie vorgestellt, die den Stellenwert von adjuvanter Chemotherapie mit GP alle drei Wochen für drei Zyklen im Vergleich zur Standard-Chemotherapie mit Cisplatin/5-FU (PF) alle vier Wochen für drei Zyklen nach Abschluss der CRT bei Hochrisiko-Patient:innen untersuchte.2

Begonnen wurde die adjuvante Chemotherapie vier Wochen nach Abschluss der CRT. Der primäre Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS), sekundäre Endpunkte umfassten u.a. das OS, lokoregionäres rückfallfreies Überleben (LRFS) und das fernmetastasenfreie Überleben (DMFS). Es wurden jeweils 117 bzw. 116 Patient:innen mit Hochrisiko-NPC (T1–T4, N2–N3, M0) behandelt.

Die 3-Jahres-PFS-Rate im Standardarm betrug 71,5% (95% CI: 62,5%–78,7%) und im experimentellen GP-Arm 83,9% (95% CI: 75,9%–89,4%; HR: 0,54; p=0,023). Das LRFS und DMFS waren in der GP-Gruppe ebenfalls verlängert im Vergleich zur PF-Gruppe (LRFS: HR: 0,33; 95% CI: 0,12–0,9; p=0,03; DMFS: HR: 0,5; 95% CI: 0,26–0,98; p=0,03). Das OS war nicht unterschiedlich, wobei die Myelotoxizität im GP-Arm höher war.

Relevanz für die klinische Praxis

Hochrisiko-Patient:innen mit NPC, die in kurativer Intention behandelt werden, weisen ein klinisch relevantes Rezidivrisiko auf, weshalb neue Therapieoptionen wünschenswert erscheinen.

Die Implementierung der Immuntherapie in die Standardtherapie mit GP erscheint als logischer Schritt. Die Daten der CONTINUUM-Studie sind ermutigend und legen einen neuen Therapiestandard nahe. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass die OS-Daten (noch) keinen Unterschied zeigen und eine längere Nachbeobachtung notwendig erscheint. Der untersuchte Checkpoint-Inhibitor Sintilimab ist zwar in Asien zugelassen, jedoch in Europa und den USA nicht verfügbar. Die Anwendung von verfügbaren Checkpoint-Inhibitoren wie Pembrolizumab oder Nivolumab in Kombination mit GP ist mangels Evidenz nicht zu rechtfertigen.

Im adjuvanten Setting ist GP einer Chemotherapie mit PF überlegen und sollte für Hochrisiko-Patient:innen, die nicht bereits eine (empfohlene) ICT erhalten hatten, bevorzugt werden, wobei diese Konstellation im klinischen Alltag kaum mehr eine Rolle spielen dürfte.

Da das NPC in Asien endemisch ist und in Europa und den USA zu den seltenen Tumorentitäten zählt, müssen wir die in Asien generierten Daten nolens volens seit Jahren extrapolieren. Dieses Vorgehen ist zwar in den Leitlinien (siehe aktuelle ESMO-NPC-Leitlinien 2020) abgebildet,3 dennoch sei nochmals auf die Unterschiede in der Tumorbiologie und -histologie hingewiesen: In der westlichen Welt sind bis zu 30% der NPC WHO-Klasse-I (EBV-negative) Patient:innen, die in den asiatischen Studien exkludiert oder kaum repräsentiert sind.

HNSCC im rezidivierten/metastasierten Stadium

BCA101 in Kombination mit Pembrolizumab in der Erstlinie

In einer einarmigen Phase-I(b)-Studie wurde der bifunktionale Antikörper BCA101, der sowohl gegen den „Epidermal growth factor“-Rezeptor (EGFR) als auch gegen „transforming growth factor beta“ (TGF-β) gerichtet ist, in Kombination mit Pembrolizumab bei unbehandelten Patient:innen mit rezidivierten/metastasierten Plattenepithelkarzinomen (R/M-HNSCC) evaluiert.4

Der primäre Endpunkt war die Sicherheit, wobei als sekundärer Endpunkt die Effektivität (Ansprechrate) definiert wurde. Während das Toxizitätsprofil günstig erscheint (Hauttoxizitäten stehen im Vordergrund), wurde eine Ansprechrate (ORR) von 48% (15/31) berichtet. Vor allem in der HPV-negativen Gruppe konnte ein Ansprechen erzielt werden (ORR: 65%). Basierend auf diesen Ergebnissen ist eine Phase-II/III-Studie geplant.

Metronomische Chemotherapie in der Zweitlinie

In diese Phase-III-Studie wurden 114 Patient:innen mit vorbehandeltem („platinrefraktärem“) R/M-HNSCC eingeschlossen.5

Nach Randomisierung in zwei Gruppen (55 bzw. 59 Patient:innen) erhielten die Patient:innen im Standardarm eine systemische Therapie nach Entscheidung der Prüfärzt:innen (Cetuximab, Immuntherapie, Paclitaxel, Docetaxel, Afatinib, 5FU oder Gemcitabin), während die Patient:innen im experimentellen Arm mit metronomischer Tripeltherapie – bestehend aus Methotrexat, Celecoxib und Erlotinib – behandelt wurden. Hervorzuheben ist, dass der Großteil der Patient:innen in beiden Armen an Mundhöhlenkarzinomen litt (>80%).

Der primäre Endpunkt war das OS, während das PFS, die Lebensqualität und die Toxizität als sekundäre Studienendpunkte definiert wurden. Der primäre Endpunkt wurde erreicht. Das mediane OS in der metronomischen Gruppe war mit 181 Tagen länger als in der Kontrollgruppe mit 123 Tagen (HR: 0,5076; 95% CI: 0,325–0,792; p=0,0024). Das PFS wurde durch metronomische Therapie ebenfalls statistisch signifikant verlängert (120 vs. 70 Tage; HR: 0,4941; 95% CI: 0,312–0,738; p=0,0046).

In Hinblick auf das Nebenwirkungsprofil fanden sich keine neuen Signale, die uns nicht bereits im klinischen Alltag von den genannten Substanzen gut bekannt sind, wobei die metronomische Therapie ein günstigeres Nebenwirkungsprofil aufwies als die Standardtherapien.

Relevanz für die klinische Praxis

Primäre und sekundäre Resistenz gegenüber Immuntherapie ist bei der Behandlung von R/M-HNSCC eine klinische Herausforderung. Zur Einordnung der Daten der BCA101-Studie sei erwähnt, dass in der KEYNOTE-048-Studie, die den aktuellen Therapiestandard definierte, die Rate des Ansprechens auf Pembrolizumab-Monotherapie ca. 23% betrug (in der Subgruppe mit „combined positive score“ [CPS] ≥20).6

Obwohl die BCA101-Studie keine aktuelle klinische Relevanz hat, sind die rapportierten Ansprechraten sehr ermutigend und zeigen das Potenzial von Immuntherapie-Kombinationen auf. Mit Spannung dürfen wir daher die weitere klinische Entwicklung dieser Substanz verfolgen.

Obwohl die metronomische Therapie in vielen Studien Effektivität demonstriert hat und die oben erwähnte Studie die Daten einer Phase-II-Studie bestätigt, sind die präsentierten Daten aus folgenden Gründen nur eingeschränkt relevant für den klinischen Alltag:7

  • Der Therapiestandard für R/M-HNSCC ist Immuntherapie, die sowohl im platinsensitiven als auch im platinrefraktären Setting einer (alleinigen) Chemotherapie überlegen ist. Das untersuchte Patient:innenkollektiv bildet diesen Standard nur eingeschränkt ab, da kaum Patient:innen gegenüber Immuntherapie exponiert waren. Daher ist es unklar, ob sich die Ergebnisse auf eine Population extrapolieren lassen, die mit Immuntherapie behandelt wurde, insbesondere da hohe Ansprechraten mit Chemotherapie (±Cetuximab) nach Immuntherapie-Versagen beschrieben wurden.8

  • Es wurden hauptsächlich Patient:innen mit Mundhöhlenkarzinomen eingeschlossen und die Effektivität von metronomischer Therapie auf andere anatomische Lokalisationen von HNSCC mit potenziell anderer Tumorbiologie scheint daher nicht ausreichend belegt.

Kopf-Hals-Tumoren im frühen und lokal fortgeschrittenen Stadium

ICOLP-Studie:Immuntherapie als kurativer Ansatz für den Larynxerhalt

Die innovative Phase-II-Studie ICOLP adressierte die Frage, ob bei Larynxkarzinomen im Stadium II/III durch eine Chemo-Immuntherapie (Platin/Docetaxel + Pembrolizumab [PCD]) der Larynxerhalt erzielt und eine Operation oder CRT vermieden werden kann.9

24 Patient:innen wurden mit zwei Zyklen PCD therapiert. Im Falle eines Ansprechens erhielten die Patient:innen zwei weitere Zyklen und im Anschluss eine Bildgebung. Zusätzlich wurde eine Biopsie entnommen. Wenn eine pathologische Komplettremission (pCR) erzielt wurde, wurde die Immuntherapie für vier Zyklen weitergeführt, die Patient:innen wurden engmaschig kontrolliert und auf eine Lokaltherapie wurde verzichtet. Zu jedem Zeitpunkt waren bei Progression oder non-pCR eine Operation oder CRT vorgesehen.

Primäre Endpunkte waren die Krankheitskontrolle (DCR) und die pCR-Rate. Sekundäre Endpunkte umfassten die Rate des Larynxerhaltes (LPR) nach zwei Jahren, das rezidivfreie Überleben (RFS) und das OS sowie die Sicherheit/Tolerabilität von PCD.

Die DCR nach zwei Zyklen PCD betrug 100%, die pCR-Rate 78,3%. Bei 38,9% (7/18) dieser Patient:innen trat jedoch im Verlauf der Nachbeobachtung ein Rezidiv auf, weshalb eine Lokaltherapie durchgeführt werden musste. Die LPR wurde mit 91,7% angegeben. Für PCD fanden sich keine neuen unerwarteten Signale in Hinblick auf die Toxizität.

Relevanz für die klinische Praxis

Obwohl diese Daten außerhalb von Studien in der klinischen Routine keine Rolle spielen, zeigen sie jedoch einen Weg auf, wie mittels Chemo-Immuntherapie eine pCR erzielt werden kann und bei einem Teil der Patient:innen auf eine Lokaltherapie, die mit Langzeittoxizitäten assoziiert ist, verzichtet werden könnte. Vor dem Hintergrund der hohen Rezidivraten trotz pCR in der Biopsie und des kompletten Ansprechens in der Bildgebung ist jedoch unklar, welche Patient:innenpopulation von diesem Vorgehen profitieren könnte.

Zusammenfassung

Kurz zusammengefasst lassen sich aus den in diesem Jahr präsentierten Studien zu Kopf-Hals-Tumoren die folgenden Erkenntnisse ableiten:

  • Induktionschemotherapie+Immuntherapie mit Sintilimab verbessert das EFS bei Hochrisiko-Patient:innen mit NPC im Vergleich zur alleinigen ICT.

  • Wenn keine ICT bei Hochrisiko-Patient:innen mit NPC verabreicht worden sein sollte, dann ist nach abgeschlossener CRT eine adjuvante Chemotherapie mit GP der neue Standard.

  • Metronomische Tripeltherapie mit MTX, Erlotinib und Celecoxib ist ein interessanter und gut verträglicher Ansatz bei Patient:innen mit platinrefraktärem R/M-Mundhöhlenkarzinom.

1 Sun Y et al.: PD-1 blockade with sintilimab plus induction chemotherapy and concurrent chemoradiotherapy (IC-CCRT) versus IC-CCRT in locoregionally-advanced nasopharyngeal carcinoma (LANPC): a multicenter, phase 3, randomized controlled trial (CONTINUUM). J Clin Oncol 2023; 41(Suppl. 17): Abstr. #LBA6002 2 Liu LT et al.: Concurrent chemoradiotherapy followed by adjuvant cisplatin-gemcitabine versus cisplatin-fluorouracil chemotherapy for N2-3 nasopharyngeal carcinoma: a multicentre, open-label, randomised, controlled, phase 3 trial. Lancet Oncol 2023; 24(7): 798-810 3 Bossi P et al.: Nasopharyngeal carcinoma: ESMO-EURACAN Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up(†). Annals Oncol 2021; 32(4): 452-65 4 Kaczmar JM et al.: Dose expansion results of the bifunctional EGFR/TGFβ inhibitor BCA101 with pembrolizumab in patients with recurrent, metastatic head and neck squamous cell carcinoma. JClin Oncol 2023; 41(Suppl. 16): Abstr. #6005 5 Ravikrishna M et al.: Phase 3 randomized study for evaluation of physician choice Rx and triple metronomic as second-line therapy in head and neck cancer (CRSF 2021-HN-001). JClin Oncol 2023; 41(Suppl. 17): Abstr. #LBA6004 6 Burtness B et al.: Pembrolizumab alone or with chemotherapy versus cetuximab with chemotherapy for recurrent or metastatic squamous cell carcinoma of the head and neck (KEYNOTE-048): a randomised, open-label, phase 3 study. Lancet 2019; 394(10212): 1915-28 7 Patil VM et al.: Phase I/II study of palliative triple metronomic chemotherapy in platinum-refractory/early-failure oral cancer. JClin Oncol 2019; 37(32): 3032-41 8 Saleh K et al.: Response to salvage chemotherapy after progression on immune checkpoint inhibitors in patients with recurrent and/or metastatic squamous cell carcinoma of the head and neck. Eur J Cancer 2019; 121: 123-9 9 Johnson FM et al.: Immuno-chemotherapy as single treatment modality for larynx preservation (ICoLP): co-primary endpoints and safety results. J Clin Oncol 2023; 41(Suppl. 16): Abstr. #6008

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