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Immuntherapie mit Checkpoint-Inhibitoren bei Kopf-Hals-Tumoren – Chancen und Pitfalls
Jatros
Autor:
Ass. Prof. Priv.-Doz. Dr. Thorsten Füreder
Univ.-Klinik für Innere Medizin I<br>Medizinische Universität Wien<br>E-Mail: thorsten.fuereder@meduniwien.ac.at
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
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<p class="article-intro">Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereiches (KHT) sind die weltweit sechsthäufigste Tumorentität.1 Die Prognose im metastasierten oder rezidivierten (R/M) Stadium ist weiterhin schlecht, mit medianen Überlebensraten von ca. 10 Monaten.2 Nach Versagen einer Platin-basierten Erstlinientherapie beträgt das mediane Gesamtüberleben ungefähr 6 Monate.3 Die Überlegenheit und Effektivität einer zytotoxischen Chemotherapie in diesem Setting im Vergleich zu „best supportive care“ konnten bis dato nicht in einer randomisierten Phase-III-Studie gezeigt werden. </p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Durch die Zulassung der neuen Checkpoint-Inhibitor(CPI)-Immuntherapeutika hat sich die tägliche klinische Praxis in vielen Bereichen der Onkologie gewandelt. Die Therapielandschaft von R/M KHT hat sich mit der europäischen Zulassung von Nivolumab nun ebenfalls verändert. KHT eignen sich aus mehreren Gründen besonders für eine Immuntherapie mittels CPI: Die Mutationsrate von KHT ist im Vergleich zu anderen Tumorentitäten besonders hoch, wodurch eine höhere Anzahl an Tumorneoantigenen exprimiert wird, was mit dem Ansprechen auf CPI korreliert.<sup>4</sup> Zusätzlich gehören neben der virologischen Genese von HPV-positiven Oropharynxkarzinomen sowohl HPV-positive als auch HPV-negative Tumoren zu jenen Tumorentitäten mit der höchsten Anzahl von tumorinfiltrierenden Lymphozyten.<sup>5</sup> Durch unterschiedliche Mechanismen wie zum Beispiel die Herunterregulierung von „Humane-Leukozyten-Antigen“(HLA)-Komplex oder Hochregulierung von „programmed cell death protein-1“ (PD-1) nach Strahlen- oder Chemotherapie entkommen KHT jedoch trotz der oben genannten primär günstigen immunologischen Umgebung der T-Zell-vermittelten Immunantwort.<sup>6</sup> Exposition mit einem PD-1-CPI sollte die Immunantwort theoretisch wiederherstellen und zur Tumor­elimination führen.</p> <h2>CheckMate-141-Studie</h2> <p>Die oben erwähnte europäische Zulassung von Nivolumab zur Behandlung von R/M KHT, die während oder nach einer Platin-basierten Chemotherapie innerhalb von 6 Monaten progredient sind, basiert auf den Daten der CheckMate-141-Studie. <br />In dieser randomisierten Phase-III-Studie wurde die Effektivität des PD-1-Antikörpers Nivolumab von R/M-KHT-Patien-ten, die während oder nach einer Platin-basierten Chemotherapie innerhalb von 6 Monaten progredient waren, im Vergleich zu einer Therapie untersucht, die vom jeweiligen klinischen Prüfer ausgewählt wurde (Docetaxel, Methotrexat oder Cetuximab). Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben (OS). Die Studie wurde vorzeitig abgebrochen, da das Studienziel erreicht wurde und die Überlegenheit von Nivolumab gezeigt werden konnte. Die Patientengruppe, die mit Nivolumab therapiert wurde (241 Patienten), hatte ein OS von 7,5 Monaten und eine 1-Jahres-Überlebensrate von 36 % im Vergleich zu 5,1 Monaten und 16,6 % in der Kontrollgruppe (121 Patienten) (HR: 0,70; 95 % CI: 0,51–0,96; p=0,0101). Die 6-Monats-Rate für das progressionsfreie Überleben (PFS) war 19,7 % in der Nivolumab-Gruppe und 9,9 % in der Kontrollgruppe, wobei das mediane PFS (2,0 vs. 2,3 Monate) nicht unterschiedlich war. In der Subgruppenanalyse zeigt sich ein besonderer Vorteil bei p16-positiven Patienten (HR: 0,56; 95 % CI: 0,32–0,99) und bei Patienten mit einer PD-L1-Expression der Tumorzellen >1 % (HR: 0,55; CI: 0,36–0,81). Grundsätzlich profitieren jedoch auch p16- und PD-L1-negative Patienten, wobei die Studie nicht darauf ausgelegt war, einen Unterschied in den Subgruppen zu detektieren. Die Ansprechrate (ORR) betrug 13,3 % im Nivolumab-Arm vs. 5,8 % im Standardtherapie-Arm. Durch Nivolumab-Therapie konnten alle Lebensqualitäts- und Symptomparameter (länger) stabil gehalten werden, während sie sich durch Chemotherapie rascher verschlechterten.<sup>7</sup></p> <p><strong>Bewertung der CheckMate-141-Studie durch den Autor</strong></p> <p>Bis zur Publikation der CheckMate-141-Studie konnte keine randomisierte Phase-III-Studie einen Überlebensvorteil als Zweitlinientherapie nach Platin-Versagen bei R/M KHT Patienten nachweisen. Die Aufnahme von Nivolumab in die amerikanischen und international angewendeten NCCN-Leitlinien zur Behandlung von KHT in dieser Indikation und die daraus abgeleitete Kategorie-I-Empfehlung erscheint daher gerechtfertigt. Hervorzuheben ist auch die Verbesserung der Lebensqualitäts- und Symptomparameter, was bei KHT ebenfalls mit dem OS korreliert. Ein Vorenthalten von Nivolumab aufgrund von PD-L1-Negativität erscheint aufgrund der vorliegenden Daten nicht gerechtfertigt. Wir beobachten auch bei PD-L1-negativen Tumoren eine ORR von 10 % . Dennoch sind einige Aspekte zu bedenken bzw. auch kritisch zu hinterfragen: <br />Erstens geht aus den Studiendaten nicht hervor, welche Platin-Kumulativdosis verabreicht wurde. Das ist vor allem deshalb entscheidend, weil Patienten, die mit konkomitanter Radiochemotherapie im lokal fortgeschrittenen Setting behandelt werden, mindestens eine Kumulativdosis von 200mg/m<sup>2</sup> Cisplatin erhalten müssen, damit ein Chemotherapie-Effekt auf das OS nachgewiesen werden kann. Zweitens deckt sich der Vergleichsarm mit MTX, Docetaxel oder Cetuximab in dieser Subpopulation (d.h., Patienten die nach oder während Radiochemotherapie innerhalb von 6 Monaten progredient sind) nicht mit der klinischen Praxis und erscheint inferior z.B. gegenüber einer Taxan-plus-Cetuximab-Kombination. Drittens muss angemerkt werden, dass nur eine Minderheit der Patienten profitiert.<br />Im klinischen Alltag begegnen wir daher 3 Standardsituationen bei R/M KHT, in denen Nivolumab grundsätzlich zugelassen sein wird.<br />Erstlinientherapie:</p> <ul> <li>Patienten, die Induktionschemotherapie (Docetaxel, Cisplatin und 5-FU) gefolgt von Radiatio (+/– Cetuximab) erhalten haben und während der Radiatio oder innerhalb von 6 Monaten progredient sind</li> <li>Patienten, die nach oder während primärer Radiochemotherapie mit Cisplatin innerhalb von 6 Monaten progredient sind. Hier besteht, wie oben erwähnt, auch die Möglichkeit, Patienten mit einer Taxan/Cetuximab-Kombination zu behandeln</li> </ul> <p>Zweitlinientherapie:</p> <ul> <li>Patienten, die eine palliative Chemotherapie mit Cisplatin/5-FU (oder Docetaxel) plus Cetuximab im R/M-Setting erhalten haben und innerhalb von 6 Monaten progredient sind</li> </ul> <h2>Biomarker</h2> <p>Die Biomarker-Frage muss derzeit weiter offenbleiben. PD-L1-Positivität eignet sich zwar als Anreicherungsmarker, jedoch profitieren auch Patienten von einer CPI-Inhibitor-Therapie, deren Tumor PD-L1 nicht exprimiert. Rezente Daten der CheckMate-141-Studie, die am AACR-2017-Meeting präsentiert wurden, zeigen, dass die PD-L1-Expression der Immunzellen auch bei KHT einen zusätzlichen Parameter zur Vorhersage auf das Ansprechen auf CPI liefert. Andere Biomarker wie die Bestimmung der Mutationslast sind nicht validiert und im klinischen Alltag (noch) nicht einsetzbar. Wie ebenfalls am AACR-2017-Kongress präsentiert, konnte leider auch die Charakterisierung des Mikrobioms im Speichel keinen Hinweis auf jene Patienten liefern, die besonders gut oder schlecht auf eine CPI-Therapie ansprechen.</p> <h2>Hyperprogression</h2> <p>Ein klinisch und wissenschaftlich interessantes Phänomen, das bis dato nur mangelhaft erfasst wurde, ist die Hyperprogression unter CPI-Therapie. Hierbei handelt es sich nicht um eine Pseudoprogression, sondern um eine fulminante echte Progression des Tumors (mindestens Verdoppelung der Tumorwachstumsrate) infolge der CPI-Therapie innerhalb von 8 Wochen nach Therapiebeginn. Laut einer rezenten Studie scheinen davon ungefähr 9 % der Patienten betroffen zu sein, wobei die Dunkelziffer höher liegen dürfte, da ein kleiner Teil der Patienten, die mit CPI behandelt wurden, bereits vor dem ersten Restaging verstorben ist.<sup>8</sup> Eine Korrelation mit bestimmten Tumorentitäten besteht nicht, jedoch dürfte vor allem eine Assoziation mit dem Alter des Patienten (Risiko >65 Jahre) bestehen. Das OS ist bei Patienten mit Hyperprogression deutlich vermindert (Abb. 1, rote Kurve).<sup>8</sup> Die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen sind ungeklärt, wobei vor allem eine Korrelation der Hyperprogression mit MDM2/4- und EGFR-Mutationen (auch bei KHT-Patienten) bestehen dürfte.<sup>9</sup> Im klinischen Alltag wäre vor allem eine pathologische Untersuchung von Patienten, die bereits vor der ersten Bildgebung unter CPI-Therapie versterben, anzustreben, um das Phänomen der Hyperprogression besser zu verstehen bzw. überhaupt zu detektieren.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die Therapie mit dem CPI Nivolumab gemäß der europäischen Zulassung bei R/M-KHT-Patienten nach Progression unter/nach Platin-Therapie ist nun „standard of care“. Als problematisch erweist sich, dass nur eine Minorität der Patienten profitiert und kein prädiktiver Biomarker existiert, um diese Population zu identifizieren. Abgesehen davon scheint bei einem kleinen Teil der Patienten eine Hyperprogression unter CPI-Therapie vorzukommen. In Zukunft wird dieses Phänomen intensiver untersucht, die prädiktive Biomarker-Entwicklung weiter angestrebt und die Effektivität von CPI-Therapien mittels Kombinationstherapien optimiert werden müssen.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Jemal A et al.: Global cancer statistics. CA Cancer J Clin 2011; 61(2): 69-90 <strong>2</strong> Vermorken JB, Specenier P: Optimal treatment for recurrent/metastatic head and neck cancer. Ann Oncol 2010; 7: vii252-61 <strong>3</strong> Stewart JS et al.: Phase III study of gefitinib compared with intravenous methotrexate for recurrent squamous cell carcinoma of the head and neck [corrected]. J Clin Oncol 2009; 27(11), 1864-71 <strong>4</strong> Alexandrov LB et al.: Signatures of mutational processes in human cancer. Nature 2013; 500(7463), 415-21 <strong>5</strong> Mandal R et al.: The head and neck cancer immune landscape and its immunotherapeutic implications. JCI insight 2016; 1(17): e89829 <strong>6</strong> Ferris RL: Immunology and immunotherapy of head and neck cancer. J Clin Oncol 2015; 33(29): 3293-304 <strong>7</strong> Ferris RL et al.: Nivolumab for recurrent squamous-cell carcinoma of the head and neck. N Engl J Med 2016; 375(19): 1856-67 <strong>8</strong> Champiat S et al.: Hyperprogressive disease is a new pattern of progression in cancer patients treated by anti-PD-1/PD-L1. Clin Cancer Res 2017; 23(8), 1920-8 <strong>9</strong> Kato S et al.: Hyper-progressors after immunotherapy: analysis of genomic alterations associated with accelerated growth rate. Clinical Cancer Res 2017; doi: 10.1158/1078-0432.CCR-16-3133; [Epub ahead of print]</p>
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