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Immuntherapie bei östrogenrezeptorpositivem Brustkrebs nicht aufgeben
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11.07.2019
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<p class="article-intro">26 Millionen Zellen von etwa 140 Brustkrebspatientinnen untersuchte die Forscherin Johanna Wagner, MSc, am Institut für Molekulare Lebenswissenschaften an der Universität Zürich in der Gruppe von Prof. Dr. med. Bernd Bodenmiller im Rahmen ihrer Dissertation. Der Fokus lag dabei auf der Entschlüsselung des Tumorökosystems, also der Zusammensetzung von Tumoren aus Krebs- und Immunzellen. Welche Erkenntnisse sie bezüglich der Heterogenität von Tumoren erlangte und welche Rolle die Immuntherapie bei östrogenrezeptorpositivem Brustkrebs spielen könnte, lesen Sie im nachfolgenden Interview.</p>
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<p class="article-content"><p><em><strong>Ihre Arbeit behandelt ja das Ökosystem eines Tumors, welches bekanntlich u. a. aus Immun- und Stromazellen besteht. Welche Bedeutung hat dieses für den Erfolg von zielgerichteten Therapien? </strong></em><br /><em><strong>J. Wagner:</strong></em> Zuerst ist es wichtig, hervorzuheben, dass in der Grundlagenforschung ein Perspektivenwechsel stattgefunden hat, sodass bei Krebs nicht nur die Krebszellen isoliert betrachtet werden, sondern das gesamte Gewebe. Dies ist auch unsere Herangehensweise. Im Tumorökosystem interagieren und kommunizieren Krebszellen mit den umliegenden Zellen, wie zum Beispiel Immunund Stromazellen und Zellen der Blutgefässe, für das Wachsen und Überleben des Tumors. Diese Interaktionen sind somit für zielgerichtete Therapien bedeutsam, um das Tumorwachstum zu behindern und den Tumor zu eliminieren. Eine wichtige Frage für die Grundlagenforschung ist demnach, wie Tumorökosysteme zusammengesetzt sind: Welche Zellarten sind vorhanden und in welcher Menge? Gleichzeitig interessiert uns die Verschiedenartigkeit der Zellen, also ihr molekulares «Aussehen», denn dies kann entscheidend für die Interaktion mit Krebszellen sein und könnte auch ein Angriffspunkt für Therapien sein. Dafür haben wir umfassend untersucht, welche Proteine im Inneren und auf der Oberfläche von mehreren Millionen Krebs- und Immunzellen vorkommen, um mögliche krebsunterstützende oder -hemmende Interaktionen zu entdecken.</p> <p><em><strong>Inwiefern spielen dabei die ebenfalls von Ihnen untersuchten Tumor-assoziierten Makrophagen (TAM) eine Rolle? </strong></em><br /><em><strong>J. Wagner:</strong></em> Makrophagen sind mit T-Zellen die häufigsten im Brustkrebs vorkommenden Immunzellen. Normalerweise erfüllen Makrophagen die wichtige Aufgabe, körperfremde Noxen und entartete Zellen durch Phagozytose zu entfernen. Zusätzlich präsentieren sie Antigene, die zum Beispiel auf der Oberfläche von Krebszellen vorkommen, und können andere Immunzellen wie zytotoxische T-Zellen zur Eliminierung der Krebszellen aktivieren. TAM können jedoch auch den Krebs in seinem Wachstum unterstützen, indem sie zum Beispiel die krebsbekämpfenden Aktionen des Immunsystems unterdrücken. Es kommt also auf den Phänotyp der Makrophagen an, ob sie den Tumor bekämpfen oder unterstützen. Angriffspunkte für zielgerichtete Therapien könnten folglich eine Umpolarisierung oder Blockade schädlicher Makrophagen und eine Unterstützung nützlicher Makrophagen sein, für eine verstärkte Immunantwort gegen den Tumor.</p> <p><em><strong>Könnte dies auch dazu führen, Immuntherapien effektiver zu machen? Derzeit sind ja die Ansprechraten beim Mammakarzinom um einiges geringer als z. B. beim Melanom oder Bronchialkarzinom. </strong></em><br /><em><strong>J. Wagner:</strong></em> Man vermutet, dass das verminderte Ansprechen auf Checkpoint- Inhibitoren bei vielen Mammakarzinomen mit einer geringeren Immunogenität im Vergleich zu Melanomen oder Bronchialkarzinomen zu tun hat. Mammakarzinome produzieren oftmals weniger Antigene und wirken dadurch vermutlich weniger immunaktivierend als Melanome oder Bronchialkarzinome. Gleichzeitig unterscheiden sich die verschiedenen Subtypen von Mammakarzinomen im Ansprechen auf die Immuntherapie. Diese Subtypen werden bekanntermassen anhand der Expression des Östrogenrezeptors (ER), des Progesteronrezeptors (PR) und des epidermalen Wachstumsfaktorrezeptors 2 (HER2) bestimmt. Patientinnen mit tripelnegativem Tumor sprechen tendenziell besser auf Checkpoint-Inhibitor- Immuntherapie an als Patientinnen mit östrogenrezeptorpositivem Krebs. Eine Art von Checkpoint-Inhibitor-Immuntherapie zielt gegen die Interaktion zwischen dem Liganden «programmed cell death ligand 1» (PD-L1) und seinem Rezeptor «programmed cell death protein 1» (PD-1). PD-L1 kann sowohl von Krebszellen als auch von TAM präsentiert werden und zum «Ermüden» und damit Abschalten von PD-1-positiven zytotoxischen T-Zellen führen. Wird diese Interaktion zwischen PD-L1 und PD-1 durch den Checkpoint-Inhibitor blockiert, kann dies eine Reaktivierung der zytotoxischen T-Zellen und einen Wiederangriff gegen den Krebs verursachen. <br />Momentan werden Checkpoint-Inhibitoren vor allem bei Patientinnen mit metastasierendem tripelnegativem oder HER2-positivem Brustkrebs eingesetzt. Wir konnten nun auch bei einigen Patientinnen mit nicht metastasierendem östrogenrezeptorpositivem Brustkrebs PD-L1-positive Tumor-assoziierte Makrophagen und «ermüdete» PD-1-positive T-Zellen im Primärtumor entdecken. Obwohl die östrogenrezeptorpositive Patientinnengruppe momentan als eher ungeeignet für die Checkpoint-Inhibitor-Immuntherapie gilt, zeigen unsere Ergebnisse, dass die Forschung unbedingt auch bei dieser Patientinnengruppe dranbleiben muss, um herauszufinden, wer von der Immuntherapie zusätzlich zur Standardtherapie profitieren könnte. Dabei ist es sehr wichtig, nicht nur die Krebszellen, sondern auch die Immunzellen im Tumorökosystem genau zu untersuchen.</p> <p><em><strong>In welchem Zusammenhang steht dazu die oft propagierte Heterogenität innerhalb des Karzinoms bei einer einzelnen Patientin? </strong></em><br /><em><strong>J. Wagner:</strong></em> Unsere umfassende Analyse von Tumorökosystemen zeigte ein spannendes Bild von Intratumorheterogenität auf. Jeder untersuchte Tumor war einzigartig in seiner Zusammensetzung aus verschiedenartigen Krebszellen. Spannenderweise enthielten aggressivere Tumoren oft eine dominante Krebszellart, also einen Klon, der mehr als 50 % aller Krebszellen des Tumors ausmachte. Eigentlich wurde vermutet, dass gerade aggressivere Tumoren am diversesten sein sollten. Dieser dominante Klon war oft besonders stark verändert im Vergleich zu gesunden Epithelzellen der Mamma und unterschied sich von Patientin zu Patientin. Genetische Analysen deuteten bereits in diese Richtung und wir konnten dies nun auch auf Proteinebene bestätigen. Es ist möglich, dass diese stark veränderten Krebszellen auch aggressiver sind, d. h. sich besser an die Bedingungen im Tumorökosystem anpassen können, was wiederum in Zusammenhang mit Therapieresistenz, Wiederauftreten des Tumors und Metastasierung stehen könnte. <br />Dass bisherige Krebstherapien zwischen Patientinnen unterschiedlich effektiv sind, könnte damit zu tun haben, dass Tumoren so verschiedenartig zusammengesetzt sind. Spricht ein bestimmter dominanter Krebszellklon einer Patientin nicht gut auf die Therapie an, könnte dies zu einem schlechteren Krankheitsverlauf führen. Unsere Ergebnisse zeigen weniger, dass alle Tumoren gleich behandelt werden können. Deshalb plädieren wir dafür, dass eine umfassendere Analyse der Krebszellen eines Tumors Einzug in die Diagnostik hält, als das bisher der Fall ist. Es gibt bereits eine Vielzahl von zielgerichteten Therapien, die bei verschiedenen Krebsarten eingesetzt werden. Es ist die grosse Aufgabe der zukünftigen Präzisionsmedizin, das Therapiespektrum bei Brustkrebs zu erweitern und für jede Patientin die am besten geeignete Therapie zu ermitteln, für eine hohe Lebensqualität und einen Sieg gegen Resistenz, Wiederauftreten und Metastasierung.</p> <p><em><strong>Sie haben ja mehr als 26 Millionen Zellen von 140 Patientinnen, hauptsächlich von östrogenrezeptorpositivem Brustkrebs betroffen, analysiert. Worauf lag Ihr Hauptaugenmerk? </strong></em><br /><em><strong>J. Wagner:</strong></em> Unser Interesse galt gezielt Proteinen, die bei Brustkrebs heterogen exprimiert werden, bekanntermassen wichtig für die Tumorbiologie sind und wenn möglich prognostische Informationen enthalten. Insgesamt haben wir 37 Proteine auf Einzelzellebene analysiert, wie zum Beispiel Adhäsions- und Strukturproteine, den Hormonrezeptor-Androgenrezeptor, den epidermalen Wachstumsfaktorrezeptor (EGFR) 1, die Überlebensproteine «B-cell lymphoma 2» (BCL-2) und Survivin, den Tumorsuppressor p53 und das Onkoprotein c-Myc. Gegen einige dieser Proteine gibt es bereits Therapeutika. Die Frage ist nur, ob diese auch bei Brustkrebs wirksam wären, was im Anschluss an unsere umfassende Analyse des gesamten Tumorökosystems getestet werden könnte.</p> <p><em><strong>Die Methode, mit der Sie diese grosse Menge an Daten akquiriert haben, ist die sogenannte Massenzytometrie. Können Sie diese bitte kurz beschreiben? Denken Sie, dass sie sich prinzipiell auch für den Einsatz in der Routine-Labordiagnostik eignen würde, um umfassende Tumorprofile von Patienten zu erstellen? <br />J. Wagner:</strong></em> Die Massenzytometrie ist eine recht neue Technologie, die man sich als Kombination von Durchflusszytometrie und Massenspektrometrie vorstellen kann. Für unsere Studie haben wir zunächst das zu untersuchende Gewebe zu einer Einzelzellsuspension dissoziiert. Die einzelnen Zellen, sowohl Krebs-, Stromaals auch Immunzellen, wurden dann mit verschiedenen Antikörpern gefärbt, die das Quantifizieren von 37 Proteinen im Inneren und auf der Oberfläche der Zellen gleichzeitig ermöglichen. Die Antikörper sind dabei an Metallisotope gekoppelt, die als Reporter dienen. Das Prinzip ist gleich wie in der Durchflusszytometrie, für welche Antikörper verwendet werden, an die fluoreszierende Stoffe gekoppelt sind. Das Massenspektrometer misst dann für jede einzelne Zelle, welche und wie viele Metallisotope gebunden sind. So erhalten wir für jede Zelle ein Proteinprofil von bis zu 37 verschiedenen Proteinen. Im Vergleich zur Durchflusszytometrie können wir also wesentlich mehr Proteine gleichzeitig messen. Ein Nachteil ist, dass die Probe anders als bei der Durchflusszytometrie bei der Massenzytometrie während der Messung zerstört wird. <br />Als Routine-diagnostische Methode ist die Massenzytometrie eher Zukunftsmusik, da die Datenanalyse sehr umfangreich und bislang wenig automatisiert ist, was momentan Experten nötig macht. Es gibt jedoch bereits starke Bestrebungen in diese Richtung und auch in unserem Labor werden die dafür nötigen Schritte entwickelt. Prof. Bodenmiller hat die Massenzytometrie so weiterentwickelt, dass sie auch auf Gewebeschnitten angewendet werden kann, und bereits verschiedene Softwares für die Datenanalyse publiziert. Die Analyse von Gewebeschnitten ist aufgrund der grossen Verfügbarkeit von eingebettetem Gewebe für die Forschung von immenser Bedeutung und ermöglicht bereits umfangreiche retrospektive Studien. Dafür arbeitet unser Labor mit verschiedenen Spitälern zusammen. Für unsere Studie wurden wir auch sehr engagiert von der Stiftung Patients’ Tumor Bank of Hope (PATH) in Deutschland unterstützt. Die Automatisierungsbestrebungen für die Massenzytometrie sind also sehr gross und wir bewegen uns Schritt für Schritt in Richtung digitale Pathologie von Tumorökosystemen.</p> <p><em><strong>Wie würden Sie die Relevanz Ihrer Daten einem klinisch tätigen Onkologen erläutern? </strong></em><br /><em><strong>J. Wagner:</strong></em> Die grössten Herausforderungen unserer Zeit für die Krebstherapie sind Metastasierung und Resistenzentwicklung. Im Kampf gegen Brustkrebs werden neuartige Therapieansätze erforscht, die Krebszellen gezielter treffen und zusätzlich das Tumor-assoziierte Immunsystem aktivieren sollen. Ein erster und wichtiger Schritt in diese Richtung ist eine genaue Aufschlüsselung der Krebsund Immunzellen und ihrer Interaktionen im Tumorökosystem und wie sich diese von Patientin zu Patientin unterscheiden. Genau diesen Schritt haben wir mit unserer Forschungsarbeit getan.</p> <p><em><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></em></p> <p><em><strong><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1904_Weblinks_lo_onko_1904_s33_abb1_wagner.jpg" alt="" width="550" height="629" /></strong></em></p> <p><em><strong><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2019_Leading Opinions_Onko_1904_Weblinks_lo_onko_1904_s34_abb2_wagner.jpg" alt="" width="550" height="770" /></strong></em></p></p>
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<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>Wagner J et al.: A single-cell atlas of the tumor and immune ecosystem of human breast cancer. Cell 2019; 177(5): 1330-45</p>
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