
Herausforderungen an den interdisziplinären Schnittstellen
Bericht: Dr. med. Judith Moser
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Angesichts eines wachsenden Spektrums zielgerichteter und immuntherapeutischer Optionen steht bei Tumoren des Gastrointestinaltrakts die molekulare Testung zunehmend im Fokus. Expert:innen diskutierten Hürden und Chancen aus der Sicht der Onkologie, Pathologie und Gastroenterologie.
PD-L1-Expression sowie HER2- und Claudin18.2-Status fliessen bei Karzinomen des Kolons bzw. Magens bereits in die Therapiewahl ein, während sich neue Marker wie die FGFR2b-Überexpression auf dem Weg in die Klinik befinden. Im Rahmen des Online-Formats «OncoViews» diskutierten PD Dr. med. Sara De Dosso, Istituto Oncologico della Svizzera Italiana, Bellinzona, PD Dr. med. Heather Dawson, Institut für Gewebemedizin und Pathologie, Universität Bern, und Prof. Dr. med. Thomas Greuter, EOC Ospedale Regionale di Lugano und Università della Svizzera italiana, die Thematik gastrointestinaler Biomarker aus der Sicht dreier Disziplinen. Der vorliegende Text entspricht einer gekürzten Fassung.
Optimierung der Probenentnahme
S. De Dosso: Bei gastrointestinalen Karzinomen liegen mittlerweile mehrere zielgerichtete Substanzen vor, und viele werden in Bälde verfügbar sein, weshalb die molekulare Testung an Bedeutung gewinnt. Die erste Frage dreht sich darum, wie eine hohe Qualität des biopsierten Materials sichergestellt werden kann. Werden vonseiten der Gastroenterologie spezielle Protokolle im Rahmen von Endoskopien zur Anwendung gebracht, um die Gewebsausbeute zu verbessern?
T. Greuter: Wir versuchen auf jeden Fall, so viele Proben wie möglich zu entnehmen, um die Ausbeute zu maximieren, und Targetläsionen zu biopsieren. Bei Lymphknoten führen wir keine Feinnadelaspirationen mehr durch, sondern Feinnadelbiopsien mit grösseren Nadeln. Die Wahrnehmung kann hier trügen; auch wenn wir glauben, dass die Menge ausreicht, steht manchmal im Pathologiebefund, dass sie unzureichend war. Im Rahmen der Endoskopie gibt es Tools wie «narrowband imaging», um den kanzerösen Teil einer Veränderung so gut wie möglich abzugrenzen. Von standardisierten Vorgaben für Biopsien sind wir jedoch weit entfernt.
S. De Dosso: Für uns Onkolog:innen ist es essenziell, dass Gastroenterolog:innen sich dessen bewusst sind, dass es nicht nur um die Diagnosestellung geht.
T. Greuter: Ich glaube, hier mangelt es den Gastroenterolog:innen an Bewusstsein. Die Onkologie entwickelt sich sehr viel rascher als die Gastroenterologie, weshalb es für Gastroenterolog:innen eine Herausforderung ist, in Bezug auf Marker und neue Therapien up to date zu bleiben. Fortbildungen spielen hier eine zentrale Rolle.
Präanalytik und Reflextestung
S. De Dosso: Wie geht man in der Pathologie mit den Proben um, um sicherzustellen, dass die Analyse den Standards entspricht?
H. Dawson: Grundsätzlich müssen wir mit dem Gewebe arbeiten, das wir bekommen. Für die Biomarkertestung existieren – wie etwa beim Mammakarzinom umfassend etabliert – hochstandardisierte Protokolle zur Gewebeverarbeitung. Die Antigenität muss erhalten bleiben, da alle diese Biomarker immunhistochemisch evaluiert werden. Das Gewebe muss korrekt fixiert werden, wobei Unterfixierung (<8 Stunden) und Überfixierung (>72 Stunden) zu vermeiden sind. Auch ist es notwendig, die Probe nach der Entnahme so rasch wie möglich in Formalin einzulegen, da der Abbau einsetzt, sobald das Gewebe den Körper verlassen hat. Ein Schlüsselaspekt ist somit die korrekte Handhabung der Präanalytik. Hier gibt es ausreichend Evidenz und Richtlinien. Der Umstand, dass es am Anfang nur um die Diagnose geht, erzeugt nicht nur bei Gastroenterolog:innen einen Mangel an Awareness, sondern auch bei Patholog:innen. Pathologische Befunde enthalten keine Angaben, ob sich eine Probe für die Biomarkertestung eignet, weshalb Gastroenterolog:innen diesbezüglich kaum Feedback bekommen.
S. De Dosso: An unserem Institut erfolgt eine Reflextestung des Mikrosatellitenstatus primär anhand des Mismatch-Repair-Proteins. In Zweifelsfällen folgt Next-Generation-Sequencing (NGS) als Reflextestung. Darüber hinaus werden PD-L1- und EBV-Status standardmässig bestimmt, sobald die Diagnose eines Adenokarzinoms des Magens feststeht. Wie wird das an anderen Kliniken in der Schweiz gehandhabt?
H. Dawson: Dieser Punkt wird diskutiert. Zunehmend empfehlen Fachgesellschaften eine Upfront-Testung aller Biomarker. Andererseits wird die Liste der Biomarker auch bei anderen Karzinomen ständig länger, was die Arbeitsbelastung der Pathologie und der Labors erhöht. In der Schweiz können wir das bewältigen, in anderen Ländern ist es aber sicher ein grosses Problem.
S. De Dosso: Nun dreht sich die Diskussion darum, ob die HER2-Testung als Reflextestung erfolgen soll. Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, dass man bereits zum Zeitpunkt der Initiierung der Erstlinientherapie beim Magenkarzinom den molekularen Status kennt, damit man nach dem Eintreten der Metastasierung sofort die beste Strategie diskutieren kann.
T. Greuter: Das ist manchmal nicht machbar. Beispielsweise detektiert man bei einem Patienten mit Magenblutung einen Tumor, kann aber wegen einer laufenden Antikoagulanzientherapie nicht biopsieren.
Wie verlässlich ist die MMR-Testung?
S. De Dosso: Ein erschreckendes Ergebnis war die hohe Rate an Fehldiagnosen in Bezug auf den Mikrosatellitenstatus in den beiden Phase-III-Studien KEYNOTE-177 und CheckMate 8HW.Bei 15% der Kolonkarzinom-Patient:innen bestätigte der zentrale Review das Ergebnis der lokalen Testung nicht.
Die Grösse der Biopsie spielt eine wichtige Rolle in Diagnostik und Therapieplanung
H. Dawson: Ich habe diese Daten auch gesehen und war schockiert. Diese Zahl entspricht nicht den Angaben in der Literatur. In den Studien ist die Konkordanzrate zwischen PCR und Immunhistochemie für den Mikrosatellitenstatus oder für Mismatch-Reparatur(MMR)-Profizienz viel, viel höher. Allerdings gab es in der Analyse keine eingehenderen Angaben zu Art und Weise der Testung, was auch in einem «letter to the editor» kritisiert wurde. Daraufhin wurde eine Replik veröffentlicht, die im Wesentlichen besagte, dass uns derzeit die Datentiefe fehlt, um dieses Phänomen zu erklären. Ein Grund liegt möglicherweise in einer hohen Ausprägung an Gewebsartefakten und Nekrosen des Biopsiematerials; auch verwendeten manche Institute nur zwei immunhistochemische Marker statt vier als Screening-Tool. Schliesslich können viele präanalytische Faktoren das Ergebnis beeinflussen. Auch der Grenzwert ist ein Thema: Ab wann kann man den Befund laut Immunhistochemie sicher als MSI-high oder MMR-defizient einstufen? Und was ist der Schwellenwert, ab dem man eine PCR durchführt?
Genauigkeit der PD-L1-Befundung
S. De Dosso: Gibt es noch immer Institute, die in ihren Befunden den PD-L1-Status ohne den für Onkolog:innen wichtigen CPS-Score angeben?
H. Dawson: Zumindest in der Schweiz sind mir keine bekannt. Das sollte nicht mehr vorkommen. In der Schweiz fehlen de facto Leitlinien, was die Entwicklung und Validierung von PD-L1-Tests betrifft. Ich bin nicht sicher, ob jedes Labor weiss, wie man das macht. Andere wissenschaftliche Gesellschaften haben Guidelines in Bezug auf die Erstellung, Validierung und Befundung von Biomarkern bei gastrointestinalen Karzinomen publiziert. Im Hinblick auf die PD-L1-Befundung zeigte eine rezente Publikation beispielsweise eine sehr hohe Variabilität zwischen den Labors.Es gibt hier viele Schrauben, an denen man drehen kann und die sich deutlich auf das Ergebnis auswirken.
S. De Dosso: Das Ausmass der PD-L1-Expression ist in der Praxis für die Therapiewahl entscheidend. Angesichts der Verfügbarkeit von Zolbetuximab gibt bei Patient:innen mit Magenkarzinomen, die sowohl Claudin18.2- als auch PD-L1-positiv sind, die PD-L1-Expression den Ausschlag, da die Immuntherapie bei niedrigeren CPS-Scores weniger gut wirkt. Diese Scores müssen natürlich verlässlich sein.
H. Dawson: Für die Genauigkeit der CPS-Einstufung sind viele Faktoren relevant. Die hohe intratumorale Heterogenität spielt ebenso eine Rolle wie die präanalytische und die analytische Variabilität. Die Interpretation von PD-L1 erfordert das Zählen vieler Zellen und die Fähigkeit, Zellen, die man nicht alle gleichzeitig in einem Sehfeld findet, exakt unterscheiden zu können. Das ist schwierig und zeitaufwendig. Auch die KI-Tools, die wir derzeit haben, sind nicht optimal, aber wir werden diese Probleme sicher innerhalb der nächsten fünf Jahre bewältigen und eine Generalisierbarkeit der Ergebnisse herstellen können.
S. De Dosso: Sollte auch die regulatorische Perspektive in der PD-L1-Befundung eine Rolle spielen, da Checkpoint-Inhibitoren bei bestimmten CPS-Scores zugelassen sind?
H. Dawson: Das ist für Patholog:innen schwierig, da PD-L1 bei sehr vielen Karzinomen relevant ist und es inzwischen einen Dschungel an Scores, Zulassungen, Schwellenwerten etc. gibt. Eine sehr empfehlenswerte deutsche Webseite, in die man sich einloggen muss, listet nach Organsystemen geordnet alle Vorgaben und Scores auf, die für bestimmte Medikamente gelten.
T. Greuter: Klinische Information kann zu einem Bias in der Befundung führen.
H. Dawson: Das stimmt, aber ich glaube nach wie vor, dass es sehr wichtig ist, zu wissen, was die Konsequenzen des Befundes sind.
Gezieltere Biomarker-entwicklung in Studien
S. De Dosso: Zum Thema der Rolle der Pharmaindustrie in der Entwicklung von Biomarkern: Ich würde eine akademische Entwicklung bevorzugen, wobei die Proben aus den grösseren klinischen Studien bereitgestellt werden.
H. Dawson: In der Schweiz sollte vonseiten der akademischen Zentren mehr Interesse daran bestehen, zu klinischen Studien beizutragen. Eine zentralisierte Biomarkerentwicklung ist in Ordnung, wobei wir vielleicht aktiver in die Entwicklung der Testung und Auswertung eingebunden sein sollten. Es sollte auch mehr Offenheit gegenüber spezifischen NGS-Plattformen bestehen, wenn man demonstrieren kann, dass die Ergebnisse valide und von hoher Qualität sind. Dadurch könnten auch akademische Zentren in höherem Masse involviert werden.
S. De Dosso: In den grossen Phase-III-Studien gibt es leider häufig methodische Schwächen bezüglich der Biomarker, etwa das Fehlen vorab geplanter Analysen. Ein Medikament wird also möglicherweise auf der Basis von Post-hoc- und Subgruppenanalysen zugelassen. Wenn eine Studie mit einem zielgerichteten Präparat oder einer Immuntherapie konzipiert wird, sollte man schon aus der Präklinik bzw. den frühen klinischen Studien heraus eine Vorstellung davon haben, was die beste Zielgruppe ist.
H. Dawson: Man könnte auch andere, bereits etablierte gewebsbasierte Marker einbeziehen, um Subgruppen nicht nur klinisch zu definieren.
Den Informationsaustausch verbessern
S. De Dosso: Neue Biomarker und neue Medikamente befinden sich am Horizont, etwa gab es positive Phase-III-Ergebnisse zu Bemarituzumab beim FGFR2b-positiven Magenkarzinom.1 Werden wir für die Testung noch mehr Tumorgewebe brauchen?
T. Greuter: Die Menge des Materials wird immer ein Problem sein. Wir werden daher in Zukunft standardisierte Protokolle dazu benötigen, was die Art und Menge betrifft. Auch brauchen wir kontinuierliches Feedback vonseiten der Pathologie, ob das Material ausreicht. Realistisch betrachtet gehen wir in Richtung einer zweiten Endoskopie, um die gewünschte Menge an Material zu gewinnen, nachdem die Diagnose im Rahmen der ersten Endoskopie gestellt und der Patient im Tumorboard besprochen wurde. Es ist zu hoffen, dass es vonseiten der Rückerstattung diesbezüglich keine Probleme geben wird.
S. De Dosso: Was werden künftig die grössten Herausforderungen im Kontext neuer Biomarker sein und wie können wir die Patholog:innen unterstützen?
H. Dawson: Jeder neue Biomarker erfordert entsprechende Fortbildungen, damit eine hohe Testqualität auf allen Ebenen gewährleistet werden kann.
S. De Dosso: Ein abschliessender Diskussionspunkt ist die Notwendigkeit des interdisziplinären Austauschs zwischen medizinischen Onkolog:innen, Chirurg:innen, Radioonkolog:innen, Gastroenterolog:innen und Patholog:innen. Es gibt häufig wenig Kommunikation jenseits von multidisziplinären Teamsitzungen. Über welche Kanäle könnte die Weitergabe von Neuigkeiten in den anderen Disziplinen verbessert werden?
T. Greuter: Es ist sehr wichtig, ständig Feedback zu erhalten. Ich kenne Institutionen, an denen Gastroenterolog:innen und Patholog:innen auch zu Fortbildungszwecken gemeinsam Gewebsschnitte auswerten, was sowohl den Ärzt:innen als auch den Patient:innen nützt. Aber die Implementation solcher Formate, die auf Kosten der direkten Patient:innenbetreuung gehen, muss von oben her entschieden werden.
H. Dawson: Der Austausch kann bei allen Events erfolgen, die uns sowieso zusammenführen. Jedoch stehen natürlich alle unter Zeitdruck und sind mit der Notwendigkeit konfrontiert, Fortbildungspunkte zu sammeln. Es macht daher Sinn, sich auf bestimmte interdisziplinäre Foren zu konzentrieren. Und ich möchte alle Leser:innen ermutigen, mit ihren Kolleg:innen zu kommunizieren, sodass man voneinander lernen kann.
Quelle:
OncoViews-Webinar «GI Biomarker Roundtable», 29. August 2025
Literatur:
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