
Hämophilie, Transfusionen und Thrombosen im Fokus
Bericht:
Dr. Katharina Arnheim
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Die 69. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) Mitte Februar 2025 stand unter dem Motto „Advances, Research, Technology and Education“ (ARTE). Sie zog über 900 Teilnehmer:innen aus Europa sowie Nordamerika, Asien und Afrika nach Lausanne. Präsentiert wurden ca. 200 Abstracts. Außerdem gab es Workshops und Fortbildungssitzungen.
Die optimale Versorgung von Patient:innen mit Blutprodukten sollte evidenzbasiert und multidisziplinär erfolgen, um allogene Bluttransfusionen zu reduzieren und die Verfügbarkeit allogener Blutprodukte sicherzustellen.
Als Herausforderung nannte Prof. Dr. Andrea Steinbicker, Köln, den demografischen Wandel: Derzeit sind rund 25% der EU-Bevölkerung >65 Jahre alt; dieser Anteil wird bis 2032 auf 38% steigen. Bereits heute wird etwa die Hälfte aller Bluttransfusionen für Patient:innen >75 Jahre benötigt; Blutspendende finden sich vor allem in der Gruppe der >60-Jährigen. „Sie werden in wenigen Jahren unsere Patient:innen sein. Dann steuern wir auf einen Mangel an Blutprodukten zu“, so Steinbicker.
Laut deutschen Netzwerk-Daten von >1 Million Personen liegt die Prävalenz einer präoperativen Anämie bei 25–35%, wobei sie in den höheren Altersgruppen höher ist als bei jüngeren.1 Auch zeigt das Projekt, dass anämische Patient:innen in der Klinik im Vergleich zu jenen ohne Anämie ein gesteigertes Sterberisiko haben. Sie erhalten perioperativ häufiger Erythrozytenkonzentrate (EK) als die ohne Anämie, wobei die Rate mit zunehmendem Alter steigt. „Bei Patient:innen >80 Jahre ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie perioperativ mindestens ein EK erhalten, in jedem deutschen Krankenhaus höher als bei jüngeren Patient:innen“, so Steinbicker. Hier ist Forschung nötig, um zu klären, ob Ältere diese Transfusionen tatsächlich brauchen.
Daten zum Transfusionsbedarf bei Kindern gibt es nur spärlich. Vertiefte Erkenntnisse zur Transfusionspraxis bei Interventionen sowie in Intensivmedizin und Neonatologie erhofft man sich von der in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführten Beobachtungsstudie TRAPA bei Kindern ab Geburt und bis 18 Jahre.
Die 1365 Datensätze der Studie werden derzeit ausgewertet. Sie zeigen aber bereits, dass die Mehrzahl der Transfusionen im nichtinterventionellen Setting erfolgt. Davon abweichend sind nur die Ergebnisse bei Säuglingen, bei denen Transfusionen überwiegend intra- und perioperativ stattfinden. Kleinkinder von 1–5 Jahren erhalten am häufigsten Blutprodukte.
Monitoring von Blutungsrisiko und Gelenkfunktion bei Hämophilie
Standard bei der Hämophilie ist heute die sehr früh gestartete Prophylaxe, um Blutungen und Gelenkschäden zu verhindern und Patient:innen mit Hämophilie A oder B ein möglichst normales Leben bei guter Lebensqualität zu sichern, berichtete Dr. Maria Elisa Mancuso, Mailand.
Um diese Ziele zu erreichen, ist die Ermittlung des Blutungsrisikos bei Betroffenen unverzichtbar. Als hierfür ungeeignet bezeichnete Mancuso das ISTH-BAT (Bleeding-Assessment-Tool der International Society of Thrombosis and Hemostasis), das zum Screening eingesetzt wird, aber für die Ermittlung des Blutungsrisikos bei der Hämophilie nicht validiert ist. Auch die Bestimmung der annualisierten Blutungsrate (ABR) war in den Anfangszeiten der Prophylaxe und Heimselbstbehandlung hilfreich. Heute reicht dies laut Mancuso nicht mehr, da subklinische, ebenfalls Gelenkschäden verursachende Blutungen damit nicht erfasst werden.
Sie plädierte für die regelmäßige Untersuchung der Gelenke, um Einblick in den Schweregrad und die klinische Aktivität der Erkrankung zu erhalten. Als besten Indikator für das Blutungsrisiko bezeichnete sie die noch reversible synoviale Hypertrophie, die mittels Point-of-Care-Ultraschall (POCUS) Patient:innen-nah bestimmt wird und die selbst bei Patient:innen mit beschwerdefreien Gelenken und einer ABR von 0 vorhanden sein kann. Mancuso plädierte dafür, Hämophiliepatient:innen einmal jährlich, betroffene Kinder halbjährlich sonografisch zu untersuchen.
Aufwendiger als der Ultraschall ist die Magnetresonanztomografie (MRT), mit der sich Hämosiderinablagerungen im Gelenk als Hinweis auf vorangegangene subklinische Blutungen nachweisen lassen, die eine synoviale Hypertrophie und spätere irreversible osteochondrale Läsionen triggern.
Früher und regelmäßiger Ultraschall von Gelenken
Die Bildgebung mittels POCUS hat die Früherkennung von Gelenkblutungen und die Differenzialdiagnose akuter Gelenkschmerzen verbessert, bekräftigte Dr. Natascha Marquardt, Bonn. Weitverbreitet ist der „Haemophilia Early Arthropathy Detection“-Ultraschall (HEAD-US), der die Darstellung der synovialen Hypertrophie als Marker der Krankheitsaktivität sowie von Knorpel- und subchondralen Knochenschäden in den sechs großen Gelenken (Knie-, Ellbogen- und Sprunggelenk) erlaubt und sowohl von Ärzt:innen als auch von entsprechend ausgebildeten Physiotherapeut:innen durchgeführt werden kann.
Der Hemophilia Joint Health Score ist ein umfassend validiertes Instrument zum Monitoring der Gelenkfunktion
In einer Vergleichsstudie zeigten die Scores von HEAD-US und MRT eine hohe Korrelation insbesondere bei der Darstellung von Knie- und Ellbogengelenk.2 Für HEAD-US wurden eine Sensitivität für die Feststellung erster Hinweise auf eine hämophile Arthropathie von 95,2% und eine Spezifität von 83% ermittelt. Auch bei pädiatrischen Patient:innen erwies sich HEAD-US gegenüber der MRT als verlässliche Methode zur Detektion und Quantifizierung der hämophilen Arthropathie.3 Bei früher Erkennung einer synovialen Proliferation im Ultraschall ist im Weiteren eine Intensivierung der Prophylaxe möglich, um das Fortschreiten von Gelenkschäden zu bremsen.
HJHS erfasst Gelenkschäden
Dr. Lukas Graf, St. Gallen, stellte den Hemophilia Joint Health Score (HJHS) als umfassend validiertes Instrument zum Monitoring der Gelenkfunktion vor.4 Er konzentriert sich auf sechs Indexgelenke (Ellbogen, Knie, Knöchel) und erfasst Schwellungen, Muskelatrophie, Bewegungsgrad, Kraft und Schmerzen. Der HJHS ermöglicht die Erfassung von Gelenkschäden in relativ frühen Stadien selbst bei prophylaktisch behandelten Kindern und eine akkuratere Langzeitprognose sowie ein langfristiges Monitoring und individualisierte Therapieanpassungen.
Als vorteilhaft beim HJHS wertete Graf die geringen Kosten und die Möglichkeit, klinische Veränderungen im Verlauf zu verfolgen. Allerdings ist die Durchführung selbst in den Händen erfahrener Untersucher:innen mit ≥30 Minuten für die klinische Routine zu zeitaufwendig. Auch ist bislang nicht definiert, welche Veränderung im Score klinisch relevant ist und wie lange nachbeobachtet werden muss, um derartige Veränderungen festzustellen.
Dennoch bezeichnete Graf den HJHS als Eckpfeiler in der Versorgung von Betroffenen. Er sollte mit bildgebenden Techniken kombiniert werden, um durch Integration funktioneller und struktureller Informationen eine optimale Betreuung sicherzustellen.
Blutungsprophylaxe: Emicizumab langfristig effektiv
In der nichtinterventionellen Studie EMIIL hat die Prophylaxe mit dem s.c. verabreichten Faktor-VIIIa-Mimetikum Emicizumab bei der schweren Hämophilie A (<1% FVIII-Aktivität) unter den Routinebedingungen in der Praxis eine konsistente Wirksamkeit gezeigt.5
Kohorte A der Studie umfasste 112 Patient:innen im Alter zwischen 0 und 65 Jahren ohne Hemmkörper (HK), die den bispezifischen Antikörper mittlerweile seit median 629 Tagen erhalten. Bei der Mehrzahl traten im Studienverlauf keine Blutungen auf. Die ABR für behandelte Blutungen (primärer Endpunkt) sank von im Schnitt 3,47 vor Beginn der Emicizumab-Prophylaxe auf 0,61. Die Effektivität war bei Patient:innen unter zwölf Jahren mit einer ABR von 0,437 ähnlich effektiv wie bei jenen ab zwölf Jahren mit einer ABR von 0,788. Bei gut der Hälfte der Patient:innen (53%) traten im Studienverlauf keine behandelten Blutungen, bei 79% keine spontanen Blutungen und bei 96% keine behandelten Blutungen in Zielgelenken auf.
Die Behandlung wurde insgesamt gut vertragen: Von den Teilnehmenden entwickelte niemand neue HK gegen Faktor VIII und nur eine Person eine Thromboembolie. Nebenwirkungsbedingte Therapieabbrüche wurden nicht dokumentiert.
Therapeutische Defizite bei splanchnischen Venenthrombosen
Risikofaktoren für splanchnische Venenthrombosen (SVT) sind Leberzirrhose, Tumoren wie Pankreas- und Leberzellkarzinom sowie hämatologische Neoplasien, vor allem myeloproliferative Neoplasien (MPN).
In der ISTH-Leitlinie werden für das therapeutische Vorgehen bei SVT drei Gruppen differenziert:6 Betroffene mit Leberzirrhose, Krebspatient:innen und übrige Betroffene.
Bei Betroffenen mit zugrunde liegender Leberzirrhose mit dem hohen Blutungs- und Rezidivrisiko sollte initial ein niedermolekulares Heparin (NMH) in therapeutischer Dosierung eingesetzt und danach je nach Leberfunktion auf einen Vitamin-K-Antagonisten oder ein direktes orales Antikoagulans (DOAK) umgestellt werden. Als wichtig in diesem Kollektiv bezeichnet die Leitlinie ein frühes Screening auf Varizen.
Bei Krebspatient:innen können initial und für die spätere Rezidivprophylaxe NMH oder DOAK gewählt werden, wobei NMH bei urogenitalen und gastrointestinalen Tumoren wegen des geringeren Blutungsrisikos erste Wahl sind, informierte Prof. Dr. Walter Ageno, Bellinzona.
Die übrigen Betroffenen erhalten initial und in der anschließenden Prophylaxe DOAK. Die Therapiedauer sollte mindestens drei bis sechs Monate betragen. Bei Zirrhose und aktivem Tumor empfehlen die Leitlinien – ein akzeptables Blutungsrisiko vorausgesetzt – eine zeitlich unbegrenzte Therapie.
Im klinischen Alltag sieht es allerdings anders aus: Studien zufolge erhalten lediglich 45–62% der SVT-Patient:innen überhaupt eine Antikoagulation (AK), die im Schnitt nur ein gutes Jahr durchgeführt wird.7 Bei soliden Tumoren sieht es mit einer Rate gerinnungshemmend behandelter SVT-Patient:innen von 40% nicht besser aus; auch die mediane Therapiedauer von nur drei Monaten ist unzureichend.8 Dabei weist die Kohortenstudie eindrücklich darauf hin, dass die AK mit einer Halbierung des Rezidivrisikos von Nutzen ist, auch wenn in rund 10% der Fälle mit einer schweren Blutung zu rechnen ist. Selbst die sehr häufig an einer SVT erkrankten MPN-Patient:innen erhalten nur zu gut 60% eine AK, die dann im Median etwa zwei Jahre lang verabreicht wird.9
Grundsätzlich sollte man die AK bei Betroffenen mit SVT sorgfältig abwägen, aber nicht zu restriktiv vorgehen, rät Ageno. Denn laut einer Metaanalyse ist davon auszugehen, dass diese die Rekanalisation des betroffenen Gefäßes verbessert und so auch bei den fragilen Betroffenen mit Zirrhose oder aktivem Tumor einen Progress der SVT sowie Rezidive verhindert und die Sterblichkeit senkt.10
Quelle:
69. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) 2025, 18. – 21. Februar 2025, Lausanne, Schweiz
Literatur:
1 Blum LV et al.: BJS Open 2022; 6(6): zrac128 2 Plut D et al.: Radiol Oncol 2018; 53: 176-86 3 Plut D et al.: Radiol Oncol 2022; 56: 471-8 4 https://elearning.wfh.org/resource/hemophilia-joint-health-score-hjhs/ 5 Wenning S et al.: GTH 2025; Abstr. #PW-15-01 6 Di Nisio M et al.: JThromb Haemost 2020; 18: 1526-2568 7 Pettinari I et al.: J Gastroenterol 2018; 114: 258-66 8 Andersen M et al.: Blood Adv 2024; 8: 6151-60 9 How CJ et al.: Blood 2024; 144(Suppl. 1): 16 10 Valeriani E et al.: Blood 2021; 137: 1233-40
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