
©
Getty Images
Glioblastoma multiforme – therapeutisches Goal für Immuntherapie?
Jatros
30
Min. Lesezeit
15.09.2016
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Beim ASCO Annual Meeting 2016 wurden sowohl interessante Daten zur hypofraktionierten Strahlentherapie bei älteren neu diagnostizierten Glioblastompatienten in Kombination mit Chemotherapie als auch die erste Interimsanalyse der CATNON-Studie vorgestellt. Darin konnte für die 1p19q-intakten anaplastischen Gliome der Nutzen einer additiven Temozolomid-Gabe nach einer Strahlentherapie belegt werden. Eine der wichtigsten Fragen, die es in naher Zukunft zu klären gilt, ist für Assoc. Univ.-Prof. Dr. Matthias Preusser, MedUni Wien, ob bzw. inwieweit die Immuntherapie sich beim Glioblastom wirksam erweisen wird.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><strong>Die Therapie des neu diagnostizierten Glioblastoms mit zusätzlicher Chemotherapie zur Radiotherapie wird derzeit diskutiert. Gab es hierzu neue Erkenntnisse beim ASCO Annual Meeting 2016?</strong><br /><br /> <strong>M. Preusser:</strong> In der Plenary Session wurde eine kanadische Studie von James R. Perry et al<sup>1</sup> präsentiert, bei der eine hypofraktionierte Strahlentherapie bei älteren Glioblastompatienten (über 65 Jahre) über drei Wochen entweder alleine oder in Kombination mit einer Chemotherapie gegeben wurde. Diese Frage war noch offen, da die Stupp-Studie, die vor zehn Jahren ebenfalls in der Plenary Session am ASCO präsentiert worden war<sup>2</sup> und aufgrund derer die Radiochemotherapie als Erstlinienbehandlung beim neu diagnostizierten Glioblastom etabliert wurde, nur Patienten bis 70 Jahre eingeschlossen hat und davon nur sehr wenige über 65 Jahre. Für die Gruppe der älteren Patienten konnte man daher bisher nur wenige Aussagen treffen. Da jedoch annähernd die Hälfte der neu diagnostizierten Gliblastome bei Patienten über 65 Jahre auftritt, schloss die Studie von Perry et al eine wesentliche Lücke. Für diese Patientengruppe zeigten die Daten aus der Perry-Studie nun, dass die kombinierte Radiochemotherapie, also drei Wochen Bestrahlung und konkomitante Temozolomid-Therapie, die Überlebenszeit deutlich verlängert. Dieser Benefit war sowohl beim progressionsfreien als auch beim Gesamtüberleben zu beobachten, und zwar insbesondere bei denjenigen Patienten, die einen methylierten MGMT-Promotor aufweisen (etwa 40 % ). Diesen Patienten sollte auf jeden Fall eine Chemotherapie zusätzlich zur Bestrahlung angeboten werden. Bei der Gruppe der unmethylierten Patienten ist dies sicherlich ein Diskussionspunkt.<br /> <br /><strong> Gibt es Ansätze, die Therapie des Glioblastoms zu individualisieren, z.B. durch Biomarker?</strong><br /> <br /> <strong>M. Preusser:</strong> Dazu wurde nicht allzu viel am diesjährigen ASCO-Kongress präsentiert. Ein viel relevanteres Thema war die Immuntherapie, die, wie auch bei vielen anderen Tumorentitäten, beim Glioblastom näher untersucht wird. Derzeit laufen einige große Phase-II- und -III-Studien beim neu diagnostizierten Glioblastom mit Immuntherapeutika, an denen auch zwei Zentren aus Österreich (Linz und Wien) beteiligt sind. Außerdem erwarten wir bald die Daten einer Phase-III-Studie beim rezidivierten Glioblastom mit einem PD-1-Inhibitor.<br /> <br /><strong> Was ist Ihre Hypothese? Wird sich die Immuntherapie beim Glioblastom etablieren können?</strong><br /> <br /> <strong>M. Preusser:</strong> Das lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Rationale für diese Therapie ist gut, zumal das Glioblastom bekanntermaßen ein immunsuppressiver Tumor ist. PD-L1 wird bei vielen Glioblastomen exprimiert, und es gibt Fallberichte, denen nach Patienten auf die Immuntherapie angesprochen haben. Die Erwartungshaltung ist somit hoch.<br /> <br /><strong> In der Behandlung von Hirnmetastasen scheint die Immuntherapie ebenfalls erfolgreich zu sein. Welche Präsentationen waren hierzu am ASCO relevant?</strong><br /> <br /> <strong>M. Preusser:</strong> Hierzu gab es beim diesjährigen ASCO Annual Meeting retrospektive Analysen aus Studien, die Immuntherapien angewendet hatten, und zwar sowohl beim Melanom als auch beim Bronchuskarzinom. Die Patienten mit NSCLC hatten keine spezifischen Nebenwirkungen oder Autoimmunphänomene unter der Immuntherapie aufgewiesen. Außerdem wurden intrakranielle Responses gesehen, zum Teil sogar Komplettresponses, aber auch partielle Remissionen. Das zeigt, dass bei Patienten mit Hirnmetastasen durchaus Immuntherapien erwogen werden sollten.<br /> <br /> <strong>Wie differenziert wird die Glioblastomtherapie letztendlich ausfallen? Die Immuntherapie per se ist ja ein Ansatz mit wenig Differenzierung, wohingegen die Krebstherapie immer individualisierter wird. Wie sehen Sie dieses Spannungsfeld?</strong><br /> <br /> <strong>M. Preusser:</strong> Außer dem MGMT-Promotormethylierungsstatus gibt es beim Glioblastom derzeit kaum angehbare genetische Veränderungen, daher ist die Individualisierungsmöglichkeit der Therapie bei dieser Indikation noch nicht so groß. Inwieweit Biomarker wichtig sein könnten für die Immuntherapie beim Glioblastom, muss in klinischen Studien untersucht werden. Es könnte beispielsweise sein, dass Patienten, die eine hohe Mutationslast haben oder PD-L1-exprimierende Glioblastome, besser mit Immuntherapie behandelbar sind.<br /> <br /><strong> Welche Präsentationen oder Poster aus dem Bereich der Neuroonkologie waren darüber hinaus aus Ihrer Sicht beim ASCO Annual Meeting relevant?</strong><br /> <br /> <strong>M. Preusser:</strong> Seit Einführung der Temozolomid-basierten Radiotherapie beim Glioblastom wurde darüber diskutiert, ob die kombinierte oder die additive Temozolomid-Gabe der entscheidende Faktor in der Behandlung ist. Diese Frage wurde in der CATNON-Studie (Concomitant and Adjuvant Temozolomide in NON-codeleted anaplastic glioma) bei WHO-Grad-III-Gliomen adressiert.<sup>3</sup> Anaplastische Gliome ohne Kodeletion der Chromosomen 1p/19q gelten als weniger empfindlich gegenüber einer alkylierenden Chemotherapie. Beide Fragen wurden mithilfe eines vierarmigen Studiendesigns (2x2-Design) untersucht (Abb. 1). Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung bedurfte es eines internationalen Zusammenschlusses von mehreren neuroonkologischen Gruppen, um eine ausreichende Patientenzahl in angemessener Zeit zu rekrutieren. Zwei Fragen sollen beantwortet werden:</p> <ol> <li>Was ist der Nutzen einer kombinierten Radiochemotherapie (54,9Gy/33 Fraktionen) mit Temozolomid (75mg/m<sup>2</sup> täglich) im Vergleich zur alleinigen Radiotherapie?</li> <li>Besteht ein Vorteil einer additiven Temozolomid-Therapie (12 Zyklen; d1–5 q28) im Vergleich zu keiner Systemtherapie nach Radiotherapie?</li> </ol> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_Jatros_Onko_1604_Weblinks_Seite93.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <p>Am ASCO-Kongress wurden die Daten nach einer geplanten Interimsanalyse (41 % der Ereignisse, mediane Beobachtungszeit 27 Monate) nur zur zweiten Frage präsentiert. Die Studie hatte zum Zeitpunkt der Zwischenanalyse bereits alle Patienten (n=748) rekrutiert. Beim primären Endpunkt mOS war die additive Temozolomid-Gabe versus keine zusätzliche Therapie statistisch signifikant überlegen (41,1 Monate versus „nicht erreicht“; HR: 0,645; 99 % CI: 0,45–0,926; p=0,0014). Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug ohne additive Therapie 44,1 % und mit einer ergänzenden Temozolomid-Therapie 55,9 % . Somit konnte für die 1p/19q-kodeletierten Gliome der Nutzen einer additiven Temozolomid-Gabe nach einer Strahlentherapie belegt werden und sollte in die Primärbehandlung als neuer Therapiestandard Einzug halten. Es bleibt abzuwarten, ob bei diesen Tumoren auch die bereits an manchen Zentren praktizierte, konkomitante Temozolomid-Gabe während der Bestrahlung ebenfalls von Nutzen ist.<br /> <br /><strong> Welches sind die Fragen und Herausforderungen, denen wir uns als Nächstes stellen müssen?</strong><br /> <br /> <strong>M. Preusser:</strong> Wie schon erwähnt, hat es oberste Priorität, den Stellenwert der Immuntherapie für das Glioblastom herauszufinden. Des Weiteren werden die Etablierung und Anwendung der molekularen Analytik in der klinischen Praxis eine Herausforderung der nahen Zukunft sein. Wir haben ja eine neue WHO-Klassifikation, die zum ersten Mal nicht nur auf histologischen Kriterien beruht, sondern auch die molekulare Diagnostik stark berücksichtigt. Das ist natürlich eine Herausforderung für viele Zentren, da man dafür eine hoch entwickelte molekulare Analytik benötigt.<br /> <br /><strong> Vielen Dank für das Gespräch!</strong></p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Perry JR et al: A phase III randomized controlled trial of short-course radiotherapy with or without conco­mitant and adjuvant temozolomide in elderly patients with glioblastoma (CCTG CE.6, EORTC 26062-22061, TROG 08.02, NCT00482677). J Clin Oncol 2016; 34(suppl; abstr LBA2)<br /><strong>2</strong> Stupp R et al: Radiotherapy plus concomitant and adjuvant temozolomide for glioblastoma. N Engl J Med 2005; 352: 987-96<br /><strong>3</strong> Van Den Bent MJ et al: Results of the interim analysis of the EORTC randomized phase III CATNON trial on concurrent and adjuvant temozolomide in anaplastic glioma without 1p/19q co-deletion: an Intergroup trial. J Clin Oncol 2016; 34(suppl; abstr LBA2000)<br /><br /></p>
</div>
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
Erhaltungstherapie mit Atezolizumab nach adjuvanter Chemotherapie
Die zusätzliche adjuvante Gabe von Atezolizumab nach kompletter Resektion und adjuvanter Chemotherapie führte in der IMpower010-Studie zu einem signifikant verlängerten krankheitsfreien ...
Highlights zu Lymphomen
Assoc.Prof. Dr. Thomas Melchardt, PhD zu diesjährigen Highlights des ASCO und EHA im Bereich der Lymphome, darunter die Ergebnisse der Studien SHINE und ECHELON-1
Aktualisierte Ergebnisse für Blinatumomab bei neu diagnostizierten Patienten
Die Ergebnisse der D-ALBA-Studie bestätigen die Chemotherapie-freie Induktions- und Konsolidierungsstrategie bei erwachsenen Patienten mit Ph+ ALL. Mit einer 3-jährigen ...