
Genauer und preiswerter
Mit einer neuen einfachen Methode lässt sich besser vorhersagen, wie aggressiv sich ein kolorektales Karzinom verhalten wird. LEADING OPINIONS Hämatologie & Onkologie sprach mit drei Experten über die neue Methode und deren Relevanz für die klinische Praxis.
Eigentlich wollte Prof. Alessandro Lugli, stellvertretender Chefarzt am Institut für Pathologie der Universität Bern, seine Forschungsresultate auf dem amerikanischen Krebskongress ASCO im Juni 2016 in den USA vorstellen. Doch dann fand er das Thema so wichtig, dass er im April 2016 in Bern mit Kollegen eine eigene Konferenz organisierte: die erste International Tumor Budding Consensus Conference, ITBCC. Tumor-Budding, so ist Prof. Lugli überzeugt, ist ein robuster Biomarker, um die Prognose bei Krebs besser vorherzusagen. Luglis Forschungsresultate könnten das Vorgehen bei Dickdarmkrebs beeinflussen. Die meisten Daten gibt es zum kolorektalen Karzinom. «In Zusammenschau mit unseren bisherigen prognostischen Faktoren kann man mit Tumor-Budding besser vorhersagen, wie aggressiv sich das Karzinom verhalten wird», so Lugli. «Und dazu ist die Methode noch preiswert und einfach.» Inzwischen ist das durch mehrere Studien belegt und das Budding soll demnächst in die internationalen Leitlinien aufgenommen werden. In der aktuellen 8. Ausgabe der TNM-Klassifikation 2017, herausgegeben von der Union Internationale Contre le Cancer (UICC), ist Tumor-Budding bereits als prognostischer Faktor aufgeführt.1
Pro Jahr erkranken 4100 Menschen in der Schweiz an einem kolorektalen Karzinom. «Nach dem ersten Schock wollen die Patienten natürlich wissen: Wie lange lebe ich noch?», sagt Lugli. «Es ist nie einfach, darauf eine klare Antwort zu geben.» Anhand von TNM-Status, Histologie und Grading wird versucht, die Prognose so gut wie möglich zu stellen. «Wie wir alle wissen, ist dieses Verfahren aber nicht perfekt. » So metastasiert das Karzinom manchmal, auch wenn der Pathologe es gemäss den geltenden Richtlinien als wenig aggressiv klassifiziert hat.
Spezialeinheiten in einer Armee
Bei einem Forschungsaufenthalt in Kanada hörte Lugli vom Tumor-Budding und wusste: Die Methode brauchen wir in Europa auch. Tumor-Buds sind ein bis maximal vier Krebszellen, die sich ausserhalb des Tumors zu kleinen Grüppchen («buds») zusammengetan haben. «Die Zellen kann man mit Spezialeinheiten in einer Armee vergleichen», erklärt Lugli. «Sie lösen sich als Einzelkämpfer oder Mini-Gruppen von der Tumorfront ab und dringen in das umgebende Gewebe ein.» Je mehr Tumor-Buds in der Umgebung eines kolorektalen Karzinoms gefunden werden, desto schlechter ist die Prognose. «Man kann sich das so vorstellen, als würde man aus einem Flugzeug ein Kriegsgebiet beobachten», sagt Lugli. «Je mehr Kämpfer-Spezialeinheiten man am Rande der Front sieht, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Krieg führende Partei ausbreitet.»
Schon in dern 1950er Jahren vermutete ein japanischer Wissenschafter2, dass Tumor-Buds an den Rändern eines Tumors Hinweise darauf geben, wie aggressiv der Krebs wächst. Lugli hörte zum ersten Mal vor elf Jahren davon, als er in Montreal forschte. «Mein Mentor Jeremy Jass dort hatte Kontakt zu Kollegen aus Japan», erzählt der Pathologe. «Er sagte zu mir: ‹Das wird wichtig, das müssen wir weiterverfolgen.› Und er hatte recht!» In den folgenden Jahren zeigten Studien, dass Tumor-Buds assoziiert waren mit einem höheren Risiko für Lymphknotenmetastasen, für Rezidive, ein kürzeres Gesamtüberleben und Fernmetastasen.3–11
«Das Tolle ist, dass man die Buds in der HE-Färbung am Tumormaterial sehen kann», sagt Lugli. «Die ist preiswert, und wir wenden diese Färbung ohnehin bei jedem Tumor an.» Kollegen aus der ganzen Welt sind vom Tumor-Budding überzeugt. Auf der ITBCC jüngst in Bern erarbeiteten Lugli und Kollegen eine standardisierte Methode, mit der sich die Buds zuverlässig zählen lassen. Der Pathologe wählt den Gewebeblock aus, in welchem der Krebs am aggressivsten wächst, bestimmt mittels einer Konversionstabelle ein genau definiertes Areal (0,785mm2) an der Tumorinvasionsfront und zählt die Buds aus. Je nach Anzahl wird ein Budding 1 (geringes Risiko), Budding 2 (mittleres Risiko) oder Budding 3 (hohes Risiko) vergeben.
Direkte Konsequenzen für Patienten
Jetzt setzen sich die Forscher dafür ein, dass das Budding standardmässig zur Bestimmung der Prognose dazugehört, zusätzlich zum bisherigen Staging. «Das hätte direkte Konsequenzen für unsere Patienten», sagt Lugli. Findet der Pathologe zum Beispiel viele Buds in einem bösartigen Polypen, wäre eine Nachresektion in Erwägung zu ziehen. Ebenso würde man bei einem Patienten im Stadium II, der viele Buds aufweist, eine Chemotherapie in Betracht ziehen. Heute steht nämlich nicht fest, ob wirklich alle Patienten in diesem Stadium davon profitieren.
Bisher hat das Tumor-Budding noch keinen Einzug in das Staging gefunden, weil noch keine prospektiven Studien durchgeführt worden sind. Dies ist unter anderem auf das Fehlen einer standardisierten Methode zurückzuführen. Zum einen zweifeln manche Kritiker, ob die Zählungen der Buds reproduzierbar seien. Zum anderen gibt es Anwendungen für frühe Stadien des kolorektalen Karzinoms (I–II) und andere für fortgeschrittene Stadien (III–IV) – so ist es schwierig, eine Methode zu bestimmen, die für alle Stadien gilt. Lugli und Kollegen vom St Vincent’s University Hospital in Dublin und von der Abteilung für Klinische Pathologie an den Hôpitaux Universitaires de Genève haben kürzlich in einer Metaanalyse gezeigt, dass sich das Budding sehr wohl in das Staging integrieren lässt.11 Das Budding sagt sehr gut das Risiko für Lymphknotenmetastasen vorher, für Rezidive und krebsbedingte Todesfälle nach fünf Jahren. Das Budding in den Staging-Algorithmus zu integrieren werde zu einer effektiveren Risikostratifizierung führen, so Lugli. Die Autoren hatten die Daten von 7821 Patienten aus 34 Studien ausgewertet. Tumorproben mit Budding waren signifikant assoziiert mit positiven Lymphknoten (OR: 4,94; 95 % CI: 3,96–6,17; p<0,00001), die betroffenen Patienten entwickelten während des fünfjährigen Beobachtungszeitraumes eher Rezidive (OR: 5,50; 95 % CI: 3,64– 8,29; p<0,00001), und sie hatten ein höheres Risiko, an ihrem Krebs zu sterben (OR: 4,51; 95 % CI: 2,55–7,99; p<0,00001). Die Ergebnisse sind deshalb auch beeindruckend, weil in den einzelnen Studien unterschiedliche Definitionen verwendet wurden, was Budding bedeutet. Und in einigen Studien wurde statt mit HE mit Cytokeratin gefärbt.
«Tumor-Budding scheint einen aggressiven Phänotyp anzuzeigen, unabhängig vom TNM-Staging», so Lugli. Immer mehr würde in der Onkologie auf eine «personalisierte» Therapie Wert gelegt, sagt er, und das Budding könne hierzu einen grossen Beitrag leisten. Ein Tumor in einem frühen Stadium mit Tumor-Budding müsste möglicherweise aggressiver behandelt werden. Umgekehrt könnte man bei einem Tumor in einem fortgeschrittenen Stadium, aber ohne Budding zurückhaltender mit einer aggressiven Therapie sein.
Wer von einer frühen Chemo profitiert
Budding kann auch helfen, sich für oder gegen eine Chemotherapie im frühen Stadium zu entscheiden. Bisher gibt es keinen Beleg dafür, dass eine Chemotherapie im Frühstadium einen Benefit bringt. «Trotzdem wissen wir, dass es bestimmte Tumoren im Stadium II gibt, die ein schlechtes Outcome haben», erzählt Lugli. «Hier könnte das Budding eine wertvolle Hilfe sein, Patienten zu stratifizieren, die trotz frühen Stadiums von einer Chemotherapie profitieren.»
Die Buds seien ein interessanter neuer Marker, sagt Prof. Holger Moch, Direktor des Instituts für Pathologie am Universitätsspital Zürich. Es gebe zwar immer mehr Tests, die genetische Veränderungen in den Tumorzellen nachweisen und Aufschluss über den Krankheitsverlauf geben könnten. «Aber wir Pathologen schauen uns nach wie vor den Tumor sorgfältig unter dem Mikroskop an und suchen nach Hinweisen, wie wir die Prognose einschätzen können», sagt Moch. Die Tumor-Buds würden sich hierfür gut eignen, allerdings brauche es zuerst eine anerkannte und standardisierte Zählmethode. Er setzt das Verfahren noch nicht routinemässig ein, da manchmal aufwendige Zusatzfärbungen nötig sind, um die Buds zu zählen.
Die herkömmliche Stadieneinteilung ist nach wie vor der wichtigste Prognosefaktor für Patienten mit kolorektalem Karzinom, kommentiert Prof. Thomas Winder, Oberarzt in der Klinik für Onkologie am Universitätsspital Zürich. «Wir suchen aber zusätzlich nach bestimmten genetischen Veränderungen in den Tumorzellen sowie nach Immunzellen im Tumorgebiet, mit denen wir die Prognose genauer einschätzen können», sagt er. «Das Tumor-Budding könnte ein weiterer nützlicher Faktor im Prognose-Mosaik sein.» Man darf gespannt sein, wann das Budding in die Routine aufgenommen wird.
1 Brierley JD et al: TNM classification of mailgnant tumors. 8th edition. Wiley Blackwell, 2017 2 Imai T: Fukuoka Igaku Zasshi 1954; 45: 30 3 Ueno H et al: Gastroenterology 2004; 127(2): 385-94 4 Bosch SL et al: Endoscopy 2013; 45(10): 827-34 5 Lugli A et al: Br J Cancer 2012; 106(11): 1713-7 6 Mitrovic B et al: Mod Pathol 2012; 25(10): 1315-25 7 Zlobec I et al: Oncotarget 2010; 1(7): 651-61 8 van Wyk HC et al: Cancer Treat Rev 2015; 41(2): 151-9 9 de Smedt L et al: Br J Cancer 2017; 116(1): 58-65 10 Koelzer VH et al: Hum Pathol 2016; 47(1): 4-19 11 Rogers AC et al: Br J Cancer 2016; 115(7): 831-40
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